Glaube, Liebe, Hoffnung

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knychen

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Glaube, Liebe, Hoffnung

Hitze steht in diesem Sommer Ende der Siebziger Jahre wie eine Glocke über Ostberlin. Natürlich steht sie über ganz Berlin, aber für Andy und Bianca ist Berlin eben Ostberlin, denn alles, was da hinter der Mauer steht, ist für Fünfzehnjährige unerreichbar und gehört einfach nicht dazu.
Die Beiden liegen in einem typischen Jugendzimmer auf einer Klappcouch. Glaubt man den Statistiken, sind sie mit diesem "Rumliegen" ihrer Altersgruppe ein ganzes Stück voraus. Sie sind nämlich nackt und bewegen sich sacht in einem gleichmäßigen Rhythmus. In der Aufklärungsrubrik der Jugendzeitschrift "Junge Welt" wurde ihre Körperhaltung letztens als coitus a tergo oder coitus a posteriori bezeichnet. "Die meisten Säugetiere bevorzugen diese Stellung" schrieb Frau Doktor Jutta Resch-Treuwerth noch dazu.
Vor zwei Wochen gab es schon einen Vorstoß in diese Richtung, aber das war in Biancas Zimmer und ihre Mutter saß nebenan vor dem Fernseher.
Da es für beide das erste Mal war, lief alles schief. Andy hatte zwar die Sache mit der Erregung und der Erektion standhaft hinter sich gebracht, doch dann kam er in der zeitlichen Abfolge von Koitus und Ejakulation durcheinander und alles ging im Sinne des Wortes daneben.
Heute nun, in seinem Zimmer, seinem Revier sozusagen, meinte er alles unter Kontrolle zu haben. Allerdings spürte er, dass der Moment der vermeintlichen Glücksseeligkeit in wenigen Augenblicken erreicht sein würde, und weil er als ein guter Mann im Bett gelten wollte, beschloss er, die schwierige Klippe ‚Stellungswechsel’ in Angriff zu nehmen. Natürlich waren weder sie noch er mit ihren fünfzehn Jahren schon so abgebrüht, ihre Wünsche zu äußern. Er musste also sanften Druck anwenden und hoffen, dass sie ihn verstand.
Als er sich behutsam auf seine eigenen Fersen setzte, folgte sie ihm willig. Möglichst ohne seine Lenden zu bewegen, begann er vorsichtig seine Beine nach vorn zu strecken.
Dieses geschafft, stützte er sich rücklings auf den Ellenbogen ab und betrachtete ihren herrlichen Rücken. Sie bewegte sich ganz sanft auf ihm.
Plötzlich straffte sich ihr Oberkörper. Ihre Hände, die sich vorher auf seinen Schenkeln abgestützt hatten, wanderten nun auf die Ihrigen. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber er konnte sich den gespannten Gesichtsausdruck vorstellen, der ihr leichtes Stöhnen begleitete.
Weil er es auf einschlägigen Bildchen so gesehen, verdrehte auch er die Augen und öffnete genüsslich den Mund.
Ein erneutes „Uhhmmmhh“ entrang sich ganz tief aus ihr, noch straffer glänzte ihre verschwitzte Haut.
‚Jetzt kommt das Ding mit dem multiplen Orgasmus’ dachte er und folgte mit dem Becken ihrer aufwärts gerichteten Bewegung. ‚Gleich’
Dann gab es ein Geräusch, welches zwar für Flatulogen die Berufsgrundlage bildet, im Paarungsritual des Menschen jedoch bei den Wenigsten und frisch Verliebten schon gar nichts zu suchen hat. Sie erstarrte und er spürte einen warmen Wind am oberen Ansatz seines Schamhaares vorbei streichen.
Völlige Stille, Windstille sozusagen.
Proportional zum Schwinden seiner Erregung erstrahlten ihre Ohren in einem kräftiger werdenden Rot.
Leise sagte sie: „Ich habe geglaubt, ich könnte es unterdrücken. Tschuldigung.“
Etwas spitz um die Nase antwortete er: „Ich hatte gehofft, du kriegst jetzt einen tierischen Orgasmus.“
„Gehofft hatte ich das eigentlich auch.“ Dann fing sie an zu lachen und er konnte nicht anders, er lachte mit.
Durch das Beben ihrer immer noch verbundenen Körper begann sich an ihm und in ihr ein erneutes Interesse für die so brutal beendete Aktion zu zeigen und da sie mit weiblichem Instinkt schnell die günstigsten Bewegungen herausfand, gab es doch noch ein wirkliches Happy-end.
Und so lernten Bianca und Andy an diesem heißen Sommertag Ende der siebziger Jahre, dass sich zwar der Glaube manchmal in Schall und Rauch auflösen kann, die Hoffnung indessen den Sturm auf die wahren Gipfel gestattet.
 

