Gleichnis über das Gebet

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van Geoffrey

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Gleichnis über das Gebet

Ein reicher Mann ging durch die Straßen einer großen Stadt. Der Mann war Händler und die Sorgen um sein Geschäft beugten ihm den Rücken. Eigentlich hätte er ein zufriedenes Leben führen können, denn er war wirklich sehr reich.
Da erblickte er einen Bettler am Straßenrand, der vollkommen zufrieden und heiter seinem Gewerbe nachging. Die Menschen blieben stehen, um ihm eine Münze zu geben, und wechselten einige Worte mit ihm, der immer seine Heiterkeit wahrte, ob er nun viel oder wenig bekommen hatte.
Die Zufriedenheit des Armen brachte den Reichen innerlich auf. Wie konnte der Bettler in seinem Elend nur so heiter und mit seinem Los zufrieden sein. Warum konnte er kein besseres Gewerbe ergreifen und warum hatte er sich mit diesem Leben abgefunden?
Der Reiche näherte sich dem Armen und warf eine Münze in dessen Schale. "Du scheinst als einziger von den Sorgen dieser Welt ausgenommen. Du sitzt bei dieser sengenden Hitze da und lebst von den paar Münzen, welche dir Menschen geben. Und doch scheinst du mit deinem Leben zufrieden. Ich bin reich - und doch fehlt mir die Zufriedenheit, die du zu besitzen scheinst. Wie kommt das?"
"Du hast recht." meinte der Bettler. "Ich sollte eigentlich unzufrieden und bestrebt sein, meine Lage zu ändern. Dennoch bin ich zufrieden, und das schafft dir Unruhe. Ich will deine Neugier auch gleich befriedigen. Ein großer König kommt einmal täglich vorbei. Er, der es nicht nötig hätte, mich eines Blickes zu würdigen, setzt sich zu mir in den Staub und wird selbst sozusagen zu Meinesgleichen und redet mit mir wie ein Freund mit einem Freund. Das schafft mir Freude und bewegt mich innerlich. Um dieser Freundschaft willen, weil ein so hoher Herr sich zu mir herab beugt, strebe ich nicht nach mehr. Die Zeit in welcher dieser König sich zu mir begibt ist die Zeit meines Gebets, und Gott selbst ist es, der sich so sehr erniedrigt, dass ich, ein Bettler, mich seiner Freundschaft erfreuen kann."
Der Bettler blickte mit hellen, lebhaften Augen in das ernste Gesicht des Reichen.
Der Reiche verstand und setzte seinen Weg in tiefem Schweigen nachdenklich fort.
 



 
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