Geschichten aus der Universalbibliothek von Laßwitz – Rote Lippen

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Mick-Elodeon

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Rote Lippen

Ich sitze in meinem Büro, um mich rum verblassen alle Farben, meine ganze Umgebung erscheint mir in Grautönen. Es ist verrückt, doch weder die Fotos von mir an der Wand, noch mein Computerbildschirm weißt irgendeine Farbe auf. Der Zigarettenrauch schwebt auf halber Höhe durch den Raum und ich sitze mit Hut und Parker bekleidet hinter meinem Schreibtisch, dabei sind es mindestens 32 Grad Celsius in dem Raum. Ich fühle mich wie in einem Humphrey Bogart Film aus den Fünfziger Jahren.

Wie von einer zweiten Person gesprochen, höre ich meine eigene Stimme, nur etwas tiefer und rauer und, na ja, viel cooler. Eine körperlose Stimme, die meine momentanen Gedanken sowie alle Geschehnisse ausspricht. Ein Erzähler. Ich ziehe noch ein Mal genüsslich an meiner Zigarette und lehne mich zurück in meinen Sessel um den Rauch senkrecht nach oben auszupusten. Ein komisches Gefühl zu hören wie jemand, der wie du klingt, alle deine Gedanken ausspricht und das, was gerade passiert haarklein gesprochen wiedergibt. Egal, es gibt Wichtigeres zu tun, es gibt immer Wichtigeres zu tun, nur leider nicht genug Zeit. Oder genügend Zeit schon, doch wird diese verschwendet. Ich müsste meine Steuererklärung machen, doch lausche lieber meinen Gedanken. Ich brauche 55 Minuten zu meiner Arbeit, ebenfalls verschwendete Zeit. Ich schlafe gerne 8 Stunden am Tag, der Körper hingegen benötigt nur 6 Stunden, wieder geht Zeit verloren. Ich drücke meine Zigarette halb aufgeraucht aus und greife mit der anderen Hand nach der Schachtel um die nächste anzuzünden, auch Verschwendung. Der Aschenbecher quillt über, doch ich höre nicht auf. Durch das Fenster fallen die letzten Sonnenstrahlen des Tages direkt auf meinen Schreibtisch, ein Schauspiel, welches den baldigen Feierabend ankündigt. Den Feierabend eines ereignislosen Tages. Wieder ein mal.

Löst man das „sch“ aus Verschwendung, ergibt das das Wort Verwendung, komischer Zufall? Drei kleine, scheinbar unbedeutende Buchstaben werden entfernt, gerade 23,08 Prozent des gesamten Wortes und wir haben eine gegenteilige Bedeutung. 23,08 Prozent! Zufall das wir hier die Zahl 23 wiederfinden? Will man da schon an Verschwörungstheorien denken? Sicher nicht, manch einer denkt es handelt sich nur um eine Laune des Schicksals, aber die Quersumme der Zahl 23,08 ist 13. 13 ist nicht nur genauso sagenumwoben wie die Zahl 23, das Wort Verschwendung setzt sich genau 13 Buchstaben zusammen. Verrückt, nicht wahr? Rationalisiert man das „Ver“ aus Verwendung, ergibt sich das Wort Wendung. Wendung beschreibt doch genau die Änderung der Bedeutung der ersten Wortverstümmelung Verschwendung zu Verwendung. Weiterhin ein Zufall oder steckt doch mehr dahinter? Wer hat das Wort Verschwendung erfunden? Die Freimaurer? Welche Mächte sind hier Werke? Ich asche ab, doch schafft der längst überfüllte Aschenbecher es nicht, alles bei sich zu behalten. Führt man dieses Wortgemetzel fort, und entledigt sich nun dem „Wen“ aus Wendung, bleibt uns nur noch Dung, ein geradezu prädestiniertes Ergebnis dieses Gedankenganges, mehr auch nicht.

