Gedankenspiel

Hanne Kurz

Mitglied
Das durchmischte Geschwätz der anderen lenkt mich etwas ab, auch das sie übertrieben laut reden wirkt irgendwie beruhigend auf mich. Die Tür öffnet sich im Minutentakt. Es stört mich nicht. Es ist sogar ganz gut, so kommt immer etwas frische Luft mit rein. Außerdem ist es sehr warm. Viele Menschen an einem Ort bringen immer eine gewisse Hitze mit sich. Dazu zählen auch die ständig eintretenden Pärchen, Familien oder best friends auf der Suche nach einem freien Tisch. Die stehen ihre Zeit ab und tragen zur engen warmen Atmosphäre bei. Der eine oder andere gibt sich nach kurzer Zeit geschlagen und klatscht sich mit dem nächsten eintretenden Platzsucher ab.
Ich bin froh über meinen Katzentisch, der keinen weiteren Gast vertragen kann. Das kleine Café im Souterrain ist ein guter Ort um über das Geschehene nachzudenken. Ein beliebter Platz, der mit überfüllten Tischen nicht unbedingt ein Ort der Stille ist, aber heute genau richtig. Trotz vieler Gesichter, die mich anstarren ein Ort, an dem man mich in Ruhe lässt. Ein schönes Gefühl, das brauche ich gerade. Ich muss mich vorbereiten. Was werde ich dir sagen? Werde ich es dir sagen? Ein Glas fällt zu Boden und zerspringt in funkelnde Kristalle, die den abgewetzten rotbraunen Dielenboden schmücken. Ich mag dieses Bild und würde es gerne noch länger betrachten, nur leider verschwindet es so schnell wie es gekommen ist. Wo war ich gerade mit meinen Gedanken? Bei dir. Natürlich. Da sind sie heute, da waren sie auch gestern. Ich bestelle ein stilles Wasser, mehr bekomme ich gerade nicht runter. Dann gebe ich mir eine Stunde Zeit, bevor ich mich auf den Weg zu dir mache.

Es steht in der Zeitung. Die Marmelade vom vorherigen Leser ziert die Schlagzeile. Du wirst eine ganze Zeit ausfallen. Kreuzbandriss. Dein Foto hat glücklicherweise keinen Marmeladenfleck abbekommen. Ich schaue dich an. So wie das Foto, dass mich jeden Tag begleitet. Gut versteckt reist es mit mir von Termin zu Termin. Riskant, aber passende Ausreden habe ich bereits einstudiert. Wie immer macht mich dein Anblick nervös, lässt meine Hände schwitzen und mich in eine Welt tauchen, die es nicht gibt. Noch nicht oder nie? Es wird viel über dich berichtet. Nicht nur im Sportteil. Auch in der Klatschpresse bist du ein gern gesehener Gast. Wenn man dem bunten Blatt Glauben schenken darf, ist es unglaublich wie oft du deine Freundinnen wechselst. Ein Womanizer wie er in der Gala steht. Aber jetzt scheinst du dich für eine ganz besondere Frau entschieden zu haben, für deine Herzensdame. Das freut die Presse. Das freut deine Fans. Nicht alle. Ich kann das nicht glauben. Vielmehr glaube ich, dass du aus aktuellem Anlass einfach alles tust, um den Frauenheld zu mimen. Das du dich dafür aber mit den unechtesten Sternchen ablichten musst, lässt mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Das ist so offensichtlich. Wie sie sich alle der Reihe nach anstellen um auch nur einmal in deiner Nähe sein zu können, wie sie sich an dich ran schmeißen, keine Ahnung von Fußball haben, aber haufenweise das Stadion stürmen und grölen. Sich zulaufen lassen und hoffen die Nacht mit dir im Hotel verbringen zu können. Ich muss lachen. Ich weiß, dass nicht du derjenige bist, der in die Kamera lächelt. Nicht du bist es der bald heiratet und im siebten Himmel schwebt. Du bist anders, das hab ich bei unserer ersten Begegnung gespürt. Du bist wie ich. Du musst es tun. Und bald wird es wieder ein ausführliches Interview geben, in dem die Welt nachlesen kann, dass ihr euch auseinander gelebt habt und ihr die Liebe nicht aufgeben wolltet. Und eine Woche darauf sieht man dich mit dem nächsten Möchtegernmodel. In einem Café. Ich stelle mir vor, wir du dann deine graue Wollmütze trägst, die deine ungebändigten Haare bedecken. Die Mütze, die am Hinterkopf lässig fällt. Ich liebe diese Mütze an dir. Ich kann das alles verstehen. Wer, wenn nicht ich.

