Geschwindigkeit

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brndmtzk

Mitglied
Kurze Vorabbemerkung: Nachfolgende Geschichte habe ich zusammen mit einer anderen vor einigen Jahren für einen Wettbewerb einer Uhrenfirma geschrieben. Vorgabe waren die Themen Präzision und Geschwindigkeit. Vor Kurzem habe ich sie wieder entdeckt. Leicht überarbeitet möchte ich sie hier vorstellen.

Geschwindigkeit

Schwer atmend stehe ich am Wartehäuschen. Es war heute nicht mein Tag. Sonst bin ich schneller. Aber verpasst haben ich den Zug noch nie. Obwohl, heute war es knapp.
Am Ende des Bahnsteigs stehen zwei mit Fotoapparaten behängte Asiaten. Sie sahen mich etwas verwundert an als ich auf den Bahnsteig stürmte. Doch als sich der Zug nähert wenden sie sich von mir ab und bringen ihre Kameras in Position.
Zischend und mit kreischenden Bremsen rollt die alte Dampflok an mir vorbei. Der letzte Wagen kommt direkt vor mir zum stehen. Es sind nur wenige Plätze belegt. Urlauber, Wanderer. Kaum jemand anderes fährt mit diesem Zug. Ich bin eine der wenigen Ausnahmen. Doch ich bleibe draußen, auf der hinteren Plattform. Der Blick zurück gehört zum Ritual, mit dem ich die Woche hinter mir lasse.
Mit einem kurzen, gellenden Pfiff des Zugführers geht es weiter. Der Zug rumpelt über die Weiche am Viadukt und gewinnt an Fahrt. Die Wagen schaukeln auf dem schmalen Gleis hin und her. Ich muss mich festhalten.
Der Weg, den ich vor wenigen Minuten noch gelaufen bin, gleitet an mir vorbei, mal rechts, mal links. Ich könnte ihn mit geschlossenen Augen beschreiben. Mein Blick bleibt trotzdem aufmerksam.
Ein Sonnenstrahl drängt sich durch eine Lücke zwischen den Bäumen. Er reißt einen Kilometerstein aus dem Dämmerlicht. Eine spontane Eingebung überkommt mich, ich drücke die Start-Taste meiner Uhr. Dann zähle ich die weißen Steinquader mit den schwarzen Ziffern. Fünf für einen Kilometer. So ist das bei der Eisenbahn. Noch ein Druck, der Zeiger stoppt. Eine Skale außen an der Uhr soll die Geschwindigkeit zeigen. 130 Stundenkilometer? Schmunzelnd stelle ich den Zeiger auf Null. Hat der Zeiger das Ziffernblatt zwei mal umrundet? Oder sogar drei mal?
Die alte Lok und meine Uhr, sie harmonieren wohl nicht so recht miteinander. Obwohl sie ihre Wurzeln in der selben Epoche haben. Ich werde trotzdem ankommen, nur das zählt.
Und die Geschwindigkeit? Egal!
 

Wipfel

Mitglied
Hi brndmtzk, gereist ist dein Prot mit einer schnaufenden Kleinbahn? Dein Vortext erklärt das Anliegen, doch irgendwie klingt alles zu bemüht. An den Haaren herbeigezogen wäre zu arg. Der Fahrplan und die Uhr haben mehr Gemeinsamkeiten - und ein auf freier Strecke aus-/einsteigender Gast wäre soetwas wie ein Kontrapunkt...

Grüße von wipfel
 

brndmtzk

Mitglied
Hallo,
erst mal danke für den Kommentar. Die Geschichte entstand nun mal im Rahmen eines Wettbewerbs, Vorgabe war unter anderem das Thema Geschwindigkeit. Zuerst entstand die Geschichte zum Thema Präzision. Dabei kam mir dann die Idee für das zweite Thema. Das ein Zug eine Rolle spielt ist eher Zufall. Und ganz insgeheim wollte ich unterschwellig ein wenig Kritik an der Unart üben, mechanische Uhren durch allen möglichen unnötigen Schnickschnack immer teurer zu machen.
 

anbas

Mitglied
Hallo brndmtzk,

mir gefällt die Geschichte - aber bitte lass die Erklärung am Anfang weg. Der Text muss auch ohne sie funktionieren - und das tut er meiner Meinung nach auch. Erklärungen, Erläuterungen usw. (zer)stören eher das Gesamtbild.

Für mich handelt es sich um eine stimmungsvolle Momentaufnahme.

