Gelegenheit, Schuld, Lohn und Preis

Rainer Heiß

Mitglied
Gelegenheit, Schuld, Lohn und Preis

1. Gelegenheit

Die Riemen des Rucksacks schnürten die Blutzufuhr in die Arme ab, längst waren sie taub geworden. Die Haut war weich, salzig-feucht und aufgescheuert, die Last schwer. Auch seine Füße waren bereits wundgelaufen, doch sein Tritt war kaum merklich langsamer als beim Aufbruch vor vielen Stunden, am frühen Morgen. Täler hatte er durchquert, zwei Flüsse abgeschritten, bis ihm Furten den Übergang ermöglichten, endlose Ebenen durchmessen, einsam stehende Bäume aus unbekannter Vorzeit passiert, kein Mensch war ihm begegnet, fast religiös, diese Erfahrung.
Mattigkeit erst und Erschöpfung bringt den Menschen in jenen meditativen Zustand der Leere, aus dem heraus sich Neues, Kraft und Zuversicht, schöpfen lassen. Der Körper funktioniert mechanisch, der Blick schweift in die blaue Ferne, die Magie beginnt zu wirken, ich bin frei!
Auch heute war er den ganzen Tag gegangen, beinahe ziellos, wir wissen nicht woher, unwichtig warum und wohin. Die Dämmerung kündigte sich mit rötlichen Streifen über dem Horizont an, verwischte die Grenze zwischen Himmel und Erde, zwischen Tag und Nacht.
Durch kräftige, widerstandsfähige Vegetation, moosig-federnde Grasmatten, vorbei an knorrigen Latschen, würzige Luft, Stille, nein, keine Stille, nur eine uns ungewohnte Geräuschkulisse, die Musik der Natur, ewig. Über den nächsten Grat, Geschrei? - unten aus dem Tal, richtig!, dort unter dem Dunst war auch flackerndes Licht, lautes Treiben, bis hier herauf greift der störende Mensch mit seinem unnatürlichen Lärm. Die Lichter ziehen uns an, wenn es Abend wird, hinab stieg er, Stimmen zu hören. Warum? Eigentlich vergeht der Reiz des Sprechens im Gespräch, nur allein war er der Held seines Stücks. Doch das Licht lockte ihn hinab. Ein wenig beschleunigt und aufgeregt schritt er seitlich zum Hang hin und her abwärts, immer weiter und tiefer, die Stadt lag offen und ungeschützt vor ihm, sich anbietend.
Die Straßenzüge waren gut zu erkennen, die Beleuchtung offenbarte die Lebensadern, die Form und Größe der Stadt. Sternförmig schmiegte sie sich in die weiche, fruchtbare Senke, ihre Glieder tief in die Seitentäler hinauf gespreizt, so lag sie ungeniert da, völlig entblößt und offenbarte ihr Innerstes: Ein wilder Tanz ging in ihr vor sich, zu laut, zu ekstatisch das Treiben, zu wild und zu ungezügelt. Deutlich erkennt er jetzt aufgepeitschte Menschenmassen auf den Plätzen und durch die Straßen hin und her. Das Geschrei formt sich, als er hinabsteigt, das Stimmengewirr sammelt sich zu einer Stimme, eine riesige Lunge verleiht ihr Luft, ein kehliger, heiserer Laut, immer und immer wieder derselbe kehlige Laut durch die ganze Stadt, weit aufgerissene, funkelnde Augen, wie ein Organismus wabert die Menge überbordend durch die Häuserschluchten. Ihr wildes Lachen, die glänzenden Münder, ihr stechender Blick, als er hineintritt, die Masse gebärdet sich urzeitlich, wie ein Tier. Ein Hirn lenkt diese Kreaturen, ein Gedanke, der die gefährliche Macht der Menge leitet.






