Gedanken

glutexo

Mitglied
Gedanken


Herbst 1989

Es war schon dunkel als ich mich entschloss noch einen Spaziergang runter ans Wasser zu machen.
Für gewöhnlich trifft man dort niemanden an um die zeit außer vielleicht jemanden der seinen Hund ausführt. Aber heute saß dort ein junges Mädchen am Wasser.
Sie war ganz in schwarz gekleidet, hörte Musik und starte auf das gegenüberliegende alte Fabrikgebäude. Dort wurde noch gearbeitet, Lärm drang aus den kleinen Fenstern und das Licht spiegelte sich im Wasser, es erinnerte mich ein bisschen an einen Sternenhimmel.
Die kleine sah sehr nachdenklich aus. Aber über was dachte sie wohl nach? Was beschäftigt ein junges Mädchen in dem Alter so sehr, dass man es ihr einfach ansah wie schlecht (?) es ihr ging? Ging es ihr schlecht?
Ob sie wohl Liebeskummer hat, oder Probleme zuhause oder in der Schule? Ich schätze sie so auf 12 Jahre, womit der Liebeskummer wohl auch ausscheidet. Oder vielleicht doch nicht? Bei den heutigen Zeiten weiß man das ja nicht so genau. Was kann jemanden in dem Alter nur so sehr beschäftigen das andere es einem ansehen?
Ich überlegte ob ich zu ihr rüber gehen sollte, fragen ob alles in Ordnung sei. Aber sie sah nicht so aus, als würde sie wert auf Gesellschaft und eine Unterhaltung legen. Sie sah aus, als wolle sie einfach nur ihre Ruhe haben. Wahrscheinlich hatte sie ja auch jemanden, dem sie ihre Probleme erzählen konnte, haben Mädchen in dem alter doch alle. Oder? Sicherlich ist auch alles gar nicht so schlimm wie es aussieht. Und wenn doch?


Sommer 1999

Ich hatte lange gearbeitet, es war bereits spät und dunkel draußen als ich nach hause kam, dennoch wollte ich nicht auf meinen Spaziergang verzichten.
Wie so oft ging ich runter ans Wasser.
Ich erschrak als ich dort ankam, dort saß eine junge Frau, so wie damals das kleine Mädchen.
Sie war es, es war das kleine Mädchen von damals!
Nur sie war jetzt sichtlich zu einer jungen Frau herangewachsen. Ihre schwarze Kleidung hat sie gegen etwas flippigere Kleidung ausgetauscht und Musik hörte sie diesmal auch nicht. Aber sie starte wieder auf das alte Fabrikgebäude, doch diesmal spiegelte sich kein Licht im Wasser, in der Fabrik wurde nicht mehr gearbeitet, sie stand leer.
Sie sah traurig aus und ziemlich mitgenommen, müde irgendwie und doch aufgeputscht. Ob sie wohl Drogen nahm? So wie sie aussah, trieb sie sich offensichtlich in einer dieser Szenen rum in denen man regelmäßig Drogen nimmt, aber das will ja nichts heißen.
Was sie wohl in der Zwischenzeit alles erlebt hat?
Man konnte ihr ansehen, dass es wohl nicht die besten Jahre ihres Lebens waren. Damals wirkte sie nur nachdenklich und heute traurig und deprimiert, ja irgendwie hoffnungslos so als gebe es keinen Ausweg.
Hätte ich damals vielleicht doch lieber zu ihr rüber gehen sollen? Aber ich kenne sie doch gar nicht, sie muss doch Familie und Freunde haben die sich um sie kümmern. Ich konnte förmlich die Narben auf ihrer Seele erkennen. Nur auf ihrer Seele? Wie konnte es nur so weit kommen?
Ist sie denn wirklich so allein wie es scheint?


Frühjahr 2003


Ich saß am Wasser, das Mondlicht spiegelte sich darin wie einst die Lichter der Fabrik. Ich musste an die junge Frau denken. Was wohl aus ihr geworden ist? Wie es ihr jetzt wohl geht? Ob sie wirklich so allein ist wie es damals schien? Wer war sie und wohin ist sie gegangen?

Ich träumte vor mich hin während ich dem Wind lauschte.
Plötzlich entdeckte ich etwas im Wasser. Ich fischte es heraus, es war eine Flasche mit einem Korken drauf. Eine Flaschenpost, hier? Es war tatsächlich ein Brief in der Flasche.
Ich schaute auf’s Wasser zurück. Ich konnte plötzlich wieder den Lärm der Fabrik hören, wie damals. Das Mondlicht auf dem Wasser schien zu verlaufen, ich erkannte ein Gesicht, es lächelte, es lief mir kalt den rücken herunter.
Ich las den Brief…

An die zwei liebsten Menschen die ich kenne,
danke für alles!

Ich möchte Euch nie wieder verlieren!
Hab euch lieb!
 



 
Oben Unten