Giovanni (gelöscht)

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G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Giovanni

Zirkon, das ist vielleicht das allererste Sonett, das du jemals geschrieben hast, vermute ich mal. So sieht es auch aus, sowohl technisch als auch inhaltlich. Nun, jeder fängt mal an, und da darf schon einiges schiefgehen.

Hier mal die Regeln für das Petrarca-Sonett, an dem du dich versucht hast:

Ein Sonett hat 14 Verse, eingeteilt in zwei Quartette und zwei Terzette. Diese Anforderung hast du erfüllt.

Wie du mir ganz richtig erklärt hast zu meinem Ossietzky-Sonett (es war ein Shakespeare-Sonett, das sich vom Petrarca-Sonett ihre Stropheneinteilung unterscheidet) sollen die beiden Quartette jeweils aus These und Antithese bestehen. Beim deutschen Sonett (das du geschrieben hast) hat es sich allerdings eingebürgert, diese strenge Einteilung zu verwischen und durch Wiederholung zu legitimieren. Ich bestehe also nicht unbedingt auf These und Antithese bei deinem Sonett.

Die den Quartetten folgenden beiden Terzette können auch äußerlich bereits als "Strophen" kenntlich gemacht werdem, aber auch hier haben sich Abweichungen eingebürgert, so dass beide Terzette zum Beispiel als Strophe mit 6 Versen erscheinen können. Du hast die konservative Einteilung in zwei Strophen gewählt, dazu ist nichts zu sagen. Allerdings enthalten deine beiden Terzette nach meiner Ansicht keinerlei Synthese, die aus These und Antithese erwachsen sollte. Diese Anforderung ans Sonett hast du nicht erfüllt.

Zu den Versen:
Jeder Vers sollte fünf Hebungen besitzen, und zwar möglichst im Wechsel von männlichen und weiblichen Reimen oder gänzlich nur weibliche Reimen, was das Melodische des Sonetts unterstreicht. Du hast durchgehend den männlichen Reim gewählt. Kann man machen, aber dann entfällt das Melodische des weiblichen Reims und damit dem gesamten Sonett, was es "hart" macht. Du weißt sicher, dass das Italienische eine sehr melodische Sprache ist, und wenn man ein Sonett schreibt, sollte man versuchen, sich dem Sprachgestus des Italienischen ein wenig anzunähern. Die vorgeschriebenen 5 Hebungen hast du nicht in allen Versen eingehalten, und zwar im Quartett 1, Vers 4, im Quartett 2, Vers 3 und 4, und Terzett 2, Vers 1, wo du jeweils 6 Hebungen eingesetzt hast. Ein Grund dafür ist mir nicht ersichtlich und wird auch vom Sonett selbst nicht akzeptiert.

Wichtig auch, und darauf wird zur Zeit im deutschen Sonett noch Wert gelegt: Die Reimendungen der beiden Quartette müssen gegenseitiges Spiegelbild sein. Wenn du also im ersten Quartett eine Reimendung auf -art und -ein benutzt, muss sich diese Reimendung im zweiten Quartett wiederholen. Diese Regel hast du ebenfalls nicht beachtet.

Und nun zum Inhalt:
Grundsätzlich ist es jedem Autor überlassen, welches Thema und welche Aussage er seinem Gedicht gibt, wobei er die ungeschriebene Regel der Beachtung humanistischer Gedanken einhalten sollte, denn die Lyrik wird sonst für inhumane Äußerungen unter der Hand missbraucht. Und diese Regel gilt für die gesamte Literatur.

Dein Gedicht kritisiert vordergründig die gegenwärtigen Zustände in den Kindergärten, wo oftmals sogenannte Aushilfskräfte die diplomierte Kindergärtnerin ersetzen müssen. Einer der Gründe dafür dürfte die unverhältnismäßig schlechte Bezahlung dieses "unproduktiven", d. h. keine Rendite bringenden Berufs sein. Aber nicht nur. Selbst an Aushilfskräften mangelt es in den westdeutschen Kindergärten "fürs Volk". Die "Eliten" wissen, was von der vorschulischen Erziehung ihrer Kinder abhängt, und sorgen für gutbezahlte und ausgebildete Kindergärtnerinnen. Du beschreibst also einen Kindergarten "fürs Volk". Es ist verständlich, wie du es auch beschreibst, dass dieser Kindergarten dem kleinen Giovanni nicht gefallen kann. Seine Abneigung beschreibst du durchgehend durch das ganze Sonett, ohne Differenzierung oder gar Begründung für diese Zustände.