Rote Lippen 1

Es klopft. Durch die Milchglasscheibe, auf der mein Name in großen schwarzen Buchstaben abgebildet ist, erkenne ich die Silhouette einer Frau. Ich bitte um Eintritt. Die Tür öffnet sich und eine attraktive, schlanke Dame steht vor meinem Schreibtisch. Ihre langen, dunklen Haare umranden ihr atemberaubend schönes Gesicht. Sie trägt ein langes schwarzes Kleid, welches ihre unglaubliche Figur betont sowie einen weit ausladenden Hut mit schwarzem Schleier, welcher ihr Gesicht zum Teil verdeckt. Sie ist ungefähr 168 Zentimeter groß und mir fällt sofort ihr knallroter Lippenstift auf. Komisch alles andere ist immer noch in langweiligen Grautönen gehalten nur ihre Lippen nicht. Meine Güte dieses Rot, dieses sinnliche, anziehende Rot. Schlagartig denke ich an die Stimme, die in diesem Raum meine Gedanken ausspricht. Ich hoffe ich bin verrückt genug, dass nur ich sie höre. Sie lässt sich nichts anmerken, vielleicht habe ich Glück. Ich mache meine Zigarette aus, um mir die nächste anzumachen. Mittlerweile befindet sich so viel Qualm in diesem Raum, dass es hier aussieht wie in London zur Morgendämmerung, wenn der Nebel über die Straßen kriecht, wie Gespenster die nach durchgezechter Nacht lautlos in Ihre Gruften schleichen, bevor sie von der gerade aufwachenden, lebenden Bevölkerung entdeckt werden und dann das große Geheimnis von übernatürlichen Gestalten gelüftet wäre. Tse, das einzige was hier gelüftet werden sollte, ist dieser Raum.
Die Unbekannte tritt an meinen Schreibtisch und stützt sich mit beiden Händen drauf ab. Provokant spielt sie mit ihren Reizen, denn durch diese Haltung gewährt sie mir leichten Einblick in ihr Dekolleté, doch ich lasse mich nicht beirren und starre weiter auf ihren Mund und ziehe genüsslich an meiner Zigarette. Ich merke sofort das es zwischen uns so laut knistert, wie bei einem Brand in einem Weihnachtsbaumlager. Was kann sie nur wollen? Und warum kommt sie mir so bekannt vor?

„Sind sie Mick Elodeon? „, haucht sie zart mir entgegen.

„Die großen Buchstaben an der Tür, die sie gerade durchschritten haben lassen stark vermuten dass sie gefunden haben wonach sie suchten.“, anrworte ich so kühl, dass ihr umgehend ein kalter Schauer über den Rücken läuft.

„Eher hoffe ich, das Sie“, ich muss kaum betonen, wie scharf sie das Wort ’sie‘ betont, “ finden wonach ich suche.“ Das ewige Spiel der Macht. Sie greift nach meiner Zigarette, die lose in meinem Mundwinkel hängt, zieht mit geschlossenen Augen daran, pustet den Rauch in Richtung Sonne und drückt sie dann in dem Aschenbecher aus. Ich wette sie hatte vor kurzem mit dieser Last aufgehört und genoss diesen Zug als wäre es, wie so oft, ihr erster und letzter.

„Lassen wir die Spielchen. Ich brauche ihre Hilfe, sie sollen der Beste auf dem Gebiet sein.“ Sie wirkt so abgebrüht, das ich denke, ich bin für auf und ab und weniger Bau echt zu alt.

„Ja, ich bin der Beste in dem was ich tue, doch weiß ich nicht, ob es das ist, wonach sie suchen.“, sage ich und zünde mir die nächste Zigarette an. „Wobei genau soll ich Ihnen helfen, Lady?“, frage ich sie.

Sie beugt sich weiter über meinen Tisch mir entgegen. Der Duft ihres Pafums verdrengt den Geruch des kalten Zigaerttenrauches und betört mich leicht. Und da wieder diese roten Lippen. Mir fällt es zunehmend schwerer mich zu konzentrieren und langsam beschleicht mich das Gefühl, diese eiskalte Lady will dieses auch bezwecken.

„Mich beschäftigt seit geraumer Zeit die eine Frage, dessen Antwort ich nicht zu erlangen vermag.“ Ich halte den Atem an, da diese Worte mir so zart zugehaucht werden, das jeder noch so kleine Windstoß die Wörter hätten entfliehen lassen. Ich merke wie sie die Oberhand in unserem kleinen Spiel erlangt. Ich bin jedoch zu stolz, um mich darauf einzulassen. Es ist mein Büro, mein Territorium, mein Spiel. Also drehe ich mich weg und schaue der untergehenden Sonne nach. So sehr mich ihre roten Lippen in den Bann ziehen, so sehr mich die Aussicht auf einen neuen Fall erregt, so sehr fühle ich mich am meisten von der Art, wie sie es liebt das Spiel zu kontrollieren angezogen.

