Gefangen gegangen (Sonett)

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Walther

Mitglied
Gefangen gegangen
Zum Tod von Christa Wolf

Du trafst auf Himmel, die sich einfach teilten;
Die Trauermauer ohne Dauer, sprach
Sich in den Wind der Liebe, sagte: Ach,
Du Schönster, geh jetzt nicht! Und als enteilten

Die schwarzen Vögel nicht, sondern blieben,
Verdeckten Himmel und verhießen Nacht:
Du hieltest Wacht. Du schriebst von kalter Macht.
Du hießt uns lachen und das Dennoch lieben.

Es ist ein kurzer Glanz durchs Land gegangen,
Momente jenseits Gier- und Neidverlangen:
Ein heller Strahl im drögen Einheitsgrau.

Du hast zum Abschied nochmals kurz gewunken,
Schon ist der letzte Vorhang leis gesunken.
Wie’s weitergeht, sag, wusstest Du’s genau?
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich habe auch viele Werke von Christa Wolf gelesen und ihr Tod geht mir nahe.

Aber jetzt geht es um das Gedicht.

Ich denke, die Zeile "Die schwarzen Vögel nicht, sondern blieben," funktioniert rhythmisch nicht.

Ich denke, es fehlt eine Silbe.
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Walther,
mich macht dein Sonett ein wenig traurig.
Hättest du es nicht dabei belassen können, dass Lapismont ein so großartiges Gedicht zum Tod der Dichterin verfasst hat?
Muss denn nun eins nachgeschoben werden, das seinen Inhalt vorab erklären will und das leicht hingeschustert wirkt?

Gefangen gegangen
Zum Tod von Christa Wolf
Schon die Überschrift finde ich nicht sonderlich gelungen; der Binnenreim wirkt leicht komisch auf mich.
Du trafst auf Himmel, die sich einfach teilten;
Die Trauermauer ohne Dauer, sprach
Sich in den Wind der Liebe, sagte: Ach,
Du Schönster, geh jetzt nicht! Und als enteilten

Die schwarzen Vögel nicht, sondern blieben,

Wie Bernd schon sagte: Hier fällst du aus dem Rhythmus.
Verdeckten Himmel und verhießen Nacht:
An diesem Part gibt es von meiner Seite nichts zu meckern.
Du hieltest Wacht. Du schriebst von kalter Macht.
Du hießt uns lachen und das Dennoch lieben.
Tut mir leid; da denke ich sofort an die "Wacht am Rhein."
Es ist ein kurzer Glanz durchs Land gegangen,
Momente jenseits Gier- und Neidverlangen:
Hier müsste der Genitiv hin: Neidverlangens. Dann passt aber der Reim nicht mehr.

Du hast zum Abschied nochmals kurz gewunken,
Schon ist der letzte Vorhang leis gesunken.
Wie’s weitergeht, sag, wusstest Du’s genau?
Das ganze letzte Terzett finde ich einfach nur schlecht. Das Winken und den Vorhang, also nee, Walther.
Da du selber ja manchmal recht streng mit den Kollegen umgehst ;), wirst du sicherlich einmal einen veritablen Verriss vertragen können? Oder?
Heidrun

@ beba: Dein Eindruck ist ein ganz anderer, und ich respektiere den natürlich.
 

Walther

Mitglied
Gefangen gegangen
Zum Tod von Christa Wolf

Du trafst auf Himmel, die sich einfach teilten;
Die Trauermauer ohne Dauer, sprach
Sich in den Wind der Liebe, sagte: Ach,
Du Schönster, geh jetzt nicht! Und als enteilten

Die schwarzen Vögel zweifach nicht, sie blieben,
Verdeckten Himmel und verhießen Nacht:
Du hieltest Wacht. Du schriebst von kalter Macht.
Du hießt uns lachen und das Dennoch lieben.

Es ist ein kurzer Glanz durchs Land gegangen,
Momente jenseits Gier- und Neidverlangen:
Ein heller Strahl im drögen Einheitsgrau.

Du hast zum Abschied nochmals kurz gewunken,
Schon ist der letzte Vorhang leis gesunken.
Wie’s weitergeht, sag, wusstest Du’s genau?
 

Walther

Mitglied
Lb. Bernd,

Du hast völlig recht, es fehlt eine Silbe, und dieser Schnitzer ist inzwischen ausgebaut. In der Tat war Christa Wolf eine große Gestalt der deutschen Nachkriegsliteratur.

Danke für Deinen Hinweis.

LG W.

Lb. Marie-Luise,

hier verweise ich auf diesen Leselupen-Eintrag: http://www.google.de/url?sa=t&rct=j...sg=AFQjCNH2OnT7BWKFINnpPV9x5EHo19th-g&cad=rja Es geht wohl beides.

