Gloria

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Stella Blue

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Es war nur eine kleine Geste, eine unwichtige Geste, die mich bezauberte.
Das Armaturenbrett verschlang eine weiße Linie nach der anderen. Die Sonne brannte durch die Autofenster auf unsere Körper. Fleisch, das gegrillt wurde. Caro haßt das. Sie glaubt nicht, daß UV-Strahlen nicht durch Glas dringen können. Sie weiß es besser, aber sie glaubt es trotzdem nicht. Sie haßt es, braun zu werden, will sich ihre Blässe erhalten, die vornehme Blässe, wie sie es nennt, will sich die Jugend ihrer Haut erhalten. Sie macht alle verrückt damit. Wir müssen immer auf der Schattenseite der Straße gehen, damit sie keinen Sonnenstrahl zu viel abbekommt.
Neil Young keifte aus dem Lautsprecher. Es waren meine Gefühle, die da in Form von Musik im Auto herumflatterten, eingesperrten Vögeln gleich, die unsere Wangen mit ihren Flügeln schmerzhaft streiften und uns selbst eingesperrt vorkommen ließen.
\"WHY DO I KEEP F*!#IN\' UP!\"
Caro saß still, war still. Ich habe sie zum Schweigen gebracht. Sie sagte nichts zur Musik, die ich für ihren Geschmack bestimmt zu laut aufgedreht hatte, und tat nichts, um ihre Haut vor der heißen, prallen (wenngleich durch das Glas UV-losen) Sonne zu schützen. Ich haßte sie für dieses demütige Schmollen.
Sie trug eine schwarze Sonnenbrille, hatte ihre Augen vor mir verschlossen. Ab und zu kam eine Träne unter dem linken dunklen Glas zum Vorschein, die das Sonnenlicht reflektierte, während sie an der Wange herunter rollte, einer glitzernden, farblosen Perle gleich. Caro wischte sie nicht weg. Ich haßte auch diese Tränen! Warum weinte sie? Jede Träne war ein Wort, das sie mir vorenthielt. Sie redete nicht, wie immer. Sie behielt ihren Ärger für sich. Anstatt ihn hinauszuschleudern, verwandelte sie ihn in Trauer.
Ich begann, meinen Haß, meine Wut, zu ignorieren, und ich begann, Caro zu ignorieren, die ja die Personifizierung meiner Gefühle war. Und die Ursache. So begann ich, mich auf das Fahren zu konzentrieren. Das Fahren. Oh, wie ich es liebe. Ich ließ die weißen Linien unter mir hinweggleiten, so schnell, daß sie miteinander zu einem einzigen langen Strich verschmolzen. Die Landschaft und die Musik rauschten an mir vorbei. Die Felder, wie Flicken eines großen Teppichs - gelb, grün und braun - lagen nebeneinander auf dem flachen Land. Bäume, die die Straße säumten, machten das grelle Sonnenlicht flackern, gleich einem Kind, das den Schalter einer Lampe andauernd aus- und anknipst. Ich hatte meine Sonnenbrille im Hotel vergessen und mußte die Augen zusammenkneifen. Der Himmel, blendend blau, spiegelte sich in der flimmernden Straße. Diese schlängelte sich durch die Gegend - echte Straßen haben Kurven - und ich nahm sie mit großer Anmut und hoher Geschwindigkeit.
Plötzlich ein Mißklang, eine falsche Melodie, die sich auf die echte warf... großer Gott, Caro sang mit... ich faßte es nicht. Sie kam mir vor wie eine Zikade, die versuchte, gegen eine Nachtigall anzukommen.
\"Love was the winner there... overcoming hate - like a little girl who couldn\'t wait...\"
Ja, so ist sie manchmal, wie ein kleines Mädchen, das nicht warten kann, und so hat es auch angefangen mit uns. Sie hat sich auf mich gestürzt wie eine hungrige Löwin auf eine von der Herde abgeschnittene Gazelle.
Als ich an unsere erste Nacht dachte, breitete sich ein angenehmes und warmes Gefühl in meinem Körper aus, das meinen Mißmut über Caros schlechten Gesang und über sie im Allgemeinen ein wenig in den Hintergrund drängte. Ich hatte lange nicht mehr daran gedacht, wie wir uns kennengelernt, uns aufeinander gestürzt haben. Damals waren wir viel zu betrunken, als daß es hätte perfekt sein können, aber unsere Gefühle füreinander waren perfekt gewesen. Beinahe bekam ich Lust, am Straßenrand zu halten, um Caro zu nehmen und mich von ihr nehmen zu lassen.
Aber ich haßte sie doch! Ich haßte so viele Kleinigkeiten an ihr, und diese summierten sich zu einem regelrechten Haß auf sie. Ich wollte sie nicht mehr. Ich sollte es ihr sagen. Ich hatte es schon angedeutet...
Ich mußte scharf bremsen, um die vorgeschriebenen 50 km/h zu erreichen. (Nicht einmal dazu sagte Caro etwas.) Ein gelbes Ortseingangsschild flog an mir vorbei. Klein-irgendwas. Ich konnte es nicht wirklich lesen. Das Nest war klein, verschlafen, und am Rande der geschundenen Straße lag der verreckte Hund. Einige alte Damen in Kittelschürzen wankten den Gehsteig entlang. Ich kam mir so langsam vor wie sie mit den 50 km/h, die ich inzwischen erreicht hatte.
Die öde Umgebung verlor bald mein Interesse, so blickte ich Caro an. Sie wirkte wie eine verschlossene Schönheit, eine Diva, mit ihrer undurchdringlichen Miene und der dunklen Sonnenbrille. Die kühle Blonde. Die still dasaß und mich weiterhin ignorierte, ich weiß nicht, ob ihr bewußt war, daß ich sie ansah. Eine getrocknete Tränenspur klebte an ihrer Wange. Ich zuckte mit den Schultern. Die Kluft unseres Schweigens war inzwischen so breit geworden... zu breit, als daß ich sie hätte überspringen mögen. Ich wäre wahrschinlich nicht am anderen Rand angekommen, sondern wäre hineingefallen und hätte mir alle Knochen gebrochen. Sollte sie es doch tun.
