Paul Quaintrell
Mitglied
Gegen die Natur
Eines Tages entdeckte Simön eine neue Farbe. Nun ja, „entdeckte“ ist das falsche Wort. Die Farbe war schon immer da gewesen, in seinem Kopf. Nur in der Realität hatte es sie nie gegeben.
Simön war nämlich Synästhetiker. Er hatte die seltene Gabe, bei Buchstaben eine dazugehörige Farbe zu sehen. Bei einem „H“ sah er Braun, bei einem „S“ Gelb und bei einem „M“, nun, bei einem „M“ sah er eine Farbe, die es in der Welt nicht gibt. Zumindest nicht in der Welt, die wir uns teilen.
Simön entdeckte die Farbe an dem Tag, an dem er lesen lernte. Die Lehrerin hatte das „H“, das bekanntlich braun ist, mit roter Kreide an die Tafel gemalt.
Simön war verwirrt. Seine Augen sahen ein rotes „H“, aber irgendetwas in seinem Kopf fügte es in ein braunes „H“ um.
„Das sieht falsch aus,“ hatte Simön sich beschwert, „hast du denn nicht die richtige Farbe?“
Seine Klassenkameraden, für die Buchstaben nur die Farben haben, in denen sie geschrieben sind, hatten ihn ausgelacht und so sprach er nie wieder mit jemandem über die für ihn normale Zuordnung.
Je älter Simön wurde, desto mehr hielt er sich für verrückt. Zum Glück gibt es die Kunst, einen Zufluchtsort für Verrückte. Simön wurde Maler.
Die meisten Farben, die er bei Buchstaben sah, konnte er auch malen. Nur das „orangene Blau“, das er mit dem Buchstaben „M“ verband, konnte er nicht malen. Denn in der geteilten Welt gab es diese Farbe nicht. Jahrmillionen hatte es sie vielleicht nicht gegeben. Was sehr schade war. Denn immer wenn Simön traurig war, schrieb er ein M und sah das orangene Blau und die Farbe machte ihn unendlich glücklich. Sie hatte eine geradezu beruhigende, pazifistische und aufmunternde Wirkung auf ihn.
Eines Tages kam der Traummaler auf den Weltmarkt. Traummaler sind Geräte, die nachts die Träume aufzeichnen.
Als Simön davon hörte, wusste er, dass er einen davon brauchte.
Also ging er in einen Laden. Dort fragte er den Verkäufer: „Kann dieser Maler auch Visionen aufzeichnen?“
Der Verkäufer guckte ratlos, also erklärte Simön ihm die Situation.
Der Verkäufer sah ihn an und sagte dann: „Ach so, Sie haben Synästhesie. Sagen Sie das doch gleich.“
Doch das Letzte hörte Simön nicht mehr.
Er suchte im Internet nach Synästhesie und lernte vieles darüber. Von Leuten, die Musik sehen konnten. Oder bei denen Zahlen Persönlichkeiten hatten. Oder bei denen ein Türschlagen nach Kaffee schmeckte.
Aber am besten gefiel ihm eine Tatsache, dass er nicht verrückt war.
Er holte sich den Traummaler und malte überall Ms hin. Er sah zwar das Grau des Bleistifts und das Blau des Füllers, doch in seinem Gehirn sah er nur ein orangenes Blau. Und der Traummaler malte das M in orangenem Blau.
Er postete das Bild im Internet; zuerst sahen es nur ein paar Dutzend Leute und diese paar Dutzend Leute waren anfangs verwirrt. Doch dann ging es ihnen besser und immer besser.
Eines Tages gelang das Bild zu Schalgu. Auch Schalgu sah das Bild und war verwirrt. Dann sah er neben seinem Laptop eine Fliege. Nichts hasste er mehr als Fliegen, kleine, nervige, laut summende Fliegen.
Also holte er sich eine Fliegenklatsche.
Urplötzlich liebte er jedoch das kleine Insekt, das wunderschöne, lieb summende Insekt.
Schalgu war noch verwirrter. Doch nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, fiel ihm ein, dass dies vielleicht an der neuen Farbe liegen könnte. Er konnte niemandem mehr etwas zuleide tun.
Normalerweise schlug er seine Tochter, wenn sie erst früh am Morgen nach Hause kam. Doch an jenem Morgen war er auch nett zu ihr.
Nachdem die „pazifizierende“ Wirkung von orangenem Blau festgestellt war, wurde die Farbe um die Welt getragen. Jeder, der sie sah, wurde Pazifist und fast wäre ein Goldenes Zeitalter angebrochen.
Warum nur fast?
Nun, ich habe dir diese Geschichte erzählt, weil du mich fragtest, warum heutzutage so viele Leute blind sind. Jetzt weißt du es: würden sie das orangene Blau sehen, würden sie sofort friedliebend werden. Und manche Menschen sind lieber blind als friedliebend. Es ist gegen ihre Natur.