2. Schuld

Da entdeckt er die Richtung des Chaos, das Ziel der Bewegung, ein Einzelner wird gejagt, hetzt verwundet auf und ab, die Beute, chancenlos. Ein zerfetztes Gewand, lächerliches Zeugnis vergangenen Reichtums, jetzt Griff für die Meute, ihn zu fassen, wer ist dieser Mann? - egal!, doch immer wieder windet er sich, die Jagd dauert, was hat er getan?, der Todeskampf soll noch nicht zu Ende, der Höhepunkt des orgiastischen Treibens will zelebriert sein und ausgekostet, bis zur Neige, ja - ja! Und jedes Mal, wenn der Gehetzte scheinbar ein wenig Luft hat, in eine dunkle Seitengasse sich gerettet wähnt, was soll mit ihm geschehen?, schließt sich von der anderen Seite die Masse mit ihren Fackeln wie Treibsand um ihn, da hilft kein Zappeln mehr, was der Treibsand hat, das gibt er nicht wieder her.
Verwirrt und zögernd doch trotzdem seltsam und unwiderstehlich angezogen von seinesgleichen, jedes klaren Gedankens unfähig, kommt währenddessen der Einsame tastend in die fiebrige Stadt, tritt in das Licht, ist mitten auf der Bühne, als ihn viele kräftige Hände packen, plötzlich ist er die Aufmerksamkeit, die Menge reißt ihn an sich heran und in ihre Mitte und aus sich empor und nach oben, so wird er über ihren Köpfen herum gereicht, eben noch will er sich wehren, da ist es geschehen, sie berühren ihn, fassen ihn an, überall, alles über ihren Köpfen, feiern ihn, Gelächter, gelöste, extatische Freude, bis er seine Angst überwindet und sich dem wirren Götzenspiel hingibt. Immer dichter wird das Menschenmeer unter ihm, immer heißer die Luft, lauter das Geschrei, zum Zentrum, zum pulsierenden Herzen wird er gereicht, unfähig, die Richtung zu ändern, aus dem Scheinwerferlicht zu entwischen, in die Menge einzutauchen. Nein, er ist der Grund der Feierlichkeit, dieses Ausbruchs. Sein Gepäck hat er längst verloren, zunächst noch auf ihren Händen sehnend danach sich gewendet, nun immer begeisterter in seiner ihm zugedachten Rolle, selbst den Puls der Masse angenommen, vom Funken der Extase heiß entflammt, die flackernden Augen, die heisere Stimme, ergriffen vom Fieber, eins mit ihnen. Berauschende Getränke werden ihm gereicht, die Becher wirft er fort, mitten in den unüberschaubaren Mob, mehr, mehr!, dem Zentrum geht es zu, immer wilder, immer ungehemmter, ja!, beschleunigt pumpendes Herz, der Blutdruck steigt. Er spürt die Kraft all dieser Menschen in sich, ihr Puls treibt glühendes, rotes Blut durch seine Adern, sein Körper kocht, unbändige Natur! Alle Energie des Treibens fließt nun in ihn, gottgleich lässt er sich herumreichen, ja, getragen, das ist seiner würdig. Intensiv sein Atem, gebläht seine Nüstern, geschwellt seine Brust, immer mächtiger, immer unverwundbarer, seht mich an!, da setzen sie seinen Körper, beinahe gänzlich entkleidet und ölig glänzend, vorsichtig ab, seine Macht ist nun vollkommen.
Plötzlich absolute Stille, sie knien nieder, wenden ihre Gesichter zur Erde, da erkennt er den Gejagten, die Hände auf den Rücken gefesselt, den Kopf zur Seite gedreht und mit weit aufgerissenen Augen liegt er auf einem hölzernen Podest, was soll ich tun?, da reichen sie ihrem Herrn eine gewaltige metallene Axt und mit einem entschlossenen Hieb schlägt er dem Beutetier das Haupt ab, das Blut bespritzt ihn, und hält die Trophäe am Haarschopf seinen bangenden Untertanen hin. Ein unglaublicher Taumel der Befeiung bricht da los, das Treiben, das für einen einzigen Moment der totalen Konzentration den Atem angehalten hat, setzt von Neuem ein, das Gelage geht weiter, wie eine Naturgewalt in seine unüberschaubare, extatische Endphase, noch unerreichbarer bin ich jetzt, ich, der Gott meiner neuen, meiner eigenen Welt.


