Geschichte

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werther

Mitglied
Aufbruch

Als sie die Tür aufbrachen, saß ich gerade beim Essen gegenüber der Tür. Man stellt sich das immer spektakulärer vor, als es dann wirklich ist. Mit einem Stemmeisen hoben sie den Sperrriegel aus seiner Fassung, während ich mein graues Brot aß. Die Tür splitterte kaum dabei. Ein lautes Knacken und sie sprang auf. Ein paar Macken an den Zargen, das war alles. Schnell standen sie mitten in meiner Wohnung und sahen sich um. Ich kaute noch immer, schluckte, und legte das Brot auf den Teller. Sie mussten sehr lange geklopft haben.
Ich weiß noch, dass ich dagesessen und über eine Geschichte nachgedacht hatte, die mir jemand einmal erzählt haben musste. Ich konnte mich jedoch nicht mehr daran erinnern, ob Sie von mir gehandelt, ob ich überhaupt eine Rolle darin gespielt hatte. In der Geschichte ging es um einen Mann, der viel schlief, der das Zimmer, in dem sich sein Bett befand, kaum mehr verließ und der solange schon nicht mehr mit einem anderen Menschen gesprochen hatte, dass ihm selbst die Stimme in seinem Kopf, mit der er sich seine Monologe vorsprach, fremdartig erschien. Diesem Mann ging es gut. Solange er ein Bett hatte, solange er auf dem Rücken liegen konnte – kurz: solange ihn niemand störte, ging es ihm gut.

Ankommen

Ich weiß noch, dass die Geschichte mir gefiel, denn es war eine ehrliche Geschichte, wahr vielleicht sogar. Jedenfalls steckte mehr Wahrheit darin, als in allem, was ich an Geschichten geschrieben hatte. Der Mann hatte einmal etwas Geld gehabt, woher auch immer er es bekommen haben mag, es war seins und es reichte eine Weile vor. Danach ging man zuerst davon aus, dass er wohl noch mehr haben müsse, jedenfalls gab man ihm gerne Kredit. Er brauchte ja nicht viel. Selbst als die letzte Zahlung längst vergessen war, geduldete man sich weiter mit ihm, schließlich störte er doch niemanden. Und ehrlich gesagt glaubte man kaum, dass es noch lange dauern könne, mit ihm. Schweigsam, einsam, wie er war. Doch es ging nicht zu Ende.
Und so schlief der Mann weiter, schwieg weiter. Ich weiß noch, dass er fast glücklich war. Nicht weil jemand viel für sein Glück getan hätte. Und doch, es taten sehr viele Menschen sehr viel nicht für ihn und das war sein Glück. Sie redeten nicht mit ihm, sie weckten ihn nicht. Sie ließen ihn schweigen, ließen ihn auf dem Rücken liegen, schlafen und so blieb er ungestört. Irgendwann dachte niemand mehr an Zahlungen, den Kredit, niemand mehr an sein Zimmer, das ja um eine Rendite zu erbringen gebaut worden war und für dessen Heizung, Elektrizität und Instandhaltung jeden Tag weitere Kosten anfielen. Man stellte ihm den Teller wortlos vor die Tür und nahm ihn leer wieder weg, einfach deshalb, weil man es immer getan hatte. Reste gab man dem Hund. Daran erinnere ich mich gut, denn das sind diese Geschichten, an die man denkt, wenn man daliegt und nicht schlafen kann. Wenn einem nichts bleibt als diese Geschichten, die sich selbst erzählen, damit man nicht ins Denken kommt. Andere bilden sich Schenkel ein, ich mir Worte: Wassersucht, Herzkranzgefäß. Aber auch Geschichten wie die über diesen Eisenbahnarbeiter um die Jahrhundertwende, dem bei einem Unfall ein daumendickes Eisenrohr durchs Gehirn getrieben worden war. Er überlebte das, unvorstellbar, oder? Seine Version der Geschichte hätte ich gerne einmal gehört. Aber er soll gewalttätig geworden sein, hinterher. Hatte viele Probleme, er war wohl nicht mehr derselbe, verließ seine Frau. Es macht einen ganz verrückt, wenn man darüber nachdenkt. Ein Eisenrohr. Wahrscheinlich hat er auch seine Frau geschlagen, mit der Faust. Wer weiß, was er in ihr gesehen hat, hinterher, vorher. Wenn man eine Hirnblutung hat, riecht man angeblich Dinge, die gar nicht da sind. Der Mann in seiner Kammer hätte wohl niemanden nach unüblichen Gerüchen fragen können, für ihn war jeder, außer dem eigenen, völlig fremd geworden. Hätte er mit jemandem gesprochen, so hätte der ihm wahrscheinlich gesagt: „Müde, du siehst sehr müde aus“ – und was hätte er darauf antworten sollen? Er schlief doch schon, soviel er konnte.