Ansonsten gibt es nur ein paar Kleinigkeiten, die ich anmerken möchte:


Schwer atmend stehe ich am Wartehäuschen. Es war heute nicht mein Tag. Sonst bin ich schneller. Aber verpasst habe[red][strike]n[/strike][/red] ich den Zug noch nie. [blue]Obwohl, heute war es knapp.[/blue] (Zu sehr Umgangssprache. Vorschlag: [blue]Doch heute war es knapp[/blue])
(...)
Noch ein Druck, der Zeiger stoppt. Eine Skal[red][strike]e[/strike]a[/red] außen an der Uhr soll die Geschwindigkeit zeigen.
Liebe Grüße

Andreas
 
A

aligaga

Gast
Das G'schichterl, das sich ein bisschen liest wie ein Mittelschulaufsatz, hat garantiert bei dem Wettbewerb keinen Blumentopf gewonnen, denn es verfehlt gleich zweifach das Thema.

Zum einen: Geschwindigkeit ist ein vollständig wertfreier Begriff - sie kann fast null oder schnell wie der Blitz sein. Ein mechanischer Chromometer, auch ein altmodischer, könnte bei richtiger Handhabung beides messen. Er passt also sehr wohl zu einer "langsamen" Dampflokomotive.

Zum anderen: Das "Schmunzeln" des lührischen Ichs am Ende der Story wird zum Schmunzeln des Lesers, der feststellt, dass der Lühriker zwar eine - wohl ziemlich teure - Präzisionsuhr am Arm trägt, sie aber nicht ablesen kann: Der äußere Ring zeigt im Verein mit dem großen Stoppzeiger die Geschwindigkeit direkt nur für die erste Minute an. Ist das Fahrzeug langsamer als 60 km/h, muss interpoliert werden. Dazu dienen die inneren, kleinen Zifferblätter, die für die Minuten (meist 30) und die Stunden (meist 12) eingerichtet sind. Der Uhrenbesitzer kann daher vor allem langsame Tempi recht genau bestimmen.

Heute braucht man nicht mehr soviel Grips - die digitale GPS-Uhr sagt einem nicht nur direkt, wie schnell oder wie langsam der Zug fährt, sondern auch wo und in welcher Höhe.

Schade, dass der Autor nicht erkannt hat, dass sowohl eine analoge Uhr als auch eine dampfgetriebene Eisenbahn Maschinen sind, deren Wertigkeiten nur von Menschen erkannt und geschätzt werden können, die mehr als einen flüchtigen Blick auf sie haben. Auch wenn viele meinen, Schnelligkeit sei das A und O unserer Zeit - die Präzision ist das ungleich Wertvollere. Auf die ist immer Verlass. Mit der gewinnt man Uhrenfirmen-Wettbewerbe, nicht aber mit der atemberaubenden Geschwindigkeit eines D-Zuges.

Heiter immer weiter

aligaga
 

Willibald

Mitglied
Geschwindigkeit und Schnelligkeit

Adalbert VON CHAMISSO dichtet:

Mein Dampfroß, Muster der Schnelligkeit,
Läßt hinter sich die laufende Zeit,
Und nimmt's zur Stunde nach Westen den Lauf,
Kommt's gestern von Osten schon wieder herauf..
http://gutenberg.spiegel.de/buch/gedichte-9564/36

Mit den neuen technischen Verkehrsmitteln – das ist dem Briten Phileas Fogg eine Wette wert – ist eine Weltumrundung in sekundengenau berechneten 80 Tagen möglich (Jules VERNE: ‹Le Tour du monde en quatrevingts jours›, 1873).

Und Friedrich NIETZSCHE bringt den Gegenbegriff ins Spiel, er nennt ihn metaphorisch den "langsamen Pfeil der Schönheit".
 
A

aligaga

Gast
Was die Romantiker danebengedichtelt und in Herrn Vernes Werken alles falsch geschrieben steht, sollte bei einer Schulaufgabe über
die Themen Präzision und Geschwindigkeit
kine Rolle spielen. Wer meint,
die alte Lok und meine Uhr, sie harmonieren wohl nicht so recht miteinander,
weiß ganz offenbar mit den komplizierten Räderwerken der beiden Maschinen nichts rechtes anzufangen.

Wer ein wenig begabt ist genau genug hinhört, erkennt den Rhythmus auch eines langsamen Sinfoniesatzes. Bei dem kommt's genauso auf jede Sekunde an wie im schnellen Kurzprosastückerl. Wie gut, wenn man da nicht nur eine innere Präzisionsuhr dabeihat, sondern sie auch ablesen kann. Da ließe sich so mancher Preis gewinnen!

