Gefängnis
Er hatte sie schon einmal gesehen.
Gestützt auf einen quietsch gelben, hüfthohen Plastikstock schlich die alte Frau ihm entgegen. Ihr faltiges Gesicht war umrahmt von ein paar dünnen weißen Haarsträhnen, die es noch hagerer aussehen ließen, als es ohnehin war. Er musterte sie noch eine Weile aufmerksam und dann – als sie schon fast aneinander vorbei waren – kreuzten sich ihre Blicke.
Hellblaue Augen. Sie verrieten ihm, wer sie in ihrer Jugend einmal gewesen war. Ein hübsches, aufgewecktes Mädchen, das von Jungen umschwärmt und von Freundinnen beneidet wurde.
Er dachte an seine eigene Kindheit zurück. Ihm kam das Nachbarsmädchen in den Sinn, mit dem er immer Sandkuchen gebacken hatte. Niemand hatte sie essen wollen, nicht einmal ihr Hund. Also haben sie sie draußen stehen lassen und als der Regen kam, haben sie gemeinsam hinter der Fensterscheibe gesessen und zugesehen, wie die Wassertropfen den Sand Körnchen für Körnchen mit sich schwemmten. Der Regen hatte ihre Sandkuchen immer verschlungen, das hatte sie beide gefreut. Ansporn für den nächsten Tag.
Ja, an dieses Nachbarsmädchen erinnerte ihn diese alte Frau. Oder mehr ihre Augen...
Erstaunt stellte er fest, dass sie schon längst an ihm vorbeigegangen war, während sie gleichzeitig immer noch in seinen Gedanken verweilte. Er wollte gerade erforschen, wieso ihm das gerade auffiel, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte.
Ein gelbes Eichenblatt auf dem Boden. Und daneben ein rotes. Es war Herbst und die Bäume verloren nun reihenweise ihren bunten Schmuck. Mangels Federn hatte er früher immer Eichenblätter in sein Stirnband gesteckt – Ein Häuptling brauchte auch Häuptlingsschmuck! Gelbe und rote... Ja, den Herbst mochte er.
Mit zügigem Schritt kam ihm ein junger Mann entgegen. Anzug und Aktenkoffer. Er war wohl in Eile. Das weiße Hemd stach ins Auge, da der Anzug so dunkel war. Schneeballschlachten hatte er geliebt. Er war ein guter Werfer gewesen. Ja, den Winter mochte er.
Ein Stück weiter kam er an einer dunkelgrün angestrichenen Holzbank vorbei, auf der jemand saß und Zeitung las. Die Person hob diese so hoch, dass man nicht einmal das Gesicht sehen konnte. Zeitung hatte er schon lange nicht mehr gelesen, das würde er nachholen, sobald er wieder zurück war.
In diesem Moment wurde ihm klar, dass er die Bank schon einmal gesehen hatte. Aber nicht nur das. Ihm wurde bewusst, dass er im Kreis ging – nein, sich im Kreis drehte. Körperlich – nein, gedanklich... Ganz ruhig jetzt, sagte er zu sich selbst. Bevor ihm dieser entscheidende Gedanke abhanden kam, musste er ihn zu Ende denken. Es war wichtig.
Er hatte ihn schon einmal gedacht, aber er war ihm wieder entglitten.
Ich sehe diese Bank nun zum zweiten Mal, also bin ich hier schon entlanggegangen, zählte er gedanklich auf. Wer weiß... Vielleicht schon öfters! Plötzlich wurde ihm noch etwas klar: Er wollte diese Bank nicht noch einmal sehen. Er wollte wieder zurück, weg von diesen Dingen, die ihm auf eine seltsame Art und Weise beunruhigten.
Er hatte schon tief Luft geholt und wollte die zurechtgelegten Worten aussprechen, als ihm eine alte Frau entgegenkam. Ihre Augen waren strahlend blau und erinnerten ihn an das Nachbarmädchen, mit dem er immer Sandkuchen gebacken hatte. Sie hatten niemandem geschmeckt, nicht einmal dem Hund.
Ein kleines Lächeln schob sich auf seine Lippen. Seine Augen hatten zwei farbige Ahornblätter auf dem Boden entdeckt. Gelb und rot. Wie konnte er jetzt nur über seine Kindheit nachdenken, wenn doch Herbst war und alles so schön bunt! Ja, den Herbst mochte er.
Er kam an einer Holzbank vorbei, auf der ein Mann mittleren Alters saß und gerade seine Zeitung zusammenfaltete. Er hatte ein aschgelbes Hemd an, das seine blonden Haare dunkler erschienen ließ als sie wirklich waren. Ohne einen Blick auf ihn stand der Mann wortlos auf und ließ einen leeren Platz zurück. Die grün angestrichene Bank stand nun alleine.
Sag es!, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Sag, dass du sie nicht mehr sehen willst! Schnell, bevor der Moment vorbei ist! Obwohl er nicht wusste, wie er auf diesen Gedanken kam, schien er ihm auf eine seltsame Art logisch zu sein. Damit ihn nichts von seinem Vorhaben abbringen konnte, schloss er ganz fest die Augen und konzentrierte sich auf die zurechtgelegten Worte.
„Ich... will nicht...“
Er war stolz. Er war stolz auf sich wie noch nie in seinem Leben.
„Sie wollen wieder zurück, Herr Mayer? Kein Problem, Ihr Sohn wartet ohnehin wahrscheinlich schon auf Sie. Wir drehen dann morgen wieder unsere täglichen Runden hier im Park...“
Herr Mayer hörte ihr schon nicht mehr zu. Ihm war gerade eine alte Frau entgegengekommen, deren blaue Augen ihn an das Nachbarsmädchen erinnerten, mit der er immer Sandkuchen gebacken hatte.