Ich habe aber mit der Aussage des Sonetts noch ein anderes Problem: Das Gedicht kann benutzt werden, und zwar von den Gegnern berufstätiger Mütter. Dir ist deren reaktionäre Argumentation sicher bekannt, die jahrzehntelang die Linie der bundesdeutschen Frauenpolitik war. Du umschiffst diese Klippe aber nicht in den Terzetten, der Synthese, sondern sagst in deinem Sonett lediglich aus: "Seht her, diese Zustände herrschen in Kindergärten!" Und das ist das Reaktionäre an deinem Gedicht, auch wenn du es nicht bemerkt haben solltest. Es passiert manch einem Lyriker öfter, dass er gar nicht bemerkt, was er da eigentlich geschrieben hat, und du bist in diesem Sonett in die aufgestellte Falle gegangen - bewusst oder unbewusst.

Ich könnte dir jetzt vieles über Kindergärten in der DDR schreiben, dass es in den Kindergärten einen Bildungsauftrag gab, nicht nur einen Aufbewahrungsauftrag, dass der Kindergärtnerinnen-Beruf ein Studium voraussetzte und eine enge Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Elternhaus voraussetzte. Das hat wenig Sinn, wie ich annehme, weshalb ich auf diesen Punkt nicht weiter eingehen will.

blackout
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Giovanni

Ein Nachtrag, Zirkon: Man kann nicht jeden Inhalt in einem Sonett verarbeiten. Der Inhalt deines Sonett erscheint mir höchst ungeeignet, denn auch dann, wenn man nicht unbedingt konservativ schreiben will, ist das Sonett eher dem "höheren Gedanken" vorbehalten. Dein Inhalt widerspricht geradezu dem Gestus des Sonetts. Ich weiß, dass das oftmals nicht beachtet wird, ich selbst mache es auch nicht in jedem Fall, aber das gehört zum Sonett.

blackout
 

Tula

Mitglied
Moin Zirkon

Und nun steht vor ihm dessen Oma. Diese Frau
packt grob ihn am Pullover und holt aus.
Giovanni lächelt, kennt das von zuhaus.
Ja, bei Gewalt zu Hause wird auch mit du, du, du ... im Kindergarten nichts. Eine treffende Analyse, der ich nur zustimmen kann.

Die Anzahl der Hebungen sollte in der Tat stets dieselbe sein.

Dass der DDR Kindergarten ein Bildungsprogramm hatte, dem kann ich nur zustimmen. Ich lernte dort schóne Lieder, von "Schneeflöckchen, Weiß-Röckchen" bis hin zu anderen ersten der sozialistischen Erziehungskur.

http://scienceblogs.de/frischer-win...die-soldaten-singen-kinderlieder-aus-der-ddr/

Aber davon abgesehen, insgesamt erzieherisch gut strukturiert. Die Erzieherin war eine Respektperson.

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Giovanni

Tula, ich habe drei Kinder im Kindergarten gehabt. Und sie haben auch zu Hause gesungen. Ich habe nie ein Soldatenlied von ihnen gehört, es waren immer wirkliche Kinderlieder wie "Schneeflöckchen, Weißröckchen". Was ist das für ein kurioser Blog, den du hier als Beweis für deine Behauptung
anführst? Zählt er für dich mehr als deine eigene Erfahrung?
Es schüttelt mich.

blackout
 

Zirkon

Mitglied
ich denke, Blackout, du hast die Aussage des Sonettes nicht verstanden.
Wenn 4 hebige Sonette als modern und erlaubt gelten, warum sollten dann nicht 5,6 Heber im regelmäßig unregelmäßigen Wechsel erlaubt sein.
Die Regelmäßigkeit hast du wohl übersehen.
Gruß von Zirkon
 

Tula

Mitglied
Nun, ich war im Kindergarten und an einige solcher Lieder kann ich mich durchaus erinnern. Sie können Kinder ohnehin nicht begeistern, und ich denke, der übergroße Teil der Erzieherinnen hat sie nur obligtorisch durchgesungen und abgehakt. Die müssen sich selbst ihren Teil dabei gedacht haben.
In der Jungpionierzeit wurden diese Lieder aber bereits wichtiger Bestandteil des Programms. Ich kann es heute noch singen: Soldaten sind vorbeimarschiert ...