Amüsiert

aligaga
 

brndmtzk

Mitglied
Geschwindigkeit

Schwer atmend stehe ich am Wartehäuschen. Es war heute nicht mein Tag. Sonst bin ich schneller. Aber verpasst habe ich den Zug noch nie. Obwohl, heute war es knapp.
Am Ende des Bahnsteigs stehen zwei mit Fotoapparaten behängte Asiaten. Sie sahen mich etwas verwundert an als ich auf den Bahnsteig stürmte. Doch als sich der Zug nähert wenden sie sich von mir ab und bringen ihre Kameras in Position.
Zischend und mit kreischenden Bremsen rollt die alte Dampflok an mir vorbei. Der letzte Wagen kommt direkt vor mir zum stehen. Es sind nur wenige Plätze belegt. Urlauber, Wanderer. Kaum jemand anderes fährt mit diesem Zug. Ich bin eine der wenigen Ausnahmen. Doch ich bleibe draußen, auf der hinteren Plattform. Der Blick zurück gehört zum Ritual, mit dem ich die Woche hinter mir lasse.
Mit einem kurzen, gellenden Pfiff des Zugführers geht es weiter. Der Zug rumpelt über die Weiche am Viadukt und gewinnt an Fahrt. Die Wagen schaukeln auf dem schmalen Gleis hin und her. Ich muss mich festhalten.
Der Weg, den ich vor wenigen Minuten noch gelaufen bin, gleitet an mir vorbei, mal rechts, mal links. Ich könnte ihn mit geschlossenen Augen beschreiben. Mein Blick bleibt trotzdem aufmerksam.
Ein Sonnenstrahl drängt sich durch eine Lücke zwischen den Bäumen. Er reißt einen Kilometerstein aus dem Dämmerlicht. Eine spontane Eingebung überkommt mich, ich drücke die Start-Taste meiner Uhr. Dann zähle ich die weißen Steinquader mit den schwarzen Ziffern. Fünf für einen Kilometer. So ist das bei der Eisenbahn. Noch ein Druck, der Zeiger stoppt. Eine Skala außen an der Uhr soll die Geschwindigkeit zeigen. 130 Stundenkilometer? Schmunzelnd stelle ich den Zeiger auf Null. Hat der Zeiger das Ziffernblatt zwei mal umrundet? Oder sogar drei mal?
Die alte Lok und meine Uhr, sie harmonieren wohl nicht so recht miteinander. Obwohl sie ihre Wurzeln in der selben Epoche haben. Ich werde trotzdem ankommen, nur das zählt.
Und die Geschwindigkeit? Egal!
 

brndmtzk

Mitglied
Hallo Andreas (anbas)

Danke für den Kommentar.
Die beiden Tippfehler habe ich korrigiert. Den "umgangssprachlichen" Satz möchte ich aber so belassen. Ich finde dass Texte, vor allem wenn es um die Wiedergabe von Gedanken oder gar wörtliche Rede geht schnell steril wirken können wenn man das umgangssprachliche Weg lässt.
 

brndmtzk

Mitglied
Geschwindigkeit

Schwer atmend stehe ich am Wartehäuschen. Es war heute nicht mein Tag. Sonst bin ich schneller. Aber verpasst habe ich den Zug noch nie. Obwohl, heute war es knapp.
Am Ende des Bahnsteigs stehen zwei mit Fotoapparaten behängte Asiaten. Als ich auf den Bahnsteig stürmte sahen sie mich etwas verwundert an. Doch der Zug näherte sich und sie wandten sich, ihre Kameras in Position bringend, von mir ab.
Zischend und mit kreischenden Bremsen rollt die alte Dampflok an mir vorbei. Der letzte Wagen kommt direkt vor mir zum stehen. Es sind nur wenige Plätze belegt. Urlauber, Wanderer. Kaum jemand anderes fährt mit diesem Zug. Ich bin eine der wenigen Ausnahmen. Doch ich bleibe draußen, auf der hinteren Plattform. Der Blick zurück gehört zum Ritual, mit dem ich die Woche hinter mir lasse.
Mit einem kurzen, gellenden Pfiff des Zugführers geht es weiter. Der Zug rumpelt über die Weiche am Viadukt und gewinnt an Fahrt. Ich muss mich festhalten, die Wagen schaukeln auf dem schmalen Gleis hin und her.
Der Weg, den ich vor wenigen Minuten noch gelaufen bin, gleitet an mir vorbei, mal rechts, mal links. Ich könnte ihn mit geschlossenen Augen beschreiben. Mein Blick bleibt trotzdem aufmerksam.
Ein Sonnenstrahl drängt sich durch eine Lücke zwischen den Bäumen. Er reißt einen Kilometerstein aus dem Dämmerlicht. Eine spontane Eingebung überkommt mich, ich drücke die Start-Taste meiner Uhr. Dann zähle ich die weißen Steinquader mit den schwarzen Ziffern. Fünf für einen Kilometer. So ist das bei der Eisenbahn. Noch ein Druck, der Zeiger stoppt. Eine Skala außen an der Uhr soll die Geschwindigkeit zeigen. 130 Stundenkilometer? Schmunzelnd stelle ich den Zeiger auf Null. Hat der Zeiger das Ziffernblatt zwei mal umrundet? Oder sogar drei mal?
Die alte Lok und meine Uhr, sie harmonieren wohl nicht so recht miteinander. Obwohl sie ihre Wurzeln in der selben Epoche haben. Ich werde trotzdem ankommen, nur das zählt.
Und die Geschwindigkeit? Egal!
 



 
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