Gerechtigkeit

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Inu

Mitglied
*





Gerechtigkeit

September 2004


Ein nichtsnutziger Penner
sitzt verschämt und verlottert
in der Karstadt-Passage.
Er kostet den Staat
dreihundert Euro im Monat ... viel Geld.
Warum soll einer, der nichts bringt,
denn eigentlich essen?

Es fehlt nur die Zündschnur,
dann wird es passieren,
dann werden die Bürger in heiligem Volkszorn
diesem Schmarotzer
die blau angelaufene
Säufervisage
polieren!

*

Dagegen die hoch angesehenen Herren,
Nieten in Nadelstreifen,
Armani-veredelte Big Global-Players,
die mit betroffenen Mienen
immer umher geh’n
und weltweit Entscheidungen treffen,
auch sie zu nützlicher Leistung nicht fähig.
Nur im Jonglieren
mit Zahlen und Unbekannten
sind sie ganz groß,
Versager
aber ... auf höchstem Niveau.

Und ihnen zahlt man
- haben sie endlich genug
der Pleiten und Pannen verursacht -
eine Millionen-Abfindung.
BELOHNUNG dafür,
dass sie in Zukunft
für die gefrustete Menschheit
kein Unheil mehr stiften?

Dann nach dem Rauswurf
sitzen die Herren
rasch in privaten Maschinen und reisen
vom Dienstvölkchen sorgsam umhegt,
zu ihren Villen
in Tessin und Toscana.

*

Heute Nacht sah ich im Traum
eine Frau, die sehr bös war.
Ihr standen die Haare zu Berge,
sie hielt in der Hand eine Waage.

Und
man fing die verblüfften Konzern-Herrn,
- diesmal waren sie ohne Amigos und Lawyers -
man brachte sie ihr.

War die wütende Dame,
die mit dem Wirrhaar - Justizia?
Nein! Justizia war sonstwo und schlief,
die hier war eine Proletarierin
allerniedrigster Sorte.

"Und wenn dann der Kopf fällt",
schrie die Seeräuber - Jenny,

"und wenn dann der Kopf fällt,
dann sage ich: „HOPPLA.“

Ich dachte noch: Seltsam
- warum lächelt die so?

Da rief ich ebenfalls: "Hoppla."

Wie kann man nur so etwas träumen
Ich bin doch sonst sehr
besonnen
und ...

zivilisiert.




*






Copyright Irmgard Schöndorf Welch 29.09.2004
bearbeitet am 02.06.2005



*
 
B

bonanza

Gast
genau, das ist mal wieder eines von der leber geschrieben,
wie ich es meist mag.
raus mit der wut! wenigstens verbal sollte man manchmal
gegen die verlogenheiten anstinken.

gut
bon.
 

LeseWurm

Mitglied
Hallo A.,

ich drücke mal meine Empfindungen aus und was mir sonst so auffiel.


Ein nichtsnutziger Penner
...
guter Einstieg, der den Kontrast hervorhebt


Es fehlt nur die Zündschnur,
...
Das ist eine "explosive" Wortwahl. Gut.


Die quirligen Nieten
in Nadelstreifen,
...
aber... auf höchstem Niveau,

man zahlt ihnen
zwanzig Millionen
...
kein Unheil mehr stiften.
Die Absätze sind mir zu platt. Die Schlagworte sind sicher mit Absicht gewählt, für mich aber etwas abgedroschen.
Aber die Aussage ist gut und an richtiger Stelle.


Danach sitzen die Herren
mit betroffenen Mienen wie immer
...
Besser.


Heute Nacht sah ich im Traum
eine Frau, die sehr bös war,
ihr standen die Haare zu Berge
und außerdem hielt sie
in der Hand eine Waage.
Guter Absatz. Die letzte Zeile vielleicht umstellen, damit der Satz flüssiger wird und zugleich härter(DIE Waage)? Mein Vorschlag:
die Waage in der Hand


Man fing die verblüfften Konzern-Herrn
...
"fing" hervorragend das Wort an dieser Stelle.
Ich liebe es.