3. Der Lohn

Er erwachte auf einem großen runden, mit Seidenstoffen bezogenen Bett, wo bin ich?, nur schleichend kam die Erinnerung zurück. War er das Tatwerkzeug ihrer mörderischen Orgie geworden, hatte er einen Unbekannten enthauptet? Wo war er überhaupt? Alles nur ein böser Traum? An seinen Händen klebte Blut. Zum Nachsinnen jedoch war keine Gelegenheit, dienstfertig und mit gesenkten Gesichtern traten fünf junge Mädchen, eine schöner und unschuldiger als die andere, an sein Nachtlager heran und begannen, ihren Herrn aus den verbliebenen Resten seiner Kleidung zu enthüllen, ihn in ein marmorgefließtes Bad zu drängen, sanft aber bestimmt, ohne ein Wort, seinem hilflosen Fragen antwortete lediglich ein beschwichtigender Blick, der ihm bedeutete, dass alles seine Richtigkeit habe. Im dampfenden Badehaus wuschen sie ihn mit angenehm temperiertem, parfümiertem Wasser, seiften ihn ein, pflegten seinen ganzen herrschaftlichen Leib, balsamierten auch seine Füße, wund noch vom Marsch aus seinem früheren Leben, spülten schließlich den gestrigen Tag und die Spuren der Nacht von ihm ab, ölten ihn ein, fremde, betörende Düfte umhüllten ihn nun, weite, luftige Gewänder legten sie ihm an, bequem und seiner neuen Position entsprechend nur aus den edelsten Stoffen, mmm, herrlich!
Anschließend empfing er auf seinen Seidenkissen thronend ein ausgiebiges und vorzügliches Frühstück, das auch seinem Inneren den gestrigen Tag vergessen machte, der Wandel war restlos vollzogen, der Zauber wirkte. Umschmeichelnde Musik erfüllte schwerelos seine Gemächer, durchsichtige Tücher wehten sanft im Lufthauch der vollkommenen Wunschlosigkeit, die sie um ihn gebreitet hatten. Tot war der Wanderer, der gestern die Stadt betreten hatte, verbrannt seine verschwitzte Kleidung, Schweigen sein früheres Leben vor dieser tabulosen Nacht, von heute an bin ich Herr!
Luxus war sein neuer Gefährte und vertrieb ihm die Zeit, die Tage und Wochen verstrichen ohne Anstrengung, alle Last war von seinen Schultern abgefallen, war ihm genommen worden, damit sie ein anderer trage, gleichgültig wer, nur sein Dasein hatte leicht zu sein, unendlich erhöht hatten sie ihn überdies, wie auf pastellenen Wolken schwebend.
Eine Begleiterin war auch bald gefunden, sie war bereits da, als er in den Palast eingezogen war, gelegentlicher, schüchterner Zweisamkeit folgten häufigere Treffen, und schließlich gab sie sich ihm wie selbstverständlich hin, mit ihrer ganzen Schönheit, berauschte so sein Leben zusätzlich, sinnlich, und, für Männer seit jeher verwirrend, rein und sündig in einem, zerbrechlich und verlockend zugleich. Fasziniert von ihr fiel alles Frühere schnell in das Dunkel des endgültigen Vergessens, gemeinsam verbrachten sie nun ihre Tage, taub für das Lärmen außerhalb ihrer gedämpften Welt, Vergangenheit waren alle Mühen, bis sie unwirklich wurden und tatsächlich zur Gänze verschwunden waren. Zärtliche Annäherungen trafen auf Erwiderung, schüchtern oder berechnend? - einerlei, seine Sinne waren von ihr betäubt, ein einziger Taumel ihre Berührung, gefangen und ausgeliefert war er ihr und sie schenkte sich ihm und die Welt rauschte und verschwamm um ihn herum, er stürzte hinab in eine Tiefe aus Licht und Schall, alles Traum, ich bin schwerelos!





