Frühe Vorfälle (5)

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Als die Bombardierung am heftigsten tobte und auch meine Vaterstadt nieder brannte, wurden wir Kinder auf die Dörfer geschickt. Die meisten klassenweise, verteilt auf die Bauernhöfe, mit Unterricht in der einklassigen Dorfschule, die damit Urbanität gewann.
Meine Mutter brachte mich zu einer Tante in ein kleines katholisches Dorf mit einer fordernden Kirche auf der Anhöhe, ihre Glocken ließen uns keine Ruhe. Die einheimischen Burschen hingen morgens, mittags und abends in den Seilen, ich traute mich nicht.
Auch dieses Dorf war überfremdet, gescheite protestantische Mädchen ließen die ackergrauen Buben staunen. Am Wochenende prügelten sie sich, ich wusste nicht warum.
Das Haus meiner Tante lag am Hang, der Garten zog mich mit seinen schmalen Pfaden hinunter ins Tal, zur Straße, zum Bach, zur Eisenbahn, drüben aber ging es wieder hinauf.
Wir lebten, so schien es, außerhalb des Krieges.
Eines Tages gab es Fliegeralarm, die Sirenen heulten. Wir gingen in den Keller, ohne dass eine Gefahr erkennbar war. Ich stand an der Tür und schaute hinaus ins Tal.
Da erschien über dem jenseitigen Berg ein Bombergeschwader. Als die schweren Flugzeuge sich näherten, wurden sie von Jägern angegriffen. Es war ein herrliches Schauspiel. Die Flieger umkreisten sich, feuerten ihre Kanonen ab, taktische Manöver erzeugten überraschende Situationen, einer ging in Flammen auf, ein anderer stürzte rauchend in die Tiefe, Männer zappelten an Fallschirmen.
Heute erlebe ich solche Szenen im Fernsehen.
Was aus den Männern wurde, haben wir nicht erfahren. Ein Gerücht flüsterte, die Bauern hätten einen erschlagen.
Über lange Zeit hin habe ich Bilder gemalt, auf denen einer aus dem Berg heraus Angreifer beschießt. Er ist siegreich.
 

Somerset

Mitglied
Frühe Vorfälle

Hallo Wilhelm,
ich möchte Dir ein wirklich ehrlich gemeintes Lob aussprechen. All Deine "Erzählungen" haben mir sehr gut gefallen. Bei der ersten Geschichte wollte ich zuerst gleich wieder weiterklicken, blieb dann aber aus irgend einem Grund hängen - und las sie schließlich alle. Irgend jemand hatte vorgeschlagen, die Geschichten sollten noch mehr ausgefeilt werden. Das finde ich nicht! All diese Episoden haben etwas fast Statisches, und genau das gefällt mir. Meist bietet der letzte Satz so etwas wie eine abschließende Pointe, wobei Pointe bestimmt nicht das richtige Wort ist. Tolle Gedankensplitter!
Somerset
 
Hallo Somerset,
danke für die Besprechung meiner Erzählung.
Du siehst richtig, dass die Texte statisch sind. Es sind die Aufzeichnungen eines alten Mannes, die erst nach seinem Tod gefunden werden. Die Ereignisse und Erfahrungen, die hier aufgezeichnet werden, bewegen sich nicht mehr, sie sind endgültig abgeschlossen.

Grüße
Wilhelm Riedel
 



 
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