Kann ich dir noch was zu trinken bringen? Die Bedienung schaut mich an und ich denke nur, dass sie sicherlich auch scharf auf dich ist und versuche das Bild von dir vor ihren Blicken zu schützen. Nein danke, ich muss gleich los. In dem Moment schäme ich mich vor meinen Gedanken. Ist das Eifersucht? Am liebsten würde ich mich bei dem Mädchen entschuldigen. Aber wofür? Es waren doch nur Gedanken, die sie gar nicht gehört hat. Trotzdem. Um mein Gewissen zu erleichtern gehe ich die wenigen Schritte zur Bar und bestelle nun doch noch einen Cappuccino. Sie lächelt und nickt mir zu. Bringe ich Ihnen gleich an den Platz. Ich setze mich wieder auf den kleinen Eckplatz, den der Inhaber des Cafés sicherlich nur für eine kurze Pause selber in Anspruch nimmt. Vielleicht könnte sich ein frisch verliebtes Paar noch mit diesem Platz arrangieren. Auch wenn er nur für ein Glas Wasser, einen Cappuccino und eine Zeitung, wenn sie mehrfach zusammen gefaltet wird, Platz hat. Kurz denke ich daran, dass wir zwei hier sitzen könnten. Ich würde dir erzählen, was ich gedacht habe, als ich noch ohne dich hier saß und du würdest mich anlächeln und zusammen könnten wir es schaffen. Nein, könnten wir nicht. Es ist aussichtlos. Niemand würde es akzeptieren. Niemand. Aber es geht mir auch nicht um diesen Platz. Ich muss nicht mit dir hier sitzen. Ich könnte dein Spiel mitspielen und es akzeptieren, wir müssten einfach nur vorsichtig sein. Ich will deiner Karriere nicht im Weg stehen. Und meiner auch nicht. Es macht mich traurig, dass es in unserem Fall keine Fans gibt.
Einmal der Cappuccino. Ich danke ihr und versuche zu lächeln. Ich möchte nicht stören, aber wäre es möglich, dass sie mir ein Autogramm geben könnten. Sie wollen sicherlich Ihre Ruhe haben, aber … Den Cappuccino serviert sie mir zusammen mit ihrem ganzen Mut. Gerne. Ein Fan.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mein Zeitlimit schon überschritten habe. Ok, nur noch den Cappuccino trinken, durchatmen und dann zu dir. Ist ja völlig legitim, dass ich dich besuche. Gibt nur gute Presse. Wie nett.
Es zerreißt mich in tausend Stücke. Wenn ich es einmal ausgesprochen habe, kann ich es nicht mehr zurück nehmen und dir aus dem Weg gehen wird die nächsten Jahre nicht möglich sein. Ich mache es also nicht. Der Mut hat mich verlassen und ich komme mir so dumm vor. Es gibt Regeln. Im Spiel und in diesem Fall auch in der Liebe. Der Raum kommt mir auf einmal noch kleiner vor. Ich bin immer gern hierher gekommen, aber ich werde ihn jetzt meiden müssen. Ich habe mir hier immer eine Zukunft mit dir ausgemalt und jetzt gerade beschlossen sie ruhen zu lassen. Weil sie nicht der Norm entspricht. Weil wir nicht der Norm entsprechen. Es ist nicht gewünscht und auch dieser tolerante Ort, mein Lieblingscafé hätte keinen Platz mehr für uns frei. Das wird mir auf einmal klar. Klarer als je zuvor. Ausgelöst durch nichts. Der Verstand hat gesiegt. Gerade eben.
Ich stehe auf, zahle und öffne die Tür, die immer noch von den Szenegängern der Stadt aufgesucht wird. Das Atmen fällt mir draußen wieder leichter und mit langsamen Schritten mache ich mich auf in Richtung Klinik. Dafür werde ich auch noch mal eine halbe Stunde brauchen. Vielleicht überlege ich es mir doch noch mal?

Da liegst du also mit deinem Kreuzbandriss. Vor den Türen der Klinik die Presse, die Fans und die Weiber. Die kriegen alles sofort raus. Mit Sicherheit wäre unser Geheimnis dann auch nicht lange ein Geheimnis. Aber ich habe mich gegen die Wahrheit entschieden. Aber trotzdem und gerade deswegen für dich. Es ist ein leichtes für mich dich jetzt besuchen zu können. Der Rest muss draußen bleiben. Die sterilen Gänge führen mich zu dir und ich gehe kurz meine wirren Gedanken im Kopf durch. Dann klingelt mein Handy. Diese verdammte Agentur. Gerade jetzt. Wie passend. Ich nehme das Gespräch an und erfahre, dass mir noch heute Vorschläge geschickt werden. Richtig, die Benefizgala. Ich habe noch keine Begleitung. Ich bedanke mich für die Info und versuche dieses Gespräch aus meinen Kopf zu streichen. Sollen die mir doch einfach eine Mail schreiben und mich nicht noch telefonisch auf meine Situation hinweisen. Ich muss jetzt funktionieren und wie auch auf dem Feld ein Profi sein.
Ich öffne die Tür und sein Anblick lässt meine Hände schon wieder schwitzen. Ich erinnere mich daran, wie nah wir uns gestern waren. Vor Zeugen und jederzeit online einsehbar. Es sieht so aus, als würdest du dich freuen mich zu sehen. Ich freue mich mehr, aber ich sage dir nur das was sagen darf. Sorry, für gestern. Ich entschuldige mich für mein gestriges Foul, welches ihm diesen Aufenthalt eingebrock hat. Mit einer lässigen Handbewegung lässt er es gut sein. Dann sprechen wir über die Saison.
 



 
Oben Unten