knychen

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wer auch immer

nicht das es mein ego zerpflückt, aber interessieren täte es mich schon, wer da für den roten balken verantwortlich zeichnet.
obwohl es eigentlich wurscht ist, wer wie urteilt; warum ist mir wichtiger. schließlich bin ich ja noch jung und lernfähig.
gute nacht an dich da draußen, wer immer du sein magst.
gruß aus berlin von knychen
 

knychen

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stimmt

hallo,
stimmt, das erste, was mir schlüssig wurde, ist die sache mit dem "heutzutage".
da ich ja objektiv im präsens berichte, ist heutzutage falsch.
mehr geht jetzt nicht. hab gerade erfahren, daß wir eine verabredung haben.
danke für die solidarität.
gruß knychen
 

katia

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super!

bis auf manche groß- und kleinschreibungen (z.B. wird "beiden" in "Die beiden" klein geschrieben) finde ich die geschichte sehr gut geschrieben, besonders natürlich die stimmungen, auch die den sommer und dann noch über ostberlin betreffen. und nun hab ich endlich "Frau Doktor Jutta Resch-Treuwerth" wieder gefunden. DANKE!!
lg
katia
 

Echoloch

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Hallo knychen,
was JoshHalick „niedlich“ nennt, möchte ich als unschuldig bezeichnen: Ich bin entzückt, welche „Unschuld“ dieser Text transportiert. Großartig, wie still und liebevoll Du die Szene beschrieben hast. Das Ende eine wundervolle Brücke zum Titel, mit dem ich allerdings auch nicht so ganz glücklich bin. Ich mag die Kommata nicht und auch die Liebe finde ich darin falsch, weil sie der Geschichte einen Pathos verleiht, den diese nun eben nicht nötig hat.
Und dann noch das „Rumliegen“, das finde ich als Wort nicht gut und als Bild, wenn ich es denn richtig verstanden habe, auch nicht passend (genaugenommen „liegen“ sie doch nicht, oder?)
Ach ja, und ergänzend zu Katias Groß-/ Kleinschreibungs-Beobachtung: „denn Alles, was da hinter der Mauer steht,“ - Hier wird „alles“ klein geschrieben.
Die Details tun dem Text aber keinen Abbruch, ich habe ihn sehr genossen.

Grüße von Echoloch
 

katia

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rumliegen

ehj, echo, ick find die total langweilich, weil die liegen nur rum..also abhängen is coola, gloobs mir :)

..deshalb passt es so schön, bis hin zur dunstglocke, die keine visum für die ddr hatte, als körperliche liebe noch fummeln und üben war...hach...

deshalb fand ich gerade das gut. da sieht man mal wieder das ding mit den geschmäckern.

lg
katia
 

knychen

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ick staune bauklötza

erstaunen allüberall, daß nach so langer zeit noch jemand von dem geschichtchen notiz nimmt.
das "alles" hab ich schon geändert und das "rumliegen" in anführungsstriche gesetzt. nach meinem ermessen ist der ironische effekt damit erreicht, aber seine eigene ausdrucksweise zu beurteilen ist nun mal ein schmales brett.
unschuldig sollte die geschichte wirken, das ist richtig erkannt und aus genau diesem grunde habe ich sämtliche reizworte vermieden, die sonst im zusammenhang mit bettszenen genutzt werden.
wahrscheinlich lief aus einem mühsam zusammengesparten mono-kassetenrekorder "jugendliebe" von ute freudenberg, was die zehn watt hergaben.
gruß aus berlin von knychen
 



 
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