„Dann stellen Sie ihre Frage Lady, oder verschwenden nicht weiter meine Zeit.“ Nicht eine Sekunde, seit dem sie diesen Raum betreten hat, ist verschwendet gewesen, im Gegenteil. Diese Frau weiß, wie sie den Gegenüber für sich einnimmt. Das weiß ich, das weiß sie, und doch gehört es einfach dazu es auszusprechen. Das ist das Gesetz des Spieles.

„Finden Sie für mich die Universalbibliothek die Kurt Laßwitz in seiner Geschichte beschrieben hat.“ Schweigen. Wir schweigen ganze 3 Minuten. In dieser Zeit habe ich eine weitere Zigarette angezündet und beinahe aufgeraucht. Ich blicke noch immer aus dem Fenster. Die Jalousien, lassen nur Lichtstreifen durch. Ich überlege. Ich kenne die Antwort, doch würde ich diese umgehend äußern, würde sie denken, ich halte sie für verrückt.

„Die Bibliothek zu finden ist nicht möglich.“, antworte ich letztendlich und puste weiß blauen Rauch aus.

„Man sagte mir sie finden alles, ich habe mich wohl getäuscht und werde das Bild, dass die Menschen von Ihnen haben revidieren müssen.“, man spührt fast körperlich ihre Enttäuschung und gleichzeitig ihre Wut. Ich muss ihre letzte Chance sein, wie traurig, dass ich der letzter Anker sein soll bevor ihr Traum gänzlich im Bermuda Dreieck der versiegenden Hoffnungen verloren geht.

„Diese Bilbliothek lässt sich nicht so einfach finden, falsch, sie lässt sich gar nicht finden, da sie nicht gefunden werden will, beziehungsweise nicht gefunden werden darf. Wenn Sie schon von der Uniersalbibliothek wissen, sollte ihnen auch dieser Fakt bekannt sein.“, zerstöre ich weiter ihre Hoffnung. „Weiterhin ist die Existenz dieser nicht bewiesen.“

Entmutigt sackt sie zurück in den brauen, abgewetzten Ledersessel. Nun verblasst auch langsam das Rot ihrer Lippen. Diese unglaublichen LIppen, gehen in das Grau in Grau der ganzen Szenerie über. Wie kommt sie auch nur auf diese fixe Idee, diese Bibliothek ausfindig machen zu können. Diese Bibliothek ist nur ein Idee, ein Gedankenexperiment. Es haben sich immer wieder Verrückte zu Wort gemeldet, die meinten das es die von Laßwitz erwähnte Bibliothek wirklich geben soll, doch wie auch Herr Laßwitz selbst beschrieben hat, der Umfang dieser wäre kaum messbar. Die Idee der Bibliothek ist so einfach wie genial. Jedes Buch umfasst 500 Seiten á 40 Zeilen mit je 50 Zeichen, einberechnet Punktion etc. Der Inhalt dieser Bücher folgt einer einfachen und logischen Abfolge, heißt das erste Buch enthält nur leere Seiten, keine Zeichen, rein gar nichts. Das zweite Buch hat auf der ersten Seite an der ersten Stelle der ersten Zeile ein ‚a‘, alles weitere weiterhin unbeschrieben. Buch Nummer drei ersetzt nun das ‚a‘ durch ein ‚b‘. Und dieses Spiel wird immer so fort geführt, bis dann das zweite Zeichen der ersten Zeile auf der ersten Seite ein Zeichen erhält und man so alle erdenklichen Möglichkeiten durchspielt. Bis nach X Büchern das erste Wort entsteht. Man findet als erstes Wort dann ‚Aachen‘ allein stehend in einem Buche. Im nächsten Buch finden wir dann das Wort ‚Aacheo‘. Und so weiter, bis der erste Satz, die erste gefüllte Seite erkennbar ist. Die Bibliothek umfasst also schwer vorstellbar viele Bücher, aber in eine endlichen Zahl.

„Ich suche nur das eine Buch“, haucht die schöne unbekannte wieder so zart, dass ich es nicht wage, auch nur einen Dezibel lauter zu antworten.

„Welches Buch suchen sie, Lady?“

„Ich suche meine Geschichte, ich suche das Buch, dass mein Leben in sich trägt. Ich möchte nur wissen was geschah und was geschehen wird und was ich als nächstes zu tun habe.“ Sie wirft die Hände vors Gesicht und beginnt leise, aber voller schwermut zu weinen.

