Gesundbeter

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Walther

Mitglied
Gesundbeter


Der Mond: Versucht, sich selber zu beschatten;
Die kleine Wolke gerne half dabei.
Das Käuzchen schrie den letzten schrillen Schrei.
Die Eule folgte untreu ihrem Gatten.

Das Licht: Es schien so silbern im Geweih
Des Hirschs. Es raschelten dazu die Ratten.
Es gingen die, die sich verborgen hatten,
Verschmolzen nachtschwarz und zum Einerlei.

Es angelte und fischte sich im Trüben:
Das Dasein bog sich in das weite Rund.
Am Eck: Die Geister wollten sicher üben,

Sie müssten spuken doch zu dieser Stund.
Die Angst: Sie kommt und geht in kalten Schüben.
Sie betet sich und alle Welt gesund.
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Walther,

das gefällt mir aber sehr!

Die Darstellung mittels Verwendung mehrerer Doppelpunkte, die Häufung der Reflexiva verleiht Deinem Sonett Symmetrie, die in [blue]Kontrasten[/blue] inhaltlich zur Spannung gebracht wird:

Der Mond: Versucht, sich selber zu beschatten;
Die kleine Wolke gerne half dabei.
Das Käuzchen schrie den letzten schrillen Schrei.
Die Eule [blue]folgte untreu[/blue] ihrem Gatten.

Das Licht: Es schien so silbern im Geweih
Des Hirschs. Es raschelten dazu die Ratten.
Es [blue]gingen die, die sich verborgen hatten[/blue],
Verschmolzen nachtschwarz und zum Einerlei.

Es angelte und fischte sich im Trüben:
Das Dasein bog sich in [blue]das weite Rund.
Am Eck[/blue]: Die Geister wollten sicher üben,

Sie müssten spuken doch zu dieser Stund.
Die Angst: Sie kommt und geht [blue]in kalten Schüben[/blue].
Sie betet sich und alle Welt gesund.


Einzig die Großschreibung nach dem Doppelpunkt behagt mir nicht.

Liebe Grüße

Elke
 

Walther

Mitglied
Guten Morgen, ENachtigall,

die Nacht ist ja schon eine Weile vorüber. :)

Zuerst: Vielen Dank für Deine ermuternden und lobenden Worte. Schließlich ist der Dichter vom Feedback abhängig. Erst dann kann er ermessen, ob der Text gut (oder schlecht) ankommt.

Und natürlich kann man nach den Doppelpunkten klein schreiben. Da die Doppelpunkte durchaus wichtig sind, wie Du ja stark in Deinem Kommentar herausgearbeitet hast, habe ich sie mit dem Weiterschreiben mit großem Buchstaben nochmals verstärkt. Wir lesen heute alle so schnell, daß dieser zusätzliche Reiz das Innehalten fördern sollte.

In der Tat lebt der Text von seinen Gegensätzen, die sich auf den ersten Blick widerprechen. Wer Panikgefühle erlebt hat, weiß um die Ambivalenz in der Wahrnehmung, die dann auf uns wirkt. Die Filter, die alles zusammenfügen und ordnen sollen, was wir aufnehmen, sind außer Kraft gesetzt.

Die Angst ums eigne bißchen Leben in der Nacht: Das ist das Thema des Gedichts. Wer mit Kreislaufproblemen oder Burnoutsyndrom oder am Rande des Nervenzusammenbruchs (kalter Schweiß, Zittern) schon einmal nachts aufgestört ist, der kann diese Gefühle nachempfinden.

Der Mensch war schon immer ein begabter Gesundbeter seiner selbst. Warum nicht auf die ganze Welt dieses Gesundbeten ausdehnen. Schließlich hätte sie das bitter nötig.

Ach ja, nebenbei bemerkt: Das Gedicht hat natürlich eine Geschichte. Texte haben es so an sich, daß sie durchaus ein Eigenleben entwickeln. Dieser auch. Zuerst war er furchtbar vergeraten. ich war schon dabei, zu verzweifeln und ihn die Tonne zu kicken. Dann aber schüttelten sich die Bilder und Wörter plötzlich in die jetzt gefundene Reihung. Noch ein Metrum nachgebessert. Und nun ist es wohl einer meiner besseren Texte geworden.

So ist das mit dem Dichten und den Nächten. Am Anfang ist das Ende durchaus ungewiß. Und ambivalent, wie alles, was den Menschen angeht, eben zwischen Leben und Tod schwebend.

Gruß W.
 

ENachtigall

Mitglied
Danke für die ausführlichen Erklärungen...

zum Hintergrund des Gedichtes, Walther. Das Beängstigende nimmt nicht überhand - es wirkt beklemmend und reicht schon aus, die Atmosphäre zu kennzeichnen, zumal Du eindringlich mit diesen wirklich klangvollen Worten "gespielt" hast.

nächtliche Grüße

Elke
 

Walther

Mitglied
Hallo ENachtigall,

danke für Deine Antwort. Gedichte sind immer auch ein wenig Selbsttherapie. Wenn sie andern gefallen und beim Leben ein wenig helfen, was will man mehr.

Lieber Gruß

W.
 



 
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