Er hatte sie schon einmal gesehen.
Gestützt auf einen quietsch gelben, hüfthohen Plastikstock schlich die alte Frau ihm entgegen. Ihr faltiges Gesicht war umrahmt von ein paar dünnen weißen Haarsträhnen, die es noch hagerer aussehen ließen, als es ohnehin war. Er musterte sie noch eine Weile aufmerksam und dann – als sie schon fast aneinander vorbei waren – kreuzten sich ihre Blicke.
Hellblaue Augen. Sie verrieten ihm, wer sie in ihrer Jugend einmal gewesen war. Ein hübsches, aufgewecktes Mädchen, das von Jungen umschwärmt und von Freundinnen beneidet wurde.
Er dachte an seine eigene Kindheit zurück. Ihm kam das Nachbarsmädchen in den Sinn, mit dem er immer Sandkuchen gebacken hatte. Niemand hatte sie essen wollen, nicht einmal ihr Hund. Also haben sie sie draußen stehen lassen und als der Regen kam, haben sie gemeinsam hinter der Fensterscheibe gesessen und zugesehen, wie die Wassertropfen den Sand Körnchen für Körnchen mit sich schwemmten. Der Regen hatte ihre Sandkuchen immer verschlungen, das hatte sie beide gefreut. Ansporn für den nächsten Tag.
Ja, an dieses Nachbarsmädchen erinnerte ihn diese alte Frau. Oder mehr ihre Augen...
Erstaunt stellte er fest, dass sie schon längst an ihm vorbeigegangen war, während sie gleichzeitig immer noch in seinen Gedanken verweilte. Er wollte gerade erforschen, wieso ihm das gerade auffiel, als etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte.
Ein gelbes Eichenblatt auf dem Boden. Und daneben ein rotes. Es war Herbst und die Bäume verloren nun reihenweise ihren bunten Schmuck. Mangels Federn hatte er früher immer Eichenblätter in sein Stirnband gesteckt – Ein Häuptling brauchte auch Häuptlingsschmuck! Gelbe und rote... Ja, den Herbst mochte er.
Mit zügigem Schritt kam ihm ein junger Mann entgegen. Anzug und Aktenkoffer. Er war wohl in Eile. Das weiße Hemd stach ins Auge, da der Anzug so dunkel war. Schneeballschlachten hatte er geliebt. Er war ein guter Werfer gewesen. Ja, den Winter mochte er.
Ein Stück weiter kam er an einer dunkelgrün angestrichenen Holzbank vorbei, auf der jemand saß und Zeitung las. Die Person hob diese so hoch, dass man nicht einmal das Gesicht sehen konnte. Zeitung hatte er schon lange nicht mehr gelesen, das würde er nachholen, sobald er wieder zurück war.
In diesem Moment wurde ihm klar, dass er die Bank schon einmal gesehen hatte. Aber nicht nur das. Ihm wurde bewusst, dass er im Kreis ging – nein, sich im Kreis drehte. Körperlich – nein, gedanklich... Ganz ruhig jetzt, sagte er zu sich selbst. Bevor ihm dieser entscheidende Gedanke abhanden kam, musste er ihn zu Ende denken. Es war wichtig.
Er hatte ihn schon einmal gedacht, aber er war ihm wieder entglitten.
Ich sehe diese Bank nun zum zweiten Mal, also bin ich hier schon entlanggegangen, zählte er gedanklich auf. Wer weiß... Vielleicht schon öfters! Plötzlich wurde ihm noch etwas klar: Er wollte diese Bank nicht noch einmal sehen. Er wollte wieder zurück, weg von diesen Dingen, die ihm auf eine seltsame Art und Weise beunruhigten.
Er hatte schon tief Luft geholt und wollte die zurechtgelegten Worten aussprechen, als ihm eine alte Frau entgegenkam. Ihre Augen waren strahlend blau und erinnerten ihn an das Nachbarmädchen, mit dem er immer Sandkuchen gebacken hatte. Sie hatten niemandem geschmeckt, nicht einmal dem Hund.
Ein kleines Lächeln schob sich auf seine Lippen. Seine Augen hatten zwei farbige Ahornblätter auf dem Boden entdeckt. Gelb und rot. Wie konnte er jetzt nur über seine Kindheit nachdenken, wenn doch Herbst war und alles so schön bunt! Ja, den Herbst mochte er.
Er kam an einer Holzbank vorbei, auf der ein Mann mittleren Alters saß und gerade seine Zeitung zusammenfaltete. Er hatte ein aschgelbes Hemd an, das seine blonden Haare dunkler erschienen ließ als sie wirklich waren. Ohne einen Blick auf ihn stand der Mann wortlos auf und ließ einen leeren Platz zurück. Die grün angestrichene Bank stand nun alleine.
Sag es!, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Sag, dass du sie nicht mehr sehen willst! Schnell, bevor der Moment vorbei ist! Obwohl er nicht wusste, wie er auf diesen Gedanken kam, schien er ihm auf eine seltsame Art logisch zu sein. Damit ihn nichts von seinem Vorhaben abbringen konnte, schloss er ganz fest die Augen und konzentrierte sich auf die zurechtgelegten Worte.
„Ich... will nicht...“
Er war stolz. Er war stolz auf sich wie noch nie in seinem Leben.
„Sie wollen wieder zurück, Herr Mayer? Kein Problem, Ihr Sohn wartet ohnehin wahrscheinlich schon auf Sie. Wir drehen dann morgen wieder unsere täglichen Runden hier im Park...“
Herr Mayer hörte ihr schon nicht mehr zu. Ihm war gerade eine alte Frau entgegengekommen, deren blaue Augen ihn an das Nachbarsmädchen erinnerten, mit der er immer Sandkuchen gebacken hatte.