Abfinden

Und da ist es mir aufgegangen, dass die Geschichte nicht stimmig ist, meine ist, Ihre nicht, die Frau gestern an der Kasse, Theresienstadt, die große Storyline. Das ist nicht kohärent und passt nicht zusammen. Da fallen die Referenzen aus dem Rahmen. Die Leute standen in meiner Wohnung und sogen unter merklichem Unbehagen die Luft ein. Mir war das peinlich, denn es gab in dieser Wohnung nichts, was hätte riechen können. Es gab nur mich. Mein Geruch war mir nicht unangenehm aufgefallen, man riecht sich selbst wohl anders. Sie sagten etwas zu mir, aber ich verstand es nicht. Also die Worte verstand ich schon, den Sinn jedoch nicht. An den Wortlaut kann ich mich nicht erinnern. Ich saß nur da und blickte auf meinen Teller. Das Brot war trocken und sonst konnte ich ihnen nichts anbieten. Dabei hatte ich doch mit ihrem Eintreffen gerechnet. Was hatten sie nur nochmal gesagt? Ich verliere den Faden, das hatten sie gesagt, oder jedenfalls etwas ähnliches. Den genauen Wortlaut möchte ich lieber nicht wiedergeben. Ich bat sie darum, ein anderes Mal wiederzukommen, sie kämen mir gerade sehr ungelegen, da ich beim Essen säße und eigentlich gleich duschen wolle. Da lachen sie. Ich fühle mich nicht wohl, werde ich gestammelt haben, oder: „Es ist nicht meine Schuld.“ „Na wessen sonst“, sagen sie. Darüber musste ich wohl selbst erst einmal nachdenken. Vielleicht ist niemand schuld, denke ich. Vielleicht wäre das möglich. Aber das konnte ich nicht sagen. Ich erzähle ihnen lieber die Geschichte, die ich mir selbst immer wieder eingeredet hatte. So überzeugt, wie ich von ihr war, müssenen sie die einfach glauben. Und das taten sie, also sie glaubten zwar die Geschichte, aber sie folgen ihr nicht, messen ihr keinerlei Bedeutung zu. Sie fingen einfach an, alles einzupacken. Die Bücher, die Teller, die Kissen. Und Ich? Ich sah, wie ich aufstand und ging. Was bleibt mir anderes übrig?

Zuwege

„Geht es ihnen gut?“, fragte mich der Mann. Ich nickte. „Aber nicht sehr gut, oder?“ Darauf fiel mir zunächst nichts ein - ich zögerte. „Ah, das ist schön, wenn es einem nicht zu gut geht.. Menschen, die wahnsinnig werden, sterben oder sich umbringen wollen, denen geht es kurz vorher meistens viel besser als sonst. Richtig beschwingt sind die dann plötzlich, da muss man stutzig werden. Solange sie noch leiden, muss man sich keine Sorgen machen. So lange ist noch alles gut.“ Er lachte. Ich lächelte und nickte, stellte auch ihm die Frage nach seiner Befindlichkeit. Das war nur höflich. „Sehr schlecht!“, rief er und sein Lachen hallte in der Straße wider. „Was wollen sie mir eigentlich verkaufen?“ Nichts, sagte ich, ich sei kein Verkäufer. „Aber was machen sie dann hier?“ Ja, was machte ich hier? Darauf erzählte ich ihm meine Geschichte, versuchte es zumindest. Reihte die Begebenheiten aneinander, wahrscheinlich in chronologischer Abfolge. „Haben Sie eigentlich eine Frau?“ schnitt er mir kalt ins Wort. Diese Frage verstand ich nicht so recht. Pause. „Ich will ihnen einmal eine Geschichte erzählen, die ich so erlebt habe. Eines Tages kommt ein guter Freund zu mir und erzählt mir von einer Reise, die er mal gemacht hat. Markus, sagte er zu mir, das hättest du nicht geglaubt, was die da auf dieser Insel für einen Umstand um die Hochzeit gemacht haben. Eine ganze Woche wurde gefeiert. Zwei große Ochsen haben die geschlachtet, alles voller Blut, die rieben sich sogar damit ein, gegenseitig. Und dann wurde gesoffen, so eine Art, ich weiß gar nicht woraus die diesen Fusel gemacht haben, wahrscheinlich irgendwelches vergorenes Palmobst, mit Zuckerrohr gesüßt, vergoren, knallt! Jedenfalls eine ganze Woche wurde da gefeiert und jeden Tag getanzt. – Das muss man sich mal vorstellen!“ Ich musste es mir vorstellen. „Und wenn man beim Tanzen etwas falsch machte, dann stand gleich die nächste Hochzeit an.“ Sein dumpfes, lautes Lachen zog die Blicke der Leute auf sich. Das war mir unangenehm. Seine rote Nase zuckte. „Riechen sie das auch?“, fragte er. Natürlich, antwortete ich. Er setzte sich und schwieg, schien den Faden verloren zu haben, nachzudenken. Aus Höflichkeit sah ich mich gezwungen, ihm eine Frage zu der Geschichte zu stellen. Ob sein Freund denn auch verheiratet worden sei? „Woher soll ich das wissen?“, antwortete er „ich war ja nicht dabei.“


