Gespräch mit Opa

wüstenrose

Mitglied
Opa mein Opa. Hier geht es um Freundschaft. Ich war immer auf der Suche nach einem Freund. Einem Freund, zu dem ich mich setzen kann, einfach so. Du, Opa, bist ganz schön früh verduftet. Neulich war ich auf dem Friedhof. Dein Grab war nicht mehr da, geblieben sind nur die Worte meines Vaters: Do isser glechä. Du hast meine Geburt um stolze fünf Monate und ein paar Tage überlebt. Ich hab ein Foto von dir, es zeigt dich im Gartenstuhl sitzend, du trägst ein Hemd, darüber eine Strickjacke, auf dem Kopf eine Schirmmütze. Den lahmen Arm hast du auf der Stuhllehne abgelegt, in der gesunden linken Hand hältst du eine Zigarette. Du lächelst. Hinter dir ist der gebogene Griff deines Stocks zu sehen, der an der Wand lehnt. Immer wieder begegnen wir dem Zusammentreffen von Geburt und Tod. Mein Schwiegervater starb fünf Tage vor der Geburt unserer Töchter. Und auch für uns, Opa, war die Zeit zu knapp bemessen. Du dürftest mich immerhin eingehend angeschaut haben, vielleicht hast du mich auf deinen Schoß oder auf den Arm genommen. Vielleicht hattest du auch ein wenig Angst, mich zu halten, wegen deiner halbseitigen Lähmung, die du aus dem Krieg mit nach Hause gebracht hast. Opa, erzähl vom Krieg!, hätte ich dich fragen mögen. Vater hätte an dieser Stelle die Augenbrauen hochgezogen. Aber vielleicht hättest du nur erzählt, dass dir der Krieg mehr genommen als gegeben hat, dass er dir eine Seite geklaut hat und dass du sie nicht mehr zurückbekommen wirst. Aber mit der verbliebenen Seite seist du immerhin in der Lage zu reden, zu rauchen, zu lächeln, und darauf käme es doch an, nicht wahr. Und wir wären Freunde, so oder so. Dass du auch deshalb aus dem Krieg heimgekehrt seist, dass du dich auch deshalb habest zusammenflicken lassen in sieben Operationen, damit du hier nun sitzen könnest, neben mir, deinem Enkelkind, und sagen könnest: Ja, so ist es gewesen. Eine halbe Seite und ein halbes Leben seien geblieben, immerhin. Aber der Krieg habe Spuren hinterlassen und jetzt, wo dein Leben nur noch halbseitig stattfinde, wollest du dir auch gar keine Mühe mehr machen dies zu verbergen. Einer alten Eiche, die im Sturm so manchen starken Ast eingebüßt habe, sehe man ihr Alter an; so trügest auch du an der Zeit und an deiner Geschichte. Dies, mein Enkelkind, nimm mit auf deinen Weg: Wir können die Narben nicht löschen; wir müssen sie weiter tragen.