LG W.

Lb. AchterZwerg,

Deine Ansicht in Ehren. Ich habe den Tod Christa Wolfs auf meinem FLug nach Spanien, wo ich die letzten Tage auf einer Tagung war, gelesen und dann dieses Sonett verfaßt. Das Gedicht von Lapismont werde ich nach Deinem Hinweis lesen. Manchmal ist es besser, das, was man schreibt, vorher zu bedenken. Man könnte nämlich einfach danebenliegen, so wie hier.

Nun zu den Details: Den Metrenfehler habe ich ausgebaut, das Thema "gewinkt" und "gewunken" ist ebenfalls abgehandelt. Über die lyrischen Mittel, die ich verwandt habe, kann man streiten, ich habe sie mit Bedacht und, wie ich meine, begründet eingesetzt. Das ergibt sich aus der Geschichte unseres Landes und der Biografie des Menschen Christa Wolf, auch die "Wacht"; worauf das anspielt, muß, so meine ich, bei Kenntnis dessen, nicht weiter erläutert werden. Wie gesagt: Manchmal genügte es, dem Autor einfach zuzutrauen, daß dieser weiß, was er warum tut, deswegen muß man es immer noch nicht gut finden, selbstredend.

Die Mauer war, ist und bleibt ein Treppenwitz der (deutschen) Geschichte, und zwar ein verdammt schlechter. Ebenso stimmt die Feststellung, daß Christa Wolf in ihrer Weltsicht "gefangen" war. Das gehört zu ihr dazu, auch wenn sie zweifelsfrei eine ganz große deutsche Schriftstellerin war.

Den Vers
Momente jenseits Gier- und Neidverlangen
kann man auch so
Momente ohne Gier- und Neidverlangen
schreiben, kann aber auch, weil "jenseits" genitivisch (des) und dativisch (von) weitergeführt werden darf, so stehen bleiben. Auch hier gilt: Never discuss with the experts. Ich weiß, was ich schreibe, und in ca. 99,5% der Fälle stimmt es auch, wie ich es schreibe, und dieser Vers gehört eben nicht zu den 0,5%. Take it as it is.

Nun zum letzten Terzett: De gustibus non est disputandum, d'accord. Man könnte den letzten Vers auch relativieren:
Wie’s weitergeht, sag, wüsstest Du’s genau?
Ansonsten schließt sich mit dem letzten Vers der Kreis zur Überschrift. Weil eben keiner weiß, wie's weitergeht, und erst recht nicht, wie's denn richtig wäre.

LG W.

Lb Beba,

danke für gute Worte und Wertung. Man kann es nicht allen rechtmachen. Selbst wenn man's wollte. ;)

LG W.
 
Lieber Walther,
ich weiß, dass winken ein regelmäßiges Verb ist

winken, winkte , gewinkt, genau wie

zinken, zinkte, gezinkt, oder

hinken, hinkte ,gehinkt.

Niemand würde sagen.

Da habe ich gehunken, da habe ich gezunken.

Stinken, stank, gestunken ist ein unregelmäßiges Verb

Wenn man gewunken sagen kann, müsste man statt
„ich winkte“ dir zu, auch sagen können „ich wank“ dir zu.

Gewunken ist einfach falsch, das aber, selbst im Fernsehen,oft so falsch gebraucht wird.
Schön ist es aber nicht.
Meinst du nicht auch?

Doch, wie ich dich kenne, wirst du bei deiner Meinung bleiben.

Trotzdem grüßt dich herzlich
Marie-Luise
 

Walther

Mitglied
Lb. Marie-Luise,

das Verb ist in beiden Formen gebräuchlich. Ich habe nicht umsonst auf die bereits vorhandene Leselupen-Debatte verwiesen.

LG W.
 
Gedicht von Moritz Gottlieb Saphir (1795-1858):

Weil gar zu schön im Glas der Wein geblunken,
hat sich der Hans dick voll getrinkt.
Drauf ist im Zickzack er nach Haus gehunken
und seiner Grete in den Arm gesinkt.
Die aber hat ganz mächtig abgewunken
Und hinter ihm die Türe zugeklunken.
 
Lieber Walther,

Auch hier gilt: Never discuss with the experts. Ich weiß, was ich schreibe, und in ca. 99,5% der Fälle stimmt es auch, wie ich es schreibe, und dieser Vers gehört eben nicht zu den 0,5%. Take it as it is
Ich bewundere dein Selbstbewusstsein.

Wenn man bei mir zwei Grammatikfehler entdeckt hätte, wäre ich ganz „klein mit Hut“.
Doch du erklärst einfach alles für richtig.

Chapeau!!!

