GedankenSplitter

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vicell

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Sie schluckt und würgt schon den verdammten langen Abend.

Vor einiger Zeit, da gab es einen Menschen in ihrem Leben, der real war.
Der nicht nur in Gedanken, Träumen oder Büchern existierte, sondern wie ein Komet im nebelverhangenen Berlin auftauchte und zwei Wochen lang ihr Sein veränderte.

Ein Mensch weniger allein.

Aber spurlos verschwand ihr Komet und das nun schweigsame Telefon in ihrem Zimmer vibrierte vor Trauer und Erbitterung über diese Ungerechtigkeit des Schicksals.

Und das Traurigste: das Leben ging weiter.
Aber die Erinnerungen an Berührungen, Küsse und Worte sind unerbittlich klar in ihren Gedanken und verblassen nicht.

Sie treiben. Unbarmherzig. Ihre Einsamkeit. Voran.

Und nun sitzt sie in einem Café und überlegt, wie sie sich am schnellsten wieder von ihrer Verabredung trennen kann.
Der sympathische, doch geistlose Adonis ihr gegenüber mit seinen schwarzen Locken, den weichen Händen und nervösen Knien bringt sie innerlich zur Weißglut und samt lächelt sie ihn an.

Eintönig verstreichen die Minuten und füllen sich nur quälend langsam zu Stunden.
Die Zigarettenschachtel auf dem mahagonifarbenen Tisch plustert sich fett auf, als der Adonis schleppend meint, Rauchen wäre ungesund. Ihre Haut würde altern.

Sie greift eisern zum nächsten Krebserreger.
Es lebe das Nikotin! jubelt sie innerlich, schweigt und genießt.
Der Adonis zündet höflich ihre todbringende Zigarette an und betrachtet sie ratlos.

Sicherlich hatte er jemanden anders erwartet.
Eine naives Püppchen vielleicht, die vielsagende Blicke wirft, erotischen Stumpfsinn in seine Ohren haucht und das weinrote Café im alabasterfarbenen Schöneberg in eine glühende Sexhölle verwandelt.

"Sag mal, was für einen Eindruck hast du denn eigentlich von mir?", will "the brain" von ihr wissen.

Die Zigarette in ihrer Hand wird urplötzlich fade und der Latte Macchiato sinkt enttäuscht in sich zusammen.

Es ist lange her, dass sie das Gefühl hatte, nach einer Antwort suchen zu müssen. Sie überlegt kurz und entscheidet sich ohne schlechtes Gewissen für weiteren smalltalk.

"Deine Augen sind wunderschön", erwidert sie nichtssagend und erreicht mit dieser stupiden Wahrheit ihr Ziel.
Er lächelt geschmeichelt und erleichtert.
"Deine auch!”, gibt er großzügig zurück und versinkt wieder in seine Ratlosigkeit zurück, da nichts weiter von ihr kommt.

"Na ja, ich weiß nicht, aber unser Telefonat gestern war so, wie soll ich sagen...anders eben...", versucht er es dann erneut.
Sie widmet sich hingebungsvoll dem Macchiato.

Die Distanz ist schmerzhaft greifbar geworden, der Zigarettenrauch entfaltet nun seine heilende Wirkung und hüllt sie in kühle Unnahbarkeit.

"Wie findest du mich eigentlich? Gefalle ich dir?"
Er bleibt auf seine Art und Weise hartnäckig.

Ja, wie finde ich dich denn, denkt sie gleichgültig und bläst den Rauch und den Adonis vor sich her.

"Gestern am Telefon warst du so sexy. Und unglaublich energiegeladen...", er kann seinen Vorwurf nur schlecht verbergen.

Sie lächelt schwach und ist plötzlich dankbar für die vernebelte Luft im Café.

"Ach, wirklich", meint sie lustlos und löffelt langsam den Schaum ihres Macchiatto. Ihr wachsendes Desinteresse kann sie kaum noch verbergen.
Sein gedämpftes Seufzen lässt sie endlich aufblicken.

Mit großen Augen betrachtet sie den gutgebauten Mann ihr gegenüber und ihre inneren Augen erblicken ein anderes, nie vergessenes Gesicht.
Sie kann die Vergangenheit wieder spüren, und ihre jähe Sehnsucht überwältigt sie fast.
Wütend kneift sie ihre Augen zusammen und zwinkert sich zurück in die Gegenwart.

Gedanken? Wörter? Reden? Kaffee? Den Abend unmerklich ausklingen lassen und den Fluss der Zeit vergessen, in die Gedankenwelten des Anderen eintauchen, sich fallen lassen und Nähe spüren?
Ja?

Sie will ihre Wut, Enttäuschung und Verbitterung über den Verlust ihrer großen Liebe dem unschuldigen und nichtsahnenden Adonis am liebsten ins Gesicht schleudern. Schreien will sie und weglaufen.

Aber sie bleibt sitzen und ihre leise Stimme klingt freundlich, aber bestimmt.

"Ich muss jetzt gehen. Es tut mir leid."

Sein Lächeln erlischt - diese Absage hat er verstanden.

Das ältere Paar am Nachbartisch lächelt unauffällig zu ihnen hinüber.
"Was für ein schönes Paar”, flüstert die weißhaarige Dame ihrem Begleiter zu.

Die Kellnerin tut sich schwer mit dem Wechseln, müde schiebt ihre kleine Hand den Zehn Euro Schein in ihr großes Portemonnaie und ihr wissender Blick begleitet die beiden stummen Menschen bis zur Tür hinaus auf die dunkle Strasse.

Der Abschied ist kurz und endgültig.

Tränenlos läuft sie mit raschen Schritten die endlose Strasse entlang, ohne sich umzudrehen.

Nach Hause.

Endlich wieder allein.
 



 
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