Ganz ehrlich sehe ich bei diesem Thema keinerlei Notwendigkeit, Vergleiche mit der DDR zu machen. Das geht viel weiter und tiefer, der Autoritätsverlust in öffentlichen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen ist in der Tat bedauerlich. Da zitiere ich mal einen Witz aus Portugal:

Wenn der Bub früher schlechte Noten nach Hause brachte, bekam er eine Tracht Prügel. "Irgendetwas muss man doch tun" rechtfertigte sich der Vater.
Was macht er heute in diesem Fall? - Er zieht in die Schule und verprügelt den Lehrer. "Irgendetwas muss man doch tun ..."

So in etwa, traurig, aber wahr

LG
Tula
 

Zirkon

Mitglied
Ich sehe das genauso wie du, Tula. Dieses Sonett hat eine oberflächliche Ebene und eine zweite, in der eigentlich ALLE ÜBERFORDERT UND HILFLOS SIND:
Vergleiche mit der DDR bieten sich hier nicht an, da das eigentliche Thema ein tieferes ist.
Danke und lieben Gruß von Zirkon
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Giovanni

Zirkon, was hier von dir vorliegt als Sonett, ist ein Zeugnis der Unfähigkeit. Du hast diesen Krepel der Öffentlichkeit zur Kenntnis gegeben und musst dich nicht wundern, wenn Kenner nur noch den Kopf schütteln. Ich habe mir die Mühe gemacht, dir zu erklären, wie ein Sonett geschrieben werden muss, weil ich annahm, dass du noch nie ein Sonett geschrieben hast. Dass du jetzt die Aufgabe hättest, dich mal damit zu beschäftigen, auf die Idee kommst du gar nicht. Statt dessen kommst du mir hier mit dümmlichen Ausreden über deinen Pfusch. Ganz zu schweigen von der inhaltlichen Aussage, die mir zumindest klarmacht, mit wem ich es bei diesem Autor zu tun habe.

blackout
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ist das Sonett eher dem "höheren Gedanken" vorbehalten
Wo, beim heiligen Hegel, finden sich "höhere Gedanken"? Höhe ist keine Dimension der Gedanken oder ihrer kommunikativen Auseinandersetzung.

Das elitäre Postulat "höherer Gedanken" ... ist gequirlte Schifferscheiße.
 

Soljanka

Mitglied
Leute, was ist das denn für ein Ton hier?

Blackout, ich bin kurz davor, den Red Alarm Button zu drücken. Netikette und so.

Bleibe bitte mal sachlich. Mir scheint, du trägst ein Problem in den Text hinein. Nirgendwo im Gedicht steht etwas davon, dass Giovannis Mutter keine Zeit hat, weil sie berufstätig ist. Vielleicht hat sie einfach keine Zeit, weil sie sich keine Zeit dafür nimmt, ihr Kind beim Spielen zu beobachten, den Moment noch abzuwarten, bis das Puzzle fertig gelegt ist und dabei vielleicht ein paar freundliche Worte mit der Erzieherin oder mit den anderen Müttern zu wechseln. Vielleicht hat sie einfach kein Interesse. Vielleicht ist sie einfach generell eine unfreundliche Person.

Wie auch immer, Textarbeit heißt nicht, alles was mich unangenehm berührt oder ärgert, kurz und klein zu schlagen.
Konstruktive Kritik ist ein Angebot an den Autor, der seinen (!) Text leserorientiert gestalten möchte, damit das, was er sagen will auch ankommt.
 

Soljanka

Mitglied
Also, ich habe weder Romanistik studiert noch bin ich der italienischen Sprache mächtig. Muss ich in der Lage sein, den italienischen Sprachduktus zu imitieren, wenn ich ein Sonett schreiben will? Barocke deutsche Sonette wurden vorzugsweise in Alexandrinern verfasst. Eine französische Erfindung, die aber im Deutschen auch irgendwie modifiziert wurde. Ein 6-heber mit einer obligatorischen Zäsur in der Mitte. Ich habe Sonett in der Schule noch an Gryphius gelernt. Und ich gebe zu, die Form ist für mich bis heute das Sonett schlechthin. Es ist aber verdammt schwer, ein solches Sonett formvollendet zu schreiben, ohne dass es gestelzt klingt, unnötige Gedankenschlenker macht, um die Form zu wahren und auch noch einen sinnvollen Gedanken zu transportieren. Irgendwo muss man halt Abstriche machen, wenn man nur ein kleiner "Festzeitungsschreiber" ist.

