Frühling, Atavismus und das göttliche Handeln
Es war bereits das dritte Jahr in Folge, in dem die Amseln ein Nest in meine Thuja-Hecke gebaut hatten und versuchten, im Schutz des sattgrünen Dickichts, ihre Eier auszubrüten.
Ich hatte sie zuerst beide beobachtet, wie sie - in der Vögeln so eigenen Akribie - emsig Zweig um Zweig und Stück um Stück gesammelt hatten, um sich ein gut geschütztes Refugium zu erschaffen.
Und als ich sie nicht mehr so häufig sah, und dicke Regenwürmer den Platz der Zweige in ihren Schnäbeln eingenommen hatten, wusste ich, dass sie einen Großteil des ältesten Spiels der Welt hinter sich gebracht hatten, die heiße Schlussphase aber noch vor ihnen lag.
Der zu lange und zudem viel zu kalte März war vom hoffnungsvollen April verdrängt worden.
Die Tage wurden endlich wieder länger; in den Gärten sprossen die Osterglocken und wenn ich frühmorgens zur Arbeit ging umschmeichelte mich die warme Hand des Morgenwinds in dem das liebliche Singen der Vögel zu schweben schien.
Wir hatten die Gartenmöbel wieder aus dem Keller geholt. Ich hatte mit meiner Tochter Ostereier gesucht und die ganze Welt schien langsam aber sicher aus dem tiefen Eissee des Winters herauszutauchen.
Am Morgen als die Katze kam war es schon so warm gewesen, dass wir auf der Terrasse frühstücken konnten. Während Lena lustlos in ihren Cornflakes stocherte und Tina mir die dritte Tasse Kaffee einschenkte hatte sich der dicke rote Nachbarskater in unseren Garten geschlichen, wo er offensichtlich das Amselnest entdeckt hatte. Sein buschiger Schwanz wedelte irr hin und her und mit verzückten leisen Maunzgeräuschen schien er sich die kommende Mahlzeit schon einmal imaginär schmecken zu lassen. Und als ich ihn über den Rand meiner Kaffeetasse beobachtete, wurde mir schlagartig die Affinität zu seinen
großen Verwandten bewusst. Da der Kater jedoch nicht mitten in die Hecke springen und zu seinem Ziel klettern konnte, trat er den Umweg über den direkt dahinter gelegenen Holzzaun an. Die Amselmutter hatte ihn entdeckt. Ich konnte sie zuerst nicht sehen, hörte jedoch ihr aufgebrachtes Schreien und das unablässige Schlagen mit den Flügeln. Der Kater kam näher und sie hatte wohl in Sekundenschnelle die Abwägung zwischen ihrem eigenen und dem Leben ihrer Nachkömmlinge getroffen, da sie pfeilschnell mitten aus dem grünen Wirrwarr geschossen kam und sich einige Meter entfernt auf dem Apfelbaum niederließ. Hätte ein Mensch ähnlich gehandelt? Oder hätte er als David – unter Aufbietung aller ihm möglichern Kräfte - dem mehr als übermächtigen Goliath die Stirn geboten. Hatte die Amseldame Gefühle? Konnte sie wie ich den tief in mir verankerten Schmerz fühlen, wenn ihr Nachwuchs krank wurde, oder ihm Gefahr drohte. Den Ozean der Wohligkeit wenn ihre Kleinen zufrieden eingeschlafen waren?
Der Kater kam näher und sie stieß schrille Laute der Todesangst aus ihrer schwarzen Kehle.
Als Lena in der für 4-jährige nur zu gewöhnlichen Art fragte: „Papa, was passiert da?“ gab ich ihr wie mechanisch meine Standartantwort für derartige Dramen des Alltags. „Das ist die Natur Lena – Die Katze muss wie wir etwas essen. Deshalb versucht sie einen Vogel zu fangen“. Und als ich ausgesprochen hatte traf es mich wie ein Blitz:
Ist dies wirklich der von der Natur gewollte Lauf der Dinge?
Ein langsamer und grausamer Theaterakt des Tötens in meinem Garten?
Die Mutter, die mit eigenen Augen den Untergang ihres Nachwuchses erleben muss?
Wäre es richtig, wenn ich die Katze einfach verjagen und damit das drohende Unheil abwenden würde?
Käme ein derartiges Handeln nicht geradezu einer göttlichen Intervention gleich?
In dem ich nur aufgestanden und einige Schritte auf die Szenerie zugegangen wäre, hätte ich möglicherweise drei oder mehr Leben, die mich in keiner Weise tangierten, retten können. Ich könnte der „deus ex machina“ der Vorstadtsiedlung sein. Alles wäre so einfach.
Als die Mittagssonne im Zenith stand und Tina mich zum Mittagessen rief, warf ich die letzten Überreste des Vogelnestes in die Tonne.
