Gesprungen

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tinchen

Mitglied
Ich war gesprungen.


Eigentlich wollte ich schon lange springen und immer wieder hatte ich mich gefühlt, als hätte ich den Sprung schon lange gewagt. War geschafft und kaputt. Doch ebenso bemerkte ich immer wieder, dass ich es eben nicht riskiert hatte.
Dass ich wieder auf Abstand gegangen war. Wieder jede Bemerkung so gedreht und interpretiert hatte, dass ich die Gelegenheit hatte, mich zurück zu ziehen. War kalt geworden oder auch kühl geblieben.

Ich war wirklich gesprungen, nicht nur im übertragenen Sinne.
Ich hatte es satt mich zu verstecken. Die Mauer war genauso stabil geblieben; aber ich hatte keine Lust mehr, mich hinter ihr zu verstecken.

Dann war die Gelegenheit da. Wie hatte die Trainerin gesagt: Manchmal wäre es gut, sich was vorzustellen, auf das man zu oder über das man springen wolle.
In diesem Moment überrollte es mich fast: Ich wollte springen.
Ich hatte solche Angst, war angespannt, musste immer wieder tief ein und ausatmen, redete mir selbst gut zu. Doch ich wollte in diesem Moment nichts anderes als springen. Ich war so voller Energie. Nichts hätte mich abgehalten; alles andere um mich herum ausgeblendet.

Danach fühlte ich mich gut, nicht überragend, außergewöhnlich, aber gut.
Dass ich die Mauer wirklich überquert hatte, merkte ich erst, als ich ihn wiedersah.

Als wir uns kennen lernten, fühlte ich mich nicht anders, als in den Momenten vor dem Sprung. Er gefiel mir. Ich hatte Lust, ihn zu küssen, ihn zu reizen. Ein weiteres belangloses Kennenlernen. Weiter dachte ich nicht.

Als wir uns wiedersahen, bröckelte die Mauer nicht. Sie war einfach nicht mehr da. Keine Angst vor Nähe, kein Abwenden, kein Suchen nach Gründen gegen das Glück. Sie war einfach nicht mehr da.

Da fühlte ich, dass ich dieses Mal wirklich gesprungen war. Ich war überrascht, aber nicht verwundert. Ich fühlte mich frei, erleichtert. Ich fühlte mich einfach wunderbar.
Jeder einzelne Moment, in dem ich mich ihm entgegen lehnte, ihn an mich zog, seine Nähe suchte und herausforderte, erlebte ich wie ein Wunder. Wie einen Flügelschlag in die Freiheit, in Richtung Glück.

Er war nicht der Traum meiner schlaflosen, einsame Nächte. War es nicht mal annähernd. Doch für dieses Gefühl, verliebte ich mich in ihn.
 



 
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