Aber ich schweife ab. Wollte nur sagen: davon, dass Sonettverse 5-hebig sein müssen, kann keine Rede sein.

Und was die Antithetik angeht: ich kann sie durchaus sehen:
Die Ratlosigkeit des Jungen angesichts des gewaltlosen und kommunikativen Umgangs miteinander (Strophe 1)- vs. die mangelnde Kommunikation im häuslichen Umfeld und den gewaltsamen Ausweg, den Giovanni sich sucht (Strophe 2): eine chiastisch aufgebaute Antithese.
Auf die eigenartigerweise weder das Konzept gewaltfreier Pädagogik noch die Sprache der Gewalt selbst eine befriedigende Antwort geben können. Man könnte auch sagen, die Synthese ist zum Scheitern verurteilt. Wobei die Gewalt leider das letzte Wort hat.

In Zeile 4 der zweiten Strophe hat sich ein Tippfehler eingeschlichen.
 

Zirkon

Mitglied
Ich danke dir, liebe Soljanka, für dein Statement. Es erspart mir langwierige Erklärungen in Richtung Blackout und Mondnein.

Du hast auch die inhaltliche Aussage, die ich mit "tieferer Aussage" meinte, gut getroffen. ein bisschen nachdenken muss man hier nämlich schon.

Ich pflege meine Gedichte nicht zu erklären. Entweder man versteht sie oder man tobt halt rum und gibt schlechte Bewertungen.
Ich kann damit leben, solange es ein paar gibt, die es verstehen.
GGG und Grüße von Zirkon
 

James Blond

Mitglied
Hmm,
stimmt zwar alles, aber ...

... ganz so einseitig sehe ich die Sache nicht. Wobei ich denke, dass der Inhalt durchaus deutlich wird und hier auch nicht unbedingt diskutiert werden muss.

Allerdings bleibt die Frage, ob der schwierige Inhalt mit seiner offenen Problematik hier gelungen in ein Sonett eingepasst werden konnte, schließlich läuft ein dramatischer Text wie dieser dem traditionell eher betrachtenden Sonett schon etwas zuwider.

Zwar ist es keine Frage, ob Jambus oder Trochäus, 4-, 5- oder 6-Heber, doch sollte das einmal gewählte Metrum möglichst durchgängig gehalten werden, sonst erhält der Text einen prosaischen Charakter, zumal hier der Sprachstil mehr zu einem Bericht als zu einem Gedicht tendiert.

Ich habe den Text versuchsweise, ohne seine Reime zu verändern durchgehend in die 5-hebige Form gebracht, auch die "und"-Wiederholungen reduziert, um zu sehen, ob es sich positiv auf das Sonett auswirkt. Mein Eindruck bleibt allerdings durchwachsen. Möglicherweise wäre eine Ballade dafür geeigneter.

Drei Wochen geht er in den Kindergarten,
sehr skeptisch schaut er sich den Laden an.
Zu viele Kinder, Frauen und kein Mann,
nur ein paar Mütter, die hier warten.

Die eigne Mutter hat zwar niemals Zeit,
doch ist ihm mittlerweile das ganz recht.
Längst reift sein Plan: Hier werd ich nicht zum Knecht!
Er schlägt fest zu, das steigert Angst und Leid.

Die Kindergärtnerin mahnt nur: "Du, du!" .
Giovanni lacht und hört ihr nicht mehr zu,
dafür tritt er dem Max das Schienbein blau.

Nun steht vor ihm die Oma. Diese Frau
packt grob ihn am Pullover und holt aus.
Giovanni grinst, er kennt das von zuhaus.



Grüße
JB
 

Zirkon

Mitglied
ich bedanke mich, lieber James, für den Versuch, es in 5 er Hebungen zu bringen. Für mich verliert es dadurch aber die Flüssigkeit.
Zudem hast du ein paar inhaltliche Veränderungen vorgenommen.

Leider kann ich nicht zitieren. darum so:
Giovanni sagt: Ich mach mich hier nicht zum Knecht.
Meine Version sagte, er wolle sich einige andere zum Knecht machen.

Bei dir tritt er Max nur einmal. Ein Mal würde nicht das Auftreten der Oma berechtigen.

Das Wichtigste aber ist das Lächeln. Es kommt 2 Mal vor und konnotiert jedesmal ein anderes Lächeln. Wer mit Kindern arbeitet, kennt die vielen Arten von Lächeln.
Das erste Lächeln ist ein gleichgültiges, er hört nicht zu. Es interessiert ihn nicht.
Das zweite Lächeln ist ein resignierendes. Er kennt Prügel von zu haus.