„Und wenn dann der Kopf fällt“,
schrie fröhlich
die Seeräuber–Jenny,
„und wenn dann der Kopf fällt,
dann sage ich: „HOPPLA.“

Ich dachte noch: Seltsam
- warum lächelt die so?

Dann sagte ich ebenfalls "Hoppla."
Bitterböse, bitterböse diese Zeilen. Nur durch die Traumsituation und den letzten Satz des Werkes abgemildert. Sie zaubern ein breites, böses Grinsen auf meine Lippen. Und mir wachsen kleine teuflische Hörner aus den Geheimratsecken.


Wie kann man nur so etwas träumen?
Ich bin doch sonst
besonnen
und...

zivilisiert.
Wunderwares Ende. Es erzeugt bei mir ein Gefühl wie "Das hätte ich auch träumen können", "so denkst du doch auch" und eine eigenartige Art von Erleichterung.
 

Inu

Mitglied
hallo LeseWurm. Willkommen hier :):)

Ich sehe, dass mein kritischer Text Dir gefiel. Habe auch ziemlich lang daran gefeilt.

Du schreibst:

[blue]Heute Nacht sah ich im Traum
eine Frau, die sehr bös war,
ihr standen die Haare zu Berge
und außerdem hielt sie
in der Hand eine Waage.

--------------------------------------------------------------------------------

Guter Absatz. Die letzte Zeile vielleicht umstellen, damit der Satz flüssiger wird und zugleich härter(DIE Waage)? Mein Vorschlag:
die Waage in der Hand
[/blue]

Ja, ich hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, dass ich daran was ändern müsste. Sinngemäß hast Du sehr recht, nur würde das vom Versmaß her nicht ganz stimmen. Ändern werde ich es auf alle Fälle, muss aber noch überlegen, wie ich es genau wörtlich formuliere.

Dein positiver, einfühlsamer Kommentar macht mich sehr froh, Du hast mir meinen Morgen gerettet!


Liebe Grüße vom
A.
 
S

Sandra

Gast
Wo ist das Gedicht? Die Zentrierung allein kann es nicht ausmachen. Das ist Kurzprosa und enthält absolut keine lyrischen Elemente. In seiner Aussage halte ich es für sehr gut gelungen, als Gedicht allerdings ein Flop. ;)

LG
Sandra (die jetzt nach dem wichtigeren Kriterium wertet.)
 
B

bonanza

Gast
es tut mir leid, sandra, daß du ebensowenig wie lapismont
eine ahnung von prosagedichten hast.
darum ist dein kommentar völlig unsachgemäß.
möglicherweise läßt sich um die form streiten. dann
sollten wir es auf hohem niveau tun. hemingway und
gertrude stein könnten uns schützenhilfe leisten.
die nannten es einfach gedicht.
und inu schrieb zweifelsohne ein gedicht.
wie du es nennen willst, ist eigentlich piepegal.
die zentrierung gefällt mir auch nicht. aber das muß inu
wissen.

bon.
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Gerechtigkeit

Ein nichtsnutziger Penner sitzt verschämt und verlottert in der Karstadt-Passage. Er kostet den Staat dreihundert Euro im Monat. Das ist viel Geld. Warum soll einer, der nichts bringt, denn eigentlich essen?

Es fehlt nur die Zündschnur,
dann wird es passieren,
dann werden die Bürger
in heiligem Volkszorn
diesem Schmarotzer
die blau-angelaufene
Säufervisage polieren!

*

Die quirligen Nieten in Nadelstreifen, Armani-veredelte Great Global-Players, auch sie zu nützlicher Leistung nicht fähig, doch im Jonglieren mit Seifenblasen ganz groß, Versager aber ... auf höchstem Niveau, man zahlt ihnen zwanzig Millionen Abfindung ... nein BELOHNUNG, wahrscheinlich dafür, dass sie in Zukunft nicht noch mehr Pleiten und Pannen anrichten und für arbeitende Menschen kein Unheil mehr stiften.