Aufgabe

Wenn man es könnte, würde man seine Augen nach innen verdrehen, habe ich mir oft gedacht. Aber das war Wunschdenken. Ich bestellte mir erst einmal einen Schnaps. Der Wirt sah mich vorwurfsvoll an. „Und einen Kaffee“, ergänzte ich hastig. Nicken. Wahrscheinlich hätte einen besseren Eindruck machen sollen, dachte ich, murmelte ich vielleicht.

Da saß dieser Mensch vor dem Café, wahrscheinlich ein Mädchen, vielleicht eine Frau. Sie saß da und blinzelte direkt in die Sonne hinein. Ein breites Lächeln. So als wären alle Tage gut, wenn nur die Sonne schiene und so als würde sie nach jedem Regenschauer bald wieder scheinen. Lalala. Ich fragte sie, ob sie irgendeinen Defekt habe. Dann schlug sie mir ins Gesicht und ging.
Nach einigen Schritten machte sie kehrt und kam zu mir zurück. „Was soll das überhaupt heißen?“, fragte sie. Damit setzte sie sich zurück vor ihren Kaffee. Ich hielt mir das Gesicht. Sie deutete mir, mich zu setzen. Ich zögerte, doch sie beharrte in ihrer Geste. Als ich mich setzte und den Schnaps in meinen Kaffeebecher schüttete, zog ich mir dadurch ihr Missfallen zu, ganz offensichtlich. „Ist es nicht noch etwas früh?“, fragte sie und legte dabei ihre Stirn in vorwurfsvolle Runzeln. Nach einer Weile konnte ich mich noch immer zu keiner klaren Antwort durchringen, redete wohl etwas von Relativität und Schichtarbeitern. Dinge, die man eben zur Sprache bringt, wenn man nicht wirklich etwas zu sagen hat. Sie rührte in ihrem Kaffee, die Stirn war nicht weniger runzelig geworden. „Verdient man denn gut, so als Schichtarbeiter?“, fragte sie plötzlich in mein Stammeln hinein.
„Man kann davon leben“, stieß ich hervor. Zwar wusste ich es nicht, aber leben musste man doch davon können, alles andere wäre unlogisch gewesen. Mit der Antwort schien sie zufrieden, zündete sich eine Zigarette an. Sie raucht also. Mein Kaffee war schon fast kalt, als ich daran nippte. Die Leute gingen an uns vorbei, während wir dasaßen und sie betrachteten. „Du solltest dich mehr mit der Realität beschäftigen… Das täte dir gut.“ Damit hatte sie vielleicht Recht. Anerkennend klopfte ich auf den Tisch. „Aber das sagt sich so leicht“ „Alles sagt sich leicht.“ „Ja, aber damit ist ja noch nichts geändert.“ „Aber ein Anfang gemacht.“ „Wenn man so will, ja.“ „Ja, genau.“
Als ich aufschreckte, war neben mir nur noch ein Aschenbecher, ein Zigarettenstummel darin. Ich rieb mir das Gesicht. In der Tür stand der dickbäuchige Wirt und hielt mit der, seinem Beruf eigenen Selbstverständlichkeit ein Tablett, leer, nein, mit der Rechnung darauf. Er schaute mich an, wie es eben nur ein Wirt kann. Mit eindeutiger Geste bedeutete ich ihm, mir noch einmal das gleiche zu bringen. Zurück konnte ich ja nicht.
 