Grinsen wäre boshaft und das wiederum würde die Synthese zerstören.

Ob die Oma nämlich zuschlägt, wird nicht gesagt, sie holt nur aus. Das Lächeln mag sie stoppen und die Erkenntnis der Ohnmacht, die sie mit Giovanni und den überforderten Kindergärtnerinnen eint.
Und damit haben wir die tiefere Ebene des Sonettes, das sich nur vordergründig um Aggression dreht.

Formal:
ich hatte ursprünglich in der letzten Zeile auch eine 6 er Hebung, damit in den Terzetten je 3 Mal 5 und 3 Mal 6 vorkommen. Ich hab es dann durch Kritik in einem anderen Forum geändert. Scheinbar verschlimmbessert. Ich setze die 6 er nun wieder ein.

Ich denke durchaus, dass man solch ein Thema in einem Sonett verarbeiten kann. Denn es ist ein nachdenkliches, melancholisches und menschliches.

Lieben Dank dir und Grüße von Zirkon
 

James Blond

Mitglied
Schön,

dass du dir die Mühe gemacht hast, liebe(r) Zirkon, auf meine Änderungen so detailliert einzugehen! Ich kann daran erkennen, welchen Gedankenaufwand du in das Sonett gesteckt hast und wie sehr es dir auf Nuancen ankommt.

Es bleibt allerdings die Frage, ob der Text dies alles in der beabsichtigten Form auch vermitteln kann. An meiner "Nacherzählung" kannst du sehen, was - zumindest bei mir - nach mehrfacher Lektüre davon angekommen ist - und was nicht. Ich habe einige Sachen geschliffen, um sie verständlicher zu machen. Insbesondere das Lächeln schien mir problematisch, denn, wie du selbst schreibst, gibt es davon viele Arten mit verschiedenen Bedeutungen. Neben Gleichgültigkeit und Resignation kann auch Verlegenheit, Trotz, Überlegenheit, Triumph, Bosheit - und Glück(!) darin zum Ausdruck kommen. So schien mir das zweite Lächeln (nach Omas Ohrfeige) als Ausdruck von Bestätigung: G. hat da endlich bekommen, was er aufgrund häuslicher Erfahrungen längst erwartet hat und was für ihn als Zuwendung erfahrbar ist.

Man übersieht dabei leicht, dass ein lyrischer Text für eine präzise psychologische Betrachtung ungeeignet ist und dem Leser das Feld für eigene, höchst unterschiedliche Projektionen überantwortet, wie sich unschwer aus den vorangegangenen Kommentaren ersehen lässt. Mancher könnte vermutlich dem Text sogar die Einsicht entnehmen, dass Omas "handfeste" Erziehungsmethoden noch immer die "wirkungsvollsten" sind. Insofern überfordert sich dieses Sonett, es mag zum Nachdenken anregen, doch ist es selbst nicht nachdenklich, ebenso wenig melancholisch oder menschlich, nur weil es ein problematisches Verhalten von Menschen beschreibt.

Ich denke auch, dass sich keine der Versionen flüssig liest, dazu läuft der Jambus viel zu häufig gegen die intuitive Betonung, wie z. B. hier: "So viele Kinder, ein paar Frauen und kein Mann", oder hier: " Ein paar mach ich mir hier zum Knecht."

Ich schrieb ja bereits, dass möglicherweise die Ballade eine geeignetere Form für dramatisiertes Geschehen abgibt; es käme auf einen Versuch an. Im kurzen Sonett wirken 10 "und" neben anderen Wortwiederholungen ermüdend und der Wechsel von 5 auf 6 Hebungen erfordert zusätzliche Aufmerksamkeit. Mein Leseeindruck: viel Anstrengung für wenig Gewinn.

Herzliche Grüße
JB

P.S.
Um formschön zu zitieren: Die Textpassage im Editorfeld (mit der Maus) markieren, anschließend den mittleren Button [" "] über dem Textbereich anklicken.
 