Danach sitzen die Herren mit betroffenen Mienen wie immer in ihren privaten Maschinen und fliegen vom Pöbel fleißig umsorgt, zu ihren Villen, in Tessin und Toscana.

*

Heute Nacht sah ich im Traum eine Frau, die sehr bös war, ihr standen die Haare zu Berge und außerdem hielt sie in der Hand eine Waage.

Man fing die verblüfften Konzern-Herrn - diesmal waren sie ohne Amigos und Lawyer - man brachte sie ihr.

„Und wenn dann der Kopf fällt“, schrie fröhlich die Seeräuber–Jenny,
„und wenn dann der Kopf fällt, dann sage ich:
„HOPPLA“.

Ich dachte noch: Seltsam - warum lächelt die so?
Dann sagte ich ebenfalls:
"Hoppla" .

Wie kann man nur so etwas träumen?
Ich bin doch sonst
besonnen
und ...
zivilisiert.

_________

Hallo Inu,

ich habe deinen Text einmal anders gesetzt und denke, dass er so in "Sonstige Prosa" durchaus gerne gesehen wäre ...

Viele Grüße, Zeder
 
B

bonanza

Gast
Zeder, natürlich kann man alle Prosagedichte auch als
Prosa verkaufen. Sonst wären es keine Prosagedichte.
Es bleibt nunmal dem (der) Autoren(in) überlassen,
in welcher Form er (sie) den Text senden will.
Man nennt das schlicht künstlerische Freiheit.

bon.
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
... man nennt das "schlicht künstlerische Freiheit" - in einem VORGEGEBENEN Forum.

Ja. So diametral entgegengesetzt ist das.

Grüße von Zeder
 
K

Klopfstock

Gast
Hallo, Inu,
also ich sehe es wie Sandra - für mich ist es eher
Prosa, gute Prosa, aber eben......Prosa;)

Liebe Grüße
Klopfstock:)
 

Inu

Mitglied
Hallo bonanza

Ich bin ganz Deiner Ansicht. Für mich ist es ein Gedicht. Man muss es nur einmal laut lesen. Ich habe sogar auf einen gewissen Rhythmus geachtet. Die Zentrierung ist allerdings wirklich nicht gut und das werde ich jetzt ändern.

Gruß
Inu
 
B

bonanza

Gast
das forum ist vorgegeben. es heißt prosalyrik, zeder.
auch über vorgegebenes kann man trefflich streiten.
wir hatten diese diskussion schon mit duisburger.
prosalyrk gibt es als literatur nicht. es existiert
die form des prosagedichts. und in dieser form kenne
ich mich aus.
natürlich kann man alles mögliche erfinden und nach seinem
sinne definieren und für allgemeingültig in der kunst
erklären.
dann sollte man sagen: ich bin der king, und ich bin das gesetz.
das vereinfacht vieles.

inus gedicht ist ein gedicht. wegen mir, nennen wir es prosagedicht. korinthenkackerei liegt mir nicht.
dazu bin ich inzwischen zu alt und mache in meinem beruf
ziemlich derbe erfahrungen.

ich hoffe, dass auch die unbelehrbaren irgendwann belehrbar
werden.

lieben gruß
ralph
 

Inu

Mitglied
Hallo Zeder

Findest Du nicht, dass dieser Text, wenn er denn, wie Du es versucht hast, als Prosa gesetzt wäre, sich plötzlich zu pathetisch, zu linkisch, zu gesucht anhören würde.
So s p r i c h t keiner im normalen Leben und so möchte auch keiner einen Prosatext lesen. Oder? Ich zumindest nicht.

Ich habe ihn tatsächlich als Gedicht geschrieben, absichtlich ziemlich schnörkellos, aber wie ich finde, doch in lyrischer Sprache.