Viele Grüße
Marie-Luise
 

Walther

Mitglied
Lb. Marie-Luise,

der Punkt ist, daß es "richtig" ist, und zwar in beiden Fällen! Ich habe kein Problem damit, Fehler einzugestehen und zu ändern. Auch hier zu sehen, weil der Vers S2V1 wirklich falsch war. Dieser ist sofort geändert worden!

In allen anderen Fällen irren sich leiden die Kritiker, auch das kann mal vorkommen. Wobei "gewinkt" und "gewunken" wohl beides in Ordnung ist.

Und in Sprache und Grammatik kann man mich nunmal schwer toppen, das ist seit der Schule so und hat sich nicht geändert! :D

LG W.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther, liebe Marie-Luise,

bei diesem Wörtchen sind sich auch die Experten nicht einig:


Im Online Duden steht in aller Schlichtheit winken, gewunken.

In meinem gebundenen Duden 21. völlig neu bearbeitete Auflage steht:
winken, gewinkt(nicht korrekt: gewunken)

Wem soll man nun glauben?

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Label

Mitglied
Lieber Walther

für die einen ist das Glas halbleer und die anderen beharren auf halbvoll
des weiteren sagte Eugen Roth; es wollt einer immer recht behalten, so kams vom Haar zum Schädelspalten
so weit wird es ja wohl nicht kommen :D
Mir persönlich gefällt gewunken besser (klingt schöner) und wenn ich es bedenke, benutze ich gewinkt eher für eine kürzliche, gerade eben stattgefundene Vergangenheit und gewunken für etwas das länger her ist, vergleichbar mit "was waving" and "waved".
Die Metrik bietet genug Raum zur Zwanghaftigkeit, die auf eine lebende Sprache angewendet, diese lediglich erwürgte. ;)

Dein Gedicht gefällt mir gut, besonders die sich teilenden Himmel sind für mich wunderbar poetisch. Anderes macht das Einfühlen leicht, jedenfalls erschließt sich mir dein Sonett eher, als anderes, das ich dazu gelesen habe.

Lediglich diesen Teil
Sich in den Wind der Liebe, sagte: Ach,
Du Schönster, geh jetzt nicht! Und als enteilten

Die schwarzen Vögel zweifach nicht, sie blieben,
Verdeckten Himmel und verhießen Nacht:

finde ich - ich sage mal mariniert.

Dir einen lieben Gruß
Label
 

Label

Mitglied
ups
ich sehe gerade da hat der Tippfehlersatan einen besonders irreführenden hervorgerufen
ich wollte manieriert schreiben
außerdem bin ich mir gewiss, dass ich das als Spontanen Leseeindruck klassifiziert hatte, rätselhaft!
LG Label
 

Walther

Mitglied
Gefangen gegangen
Zum Tod von Christa Wolf

Du trafst auf Himmel, die sich einfach teilten;
Die Trauermauer ohne Dauer, sprach
Sich in den Wind der Liebe, sagte: Ach,
Du Schönster, geh jetzt nicht! Und es enteilten

Die schwarzen Vögel zweifach nicht, sie blieben,
Verdeckten Himmel und verhießen Nacht:
Du hieltest Wacht. Du schriebst von kalter Macht.
Du hießt uns lachen und das Dennoch lieben.

Es ist ein kurzer Glanz durchs Land gegangen,
Momente jenseits Gier- und Neidverlangen:
Ein heller Strahl im drögen Einheitsgrau.

Du hast zum Abschied nochmals kurz gewunken,
Schon ist der letzte Vorhang leis gesunken.
Wie’s weitergeht, sag, wusstest Du’s genau?
 

Walther

Mitglied
Hallo Label,

danke für Deine Hinweise. Ich habe das Gedicht oben nochmals leicht angepaßt. So sollte die Sprache etwas geglättet sein in S1 und S2.

LG W.
 

Walther

Mitglied
Gefangen gegangen
Zum Tod von Christa Wolf

Du trafst auf Himmel, die sich einfach teilten;
Die Trauermauer ohne Dauer sprach
Sich in den Wind der Liebe, sagte: Ach,
Du Schönster, geh jetzt nicht! Und es enteilten

Die schwarzen Vögel zweifach nicht, sie blieben,
Verdeckten Himmel und verhießen Nacht:
Du hieltest Wacht. Du schriebst von kalter Macht.
Du hießt uns lachen und das Dennoch lieben.

Es ist ein kurzer Glanz durchs Land gegangen,
Momente jenseits Gier- und Neidverlangen:
Ein heller Strahl im drögen Einheitsgrau.

Du hast zum Abschied nochmals kurz gewunken,
Schon ist der letzte Vorhang leis gesunken.
Wie’s weitergeht, sag, wusstest Du’s genau?
 



 
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