Geh nicht gänzlich fort, bitte

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Vera-Lena

Mitglied
Geh nicht gänzlich fort, bitte

Die Schatten hast du um dich ausgelöscht,
im Lichtfeld bist du zu Hause nun;
und ich stoße mich an der grellen Schranke.

Als rotes Licht
könnte ich zu dir kommen
um der Liebe willen,
als blaues Leuchten
um der Friedfertigkeit willen,
als grünes Funkeln
um der Hoffnung willen.

Aber du bedarfst meiner nicht.
Das strahlende Weiß umgibt dich.

Als Weizenkorn lass mich fallen
in deine Herzmitte,
hilf mir keimen,
dass ich dir Brot sein kann,
fernzu.
 
P

Prosaiker

Gast
hallo Vera-Lena, ich würde in der überschrift und der ersten strophe folgende änderungen vornehmen, hauptsächlich des klangs, der rhytmik wegen. das "gänzlich" war mir zu süßlich und es erschien mir irgendwie nicht so stimmig wie das "ganz".

Geh nicht ganz fort, bitte

Die Schatten um dich hast du ausgelöscht,
im Lichtfeld bist du nun zu Hause;
und ich stoße mich an der grellen Schranke.
vielleicht kannst du damit was anfangen.
ansonsten halte ich die 2te strophe für schwach, besonders wenn ich die letzten zwei dagegen halte. das "fernzu" rettet die letzte strophe hinüber ins schöne.
viele grüße,
Prosa.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Prosaiker,

ich verstehe Deine Verbesserungsvorschläge sehr gut.

Sie machen mir aber deutlich, dass Du und ich ein unterschiedliches Empfinden für Wörter und Satzmelodien haben.

Das "gänzlich" hat für mich eine andere Bedeutung als das "ganz".

Das "gänzlich" macht deutlich, dass da einmal mehr Nähe war, dass das Lyri Entfernung durchaus akzeptiert hat, dass das, was sich aber jetzt ereignet im Lyri schon fast Verzweiflung auslöst. Das "gänzlich" ist also ein Hinweis auf eine Vorgeschichte, die sich aber nur allmählich Schritt um Schritt vollzogen hat. So empfinde ich das.

"Die Schatten um dich hast Du ausgelöscht,
im Lichtfeld bist du nun zu Hause."

Das klingt für mich sehr hart, sehr aktiv. Rein inhaltlich meine ich das auch nicht so, wie es in Deiner Version klingt.

Ich meine es folgendermaßen:

Das "DU" ist einfach einen Weg gegangen , der es dann mit sich brachte, dass er die Schatten um sich ausgelöscht hat, ohne dass er das vorweg ins Auge gefasst hätte. Deswegen auch muss das "nun" am Ende der letzten Zeile stehen, als ein eher überraschendes Ergebnis, dass das "DU" durch das Voranschreiten auf seinem Wege herbeigeführt hat.

Zudem schwingt in der Melodik meiner Zeilen viel mehr Ruhe mit, in der das "Du" sich befindet.

Die zweite Strophe behandelt die verzweifelten Überlegungen, die das Lyri sich macht, um doch noch erneut einen Weg zum "Du" zu finden. Deswegen habe ich hier die Form der Aufzählung gewählt, denn das Lyri überlegt ja hin und her, und wie man sieht, ohne Ergebnis.

Erst in der letzten Strophe, scheint es den rettenden Gedanken gefunden zu haben.

Ich danke Dir sehr, für Deine Überlegungen zu diesem Text und dass Du mir Deine Gedanken mitgeteilt hast.

Dir einen schönen Sonntag!
Liebe Grüße von Vera-Lena
 
P

Prosaiker

Gast
in ordnung, Vera-Lena, ich verstehe dein gedicht nun besser.
wir haben tatsächlich ein anderes verständnis von der wortsetzung - aber das ist ja was gutes:
umso mehr unterscheiden sich auch unsere gedichte, umso mehr auswahl hat der geneigte ll-leser ;)
vg,
Prosa.
 

Sonnenkreis

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

dieses Gedicht hier habe ich neben -Deinen-
Paradiesvogel gelegt. Über den ich immer noch
viel nachdenke.

Somit hat er hoffentlich immer etwas zu futtern
und fliegt somit nie gänzlich weg;)).

Dir von Herzen ganz viele

Liebe Grüße:))
Sonnenkreis
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Sonnenkreis,

ja eine Parallele zum "wunderbunten Vogel" gibt es da wohl tatsächlich. Mir selbst war das gar nicht aufgefallen.

In beiden Texten muss das Lyri auf Nähe verzichten, jedenfalls auf diese landläufige Nähe, die beispielsweise auch mit körperlicher Berührung einhergehen kann, und sei es, dass man einander nur die Hand reicht.

Hier,genau wie in dem anderen Text, müssen neue Wege des Bei-dem-anderen-sein gefunden werden.

Dieser Text hier ist aber im Vergleich zu dem "wunderbunten Vogel" stärker zugespitzt. Da muss eine außerordentliche, ungewöhnliche Sache gefunden werden, um Nähe herzustellen .

Zudem muss das Lyri sich ganz und gar verwandeln, es muss sich in sich selbst hineinkonzentrieren, als sein eigener Extrakt nur, kann es für den Anderen annehmbar sein, das denkt es jedenfalls.

Ich freue mich, dass Dir auch dieser Text etwas sagt.
Ganz herzlich grüße ich Dich. :)
Vera-Lena
 

Perry

Mitglied
Hallo Vera-Lena,
mir gefällt vor allem der Schlussvers sehr gut:
"Als Weizenkorn lass mich fallen
in deine Herzmitte,
hilf mir keimen,
dass ich dir Brot sein kann,
fernzu."
LG
Manfred
PS: Vielleicht wäre "Herzacker" eine Alternative zu Herzmitte.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Manfred,

danke für Deine, wie immer, interessante Rückmeldung. "Herzacker" würde natürlich eine ganz starke Aussage machen.

Da könnte man herauslesen, dass das "Du" von dem Lyri erlebt wird als ein Mensch, der viele Wesen in seinem Herzen aufbewahrt ,ihrer gedenkt, sie in seinen Gedanken behütet, sie in seinen gedanklichnen Vorstellungen immer mehr wachsen lässt.

So verkehrt wäre das ja nicht, aber ich bringe es nicht fertig, dieses harte "ck" an diese Stelle zu transportieren.

Ich denke auch, dass das "keimen" und das "Brot" bereits die Assoziation von "Acker" heraufbeschwören, wie mir Deine Antwort das ja nun auch belegt.

Der Acker wird unausgesprochen schon ausgesagt, die Herzmitte fügt noch etwas Anderes hinzu. Das Lyri fühlt sich dadurch, dass das "Du" sich in eine Entfernung begeben hat, bereits an den Rand gedrängt. Jetzt sehnt es sich erneut nach einem Platz in der Mitte, wenn es dafür auch große Anstrengungen auf sich nehmen muss.

Die Hoffnung, Brot werden zu dürfen, dem "Du" wieder kongenial gegenüber zu stehen, ihm auch wieder etwas sein zu können, wiegt das aber alles auf.

Danke fürs Lesen und für Deinen inhaltlich zutreffenden Vorschlag!

Dir noch einen schönen Tag. Die Sonnenfinsternis ist ja schon vorüber. :)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 



 
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