Gabriel

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Madensang

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Da sitzt er, dieser kleine Mann. Weiß der Himmel warum gerade dieser Kerl, den ich in meinem Leben mehr gehaßt als geliebt habe zum Helden dieser Geschichte werden soll. Vielleicht traf ich ihn alleine zum Zwecke dieser Worte.

Da sitzt er nun, mit seinem blond gekräuselten Haar, das er eitel zu einem Zopf im Nacken gebunden hat. Das soll ihn attraktiv machen, wie er auch Bodybuilding macht, um nicht so dürr zu sein. Offensichtlich noch nicht sehr lange. Er nippt an einem Glas Weißwein. Natürlich mag er keinen Weißwein, aber es sieht gut aus, wenn er in einem Lokal sitzt und welchen trinkt. So ist er. Obwohl er gerade einmal vierundzwanzig Jahre alt ist, bildet seine Haut beeindruckend tiefe Falten. Es ist keine spröde ausgeleierte Haut wie sie im Alter entsteht, sondern fast Gummiartig. Es wirkt, als wäre eine viel zu große Haut über einen viel zu kleinen Kopf gestülpt worden, und so wäre sie nur teilweise mit den Gesichtsmuskeln verbunden. Gepaart mit der beeindruckend großzügig geschnittenen Nase, entsteht auf diese Art und Weise ein richtiges Charaktergesicht. Vergebliche Liebesmühe, wenn dahinter jemand versucht, es mit aller Gewalt zu zerstören.
Seine blauen Augen blicken offen in die Welt, doch sind sie verschlossen vor ihr. Es wirkt beinahe peinlich naiv, wie sie versuchen Weltgewandtheit und Abgeklärtheit zu demonstrieren. Das Glänzen in ihnen, erinnert doch zu sehr an die begeisterten Kinderaugen vor dem Christbaum. Ihn zu sehen bereitet beinahe Schmerz. Ein Charaktergesicht, daß sich mit derartiger Flachheit zu profilieren versucht, tut weh. Es ist, als versuche ein Vogel zu fliegen - mittels Paraglider. Wie auch immer er es anstellt, es wird irgendwie pervers wirken. Vor allem aber, ist es die umständlichste Demonstration einer natürlich vorherrschenden Begabung.
Menschen die ihn kennenlernen, werden allesamt den selben Eindruck gewinnen. Er wirkt unecht. Nicht auf die Art wie es Transvestiten tun, oder Politiker, sondern viel jungfräulicher. Es ist fast - so verrückt das auch klingen mag, als begegne man einem Engel. Die zierliche Gestalt, die reinen Falten, die weiße Haut, das hellblonde lockige Haar, die großen naiven Augen, und das verzweifelte Bemühen, wie ein abgeklärter Mensch zu wirken, alles manifestiert sich auf sonderliche Weise, und man kommt zu absurden Trugschlüssen.
Sein Name ist - und ich erwähne das nur zufällig an dieser Stelle - Gabriel.
Sie verlieben sich alle in ihn. Männer wie Frauen. Menschen verlieben sich nie in die Realität – sie kramen, wenn ihnen danach ist, die rosarote Brille hervor und legen ihr Herz einer Vision zu Füßen, peinlichst darauf achtend, selber Illusion zu sein. Menschen lieben Visionen und Ideen. Sie tragen sie aus ihrer Realität heraus. Gabriel macht rosarote Brillen obsolet. Er ist die Vision seiner Illusion und somit umso abwesender, je anwesender er versucht zu sein. Und er versucht zu sein. Immer. Niemals ist er einfach. Die Liebe allerdings die ihm die Menschen allesamt entgegen bringen gleicht jener Liebe, die man einer Melodie entgegen bringt die einem an einem verzauberten Tag berührt. Man möchte sie immerzu hören, hat sich bald davon satt gehört und ist der Sommer vorbei wird man abstreiten, ebenfalls dem Hype dieses Songs verfallen gewesen zu sein. Er sättigt so schnell. Die Faszination, dieses Unreale berühren zu wollen schlägt so schnell ins Banale um, das ein Berühren selber unnötig macht. Der Mensch mag leiden, sich verzehren, er mag sich der süßen Qual hingeben, hungern und dürsten. Er hat hingegen recht schnell genug, wenn ihm der süße Brei in den Rachen gestopft wird, sobald er nur danach schielt. Gabriel ist zu bemüht. Er ist unberührt. So unberührt, das andere peinlich berührt sind. Er leidet an der Unmöglichkeit seiner Existenz.
Er will, was junge Männer so wollen. Eine Frau mit allem Drum und Dran. Vor allem mit Dran. Und er will all die Dinge tun die er nie zugeben würde, weil ihn das in seiner Version von Weltgewandtheit zu einem unbeholfenen Jüngling machen würde. So schwärmt er mit bemüht abgeklärtem Blick von platonischer Liebe, rezitiert jedes Taschenbuch das er je gelesen hat – denn er liest – und wird mit jedem seiner Worte unsichtbarer, bis sein Gegenüber durch ihn hindurch sieht und bald jemanden am Nebentisch entdeckt, dem man eine belanglose Frage zu Feuerzeugen stellen kann.

So zählte auch ich einst zu jenen welchen, die ihn anstarrten und sich fragten: Ist er echt oder nicht? Mich faszinierte das nicht Echte, weil auch ich nicht echt war. Mit jedem seiner Worte infizierte er mich und ich spüre auf einmal so nah wie noch nie in meinem Leben, wer ich nicht war. Mit jedem seiner Worte gelang es mir, mich aus meiner falschen Haut zu pellen, und gelangweilt zu sein von dem was ich immer dachte zu sein und sein zu wollen. Ich hatte ihn schneller satt, als ich in Liebe zu ihm erglühen konnte. In jener Sekunde da ich ihm meine Gefühle gestand stockten sie zu Eis und ich wollte revidieren, zurückspulen. Welch Glück, das für ihn Gefühle eine Kunstform waren, die der abgeklärt weltmännische Geist belächeln konnte. Denn er dachte, so betrachte ein Weltmännischer Gefühle. Mit Abstand, wie eine dumme Kinderei. Ich konnte mich umdrehen und gehen, und nie im Leben war ich glücklicher, so kindisch zu sein, so dumm, so unerfahren und unbelesen. Und ich schwor feierlich, niemals wieder irgendwie wirken zu wollen.

Ich weiß, das er viele Menschen auf diese sich selbst bloß stellende Form berührte. Sind sie das? Die Engel der Neuzeit? Diese hassenswerten Wesen die auf so unbedarfte Weise einem jeden den Spiegel vorhalten und selber dabei so unfaßbar bleiben?
 



 
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