Geschichten der Wälder Das rote Hexenherz

Geschichten der Wälder
Das rote Hexenherz


Sie weinte. Weinte und schluchzte. Eigentlich weinte sie nie. Genau aus dem Grund war sie von den anderen ausgegrenzt worden. Sie mochten eben keine Hexe, die nicht durch und durch bösartig war. Um zur Sippe zu gehören, musste sie durchtrieben und hinterlistig sein. Das schlimmste für sie aber waren die Kinder. Sie brachte es einfach nicht übers Herz sie zu kidnappen, in ihre kleine Höhle zu schleifen und dann zu verspeisen. Bis jetzt hatte sie sich von Wild und Wurzeln ernährt. Die Hexe Miriam war nicht gut. Jedenfalls dachte sie das. Sie war schlau und gemein. Aber auf eine ganz andere Art als ihre Schwestern. Alle Hexen ihres Clans waren in der Hierarchie weit aufgestiegen. Sie hatten alles was eine Hexe brauchte. Macht, Stärke und ein schwarzes Herz. Über die Farbe ihres Herzens war sie sich nicht ganz klar, aber sie glaubte fest daran, dass es ebenfalls rabenschwarz war. Während ihre älteste Schwester nun mehr seit drei Jahren die Oberhexe war, kroch Miriam noch als Sammler durch Schlamm und Matsch. Ihre Aufgabe war es Zutaten für Tränke und Rituale zu besorgen, die sie dann an die reicheren Hexen verkaufen konnte. Nun kam der Tag an dem die Oberhexe ihrer Schwester befahl sich zu beweisen. Unter ihrer Aufsicht sollte sie ein Kind finden und verspeisen.