4. Der Preis

Außerhalb der Mauern setzte emsiges Treiben ein, kein Wort war drinnen gefallen, alles geschah in stillem Erkennen und Handeln, die Hochzeit sollte in den nächsten Tagen stattfinden. Lieder erklangen bereits am frühen Morgen durch die Gassen, die Luft war frisch und klar, eifrig wurde die Stadt geschmückt, Girlanden und bunte Stoffe flatterten von den Turmspitzen, aus den Fenstern, überall Blumen, knospende Farben- und Blütenpracht, das Volk liebte sein Brautpaar. Lustig sprangen die Kinder über die Plätze, auch die Vögel pfiffen hellere Melodien, alles war so goldglänzend und unwirklich sonnendurchflutet, und wieder wurde ein Organismus aus den fleißigen Bürgern, in der singenden Vorfreude des Vermählungsfestes, wie sie alles gemeinsam anpackten, ein Rädchen griff mühelos in das andere, jede Hand wusste, was zu tun war.
Ihm wurde angemessen, noch edler und reicher sollte sein Gewand sein, auch seine Braut war ihm jetzt oft entrissen, da die vielhändigen Zofen auch sie zur Vorbereitung verschiedenster Dinge häufig benötigten. An den lauschigen Abenden erzählten sie dann einander von den geheimnisvollen Planungen, die um sie herum getroffen wurden. Der Tag rückte näher, das Treiben wurde immer bunter und emsiger, ein schwerer Geruch von würzig Gegrilltem mischte sich zu dem blumigen Duft der Blütendekorationen, Spielleute aus Nah und Fern besuchten die Stadt, Händler bevölkerten die Plätze und boten ihre Waren an, Tische und Bänke wurden überall aufgestellt, verschiedenste Getränke ausgeschenkt, Areale für Festspiele mit kleinen Zäunen abgesteckt, kurz, die strahlende Stadt lebte in betriebsamer Zuversicht.
Als endlich der Tag gekommen war, wurden die beiden ihrer Würde entsprechend vom geistlichen Oberhaupt getraut, Ja!, sprachen sie nacheinander laut und deutlich, tauschten die Ringe, küssten sich innig und traten dann verliebt aus der Kirche, sie bei ihm untergehakt, ins Sonnenlicht, da brach aus der feierlichen Spannung ein ungeheures Freudenfest an, Reis flog schillernd durch die Luft, ein unübersehbares Menschenspalier bildete sich, Rosenblätter überall!, und ließ nur einen kleinen Weg frei, auf dem das Paar seinen erhöhten Ehrenplatz erreichte, Champagnerkorken knallten, glitzernd sprudelte das perlende Nass, nur schwer war für einen Moment Ruhe zu schaffen, einige Dankesworte der Rührung rief der Bräutigam mit Tränen in den Augen in die begeisterte Menge, die Braut warf ihren Brautstrauß in die jubelnden Arme, die begierig danach sprangen, ehe für alle das Festessen begann. Viele Gänge feinster Speisen wurden rasch nacheinander aufgetragen, kühles Bier gezapft, vollmundige Weine ausgeschenkt, immer wieder tauschte das Brautpaar, das in diesem allgemeinen Trubel aus dem Blickpunkt geraten war, verstohlene Blicke unendlichen, ungetrübten Glücks aus, ihr Volk gab sich den Gaumenfreuden hin, wie es ihnen schmeckt!, immer mehr Gänge wurden auf- geleerte Tabletts, Teller und Schalen wieder abgetragen, die Gläser und Krüge nachgefüllt, die Vorbereitungen waren perfekt gewesen, das Fest steigerte sich in seiner eigenen Unübertrefflichkeit. Nach einer geschäftigen Weile sausten die Kinder von den Tischen weg, die Mütter ließen sie lächelnd gewähren, während die Väter noch tatkräftig mit dem Nachfassen der Speisen zu tun hatten. Auch einzelne Gaukler begannen, nachdem sie ihr opulentes Mahl beendet hatten, die Festgesellschaft mit ihren Kunststücken zu unterhalten, während immer neue Gerichte aufgetischt wurden, niemand bemerkte im Eifer, wieviel da eigentlich verspeist wurde, doch nach und nach legte sich eine behäbige Zufriedenheit über die Tafeln, die Griffe zu den Schüsseln und Töpfen wurden seltener und langsamer, das Schmatzen leiser und von den wieder einsetzenden Gesprächen ringsum übertönt. Doch wo sonst Völlegefühl in Bequemlichkeit mündet, sollte sie hier Ausgelassenheit gebären, Kaffee und alkoholische Getränke halfen zunächst der Verdauung, um dann die Stimmung, die sowieso schon so jovial und gönnerhaft auf