GESCHICHTE EINES GASTARBEITRES

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ADEM SENTÜRK:
GESCHICHTE EINES GASTARBEITRES


Adem Sentürk, Sohn des Bauers Mehmet,
hatte viele Prüfungen bestanden
und wurde für ein gelobtes Land,
das Deutschland hieß und ein Kontinent weit weg lag,
als "Gastarbeiter" ausgewählt.

"Bismillah" sagend steckte er
seinen Arbeitsvertrag und
seinen Reisepaß mit Halbmond
in die rechte Tasche seiner Jacke.
Dann hob er sein Kopf gegen Himmel
und dankte Gott, dass er ihm dies ermöglichte.

Nach drei Tagen verliess er
in der Morgendämmerung sein Vaterhaus im Dorf,
das mit anderen 60 Häusern am Ufer des Eupfrat lag
und wie ein aus Versehen gesetzter Punkt
auf den Landkarten seiner Heimat stand.

Als Adem sich von seinen Eltern verabschiedete
und auf eine Rückkehr in zwei Jahren hoffte,
umarmte ihn sein Vater, der im ersten Weltkrieg
mit den deutschen Soldaten zusammen kämpfte:
"Was sollen wir machen mein Sohn,
wenn das Vaterland seine Söhne nicht ernährt,
wird die Fremde die nächste Hoffnung.
Gott sei mit dir!"

Adem Sentürk kam mit einem Bus nach Istanbul
und im Bahnhof von Sirkeci stieg er
in einen schwarzen Zug nach Deutschland ein.
Die Reise dauerte drei Tage:
Später schrieb er in sein Poesieheft:

"In jenen warmen Ländern,
wo die warmen Südwinde
Rosenlorbeerdüfte brachten,
lebten wir sehr bescheiden.

Ein starker Wind aus dem Westen,
der nach Geld und Wohlstand roch,
wütete über unseren Dörfern.
Unsere Jugend packten wir in die Holzkoffer
und kamen zu den Bahnhöfen.

In schwarze Züge gestopft,
fuhren wir in die kühlen Industriestädte des Westens.
Mit Zeremonien wurden wir empfangen
mit Orchestern und Geschenken.
Und die einheimischen Städter,
die Gastfreundschaft nicht kannten,
nannten uns "die Gastarbeiter".

Wir zogen Ärmel hoch
sowohl unter Tage als auch über der Erde.
Unser Schweiß war segensreich,
wie der Regen für die Ernte.
Uns wurde immer schwerste Arbeit
und der kleinste Teil des Kuchens zugeteilt.
Weder haben wir uns beklagt noch beschwert.
Die Zähne zusammenbeißend
haben wir immer geschwiegen."

Adem arbeitete in einer Stahlfabrik im Ruhrgebiet.
Die Arbeit fiel ihm am Anfang schwer.
Er arbeitete Tag und Nacht, machte öfter Mehrarbeit
Zuerst vergingen die zwei Jahre, dann fünf.
Die Rückkehr in die Heimat verschob sich immer
auf das nächste Jahr...

Die Zeit verging schnell, aber nicht spurlos.
Erst wurde sein Vater von der Erde,
der er immer treu geblieben war, aufgenommen.
Dann wurden die zwei Finger Adem's linker Hand
von seiner geliebten Maschine abgerissen.
Nach diesem Unfall wurde er schweigsamer.
Er begann, sein Leben in der Fremde
anders zu betrachten als vorher.

Die Arbeitstage wurden verdammt schwer
Die Menschen hier waren kalt und taub wie Steine
und die Heimatlieder mit Schmerzen gefüllt.
Jeder Tag, der zu Ende ging, wurde zu einen weißen Haar.
Nach jedem Feierabend wurden sein Heimweh
und sein Verlangen auf Rückkehr immer größer.
Sein Herz kämpfte gegen seine Vernunft.
Wenn sein Herz ihn zur Heimkehr drängte,
sagte seine Vernunft:
"Du musst jeden Schritt zwei Mal überlegen!
Glaube nicht, dass der Heimweg eine Lösung ist.
Seit Jahren bist du dem Heim fremd
und das Heim dir fremd geworden..."