Eines Tages war Miriam gerade dabei, unter Aufsicht ihrer Schwester, Sumpffrösche zu fangen, als ihr helles Kinderlachen an die Ohren drang. Die Hexen konzentrierten sich und schwebten dann Dank ihrer magischen Kraft in die Richtung aus der sie das Kind gehört hatten. Zwischen den Bäumen sass an einem kleinen Bach ein Mädchen, pflückte Blumen und sang munter ein Lied. Miriam schätze das Mädchen auf etwa neun Jahre. Langsam schwebte sie auf den Bach zu. Das Mädchen war von der fliegenden Hexe völlig unbeeindruckt. Miriam zögerte. Ihre Schwester gab ihr zu verstehen das Kind zu betäuben. Sie hatte blonde Haare und wunderschöne blaue Augen. Mit einem Lächeln, das Miriams Herz zum Schmelzen brachte, reichte das Kind ihr eine Blume. Die Hexe lächelte ihrerseits, vergass dann aber ihre törichten Gedanken. Sie sah betroffen zu Boden und holte einen faustgrossen Stein aus ihrer Rocktasche. Im Steine werfen waren Hexen wahre Meister. Miriam schleuderte den Stein auf das Mädchen. Ohne die Bewegung der Hexe auch nur zu erahnen, traf der Stein das Mädchen, das sogleich zu Boden sackte. Triumphierend schwebte Miriam zu dem Mädchen und verschleppte es in ihre Höhle. Dort fesselte sie den kleinen Menschen mit einem Zauber an einen Pfahl und wartete. Nach zehn Minuten kam das Mädchen wieder zu sich. Sie sah der Hexe direkt ins Gesicht. Obwohl Miriam ohnehin nicht besonders menschlich aussah, legte sie einen Zauber über ihr Gesicht, das nun an einigen Stellen bröckelte. Die Nase bog sich schief und ihre Augen glommen in einem intensiven Gelbton. Das Mädchen schien gänzlich unbeeindruckt.
„Wer bist denn du?“, fragte es.
Miriam konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Die Stimme des Mädchen hatte noch nicht einmal gezittert, nein sie klang sogar recht freundlich.
„Ich bin Miriam. Schwester der Oberhexe und dein Tod.“, sagte sie mit tiefer, bebender Stimme. Ihre Schwester, die einige Schritte hinter ihr stand grinste ihr viel versprechend zu, als sie sich zu ihr umsah.
„Eine Hexe? Ich wollte schon immer eine Hexe treffen.“
Die Hexe verzweifelte. Unter den dummen, ängstlichen hunderten von Kindern, die trotz der Geschichten wagten den Wald zu betreten, hatte gerade sie ein Mädchen erwischt, das offenkundig zu naiv war um Angst zu empfinden.
„Wieso kann ich mich nicht bewegen?“
„Na weil du meine Gefangene bist und ich dich mit Magie gefesselt habe. Ich werde dich fressen!“, erwiderte Miriam und setzte ihr schrecklichstes Grinsen auf, das sie zu bieten hatte.
„Das glaube ich gar nicht.“, sagte das Mädchen.
Das Grinsen wich abrupt einer fassungslosen Fratze. Miriam gab auf. Ihr Gesicht verwandelte sich wieder zurück. Wenn sie das Kind schon nicht verängstigen konnte, so würde sie es einfach gleich töten müssen. Aus einem Schrank, der bis zur Höhlendecke reichte, zog sie ein langes unebenes Messer, das sie aus einem Hirschknochen geschliffen hatte. Dann kehrte sie zum Mädchen zurück, ihr Arm schnellte vor und kam kurz vor dem Mädchen zum Stehen. Sie versuchte es gleich nochmal. Und noch einmal. Aber sie hatte keine Wahl. Irgendetwas in ihr wagte es nicht den kleinen Menschen zu töten.
„Du willst mich nicht töten.“
Miriams Stirn bildete Zornesfalten. Sie spuckte aus.
„Wie kannst du dir da so sicher sein?“
„Ich sehe es in deinen Augen. Du bist nicht böse.“
Miriam verzog angewidert das Gesicht. Aber die kleine hatte Recht. Sie musste sich damit abfinden, dass sie niemals wie die anderen Hexen sein konnte.
Miriam hatte eben beschlossen das Mädchen wieder gehen zu lassen, als ihre Schwester ihr einen befehlenden Blick entgegen warf. Sie schluckte schwer.
„Oh Miriam. Meine kleine Schwester hat ein Menschlein gefangen. Und jetzt bringst du es auch zu ende!“, sagte die Hexe ironisch.
„Bring es zu ENDE?“, gackerte sie und deutete auf das Messer, das Miriam noch immer in der Hand hielt.
„Nur zu. Ich überlasse dir den ersten Stich. Meinetwegen kannst du auch ihr Blut haben, aber die Augen, die bekomme ich!“
Gierig starrte sie auf die blauen Augen des Mädchens. Miriam blickte zu dem Kind. Das sah jetzt alles andere als zuversichtlich aus und sie blickte besorgt zu der Oberhexe. Selbst Miriam hatte ein kalter Schauer gepackt, als ihre Schwester da so in ihrer Höhle stand. Wie musste sich diese kalte Aura dann erst für das Mädchen anfühlen. Die Oberhexe wurde ungeduldig.
„Worauf wartest du? TU ES!“, zischte sie.
Miriam faste einen Entschluss. Nie würde sie ein Kind töten. Warum nicht? Weil es nicht nötig war.
Entschlossen wandte sie sich zu ihrer Schwester.
„Nein! Ich werde sie laufen lassen.“
Die Oberhexe lachte.
„Bring sie um!“
„Ich sagte nein!“
„Wenn du sie nicht tötest, dann werde ich es tun. Sie stirbt also so oder so!“
„In meiner Höhle wird nie ein Mensch sterben!“, Miriam wusste selbst nicht woher sie ihren Mut nahm.
Die Oberhexe grinste bedrohlich und liess ihre reptilienartige Zunge zwischen den Lippen hervor schnellen. Die nächsten Sekunden kamen Miriam wie eine Ewigkeit vor. Die beiden Hexen sahen sich herausfordernd an. Plötzlich machte die Oberhexe einen Satz auf das Mädchen zu, doch Miriam warf sich ihr in den Weg. Sie keuchte. Das Messer war bis zum Schaft in der Brust der Oberhexe verschwunden. Schwarzes dickflüssiges Blut sickerte aus der Wunde. Das Mädchen schrie auf.
„Ich bin...die Oberhexe...wie kannst...du es wagen?“, stotternd sprach sie ihre letzten Worte.
„Du hast...hast mich verraten...aber ich gehe nicht alleine!“
Mit unglaublicher Schnelligkeit stiess die Oberhexe ihre Klaue in die Brust ihrer Schwester und riss ihr das Herz heraus. Zeitgleich sackten beide zu Boden.

Mit dem Tod von Miriam fiel der Bann von dem kleinen Mädchen, das sofort zu dem schlaffen Körper stürzte. Aber die Hexe war Tod. Eine Träne lief über die Wange des Mädchens. Sie sah zu der toten Oberhexe. Sie fing an zu schluchzen. In der Hand der Hexe lag ein rotes Herz. Es war nicht schwarz, so wie das Herz der anderen Hexen. Nein. Es war rot. Wie das Herz eines Menschen.
 
Eine schöne Geschichte die zeigt, dass wir trotz der Gesellschaft, in der wir leben (und die uns formt), nicht alle gleich seine müssen.

Herzliche Grüße
Drachenprinzessin
 
@Drachenprinzessin
danke für den Kommentar, ich bin sehr an dem Thema Gesellschaft und Normen interessiert und setzte dieses gerne in Geschichten ein.
 



 
Oben Unten