werther

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Als sie die Tür aufbrachen, saß ich gerade beim Essen gegenüber der Tür. Man stellt sich das immer spektakulärer vor, als es dann wirklich ist. Mit einem Stemmeisen hoben sie den Sperrriegel aus seiner Fassung, während ich mein graues Brot aß. Die Tür splitterte kaum dabei. Ein lautes Knacken und sie sprang auf. Ein paar Macken an den Zargen, das war alles. Schnell standen sie mitten in meiner Wohnung und sahen sich um. Ich kaute noch immer, schluckte, und legte das Brot auf den Teller. Sie mussten sehr lange, sehr laut geklopft haben.
Ich weiß noch, dass ich dagesessen und über eine Geschichte nachgedacht hatte, die mir jemand einmal erzählt haben musste. Ich konnte mich jedoch nicht mehr daran erinnern, ob Sie von mir gehandelt, ob ich überhaupt eine Rolle darin gespielt hatte. In der Geschichte ging es um einen Mann, der viel schlief, der das Zimmer, in dem sich sein Bett befand, kaum mehr verließ und der solange schon nicht mehr mit einem anderen Menschen gesprochen hatte, dass ihm selbst die Stimme in seinem Kopf, mit der er sich seine Monologe vorsprach, fremdartig erschien. Diesem Mann ging es gut. Solange er ein Bett hatte, solange er auf dem Rücken liegen konnte – kurz: solange ihn niemand störte, ging es ihm gut.
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Ich weiß noch, dass die Geschichte mir gefiel, denn es war eine ehrliche Geschichte, vielleicht sogar wahr. Jedenfalls steckte mehr Wahrheit darin, als in allem, was ich an Geschichten geschrieben hatte. Der Mann hatte einmal etwas Geld gehabt, woher auch immer er es bekommen haben mag, es war seins und es reichte eine Weile vor. Danach ging man zuerst davon aus, dass er wohl noch mehr haben müsse, jedenfalls gab man ihm gerne Kredit. Er brauchte ja nicht viel. Selbst als die letzte Zahlung längst vergessen war, geduldete man sich weiter mit ihm, schließlich störte er doch niemanden. Und ehrlich gesagt glaubte man kaum, dass es noch lange dauern könne, mit ihm. Schweigsam, einsam, wie er war. Doch es ging nicht zu Ende.
Und so schlief der Mann weiter, schwieg weiter. Ich weiß noch, dass er fast glücklich war. Nicht weil jemand viel für sein Glück getan hätte. Und doch, es taten sehr viele Menschen sehr viel nicht für ihn und das war sein Glück. Sie redeten nicht mit ihm, sie weckten ihn nicht. Sie ließen ihn schweigen, ließen ihn auf dem Rücken liegen, schlafen und so blieb er ungestört. Irgendwann dachte niemand mehr an Zahlungen, den Kredit, niemand mehr an sein Zimmer, das ja um eine Rendite zu erbringen gebaut worden war und für dessen Heizung, Elektrizität und Instandhaltung jeden Tag weitere Kosten anfielen.
Man stellte ihm den Teller wortlos vor die Tür und nahm ihn leer wieder weg, einfach deshalb, weil man es immer getan hatte. Reste gab man dem Hund. Daran erinnere ich mich gut, denn das sind diese Geschichten, an die man denkt, wenn man daliegt und nicht schlafen kann. Wenn einem nichts bleibt als diese Geschichten, die sich selbst erzählen, damit man nicht ins Denken kommt. Andere bilden sich Schenkel ein, ich mir Worte: Wassersucht, Herzkranzgefäß. Aber auch Geschichten wie die über diesen Eisenbahnarbeiter um die Jahrhundertwende, dem bei einem Unfall ein daumendickes Eisenrohr durchs Gehirn getrieben worden war. Er überlebte das, unvorstellbar, oder? Seine Version der Geschichte hätte ich gerne einmal gehört. Wenn man eine Hirnblutung hat, riecht man angeblich Dinge, die gar nicht da sind. Der Mann in seiner Kammer hätte wohl niemanden nach unüblichen Gerüchen fragen können, für ihn war jeder, außer dem eigenen, völlig fremd geworden. Hätte er mit jemandem gesprochen, so hätte der ihm wahrscheinlich gesagt: „Müde, du siehst sehr müde aus“ – und was hätte er darauf antworten sollen? Er schlief doch schon, soviel er konnte.
