Geruch der Freiheit

Carmen

Mitglied
Als ich nach zehn Jahren wieder vor das große Eisentor trat, roch ich den herrlich frischen Duft der Kastanienbäume. Warme Sommerluft strich durch mein Haar. Obgleich ich nicht sehen konnte, wußte ich doch, daß die Sonne von einem wunderbar blauen Himmel herunterblickte. Ich hörte die Vögel singen und immer wieder die Kastanienbäume, die zehn Jahre lang meine besten, meine einzigen Freunde waren. Ich werde sie nie wieder wahrnehmen dürfen.
Auf meinem Weg in die Freiheit versuchte ich, so viel wie möglich dieser für mich unbekannten Welt zu fühlen. Da war ein Fliederstrauch. Flieder hatte das Mädchen noch in der Hand, als sie starb. Er roch herrlich. So intensiv und blumig. Irgendwie schwulstig, als verstopfte er meine Atemwege.
Es hat sich alles sehr verändert. Da war ein Restaurant, aus dem es nach Fleisch und Gemüse stank. Es war nicht angenehm, denn in diesem Brodem passte kein Geruch zum anderen. Die überfüllte Abfalltonne daneben tat ihr Übriges. Diese vermoderte, verkommene Luft schwebte noch lange hinter mir her.
Ich hatte mir den Weg genau eingeprägt, als ich herkam. Ich ging an dem Fluß vorbei, der mich mit seinen Melodien und seinem Geruch nach Stein, Wasser und fremder Leute Müll begrüßte.
Stehenbleiben konnte ich nicht.
Ich kam der Stadt immer näher. Es wurde lauter. Ich hörte die Menschen und Autos auf den Straßen. Einen Gestank von Abgasen, Schweiß und penetrantem Parfüm mußte ich ertragen. Mir wurde schlecht. Ich wollte nur noch weg.
In einen Durchgang unter einem Haus hindurch kam mir ein frischer, angenehmer Luftzug entgegen. Ich war fast da. Jetzt begegneten mir die ersten Menschen. Eine saubere, frisch gewaschene Frau, ein schweißtriefender, nach Bier und Kippen stinkender Mann, der mich anrempelte. Hektik, lautes Schreien, gröhlende Musik. Bei diesem Lärm könnte ich nicht leben. Ein Gewirr von Gerüchen, die ich nicht zuordnen konnte, denn es waren so viele. Ich war verwirrt, irritiert, ich hatte Angst, in dieser Masse unterzugehen, wie all die anderen. Fünf Minuten noch, dann konnte ich weg von hier. Wieder auf mein Holzhaus in den Bergen, friedlich, saubere Luft und keine Menschen.
Nur ich, meine Natur und der Geruch der Freiheit.
 



 
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