Gemischte Gefühle

LUPESIWA

Mitglied
Aus meiner Reihe "Geschichten über Senioren für Senioren"

Gemischte Gefühle

Weihnachtslieder klingen leise durchs Haus und verbreiten mit dem Duft von Kaffee, Pfefferkuchen und Tannengrün eine besinnliche Atmosphäre am Vorweihnachtsabend. Und wie bestellt tanzen die ersten großen Flocken an den geschmückten Fenstern vorbei.
Schwester Birgit verteilt wortlos Schokoladenherzen auf den Tischen in der Sitzecke.
„Ist ihnen der Weihnachtsmann mit ’ner Rute über den Weg gelaufen, oder warum haben sie geweint?“, nimmt Frau Eberlein sie sofort aufs Korn.
„Frau Müller geht es nicht gut“, antwortet Birgit nur kurz.
„Aber Kindchen, das ist doch nicht ihre Schuld!“
„Doch, Frau Eberlein, ich hätte besser aufpassen müssen“, erwidert Schwester Birgit, den Tränen nah, und läuft mit gesenktem Kopf davon.
Um ein Haar wäre sie mit Albert Stein zusammen gestoßen. Der steuert gerade auf die Mitbewohner zu und unterhält sich dabei lautstark mit Hans Mückeberger und Mathilde Mausgruber, die erst wenige Wochen in der dritten Etage wohnt. Alle drei lachen und scherzen ausgelassen und ernten einige missbilligende Blicke, vor allem von der Eberlein.
„Ach, Einstein, gehen wir wieder mal im Hause auf die Jagd“, giftet die ihn an, „auf unserer Etage gibt’s wohl nichts zu holen?“
„Wie wahr, wie wahr, gnädige Frau. Aber wenn sie Skat spielen könnten - könnten wir ja auch mal gemeinsam in ein Horn blasen“, kontert Stein lachend und lässt sich gemütlich am Nachbartisch nieder.
„Sie eingebildeter Schnö…“, setzt sie erneut an und nur ein kräftiger Knuff von Martha Eichmann, die sie kopfschüttelnd anblitzt, lässt sie abrupt stoppen.
„Wollten sie noch etwas loswerden“, provoziert Einstein mit einem verschmitzten Lächeln.
„Was bilden sie sich ein, denken sie vielleicht, ich kann kein Skat?“, schwächt Erna Eberlein das Wortgefecht ab und setzt eine siegessichere Miene auf.
„Abgemacht, meine Beste“, mischt sich Mücke fröhlich in das Gespräch ein. „Am Mittwoch drei Uhr in der Bibliothek. Skat kann man sehr gut zu viert spielen, nicht wahr Mathilde?“
„Na klar, das wäre toll. Da hätte ich endlich Verstärkung gegen die eingebildeten Mannsbilder“, geht Mathilde auf den Vorschlag ein, zwinkert Erna Eberlein verschwörerisch zu und steckt alle mit ihrem herzlichen Lachen an.

„Was ist eigentlich mit unserer Lieblingsschwester los?“, unterbricht Einstein die lustige Runde, „die hätte mich fast umgerannt und sah sehr traurig aus:“
Für Sekunden schauen alle betreten daher, bis sich Johanna leise dazu äußert.
„Tja, Frau Müller geht es ziemlich schlecht. Sie hat eine schwere Lungenentzündung, wie ihr vielleicht schon mitbekommen habt. Und unsere Schwester Birgit macht sich Vorwürfe, dass sie wohl nicht richtig auf Gretel aufgepasst hat. Die packte heimlich ein paar Sachen ein und wartete vor der Tür auf ihren Enkel Oliver, mindest eine Stunde.“
„Aber der will sie doch erst morgen besuchen, zu Heiligabend“, wirft jemand dazwischen.
„Ja eben, das ist ein weiteres Problem“, fährt Johanna sehr ernst fort und schaut in nachdenkliche Gesichter.
„Ich habe eine Idee. Wir bauen unserer Schwester Birgit einen Schneemann, ich denke mal übermorgen“, unterbricht Mücke die Stille.
„Wie, mit drei Schneeflocken, das will ich sehen“, frotzelt die Eberlein sofort.
„Ne, ne, Herrschaften, das könnte klappen“, gibt Gustav Häberlein contra. „Der meteorologische Dienst hat ab heute Nacht starken Schneefall vorhergesagt.“

So nach und nach verschwinden alle auf ihre Zimmer. Und sicherlich wird der eine oder andere noch eine Weile aus dem Fenster schauen und beim immer stärker werdenden Schneeflockentreiben seinen Gedanken nachhängen.
 



 
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