Frühstück bei Camus

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HansSchnier

Mitglied
Er schaut gequält, stützt sein Kinn auf die Handfläche und kratzt mit der anderen sein Gesicht. Ich habe mich selbst eingeladen, die Initiative ergriffen, die er grundsätzlich nicht ergreift. Seine Augen wandern kurz in meine Richtung. Sein verwirrter Blick streift meine Erwartungen und wendet sich nach einem kurzen Moment der Vertrautheit wieder ab. Wenn es überhaupt Vertrautheit war, und ich in seiner Ausdruckslosigkeit nicht nur Vertrautheit gesucht habe. Wie könnte zwischen uns Vertrautheit entstehen? Uns trennen Welten.
Ich studiere seine Gesichtszüge, das Maskenhafte. Die weißen Haare, die tief dunklen Augen, hinter denen sich Alles und Nichts abspielen könnte. Lustlos schiebt er sein Frühstück in den Mund, kaut gelangweilt und betrachtet die Menschen, die an uns vorbeiziehen. Einige schauen herüber. Es ist schwül. Er schätzt dieses nass-warme Klima, hat es immer geschätzt. Ich schwitze und bereue, dass ich heute extra früher aufgestanden bin, um ihn noch vor der Arbeit zu besuchen. Ihn interessiert es eh nicht, auch wenn der Pfleger, mit dem ich das Gespräch gesucht habe, ausdauernd das Gegenteil behauptet. Wir wüßten nicht, was er wahrnimmt. Es sei gut möglich, dass er mich erkenne, wenn ich regelmäßig käme. Und nein, er sei nicht depressiv, er erwecke nur den Eindruck. Und philosophieren könne er schon gar nicht.
Ich komme regelmäßig. Es ist wohl eine Mischung aus Pflichtgefühl und Sympathie, Einbahnstraßensympathie.
Ich hole meine Banane aus dem Rucksack, schäle sie. Er lukt herüber, wird aufmerksam, doch besinnt sich im nächsten Moment. Er weiß, dass sie unerreichbar ist.
Es ist mittlerweile neun und die ersten Schulklassen ziehen vorbei. Sie wundern sich über den Banane-essenden Mann auf dem Klappstuhl. Ich fühle mich unwohl, beobachtet. Fühle ich mich wie Camus? Er mag die Aufmerksamkeit nicht, hasst, wenn Finger auf ihn zeigen und verabscheut Kinderkrakele. Er dreht sich um, verbirgt seinen Kopf unter den Armen und zeigt den Krachmachern seinen Hintern. Sie kichern, überfliegen das Schild vor der Scheibe: Gibbon-Affe. "Der ist langweilig“, urteilen sie und rennen zu den Fischottern, die den künstlichen Wasserfall herunterrutschen. Auch ich verabschiede mich wortlos und verlasse das Tropenhaus Richtung Parkplatz.
 
A

Arthrys

Gast
Top!

Gekonnt in Szene gesetzt.
Altenheim? Irrenhaus? Affenhaus! (Man suche den Unterschied)
Änderungsvorschlag:
vielleicht besser(?)
-Einige schauen zu uns herüber-
Gruß
Arthrys
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo HansSchnier,

Dein Titel hat mich neugierig gemacht. Nach den ersten Zeilen war ich dann völlig verwirrt. Bin anfangs bereitwillig der falschen Spur gefolgt... Bis sich nach mehrmaligem Lesen Faszination breit machte.

Gestolpert bin ich über
Seine Augen wandern kurz in meine Richtung, sein verwirrter begegnet meinem erwartenden Blick,
Ich finde, das liest sich nicht rund. Was hältst Du von: [blue]"Seine verwirrten Augen begegnen kurz meinem erwartungsvollen Blick". [/blue]Nein, das ist auch nicht wirklich gut, aber es liest sich besser...

Hier
die tief dunklen Augen hinter denen sich Alles und Nicht abspielen könnte
ist Dir nach den Augen ein Komma und bei Nichts ein "s" verloren gegangen.

Das zweimalige "auf" bei
Er schaut kurz auf, wird aufmerksam,
gefällt mir nicht. Vielleicht [blue]"er schaut kurz her"[/blue] oder [blue]"er schaut kurz zu mir"[/blue] ?

überfliegen das Schild vor der Scheibe: „Gibbon-Affe – der ist langweilig“,
Ich würde die Anführungszeichen anders setzen: [blue]Scheibe: Gibbon-Affe - "der ist langweilig" [/blue]

Ansonsten kann ich mich nur Arthrys Meinung anschließen. Bin beeindruckt.

Haremsdame
 

HansSchnier

Mitglied
Hallo Haremsdame,


vielen Dank für deine konstruktiven Tipps, konkrete Hinweise helfen immer am meisten.
Habe mich noch mal an die Stellen herangemacht und sie hoffentlich nicht verschlimmbessert.

Freut mich, wenn dir und Arthrys die Geschichte gefällt, und ihr mir auf den Leim gegangen seid.

Liebe Grüße

HansSchnier
 



 
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