Gedichtformen: Das Ghasel/die Ghasele

Bernd

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Das Ghasel/die Ghasele (Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Ghasel ) ist eine schon sehr alte Gedichtform. Sie stammt ursprünlich aus Indien oder Persion und beschreibt den Lebensgenuss, die Lebensfreude, die Liebe.
Nach Angabe der Wikipedia wurde der ursprünglich erotische Inhalt später auch durch religiösen und mystischen Inhalt ersetzt.

Beim Ghasel wird eine recht ungewöhnliche Strophenform verwendet.
Es besteht aus Strophen mit je zwei Versen, wobei sich die der ersten Strophe untereinander und mit der ersten Verszeile aller anderen Strophen reimen. Zusätzlich kann es Binnenreime mit der gleichen Struktur geben.

Reimstruktur: aa ba ca da ea fa ga ...

(Wiederkehrender Reim)

Neben reinen Reimen werden oft auch identische Reime verwendet, die sonst in Deutsch eher selten sind - das Reimwort ist dabei jeweils gleich.

Die zweiten Verszeilen reimen sich weder untereinander noch mit der ersten Zeile. Sie sind "Waisen".

Die Gesamtzahl der Verse liegt nicht fest.

Ein oft angegebenes Beispiel stammt von Von Gustav Pfizer:

Das Ghasel

Es wandte meine Kunst sich zum Ghasele,
Damit sie allen Formen sich vermähle.
Ergötzlich ist solch bunte Reimerei,
Ob auch des Lebens markiger Kern ihr fehle;
Die Wandrung selbst bereichert schon den Geist,
Ob er auch nirgends plündre oder stehle.
Hier lernt, wie tönender Musik zulieb
Die Sprache sich in mancher Krümmung quäle
Und, von des Gleichklangs strenger Schrift beherrscht,
Seltsame Bilder halb gezwungen wähle.
Des Künstlers Kunst und Fassung leihet oft
Den Wert dem minder kostbaren Juwele.
Euch fleh ich an, o Richter, richtet mild,
Weil ich ja selbst die Schwächen nicht verhehle,
Und unter dieses bunten Turbans Schmuck
Verkennet nicht die echte Christenseele.
(Hier zitiert nach der Fassung in der Wikipedia. http://de.wikipedia.org/wiki/Ghasel )

Friedrich Rückert schrieb eine Reihe deutscher Übertragungen.

Beispiel:

Solang' die Sonne nicht den Nachtflor bricht,
Sind Tagesvögel ohne Zuversicht.
Der Blick der Sonne ruft die Tulpen auf;
Jetzt ist, o Herz, dir zu erwachen Pflicht.
Das Sonnenschwert gießt aus im Morgenrot
Das Blut der Nacht, von der es Sieg erficht.
Voll Schlafs das Auge, sprach ich: »Es ist Nacht.«
Er sprach: »Vor meinem Angesichte nicht.«
Solang' es graut, ist zweifelhaft der Tag;
Am hellen Tag, wer zweifelt noch am Licht?
Im Osten steht das Licht, ich steh' im West,
Ein Berg, an dessen Haupt der Schein sich bricht.
Ich bin der Schönheitssonne blasser Mond;
Schau weg von mir, der Sonn' ins Angesicht!
Dschelaleddin nennt sich das Licht im Ost,
Des Wiederschein euch zeiget mein Gedicht.
Zitiert nach Friedrich Rückert, Gedichte: http://www.zeno.org/Literatur/M/Rückert,+Friedrich/Gedichte/Wanderung/Zweiter+Bezirk.+Ghaselen/1.+Mewlana+Dschelaleddin+Rumi/1.+[Solang'+die+Sonne+nicht+den+Nachtflor+bricht]

* Gedichte / Wanderung / Zweiter Bezirk. Ghaselen / 1. Mewlana Dschelaleddin Rumi / 1. [Solang' die Sonne nicht den Nachtflor bricht]
 
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