Der Nachbarskater hatte es wieder geschafft.
Es war bereits das dritte Jahr in Folge, in dem die Amseln ein Nest in meine Thuja-Hecke gebaut hatten und versuchten, im Schutz des sattgrünen Dickichts, ihre Eier auszubrüten.
Ich hatte sie zuerst beide beobachtet, wie sie - in der Vögeln so eigenen Akribie - emsig Zweig um Zweig und Stück um Stück gesammelt hatten, um sich ein gut geschütztes Refugium zu erschaffen.
Und als ich sie nicht mehr so häufig sah, und dicke Regenwürmer den Platz der Zweige in ihren Schnäbeln eingenommen hatten, wusste ich, dass sie einen Großteil des ältesten Spiels der Welt hinter sich gebracht hatten, die heiße Schlussphase aber noch vor ihnen lag.
Der zu lange und zudem viel zu kalte März war vom hoffnungsvollen April verdrängt worden.
Die Tage wurden endlich wieder länger; in den Gärten sprossen die Osterglocken und wenn ich frühmorgens zur Arbeit ging umschmeichelte mich die warme Hand des Morgenwinds in dem das liebliche Singen der Vögel zu schweben schien.
Wir hatten die Gartenmöbel wieder aus dem Keller geholt. Ich hatte mit meiner Tochter Ostereier gesucht und die ganze Welt schien langsam aber sicher aus dem tiefen Eissee des Winters herauszutauchen.
Am Morgen als die Katze kam war es schon so warm gewesen, dass wir auf der Terrasse frühstücken konnten. Während Lena lustlos in ihren Cornflakes stocherte und Tina mir die dritte Tasse Kaffee einschenkte hatte sich der dicke rote Nachbarskater in unseren Garten geschlichen, wo er offensichtlich das Amselnest entdeckt hatte. Sein buschiger Schwanz wedelte irr hin und her und mit verzückten leisen Maunzgeräuschen schien er sich die kommende Mahlzeit schon einmal imaginär schmecken zu lassen. Und als ich ihn über den Rand meiner Kaffeetasse beobachtete, wurde mir schlagartig die Affinität zu seinen
großen Verwandten bewusst. Da der Kater jedoch nicht mitten in die Hecke springen und zu seinem Ziel klettern konnte, trat er den Umweg über den direkt dahinter gelegenen Holzzaun an. Die Amselmutter hatte ihn entdeckt. Ich konnte sie zuerst nicht sehen, hörte jedoch ihr aufgebrachtes Schreien und das unablässige Schlagen mit den Flügeln. Der Kater kam näher und sie hatte wohl in Sekundenschnelle die Abwägung zwischen ihrem eigenen und dem Leben ihrer Nachkömmlinge getroffen, da sie pfeilschnell mitten aus dem grünen Wirrwarr geschossen kam und sich einige Meter entfernt auf dem Apfelbaum niederließ. Hätte ein Mensch ähnlich gehandelt? Oder hätte er als David – unter Aufbietung aller ihm möglichern Kräfte - dem mehr als übermächtigen Goliath die Stirn geboten. Hatte die Amseldame Gefühle? Konnte sie wie ich den tief in mir verankerten Schmerz fühlen, wenn ihr Nachwuchs krank wurde, oder ihm Gefahr drohte. Den Ozean der Wohligkeit wenn ihre Kleinen zufrieden eingeschlafen waren?
Der Kater kam näher und sie stieß schrille Laute der Todesangst aus ihrer schwarzen Kehle.
Als Lena in der für 4-jährige nur zu gewöhnlichen Art fragte: „Papa, was passiert da?“ gab ich ihr wie mechanisch meine Standartantwort für derartige Dramen des Alltags. „Das ist die Natur Lena – Die Katze muss wie wir etwas essen. Deshalb versucht sie einen Vogel zu fangen“. Und als ich ausgesprochen hatte traf es mich wie ein Blitz:
Ist dies wirklich der von der Natur gewollte Lauf der Dinge?
Ein langsamer und grausamer Theaterakt des Tötens in meinem Garten?
Die Mutter, die mit eigenen Augen den Untergang ihres Nachwuchses erleben muss?
Wäre es richtig, wenn ich die Katze einfach verjagen und damit das drohende Unheil abwenden würde?
Käme ein derartiges Handeln nicht geradezu einer göttlichen Intervention gleich?
In dem ich nur aufgestanden und einige Schritte auf die Szenerie zugegangen wäre, hätte ich möglicherweise drei oder mehr Leben, die mich in keiner Weise tangierten, retten können. Ich könnte der „deus ex machina“ der Vorstadtsiedlung sein. Alles wäre so einfach.
Als die Mittagssonne im Zenith stand und Tina mich zum Mittagessen rief, warf ich die letzten Überreste des Vogelnestes in die Tonne.
Der Nachbarskater hatte es wieder geschafft.