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Und da ist es mir aufgegangen, dass die Geschichte nicht stimmig ist, meine ist, Ihre nicht, die Frau gestern an der Kasse, Theresienstadt, die große Storyline. Das ist nicht kohärent und passt nicht zusammen. Da fallen die Referenzen aus dem Rahmen. Die Leute standen in meiner Wohnung und sogen unter merklichem Unbehagen die Luft ein. Mir war das peinlich, denn es gab in dieser Wohnung nichts, was hätte riechen können. Es gab nur mich. Mein Geruch war mir nicht unangenehm aufgefallen, man riecht sich selbst wohl anders. Sie sagten etwas zu mir, aber ich verstand es nicht. Also die Worte verstand ich schon, den Sinn jedoch nicht. An den Wortlaut kann ich mich nicht erinnern. Ich saß nur da und blickte auf meinen Teller. Das Brot war trocken und sonst konnte ich ihnen nichts anbieten. Dabei hatte ich doch mit ihrem Eintreffen gerechnet. Was hatten sie nur nochmal gesagt? Ich verliere den Faden, das hatten sie gesagt, oder jedenfalls etwas ähnliches. Den genauen Wortlaut möchte ich lieber nicht wiedergeben. Ich bat sie darum, ein anderes Mal wiederzukommen, sie kämen mir gerade sehr ungelegen, da ich beim Essen säße und eigentlich gleich duschen wolle. Da lachen sie. Ich fühle mich nicht wohl, werde ich gestammelt haben, oder: „Es ist nicht meine Schuld.“ „Na wessen sonst“, sagen sie. Darüber musste ich wohl selbst erst einmal nachdenken. Vielleicht ist niemand schuld, denke ich. Vielleicht wäre das möglich. Aber das konnte ich nicht sagen. Ich erzähle ihnen lieber die Geschichte, die ich mir selbst immer wieder eingeredet hatte. So überzeugt, wie ich von ihr war, müssen sie die einfach glauben. Und das taten sie, also sie glaubten zwar die Geschichte, aber sie folgen ihr nicht, messen ihr keinerlei Bedeutung zu. Sie fingen einfach an, alles einzupacken. Die Bücher, die Teller, die Kissen. Und Ich? Ich sah, wie ich aufstand und ging. Was bleibt mir anderes übrig?
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„Geht es ihnen gut?“, fragte mich der Mann. Ich nickte. „Aber nicht sehr gut, oder?“ Darauf fiel mir zunächst nichts ein - ich zögerte. „Ah, das ist schön, wenn es einem nicht zu gut geht. Menschen, die wahnsinnig werden, sterben oder sich umbringen wollen, denen geht es kurz vorher meistens viel besser als sonst. Richtig beschwingt sind die dann plötzlich, da muss man stutzig werden. Solange sie noch leiden, muss man sich keine Sorgen machen. So lange ist noch alles gut.“ Er lachte. Ich lächelte und nickte, stellte auch ihm die Frage nach seiner Befindlichkeit. Das war nur höflich. „Sehr schlecht!“, rief er und sein Lachen hallte in der Straße wider. „Was wollen sie mir eigentlich verkaufen?“ Nichts, sagte ich, ich sei kein Verkäufer. „Aber was machen sie dann hier?“ Ja, was machte ich hier? Darauf erzählte ich ihm meine Geschichte, versuchte es zumindest. Reihte die Begebenheiten aneinander, wahrscheinlich in chronologischer Abfolge. „Haben Sie eigentlich eine Frau?“ schnitt er mir kalt ins Wort. Diese Frage verstand ich nicht so recht. Pause. „Ich will ihnen einmal eine Geschichte erzählen, die ich so erlebt habe. Eines Tages kommt ein guter Freund zu mir und erzählt mir von einer Reise, die er mal gemacht hat. Markus, sagte er zu mir, das hättest du nicht geglaubt, was die da auf dieser Insel für einen Umstand um die Hochzeit gemacht haben. Eine ganze Woche wurde gefeiert. Zwei große Ochsen haben die geschlachtet, alles voller Blut, die rieben sich sogar damit ein, gegenseitig. Und dann wurde gesoffen, so eine Art, ich weiß gar nicht woraus die diesen Fusel gemacht haben, wahrscheinlich irgendwelches vergorenes Palmobst, mit Zuckerrohr gesüßt, vergoren, knallt! Jedenfalls eine ganze Woche wurde da gefeiert und jeden Tag getanzt. – Das muss man sich mal vorstellen!