Opa mein Opa. Ich hab dich nie gekannt. Man hat mir von dir erzählt, dass du ein Krüppel warst, ein Kriegsinvalide; invalide – warst du nutz- und wertlos? Deine Frau und dein Sohn haben den Laden geschmissen, die Bude in Schuss gehalten. Da warst du eine zusätzliche Belastung. Als die Not am größten war (und deine Familie ums Überleben kämpfte), warst du nicht da. Du warst im Krieg verloren gegangen, nicht wiedergekehrt. Du hast verdammt nochmal gefehlt, als die Deinen dich gebraucht hätten! Du lebtest in einer anderen, eigenen Katastrophe. Mein Opa. Ich habe dich nie kennen gelernt. Hast du mich gehalten? Hast du mich gespürt? Hoppe hoppe Reiter. Man sagt, du warst ein Krüppel. Einseitig gelähmt. Vielleicht ist dir dein Gesicht verreckt, der rechte Mundwinkel komplett abgestürzt? Opa, du fehlst mir. Oma und Papa haben gekämpft; sie haben alles zusammen gehalten, sie hatten viel zu tun und Schwielen an den Händen. Mama hat versucht, so gut es ging, diesen Entwurf zu stützen. Sie waren alle miteinander sehr beschäftigt. So einen Krüppel wie dich hätte ich doch gebraucht! Einen, dem es an was gebricht. Dem was fehlt. Ein gesundes Bein oder so. Man sagt, du habest das rechte Bein nachgezogen. Das war nicht schön, aber es war gut so. Du, ich muss dir was sagen: Die zähe Überlebenskraft unserer Familie jagt mir einen Schauder ein. Ich habe Angst, aber man sagt mir, ich solle auf andere Gedanken kommen und Brennholz aus dem Keller holen. Ich habe mich so erschreckt im dunklen Keller, gottverlassen ist es da drunten, aber man sagt mir: Geh nach draußen zum Spielen! Opa mein Opa, du bist zu früh gegangen! Hast nicht auf mich aufgepasst! Ich schaffe es nicht alleine. Schau herab, schau zu mir her, schau mal, du lächelst ja! Gib mir deine Hand!
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo wüstenrose,
die beiden Facetten der Beziehung zum Großvater gefallen mir gut, wenngleich der Opa vermutlich nicht wirklich ein Freund sein kann.
Die Wahrnehmung aus verschiedenen Blickwinkeln macht den Text spannend. Vielleicht ist er aber ein wenig zu lang geraten?
Tagebucheinträgen gegenüber weiß ich mich allerdings nicht richtig zu verhalten. Sollen die als eigenständige literarische Beiträge bewertet oder eher interessiert zur Kenntnis genommen werden?
Etwas ratlose Grüße
der 8.
 

wüstenrose

Mitglied
Tagebucheinträgen gegenüber weiß ich mich allerdings nicht richtig zu verhalten. Sollen die als eigenständige literarische Beiträge bewertet oder eher interessiert zur Kenntnis genommen werden?
Hi Achter Zwerg,
die obige Frage ist natürlich berechtigt und ich muss gestehen: Der Autor hat auch keine Idee dazu. Bei dem Text handelt es sich auch nicht explizit um einen Tagebucheintrag, aber ich dachte: kommt der Sache noch am nächsten. Ich würde den Text als eine Art "Suchbewegung" beschreiben (so ein bisschen auch der Versuch einer persönlichen Verortung). Deshalb auch Wiederholungen oder Längen, die in der Kategorie Kurzprosa eigentlich nichts verloren haben. Also: Als literarischer Text ist das irgendwo unfertig, ungenügend, als "Suchbewegung" verstanden, steckt eine gewisse Logik drin: assoziativ, schleppend, sprunghaft.
Und das Ganze hat einen stark psychologischen Touch: Letztlich geht es nicht in erster Linie darum, dass der Opa als Freund gewonnen werden soll, sondern darum, dass sich das Versehrte/Verletzliche offenbaren darf. Eine Art Ringen darum, dass dies sein darf.
Literarisch, wie gesagt, fragwürdig. Ich denke noch mal drüber nach, ob ich das Thema anders anpacken kann.

lieben Gruß wüstenrose
 
A

AchterZwerg

Gast
Meine Frage richtet sich besonders an das Formale.
Werden die Tagebucheinträge von allen sozusagen am Stück oder jeweils einzeln geschrieben und bewertet? Otto und Bernd machen es wohl am Stück, wie in einem richtigen Tagebuch. Und wie sieht es dann mit der Bewertung aus?
Angenommen, es gibt gute und weniger gute Beiträge?
Mmh.
Ratlose Grüße
Heidrun
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Wüstenrose,

ich finde, solche Texte gibt es viel zu wenige in der LL: Erzähltes Leben, wie wir es gestern auch an anderer Stelle nannten.