dem Freudenpaar lag, zur Ausgelassenheit zu steigern, in der das Brautpaar auf den ersten Blick kaum mehr eine Rolle spielte. Um sie herum entwickelte sich im Lauf des Nachmittags ein freies Spiel, Kuchen und Süßspeisen wurden zum Kaffee gereicht, dazu allerlei bezaubernde Liköre, das Leben wurde lauter, auch der Bräutigam genoss diese Stunden zügellos, und Zügellosigkeit war es, worin die Gesellschaft gemeinsam mündete, schallendes Gelächter, vom Essen fettige Hände packten erst unter dem Tisch, dann völlig ungeniert die strammen Oberschenkel der Nachbarin, gleich welchen Bekanntschafts- oder Verwandtschaftsgrad die Besitzerin hatte, unbeherrscht schallendes Lachen füllte die Luft, das Stimmengewirr wurde lauter und immer ausgelassener, man hatte nur Üppigkeit demonstrieren zu müssen, für ständig gefüllte Becher zu sorgen, und das Volk ergab sich selbst in üppigem Gebaren. Gegen Abend hatte der Bräutigam bereits zum wiederholten Male eine spontane Ansprache gehalten, und jedes Mal war sein eigenes Lachen ob seiner geistreichen Eloquenz lauter geworden und heiser, das der Menge schamloser, an den Ecken des Platzes wurde bereits mit Fackeln jongliert, es begann, dunkel zu werden und das Feuer warf wilde Schatten in die fettverschmierten Gesichter. Es bildeten sich Grüppchen in aufgelockerter Ordnungslosigkeit, dröhnendes Gelächter wo man nur hinsieht, immer lauter die losgelassene Festgesellschaft, geile Blicke ersetzten Worte, Tänzerinnen springen mit Tambourinen schlangengleich um die schwarzorange funkelnden Leiber, Pärchen in dunklen Winkeln, immer uneingeschränkter das Treiben in der Stadt, das sich mittlerweile von dem Platz aus in andere Straßen und Gassen ausgedehnt hat, immer weitere Teile der Stadt ergreift und immer mehr ausartet. Feurige Schatten, plötzlicher Trommelwirbel, mit einem Male kommt das Leben zum Stillstand, durch die Menschenmenge hindurch enkennt der Bräutigam, wilden Blick aus glasigen Augen und eine schwere Zunge hat er mittlerweile und auch das Gewand sitzt nicht mehr richtig, wie in einer Ecke des Platzes hinter einem prächtigen Brunnen geschäftige Rufe die Menschen auseinanderweichen macht, er hat keine Ahnung, was da vor sich geht, das Aufstehen fällt ihm schwer, lauter unbekannte Gesichter tauchen vor ihm auf und verschwinden wieder aus seinem Blickkreis, wo ist meine Braut?, lenken seine getrübten Augen immer wieder ab, das muntere Geplauder setzt wieder ein, er versteht nichts von allem, was da zu einem Geräusch verschwimmt und dröhnend an sein Ohr dringt, doch weder das Stimmengewirr, noch die schwitzende Menschenmenge, noch die vielen Gesichter sind Ablenkung genug, er muss dorthin, wissen, was dort geschieht und was die ganze Gesellschaft kurz zum Schweigen bringen, dann, scheinbar als hätten die Menschen erkannt, was da vor sich ginge, wieder Nebensache sein kann, auf ihn richten sich jetzt die Blicke, gespannt, wartend, lauernd. Als seien alle eingeweiht, nur er nicht, welche Überraschung ist das, die dort wartet?, was wird dort hergerichtet? Was macht ihr da?, und als er näher ist, zu erkunden, was da ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht, beginnt die babylonische Hektik noch lauter zu werden, sich zu formen, eine einzige Stimme zu werden, was ist denn los?, immer durchdringender, eine riesenhafte Lunge gibt dieser übernatürlichen Stimme Kraft, sie strömen zurück aus den Gassen, ein Gedanke lenkt die Menschen, immer dichter das Gedränge, hier ist wieder das Herz, der Puls des Festes, die Feuer ringsum flackern alles bizarr aus, der Gemahl bahnt sich seinen Weg, gleich hat er es geschafft, der irrsinnige Chor ist bei einer betäubenden Lautstärke angelangt, die Leiberflut wird immer drückender, da lichtet sie sich vor dem Fremden und gibt den Blick frei auf ein hölzernes Podest, auf dem eine große, metallene Axt liegt. Da beginnt die Jagd! Ich - Spielball der tosenden Brandung, gehetzt mit Mark erschütterndem Schrei!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
echt