Ich grüße Dich
Inu
 

Inu

Mitglied
hallo Sandra + Klopfstock
Du
Sandra schreibst:
[blue]Das ist Kurzprosa und enthält absolut keine lyrischen Elemente. In seiner Aussage halte ich es für sehr gut gelungen, als Gedicht allerdings ein Flop. [/blue]

Einspruch: Ich halte es als Gedicht NICHT für einen Flop. Ich finde, ich habe das was ich sagen wollte, lyrisch recht gut verpackt.

Einen Gute-Nacht-Gruß
Inu
 
B

bonanza

Gast
die lyrischen elemente.
die gibt es, entschuldigt, gar nicht.
es gibt eine lyrische empfindung.
für die worte. für die sätze. wenn sie sich weg vom
erzählton zum tanz bewegen. selbst erzählerische werke
können sehr "lyrisch" wiedergegeben werden.
prosa existiert gar nicht ohne lyrik. das sieht man an
beispielen wie moby dick.
eine kategorisierung macht keinen sinn. weil es in der
auffassung des(der) auroren(in) liegt, wie sie(er) interpretiert
werden will - oder in welche richtung der sprachlichen
Beweglichkeit sie(er) tendiert.
ich finde es deswegen gut, daß dieses forum eingerichtet
wurde. aber nicht, um wieder in spießiger maßregelung vorzugehen, sondern um die bandbreite der grenzziehung
zwischen prosa und lyrik in ihrer ganzen kreativität auszuschöpfen.
wir sollten diesen wunderbaren bereich nutzen.
damit meine ich: wirklich nutzen. das sage ich autorinnen
wie sandra und zeder.

gutenachtgruß
ralph
 

Inu

Mitglied
Noch etwas zu Deinem Kommentar, Zeder.

Wenn ich es als Prosa posten würde, musste ich da nicht einige Sätze umstellen, damit sich die Sprache erträglich und 'normal' anhört?
 
B

bonanza

Gast
inu, ich bin zwar nicht zeder, aber mich interessiert diese
diskussion. nein, du mußt nichts umstellen. es liegt an der
sprache des rezitators, wie er einen text rüberbringt.
der zuhörer sieht ja nicht, wo die zeilenumbrüche liegen.
er kann es durch den vortrag höchstens ahnen.

bon.
 
S

Sandra

Gast
Einspruch: Ich halte es als Gedicht NICHT für einen Flop. Ich finde, ich habe das was ich sagen wollte, lyrisch recht gut verpackt.
Liebe Inu,
deine Einstellung überrascht mich nicht wirklich, sonst stünde dein "Gedicht" ja nicht da, wo es jetzt nun mal steht.
Ich sprach nicht von deiner Meinung, sondern von meiner. Registriere sie oder vergiß sie, ich denke nur, dass es uns beiden wenig nützt dagegen "Einspruch" zu erheben. Hier steht niemand vor Gericht.

LG
Sandra
 
I

inken

Gast
Liebe Inu

Ich muß Sandra zustimmen - die Aussage, so löblich
sie auch sein mag, ist mir zu linear formuliert und
für mein Verständnis auch nicht lyrisch gestaltet.
Auch mag ich diese "Betroffenheitsgesten" nicht,
wenn sie so ungebrochen, zeigerfingermäßig daherkommen.
Das bringt auch nicht "Brecht-Verbrämung" am Ende.

Gleich in der ersten Strophe gefällt mir
die Sprache nicht

"Ein nichtsnutziger Penner
sitzt verschämt und verlottert
in der Karstadt-Passage" - heißt es

Frage: Gibt es auch einen nützlichen Penner, der selbstbewußt und gutgekleidet in der Karstadt-Passage
sitzt?

Auch muß es heißen "ins Tessin", sofern du die
südliche Schweiz meinst (das Tessin), ansonsten gibt es "Tessin" als Kleinstadt in der Nähe von Rostock,
doch ich denke, da
fährt man nicht hin, um zu genießen.

Liebe Grüße inken
 



 
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