Eines Tages entdeckte Simön eine neue Farbe. Nun ja, „entdeckte“ ist das falsche Wort. Die Farbe war schon immer da gewesen, in seinem Kopf. Nur in der Realität hatte es sie nie gegeben.
Simön war nämlich Synästhetiker. Er hatte die seltene Gabe, bei Buchstaben eine dazugehörige Farbe zu sehen. Bei einem „H“ sah er Braun, bei einem „S“ Gelb und bei einem „M“, nun, bei einem „M“ sah er eine Farbe, die es in der Welt nicht gibt. Zumindest nicht in der Welt, die wir uns teilen.
Simön entdeckte die Farbe an dem Tag, an dem er lesen lernte. Die Lehrerin hatte das „H“, das bekanntlich braun ist, mit roter Kreide an die Tafel gemalt.
Simön war verwirrt. Seine Augen sahen ein rotes „H“, aber irgendetwas in seinem Kopf fügte es in ein braunes „H“ um.
„Das sieht falsch aus,“ hatte Simön sich beschwert, „hast du denn nicht die richtige Farbe?“
Seine Klassenkameraden, für die Buchstaben nur die Farben haben, in denen sie geschrieben sind, hatten ihn ausgelacht und so sprach er nie wieder mit jemandem über die für ihn normale Zuordnung.
Je älter Simön wurde, desto mehr hielt er sich für verrückt. Zum Glück gibt es die Kunst, einen Zufluchtsort für Verrückte. Simön wurde Maler.
Die meisten Farben, die er bei Buchstaben sah, konnte er auch malen. Nur das „orangene Blau“, das er mit dem Buchstaben „M“ verband, konnte er nicht malen. Denn in der geteilten Welt gab es diese Farbe nicht. Jahrmillionen hatte es sie vielleicht nicht gegeben. Was sehr schade war. Denn immer wenn Simön traurig war, schrieb er ein M und sah das orangene Blau und die Farbe machte ihn unendlich glücklich. Sie hatte eine geradezu beruhigende, pazifistische und aufmunternde Wirkung auf ihn.
Eines Tages kam der Traummaler auf den Weltmarkt. Traummaler sind Geräte, die nachts die Träume aufzeichnen.
Als Simön davon hörte, wusste er, dass er einen davon brauchte.
Also ging er in einen Laden. Dort fragte er den Verkäufer: „Kann dieser Maler auch Visionen aufzeichnen?“
Der Verkäufer guckte ratlos, also erklärte Simön ihm die Situation.
Der Verkäufer sah ihn an und sagte dann: „Ach so, Sie haben Synästhesie. Sagen Sie das doch gleich.“
Doch das Letzte hörte Simön nicht mehr.
Er suchte im Internet nach Synästhesie und lernte vieles darüber. Von Leuten, die Musik sehen konnten. Oder bei denen Zahlen Persönlichkeiten hatten. Oder bei denen ein Türschlagen nach Kaffee schmeckte.
Aber am besten gefiel ihm eine Tatsache, dass er nicht verrückt war.
Er holte sich den Traummaler und malte überall Ms hin. Er sah zwar das Grau des Bleistifts und das Blau des Füllers, doch in seinem Gehirn sah er nur ein orangenes Blau. Und der Traummaler malte das M in orangenem Blau.
Er postete das Bild im Internet; zuerst sahen es nur ein paar Dutzend Leute und diese paar Dutzend Leute waren anfangs verwirrt. Doch dann ging es ihnen besser und immer besser.
Eines Tages gelang das Bild zu Schalgu. Auch Schalgu sah das Bild und war verwirrt. Dann sah er neben seinem Laptop eine Fliege. Nichts hasste er mehr als Fliegen, kleine, nervige, laut summende Fliegen.
Also holte er sich eine Fliegenklatsche.
Urplötzlich liebte er jedoch das kleine Insekt, das wunderschöne, lieb summende Insekt.
Schalgu war noch verwirrter. Doch nachdem er eine Nacht darüber geschlafen hatte, fiel ihm ein, dass dies vielleicht an der neuen Farbe liegen könnte. Er konnte niemandem mehr etwas zuleide tun.
Normalerweise schlug er seine Tochter, wenn sie erst früh am Morgen nach Hause kam. Doch an jenem Morgen war er auch nett zu ihr.
Nachdem die „pazifizierende“ Wirkung von orangenem Blau festgestellt war, wurde die Farbe um die Welt getragen. Jeder, der sie sah, wurde Pazifist und fast wäre ein Goldenes Zeitalter angebrochen.
Warum nur fast?
Nun, ich habe dir diese Geschichte erzählt, weil du mich fragtest, warum heutzutage so viele Leute blind sind. Jetzt weißt du es: würden sie das orangene Blau sehen, würden sie sofort friedliebend werden. Und manche Menschen sind lieber blind als friedliebend. Es ist gegen ihre Natur.