Gedichtformen: Shi

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Bernd,

ich fasse meine Erkenntnisse zum Thema: "Shi" zusammen, damit Du es im Theorie-Bereich veröffentlichen kannst.

Shi entstammt aus dem chinesischen und bedeutet: Gedicht. Erfunden wurde es in der Han-Dynastie (206 v. Chr.) und ist somit eines der ältesten Gedichtformen Chinas. Im Westen ist es aber bei weitem nicht so bekannt wie Tanka, Haiku oder Senryu.

Bevor ich auf die Form eingehe, noch kurz ein Wort dazu, wofür das Shi sich eignet: Seinem Wesen nach ist es ein Fragment mit offenem Anfang und Ende. Klassische Themen beschränkten sich zunächst auf Liebe und Tod. Mit den Umwälzungen des 2. Weltkriegs (1939-45) begannen sich auch die Ansichten über das Shi zu ändern. Man rückte von den ewigen Themen ab und öffnete die Form für rundweg alle Ideen, Motive und Gegenstände, die sich denken lassen.

Nun zur Form:

die klassische Länge eines chinesischen Verses beträgt 5. oder 7. Silben, die sich miteinander abwechseln. Da Tanka und Shi - bis auf die Länge - identisch sind, erkläre ich zuerst das kürzere von beiden.

Ein Tanka

5 Silben,
7 Silben,
5 Silben,

7 Silben,
7 Silben.


Die drei ersten Zeilen nennt man Oberstollen und die beiden letzten Unterstollen. Vereinfacht gesprochen besteht der obere Teil aus einem Bild und der untere aus seiner Deutung. Gleiches trifft auf das Shi zu, nur dass es länger ist.

Shi

5 Silben,
7 Silben,
5 Silben,
7 Silben,
5 Silben.

u.s.w.

Wie groß kann denn ein Shi werden? Dafür gibt es keine Regel. Muss mehr als 5 Zeilen haben (Tanka) und kann sich bis auf 1000 Zeilen erstrecken. Dazu muss man nur Bilder wie Perlen auf einer Schnur reihen und am Ende dann deuten. Neben der Länge ist der Abschluss eine weitere Besonderheit. Der Unterstollen leitet man mit der Wiederholung der letzten Zeile des Oberstollens ein. Das sieht dann so aus:

5 Zeilen,
5 Zeilen,
7 Zeilen,
7 Zeilen.

Zur besseren Veranschaulichung gebe ich ein eigenes Beispiel:

Der Wintermorgen
belebt sich im Anwachsen
weiterer Kerzen.
Bleiche Worte wechseln ab
mit ausweglosen.
Mein Kopf -ein Bogen Papier-
noch ohne Worte.
Vorm Fenster das Weiß
beginnt tief einzufallen,
so wie Großpapas Gesicht.


So, und nun viel Spaß mit eigenen Versuchen!




Quelle: Wikipedia und Lyrik des Ostens (Herausgeber: Wilhelm Gundert).
(Text von Wolfgang)
 



 
Oben Unten