Und dann tat sie wirklich etwas. Jene Geste, von der ich schon sprach, die mich so bezauberte. Sie raffte ihr langes Haar zu einem Strauß zusammen und bedeckte ihre rechte, dem Fenster zugewandte Schulter damit. Ein kleiner, aber doch wirkungsvoller Schutz vor der Sonne. Einfach und charmant.
Caro nahm dann wieder ihre erstarrte, beleidigte Haltung an, aber ich hatte das Gefühl, ein Ruck wäre durch sie gegangen, als hätte sie dieses stille Streiten satt.
Ich weiß schon, es ist nichts besonderes daran, die Schultern mit den Haaren zu bedecken, dazu sind sie ja schließlich da; Tiere nutzen die Haare, um sich zu wärmen, zu tarnen oder vor der Sonne zu schützen. Da ist nichts weiter dabei, aber mich hat diese kleine Geste doch irgendwie berührt, sie war so typisch für Caro, die subtile Caro, die erfinderische Caro. Sie hat mich verzaubert, ohne es zu wollen. Ich hatte doch alle Kleinigkeiten vergessen, die ich an ihr liebte.
Ein häßliches Quietschen, dann ein Klicken. Die Kassette war zuende. Die Stille brach über uns herein wie ein unerwarteter Regenguß. Nur das Brummen des Motors, das Rollen der Räder. Unser Schweigen nahm Gestalt an.
Ich hätte es gern zerbrochen, hätte gern etwas gesagt, alles, was mir im Kopf herumschwirrte, aber ich war zu beschämt.
Caro war schließlich diejenige, die die Stille durchbrach, die über die Kluft sprang, ohne sich zu verletzen. Dafür stieß sie mich hinab.
\"Ich glaube, wir sollten nicht mehr zusammen bleiben, Gloria. Ich meine, laß uns jeweils unsere eigenen Wege gehen. Wir haben uns einfach voneinander weggelebt.\"
Entsetzt starrte ich sie an und fuhr dabei fast in den Straßengraben. Sie hatte den Mut aufgebracht, das auszusprechen, was ich hatte sagen wollen, vorhin, als ich geglaubt hatte, sie zu hassen und nichts weiter. Aber jetzt wollte ich es nicht mehr sagen, und ich wollte es auch nicht hören.
\"Warum?\"
\"Ach komm, tu nicht so überrascht. Das wolltest du doch schon die ganze Zeit, oder nicht? Dieser ganze Urlaub ist eine reine Katastrophe. Denkst du, ich habe nicht gemerkt, wie sehr ich dir auf den Geist gehe?\"
\"Das tust du nicht...\"
Ich weiß nicht, was mit mir los war, aber ich brachte es einfach nicht fertig, ihr zu sagen, was ich fühlte, und daß sie Recht hatte, aber andererseits auch wieder nicht; daß ich gewissermaßen aufgewacht war; und daß ich mit ihr zusammensein wollte... wenn ich es geschafft hätte, ihr all das zu sagen, was mir während der Fahrt durch den Kopf gegangen war, wenn ich ihr von der Wirkung ihrer Geste auf mich erzählt hätte, vielleicht wäre sie dann nicht ausgestiegen. Aber ich brachte nichts über die Lippen. Mein klägliches \"Das tust du nicht\" nahm sie mir natürlich nicht ab.
\"Komm, Gloria, halt an, ich steige jetzt aus.\"
\"Das ist doch Wahnsinn! Wo willst du denn hier hin?\"
\"Ich werd\' schon eine Bushaltestelle finden. Halt bitte an.\"
Sie machte Anstalten, die Tür zu öffnen. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf die Bremse zu treten und stehenzubleiben. Bei Caro wußte man nie, sie war, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, zu allem fähig.
Sie stieg aus, knallte die Tür zu und ging davon. In die Richtung, aus der wir gekommen waren, zurück zum Hotel. Hier gab es keine Schattenseite, die Bäume hatten wir schon lange hinter uns gelassen. Die Sonne prasselte auf sie nieder, sie würde ihre vornehme Blässe verlieren, aber das schien ihr egal, sie lief unbeirrt. Sie hätte eine gute Frau für Lot abgegeben, denn sie drehte sich nicht um.
Ich blickte ihr nach, bis sie hinter einer Hügelkuppe verschwand, ließ den Motor kommen und fuhr los, in die andere Richtung.
Ich fühlte mich wie vor den Kopf geschlagen, wie gelähmt. Eines nach dem anderen, fielen mir die Dinge ein, die ich an Caro liebte - den Zopf, den sie sich abends immer flocht und mit dem sie ins Bett ging, ihr ungekünsteltes, nicht aufgesetztes Lachen, ihre Gulaschsuppe...
Irgendwann fuhr ich an einer Drogerie vorbei. Die brachte mich auf eine Idee. Ich hielt an, ging in den Laden und kaufte etwas. Dann fuhr ich zurück, um Caro zu suchen, einzuholen. Ich fand sie, konnte sie schon von weitem sehen. Als ich sie erreicht hatte, hielt ich neben ihr, stieg aus dem Auto, fing sie ab und gab ihr, was ich gekauft hatte - Sonnencreme und einen Hut. Es war ein alberner hellblauer Strohhut mit breiter Krempe, aber er war imstande, ein wenig Schatten zu spenden.
Caro stieg nicht zu mir ins Auto, aber sie nahm die Sonnencreme und den Hut.
Vielleicht würden wir uns am Abend im Hotel wieder sehen, vielleicht reiste sie nicht ab. Vielleicht verliebten wir uns noch einmal ineinander.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
zu

