Gedanken eines Bären

4,00 Stern(e) 1 Stimme

titatom

Mitglied
Es ist eiskalt und nebelig hier draußen, dachte sich der Bär. Die nasskalte Luft kroch langsam in sein Unterfell. „Eisbären können gar nicht frieren“ sinnierte der Bär, „aber mir ist kalt. Saukalt!“ Der Bär hatte noch nie in seinem langen Leben Schweine gesehen, aber er kannte den Ausspruch von den Inuit, deren Mülltonnen er gelegentlich plünderte, wenn ihn der Hunger quälte und seine Jagd nach Robben erfolglos blieb. „Warum? Warum nur habe ich mir diesmal so viel Zeit gelassen?“ fragte er sich gedankenverloren. „Es hat doch bisher immer geklappt!“ Das Knirschen einer bald abbrechenden Scholle schien ihm doch inzwischen ins Bärenblut übergegangen zu sein. Mit leichtfüßiger Gewandtheit schaffte er doch stets den letzten trockenen Schritt zurück aufs feste Eis. Nun ja, die paar Ausrutscher, die ein unkalkuliertem Bad in der eiskalten See nach sich zogen, brachten ihn jedes Mal in Rage. „Zumindest hat mich keiner gesehen“ lächelte der Bär verstohlen in seinen Pelz. Wie konnte er nur dieses Knirschen überhören? Als er aufwachte, war die Schelfeisplatte nur noch von weitem zu erkennen. „Eindeutig zu weit zum schwimmen“ erkannte der Bär, „Saukalt!“. Die Eisscholle, auf der er jetzt das Eismeer befuhr, war groß genug, um zumindest für ein paar Tage trockene Tatzen zu behalten. Sie schien stabil im Wasser dahinzutreiben und hatte nicht den Anschein, in jedem Moment auseinander zu brechen. Sein Hunger hielt sich dank der Eskimo-Abfälle in Grenzen und es gab somit keinen Grund, sich nicht noch etwas auszuruhen. „Mein Instinkt weckt mich bei nahender Rettung!“ hoffte der Bär jedenfalls. Die See war für die Jahreszeit überraschend ruhig, der Wind blies kaum, nur der nasskalte Nebel ließ den alten Bären enger zusammenkauern als sonst.
„Hey Du!“ hörte der Bär jemanden in seinem Traum rufen. „Hey, Hallo alter Bär!”
Dem alten Bären kam es so vor, als träumte er heute besonders lautstark.
„Was ist denn mit dem los? Ist der schon tot und keiner wollt’s ihm sagen...?“
Das war dem Bären zuviel. Er entschied sich aufzuwachen, rieb sich die verschlafenen Bärenaugen und blickte grimmig um sich. Nur einen Steinwurf entfernt trieb eine Robbe auf einer ähnlich großen Eisscholle neben ihm her und grinste ihn mit dem freundlichsten Robbenlächeln, dass er in seinem langen Bärenleben gesehen hatte, an.
„Hey Bär, was geht ab? Ich dachte schon, du bist...“
„Bist du irre, ich bin ein böser Eisbär, du doofe Robbe! Ich könnte jetzt rüberspringen und dich...“
„Hey, ich kenn dich, ich hab dich schon mal gesehen. Du bist doch der pummelige Bär, der jedes mal ins Wasser plumpst, wenn er...“
„Schon gut! Is’ schon gut! Ich tu dir nichts! Ausnahmsweise.“
„Hab ich mir auch gedacht. Ich kenn Dich nämlich vom...“
„RUHE! Hat mich sonst noch jemand gesehen, wenn ich... Na, du weißt schon...“
„Nee, nur ich und die zwei Pinguine. Aber deren Dialekt versteht sowieso keine alte Sau!“
\"Warum schon wieder diese Schweine\" raunzte der Bär leise in seinen Pelz.
„Was machst du hier?“ rief der alte Bär der Robbe freundlich zu.
„Das gleiche wie du, Absprung verpasst!“ konterte die Robbe.
Die Robbe war dem Bären eigenartigerweise sympathisch. Seine Zuneigung kollidierte zwar mit seinem angeborenen Jagdinstinkt, aber darauf pfiff der alte Bär in seiner jetzigen Situation, auf einer Eisscholle im Eismeer treibend und von einer frechen Robbe belästigt.
„Du gefällt mir. Nimmst kein Blatt vor den Mund, nicht mal in Todesgefahr wie eben jetzt.“
„Hey Bär, du vergisst! Ich hab dich gesehen, wie du jedes Mal... „
„Ich meinte na nur...“ entgegnete der Bär etwas enttäuscht.
„Du tust mir sicher nichts?“ fragte die Robbe und paddelte inzwischen mit ihrer Scholle zu dem alten Bären. „Du scheinst einer der wenigen lieben Bären zu sein, stimmt’s?”
„Ach... Na ja... Ich weiß nicht... Wenn Du meinst“. Der alte Bär bekam rote Ohren.
„Wie lange werden wir noch nebeneinander her treiben?“ fragte die Robbe.
„Keine Ahnung. Kennst du Schiffe-Versenken?“ antwortete der Bär verlegen
„Titanic? Klar! Kenn ich! Spielen wir eine Partie?“ rief die Robbe frech in Richtung des Bären.
Der alte Bär und die freche Robbe spielten eine halbe Ewigkeit und riefen sich gegenseitig die Koordinaten zu. Keiner gewann oder verlor zu oft, beide hatte einen Heidenspaß.
„Warum sprichst Du so leise?“ schrie der alte Bär der Robbe zu.
„Merkst du nicht, dass wir seit kurzem immer weiter voneinander abtreiben?“ brüllte die Robbe.
„Und! Was tun wir jetzt!“ Der alte Bär wurde sichtlich nervös.
„Was sollen wir tun? Keine Ahnung! Lass uns weiterspielen, wenn wir wieder festen Boden unter den Füßen haben!“ brüllte die Robbe zurück.
„Das glaub ich kaum“ murmelte der alte Bär.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe. neckische geschichte haste da geschrieben. gibt es eine fortsetzung? das würde mich freuen. ganz lieb grüßt
 

titatom

Mitglied
Fortsetzung

Herzlichen Dank für die lieb gemeinten, überraschenden Vorschuß-Lorbeeren. Fortsetzung existiert, kommt aber später. Humor liegt mir mehr...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
na,

dann her mit dem humor. hier hat es ja 2 rubriken dafür. bin gespannt und wünsche dir ein frohes und gesundes neues jahr
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
hat spaß gemacht, die geschichte zu lesen. besonders die stellen, an denen dein hang zur ironie durchgeblitzt ist.
mehr davon bitte

wünscht sich
die kaffeehausintellektuelle
 

titatom

Mitglied
im heutigen Sylvester-Wunschkonzert:
"Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft"
unter Prosa, Humor & Satire

Guten Rutsch wünscht Euch allen
Titatom
 



 
Oben Unten