Die Schwierigkeit bei solchen persönlichen Texten ist und bleibt das Unterbringen in der richtigen Rubrik. Warum ist eine persönliche Erzählung nicht literarisch genug? Warum soll man sie nicht bewerten können, wenn sie einen anspricht?

Du hast die Gedanken über Deinen unbekannten Großvater sehr einfühlsam geschildert. So viele Großväter in Deiner/meiner Generation haben gefehlt oder waren soweit „invalid“, dass sie (zumindest für ein Kind) nicht umfänglich zu „gebrauchen“ waren. Ich beneide die heutigen Kinder manchmal darum, dass sie noch zwei, bei Patchwork-Familien vielleicht sogar drei oder vier Großelternpaare haben und von ihnen vieles lernen können, wenn sie denn wollen.

Mir hat dieser Text sehr gut gefallen, literarisch fertig/wertvoll oder nicht.

Gruß Ciconia
 

wüstenrose

Mitglied
Hi Ciconia,
vielen Dank für deine Mitteilung!
Ja, die von dir gewählte Bezeichnung gefällt mir: Nennen wir es ruhig "Erzähltes Leben". Und natürlich ist das alles literarisch und auf seine spezielle Weise ist es auch rund, abgeschlossen, stimmig. Ich glaube, als ich es eingestellt habe, fehlte mir einfach - bezogen auf die LL - ein wenig das Selbstbewusstsein. "Welche Form soll das sein?" / "Genügt es formalen Ansprüchen?" - - - Manchmal mögen diese Fragen wichtig und notwendig sein, manchmal sind sie aber auch absolut nachrangig. Speziell diesen Text möchte ich nicht anders schreiben, er ist mir lieb und teuer, so wie er ist.

Und ja, die Großväter (und manchmal auch Großmütter) - wo sind sie geblieben?
Von meinem anderen Großvater weiß ich, außer Geburtsdatum / -ort und Beruf, tatsächlich nur dies:
Nimmt bereis am 1.Weltkrieg teil und wird verwundet (Herz). Aufgrund seiner eingeschränkten Tauglichkeit, herrührend von der Kriegsverletzung, wird er im 2.Weltkrieg zunächst nicht eingezogen. Später dann doch. Wird schwer verwundet in XXX. Er ist daraufhin einseitig gelähmt, zahlreiche Krankenhausaufenthalte in XXX und XXX. Er stirbt daheim, 1949, an einer Lungenembolie. Dass der Tod infolge der Kriegsverletzung eintrat, wird nicht anerkannt. Seine Frau erhält keine Hinterbliebenenrente, lediglich die Witwenrente.

Die einen sagen: Was soll das? Olle Kamellen! Tränendrüse...

Andere verstehen, dass all das uns (möge sich hier angesprochen fühlen, wer will) geprägt hat, dass es Teil unserer Geschichte ist.

Und so stimme ich dir, Ciconia, noch einmal zu: "Erzähltes-Leben-Texte" (insbesondere dann, wenn sie nicht alles schön reden, sondern auch biografische Brüche, Widersprüche, persönliche / familiäre Irriatation usw. beleuchten) - sowas finde ich sehr reizvoll und lese ich sehr gerne!
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
"Welche Form soll das sein?" / "Genügt es formalen Ansprüchen?" - - - Manchmal mögen diese Fragen wichtig und notwendig sein, manchmal sind sie aber auch absolut nachrangig.
Hallo Wüstenrose,

das erinnert mich an Reaktionen auf meine Erzählung „Paul“, die letztlich auch eine Reminiszenz an einen unbekannten Großvater darstellt. Sobald ein Text die Spur von persönlichen Erinnerungen enthält, wird er angeprangert und schlecht bewertet.
Andere verstehen, dass all das uns (möge sich hier angesprochen fühlen, wer will) geprägt hat, dass es Teil unserer Geschichte ist.
So sehe ich das auch!

Schönen Sonntag
und liebe Grüße
Ciconia
 



 
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