Zirkon

Mitglied
ich danke dir, James, dass du dich so reinhängst und gebe dir in einigen Punkten recht. Es mag sein, dass die tiefere, psychologische Ebene hier nicht vom Leser wahr- bzw. aufgenommen wird, weil jeder subjektiv liest und irgendwo bei eigenen Erfahrungen angetriggert wird.
Mag sein, dass es einen anspruchsvollen Leser erfordert, dass er es versteht.
Die von dir zitierten Jamben allerdings laufen der natürlichen Wortbetonung nicht zuwider.
Um nochmals zum Thema zu kommen:
Hier werden Sonette zu allen möglichen Themen eingestellt und gelobt. Ich persönlich schreibe Sonette, um etwas zu sagen, oftmals Menschen zu beschreiben in einer Situataion, die wir alle kennen. Es mag sein, dass dies sich mit der ursprünglichen Intention eines Sonettes nicht deckt, aber wenn wir die Klassik erhalten wollen, dann müssen wir sie mit Interessantem bestücken.
Aus demselben Grund wähle ich die Kadenzen, wenn ein Umschwung kommt oder es härter sein soll, männlich. Ein normales Sonett ist mir meistens zu langweilig. Es wirkt oft dröge oder gestelzt, nur weil man unbedingt eine weibliche Endung sucht.

Ich mache das bewusst so und nicht, weil ich es nicht anders kann, und setze es als Stilmittel ein. Auch Rilke hat das manchmal getan.

Lieben Dank dir für deine Mühe, die dich ehrt und mich freut.
Liebe Grüße von Zirkon
 

James Blond

Mitglied
Liebe(r) Zirkon,

ich denke auch, dieses Thema ist nun durch und ich möchte auch keineswegs unnötig darauf herumreiten - nur ein Hinweis sei mir noch als Rückmeldung gegönnt, weil ich trotz deiner Bemerkung nicht der Ansicht bin, dieses Sonett sei nur mit natürlichen Jamben gepflastert.
Wäre es ein Prosatext, dann würde ich ihn entsprechend der blauen Markierungen betonen, dann liest er sich auch recht flüssig. Der Jambus zwingt hingegen auch die roten Stellen zur Betonung. Dies nur als Hinweis, weil du "gestelzt klingende Sonette" ja gern vermeiden möchtest.


[blue]Drei[/blue] Wochen [red]ist[/red] er [blue]da[/blue], im [blue]Kin[/blue]dergarten
und [blue]schaut[/blue] sich jenen [blue]La[/blue]den [blue]skep[/blue]tisch an.
So [blue]vie[/blue]le [blue]Kind[/blue]er, [red]ein[/red] paar [blue]Frau[/blue]en [red]und[/red] [blue]kein[/blue] Mann
[blue]und[/blue] [red]ein[/red] paar [blue]Müt[/blue]ter, [red]die[/red] be[blue]ob[/blue]achten und [blue]war[/blue]ten.

[blue]Nein[/blue], [blue]sei[/blue]ne [blue]Mut[/blue]ter [red]ha[/red]t doch [blue]nie[/blue]mals [blue]Zeit[/blue],
und [blue]so[/blue] ge[blue]seh[/blue]en [red]ist[/red] ihm [blue]das[/blue] ganz [blue]recht[/blue].
Ihm [blue]reift[/blue] der [blue]Plan[/blue]: Ein [blue]paar[/blue] [blue]mach[/blue] ich mir [blue]hier[/blue] zum [blue]Knecht[/blue].
Er [blue]schubst[/blue] und [blue]schlägt[/blue] und [blue]wächst[/blue] mit [red]de[/red]ren [blue]Angst[/blue] und [blue]Leid[/blue].

Die [blue]Kin[/blue]dergärtne[red]rin[/red] [blue]mahnt[/blue] stets nur: [blue]Du, du, du[/blue].
Gio[blue]va[/blue]nni [blue]läch[/blue]elt, [blue]hört[/blue] ihr gar nicht [blue]zu[/blue].
Schon [blue]zwei[/blue] Mal trat er [blue]Max[/blue] das [blue]Schien[/blue]bein [blue]blau[/blue].

Und [blue]nun[/blue] steht [red]vor[/red] [blue]ihm[/blue] dessen [blue]O[/blue]ma. [blue]Die[/blue]se [blue]Frau[/blue]
packt [blue]grob[/blue] ihn [red]am[/red] Pull[blue]ov[/blue]er [red]und[/red] holt [blue]aus[/blue].
Gio[blue]va[/blue]nni [blue]lä[/blue]chelt, [blue]denn[/blue] das [blue]kennt[/blue] er [red]von[/red] zu[blue]haus[/blue].

Grüße
JB
 
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