erst einmal herzlich willkommen auf der lupe.
eine sehr hübsche geschichte hast du da geschrieben, zart und anrührend. bitte mehr davon.
lg
 
L

Law

Gast
Hallo Stella,

also diese Geschichte erinnert mich an alle Urlaube mit meiner Frau, die ist immer aus dem Auto, hat immer die Türen zugeschmissen, wollte immer mit dem Bus oder der Bahn nach Hause, und immer haben wir den ersten Tag nur damit zugebracht voreinander Versteck zu spielen und ich fand sie, dann doch immer dann wenn ich dachte na endlich, ist sie mal wirklich ..(nein war Spass)das ist unser festes Urlaubsritual in immerhin 28 Jahren, mal reicht ne Bemerkung wenn sie in eine Einbahnstrasse in toscanischen Bergen ganze Dorfgruppen gegen uns aufbringt, mal irgendetwas altbekanntes gegen ihre Mutter, oder ich sage die spanische Küche ist doch immer nur "Paella auf dem Tella",peng rastet sie aus und die Sucherei geht los, wenn ich mich notdürftig verbunden habe.

Schön das Du das von Deiner Freundin, oder eben Deine Protagonisten kennst. Scheint so ne Art weibliches Spiel zu sein, und nun kommt das ganz dicke Kompliment: " Du bist die erste die dieses Phänomen beschrieben hat." Ich habs mich noch nicht getraut, nu ists eh zu spät, weil Du es schriebst, und sonst hätte jeder gedacht, der LAW das ist ein Unmensch, bei dem macht die Frau jeden Urlaub solche Zicken. Wie pflegt mein Sohn zu sagen " Die Mama ist eben die Mama,die ändert keiner, so sind Spanierinnen eben. Tolle Sache..Du hättest schön noch ne erotische Session dranhängen können, oder ne andere schöne Überraschung, nen Diamantring (Swarowski geht auch)im Strohhut oder sonstwas überraschendes als Finale?*lach

Nein toller Anfang, da geb ich Flammmarion recht, vor allem locker unkompliziert runtergeschrieben.

kollegialer Gruß
Law
 

Stella Blue

Mitglied
Hallo Law,

danke für Deinen Kommentar. Ich mußte so lachen :eek:)
Aber nein, Du bist kein Unmensch, weil Deine Frau jeden Urlaub solche Zicken macht, das ist einfach natürlich, liegt wohl in den weiblichen Genen, ich kenne es ja von mir (es ist eben schwierig, über den eigenen Schatten zu springen ;o)

Ich wünsche Dir jedenfalls für den nächsten Urlaub alles gute und viel Spaß (und genug Verbandszeug ;o)
Stella Blue
 



 
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