Die Universalbibliothek beherbergt all unsere Geschichten. Sie umfasst alles Wissen, aber auch alle Lügen und Fälschungen, alle Hirngespinnste und Verrücktheiten, wiederum auch alle Wahrheiten. Sie sagt die Zukunft voraus und spiegelt die Vergangenheit wider. Kurz gesagt, sie umfasst alles, da alle Möglichkeiten durchgespielt werden. In der Universalbibliothek findet man sogar die Geschichte unserer Welt, wenn auch nicht alles auf Grund der beschränkten Seitenanzahl in einem Buch, doch gibt es in den Räumlichkeit irgendwo die Fortsetzung des ersten Teils und so weiter. Es werden alle Möglichkeiten ganz systematisch abgedruckt. Irgendwo in dieser Bibliothek findet sich auch diese Geschichte wieder, noch bevor ich sie erzählen kann.

„Die Bibliothek würde ihnen nichts nützen Lady, das wäre verschwendete Zeit, sie würden niemals erkennen könne, welches Buch ihre wahre Geschichte beinhaltet. Welches Buch ihre wirkliche Zukunft darlegt, woher sollten sie das auch wissen? Selbst die hier gesprochenen Zeilen, werden in dieser Bibliothek zu finden sein.“, sage ich in ruhigem Ton der unbekannten Schönheit. „Doch sie wissen nicht, was wahr und was gelogen ist, oder eher, was zutreffen wird und was nie geschehen kann. Außerdem, sind wir doch mal ehrlich, diese Bibliothek kann nicht existieren. Wie in der Geschichte von Laßwitz zu lesen, würde es nicht genug Platz für all die Bücher geben.“ Der letzte Sonnenstrahl der durch das Fenster den Raum noch ein wenig erhellte erlischt in diesem Augenblick und ich knipse die Schreibtischlampe an. Wäre nicht alles grau in grau, würde man sehen, wie das warme Licht den alten Schreibtisch zur Geltung bringt.

„Es gibt nur einen Ort, an dem wir die Wegbeschreibung finden werden um die Bibliothek zu finden.“, sagt die aufreizende Lady. Aber statt einen hoffnungsvollen, wirft sie mir einen verzweifelnden und resignierenden Blick zu.

„Sie meine, wir werden diese Wegbeschreibung nur in der besagten Universalbibliothek finden?“, vervollständige ich ihren Gedanken. Sie nickt kurz und steht auf. Auch ich erhebe mich, auch wenn dieses nicht annähernd so grazil wirkt wie bei meiner Besucherin, sondern eher tollpatschig wie ein Hundebaby. Unbeholfen versuche ich so einen Funken Anstand ihr gegenüber zu bringen. Sie haucht mir einen kurzen Kuss auf die rechte Wange und verlässt mein Büro. Kurz bevor Sie Tür schließt, dreht sie sich noch ein Mal um und blickt zurück. Ich sehe wie eine kleine Träne über ihre Wange rollen, nein die Träne gleitet über ihre glatte Haut. Ihre Haut ist nicht einfach nur glatt, nein sie schein teflonbeschichtet, welche ein GEhk fejkjsä…HFUJii jskKartoffffffel



Ich schließe das Buch mit dem Titel „Rote Lippen“ und packe es zurück in das Regal. Eine nette Geschichte, aber noch nicht das, was ich gesucht habe. Wie man am Ende der Geschichte erkennen kann, ist das Buch nicht vollendet. Ich setzt mich in meinen Golfwagen und fahre an den endlos erscheinenden Bücherregealen Richtung Ausgang. Stelle das Gefährt wie gewohnt ab, schalte das Licht aus und schließe die Tür fachgerecht hinter mir zu. Über der Tür prangt ein kleines Schild „Universalbibliothek“.

Ich werde nach Hause gehen. Ich werde das perfekte Rhmyebuch hier nie finden können. Verschwendung. Und doch habe ich das Gefühl, dass der heutige Tag in dieser Bibliothek unvergessen bleibt, welch eine Wendung.

Es grüßt

Mick Elodeon

[Anmerkung | Link zur Kurzgeschichte ‚Die Universalbibliothek“ von Kurt Laßwitz] http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-universalbibliothek-3130/1
 



 
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