“ Ich musste es mir vorstellen. „Und wenn man beim Tanzen etwas falsch machte, dann stand gleich die nächste Hochzeit an.“ Sein dumpfes, lautes Lachen zog die Blicke der Leute auf sich. Das war mir unangenehm. Seine rote Nase zuckte. „Riechen sie das auch?“, fragte er. Natürlich, antwortete ich. Er setzte sich und schwieg, schien den Faden verloren zu haben, nachzudenken. Aus Höflichkeit sah ich mich gezwungen, ihm eine Frage zu der Geschichte zu stellen. Ob sein Freund denn auch verheiratet worden sei? „Woher soll ich das wissen?“, antwortete er „ich war ja nicht dabei.“
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Wenn man es könnte, würde man seine Augen nach innen verdrehen, habe ich mir oft gedacht. Aber das war Wunschdenken. Ich bestellte mir erst einmal einen Schnaps. Der Wirt sah mich vorwurfsvoll an. „Und einen Kaffee“, ergänzte ich hastig. Nicken. Wahrscheinlich hätte einen besseren Eindruck machen sollen, dachte ich, murmelte ich vielleicht.
Da saß dieser Mensch vor dem Café, wahrscheinlich ein Mädchen, vielleicht eine Frau. Sie saß da und blinzelte direkt in die Sonne hinein. Ein breites Lächeln. So als wären alle Tage gut, wenn nur die Sonne schiene und so als würde sie nach jedem Regenschauer bald wieder scheinen. Ich fragte sie, ob sie irgendeinen Defekt habe. Dann schlug sie mir ins Gesicht und ging.
Nach einigen Schritten machte sie kehrt und kam zu mir zurück. „Was soll das überhaupt heißen?“, fragte sie. Damit setzte sie sich zurück vor ihren Kaffee. Ich hielt mir das Gesicht. Sie deutete mir, mich zu setzen. Ich zögerte, doch sie beharrte in ihrer Geste. Als ich mich setzte und den Schnaps in meinen Kaffeebecher schüttete, zog ich mir dadurch ihr Missfallen zu, ganz offensichtlich. „Ist es nicht noch etwas früh?“, fragte sie und legte dabei ihre Stirn in vorwurfsvolle Runzeln. Nach einer Weile konnte ich mich noch immer zu keiner klaren Antwort durchringen, redete wohl etwas von Relativität und Schichtarbeitern. Dinge, die man eben zur Sprache bringt, wenn man nicht wirklich etwas zu sagen und keine Uhr bei sich hat. Sie rührte in ihrem Kaffee, die Stirn war nicht weniger runzelig geworden. „Verdient man denn gut, so als Schichtarbeiter?“, fragte sie plötzlich in mein Stammeln hinein.
„Man kann davon leben“, stieß ich hervor. Zwar wusste ich es nicht, aber leben musste man doch davon können, alles andere wäre unlogisch gewesen. Mit der Antwort schien sie zufrieden, zündete sich eine Zigarette an. Sie raucht also. Mein Kaffee war schon fast kalt, als ich daran nippte. Die Leute gingen an uns vorbei, während wir dasaßen und sie betrachteten. „Du solltest dich mehr mit der Realität beschäftigen… Das täte dir gut.“ Damit hatte sie vielleicht Recht. Anerkennend klopfte ich auf den Tisch. „Aber das sagt sich so leicht“ „Alles sagt sich leicht.“ „Ja, aber damit ist ja noch nichts geändert.“ „Aber ein Anfang gemacht.“ „Wenn man so will, ja.“ „Ja, genau.“
Als ich aufschreckte, war neben mir nur noch ein Aschenbecher, ein Zigarettenstummel darin. Ich rieb mir das Gesicht. In der Tür stand der dickbäuchige Wirt und hielt mit der, seinem Beruf eigenen Selbstverständlichkeit ein Tablett, leer, nein, mit der Rechnung darauf. Er schaute mich an, wie es eben nur ein Wirt kann. Mit eindeutiger Geste bedeutete ich ihm, mir noch einmal das gleiche zu bringen. Zurück konnte ich ja nicht.
 



 
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