märchenhaft. der 3. und 4. teil etwas langatmig, aber sonst sehr gut erzählt. mittendrin dachte ich: was soll das alles? aber der schluß ist dann umwerfend. lg
 

Rainer Heiß

Mitglied
Danke für die Resonanz; das ist ja wohl einer der Hauptgründe, auf einer Literaturseite zu veröffentlichen.
Freut mich, dass du die vermeintlich abschweifende Passage überstanden hast. Vielen vergeht da ja schnell mal die Lust...
Grüße, Rainer
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

ich meine auch, daß resonanz einer der hauptgründe ist. und so schön anonym hier! ich war mal in einem schreibzirkel, da hat man sich alle 14 tage getroffen, seine neuen werke vorgestellt und dann wurde diskutiert. da hat doch der zirkelleiter zu mir gesagt, ich soll erstmal strittmatters "laden" lesen, bevor ich anfange, meine memoiren zu schreiben! na, die haben mich nicht wiedergesehen. lieb grüßt
 

Rainer Heiß

Mitglied
Mir ging`s ähnlich; zunächst waren wir hier zu dritt und haben uns regelmäßig ausgetauscht. Als einer nun weggezogen ist, war so ein bisschen die Luft raus.
Die Anonymität ist ein großer Vorteil, denn schließlich offenbart man sich ja in seinen Geschichten teilweise bis auf`s Hemd. Und so geht`s besser als - man stelle sich das vor! - man müsst`s Fremden vorlesen! Nichts für mich...

Grüße, Rainer
 

kira

Mitglied
Hallo Rainer

Die häufigen Zwischenfragen stören ein klein wenig den Fluss, das Ende ist recht schnell absehbar, trotzdem: deine Geschichte ist mitreissend, farbig und atmosphärisch -

werde gleich mal deine anderen Werke einsehen.

Kira
 

Rainer Heiß

Mitglied
Hi Kira,

danke für die Resonanz! Die Zwischenfragen stören? Die waren eigentlich als Perspektivenwechsel gedacht; gibt ja auch genügend Filme, die zwischen objektiver und subjektiver Kamera wechseln, führt natürlich auch zur Verwirrung der Leser, aber damit sollte man zurecht kommen.
Da ich neu in der Lupe bin, habe ich noch etwas Orientierungsprobleme; aber mit deiner Antwort erleichterst du mir die Wahl der Werke, die ich als nächstes lesen werde...
Grüße, Rainer
 



 
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