Je mehr Adem Sentürk aushielt
um so größer wurde der Kampf in ihm
und die blutenden Wunden in seiner Seele.
Er reiste in seinen Träumen ständig
von Duisburg nach Istanbul hin und zurück.
Er schrieb in sein Poesieheft:
"Noch bevor wir uns als Arbeiter sahen,
wurden wir zu Teilen der Maschinen.
Solange wir gut arbeiteten
und die Produktion steigerten,
waren wir alle willkommen
Sie streichelten unseren Rücken,
und klopften auf unsere Schultern


Viel Wasser floß den Rhein hinab.
Wir haben die alte Heimat
und die alte Heimat hat uns vergessen.
Unsere Hoffnungen auf Rückkehr
ließen wir an den Grenzübergängen."

Als er glaubte, dass sein Herz still wurde,
begannen die ersten Entlassungen in seiner Fabrik.
Durch die Rationalisierung gingen viele Arbeitsplätze verloren.
Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland nahm zu.
Die Entlassungswellen brachen nicht ab.
Und seine deutschen Kollegen fragten ihn jeden Tag:
"Wann gehst du in deine Heimat zurück?"
Die Frage machte ihn fix und fertig.
Adem Sentürk beißte jedoch die Zähne zusammen
und fluchte öfter in sich:
"Ich habe meine Jugend und meine zwei Finger geopfert,
trotzdem beschuldigt man uns für die Wirtschaftskrise.
Feindschaft gegen uns wird immer lauter.
Was für ein Land und Leute sind das?"
Und er schrieb in sein Poesieheft:

"Unsere südländische Geduld
und unsere Bezeichnung "die Gastarbeiter"
Waren das, was uns den Nacken beugen ließ.
Nun sind wir weder Gast noch Fremde hier!
Wir haben unsere Kinder hier großgezogen,
Unsere Enkelkinder sind hier geboren.
Die Heimat ist uns fremd,
die Fremde uns zur Heimat geworden..."

Die Rationalisierung und Entlassungen gingen ungehindert weiter.
Man sprach sogar vom Strukturwandel im Ruhrgebiet.
Mit der Arbeitslosigkeit nahm auch die Ausländerfeindlichkeit zu.
Dann drei Tage nach jenem Tag, an dem an die Fabrikwand
"Ausländer raus!" geschmiert wurde, wurden Adem Sentürk
und den meisten seiner Arbeitskollegen gekündigt...

Im Gegenteil zur Zeit seiner Anwerbung,
dauerte es nicht lange,
bis alle seine Sachen fertig gemacht sind.
Um sich zu verabschieden,
besuchte er seinen Meister Peter.
Als er ihm die Hand drückte und
"Adieu Meister" sagte, bemerkte Adem,
die gleichen besorgten Blicke in den blauen Augen des Meisters,
die sein Vater vor zwanzig Jahren hatte.
Er ging mit traurigem Herzen vom Meister weg.

Aus dem Fenster seines Ford's schaute er
ein letztes Mal seine Fabrik und
ihre qualmenden Schornsteine an.
Seine Erinnerungen wurden wach, seine Augen feucht.
Laut sprach er die Zeilen eines Gedichtes,
das er nach der Entlassung schrieb:

"Schämt euch
meine Jugend habe ich geopfert
für die Wolken aus euren Schornsteinen.
Nun sind mir eure kalten Eisentore verschlossen,
obwohl mein Schweiß auf den Werktischen
noch nicht getrocknet ist
und ich den Schmerz in meiner Hand
mein Leben lang fühlen werde!

Ich bin nicht verfeindet mit euch.
Bei uns in Anatolien sagt man
'der Freund sagt auch mal die bittere Wahrheit'
Nun verlasse ich euch.
Adieu und lebt wohl!"
 



 
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