Glück auf, Kumpel!

Glück auf, Kumpel!
[Für Arthur, Karl (22 J.), Lutz, Walter und Kurt (57 J.), den Schießmann]
Ein Aufschrei! Ein Knall? Oder ist es doch ein Schrei? Der Lampenkopf, der sonst am Helm befestigt, wirbelt umher, trudelt, schlägt auf und erlischt.
Dunkle Nacht im Streckenvortrieb! - Stille! Nur der Lüfter surrt. - Staubschwaden streifen über uns hinweg. Entsetzt - das Bauholz wegwerfend - eile ich am Lader vorbei „vor Ort“.
Karl, der gerade den Lader in Gang setzen will, stürzt ahnungsvoll ans Telefon, dreht die Kurbel. „Schachtaufseher, Schacht 9!“ krächzt die ferne Stimme. „Schick den Personenzug! Wir haben einen Schwerverletzten! Bereite die Seilfahrt vor! Zur Rasenhängebank!“
Nur ein blanker Unterarm ragt unter einem Stein hervor. Von Walter ist sonst nichts zu sehen - begraben unter einem Stein. Kurt, der Schießmann, auf sein Knie gestützt, beugt sich über dessen Arm, ertastet mit dem Daumen den Puls, beobachtet den Zeiger seiner Taschenuhr. „Nichts zu machen, der ist tot!“ tönt er fast feierlich.
Karl bringt den Schleifkorb, läßt ihn jetzt konsterniert aus den Händen gleiten. Seine Augen beginnen zu blitzen! Das Gesicht verzerrt sich, wird zornesrot. Wie wild trifft sein Schuh mit der Stahlkappe das Gesäß des Schießmannes. Nur mit Mühe stützt dieser sich auf den Händen ab, das Brillenglas zerdeppert. Verstummt und verlegen rafft er sich wieder auf.
Fast automatisch hatten wir uns um den Stein gestellt, einen abgerundeten Quader mit Ausmaßen von vielleicht zwei mal ein mal einem halben Meter. „Hoch, anheben! Kurt, zieh ihn drunter her!“ kreischt Karl: „Hoch! Hoch! Nicht nachlassen! Zieh Kurt! Zieh!“
Aussichtsloses geschieht - ungeheure Kräfte werden frei! - „Absetzen!“
Wir heben den Verletzten in den Schleifkorb. Die Schnallen fixieren den Körper. Zitternd und bebend versucht Walter um sich zu schlagen, die Gurte hindern ihn. Quer über dem Schädel bis zum Nacken klafft ein tiefer Riß, die Augen schwellen zu. Blut und Wasser quillt aus Mund, Ohren und Nase. „Mutter“ ruft er, „Mutter“ haucht er und weint.
„Ich bin bei dir! Ich krieg’ Dich wieder hin! Halte durch!“ Karl scheint sich selbst zu beruhigen. Wir tragen den Korb zum Zug. Der Lockfahrer hat die Wagen rangiert, der Zug ist fahrbereit. Nun sieht er den Verletzten und fällt in Ohnmacht. „Packt mir den Schleifkorb auf die Akkulock!“ bestimmt Karl.
„Hast du schon ‘mal eine Akkulock gefahren?“ fragt Kurt. „Willst du fahren?“ fragt Karl zurück, ohne die Antwort abzuwarten. Er steckt den Lampenkopf auf seinen Helm, leuchtet die Strecke aus, legt den Arm über den Schleifkorb, die andere Hand faßt das Steuerrad. „Einsteigen! Bleib’ ruhig, Walter, es wird wieder gut!“ Der Zug fährt an.
Karl steuert den Zug - mit dem Schleifkorb auf der Lock - riskant und gefährlich nahe - aber behutsam - am Stoß vorbei. Das Gleis wechselt in Streckenmitte, der Zug nimmt Fahrt auf. Endlich am Schacht! Schwebebühnen liegen auf, Tore sind geöffnet, wir tragen Walter auf den Förderkorb. Bühnen heben ab, Tore schließen, Signal, der Förderkorb gleitet nach oben.
55 Sekunden später, die Spurlatte schwingt hoch, der Schleifkorb verschwindet mit dem Blaulichtwagen hinter der Kurve.
Wir bleiben zurück, in kurzen, dunklen Turnhosen, Socken und Arbeitsschuhen. Die Kopflampe brennend am Helm. Mittag, 18. Januar - minus 4°C. Scheiß kalt! Aus der Sanitätsstube eilt jemand mit Wolldecken heran.

Ein halbes Jahr später auf Spätschicht, gerade hatte ich den Förderkorb betreten, da vernehme ich eine lange nicht gehörte Stimme. Ich drehe mich um: „Du? Walter? Du fährst mit uns an? Wie geht es dir?“ „Ich habe immer Kopfschmerzen, aber sonst geht’s mir gut!“
Seine Hand streckt er über mich hinweg, faßt auf Karl’s Schulter. Karl wendet sich zu uns. „Danke!“ haucht eine bebende Stimme. „Wofür? Red’ nicht so viel! Das nächste Mal holst du mich raus! Verstanden!“
Der Förderkorb gleitet sanft in die tiefe, schwarze Nacht!
 

Svalin

Mitglied
Hallo Reinhard

die Szenerie ist für einen nicht Bergbau-Bewanderten etwas schwer vorstellbar (Schleifkorb, Akkulok, Schwebebühnen, Spurlatte usw.) ... bleibt aber bis zum Schluß sehr fesselnd geschrieben, geht unter die Haut. Schön, wie im letzten Satz die ganze Anspannung der Geschichte sanft ausklingt.

Martin
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Reinhard,
ich habe es nun endlich geschafft, alle deine Geschichten zu lesen. Sie gefallen mir. Aber die hier ist echt Spitze. Ich bin auch kein Bergmann und in meinem ganzen Leben erst einmal eingefahren, aber die Fachbegriffe haben mich nicht gestört. Im Gegenteil. Nur so bekommt das Ganze die authentische Wirkung. Ja, die Geschichte geht unter die Haut. Und das nicht nur, weil das Geschehen so dramatisch ist. Das findet man woanders auch. Mir gefällt vor allem die Sprache - die hat Saft und Kraft. Man könnte meinen, dieser Ich in deiner Geschichte bist du wirklich gewesen. Eigentlich schade, daß man hier so wenig aus diesem oder ähnlichem Milieu findet.

Gruß Ralph.
 
Glück auf!

Beide Beiträge verdienen schon lange eine Antwort.
Zuerst vielen Dank für die konstruktive Kritik - sie fällt deutlich positiv aus und ist ermunternd und anregend.
Eine Geschichte aus einem bestimmten Metier zeichnet sich durch die Verwendung von fachspezifischen Begriffen aus. Darin liegt oft die „Würze“. Dieses Phänomen sollte immer beachtet werden. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, möchte ich das Beispiel der unvermeidlichen Abweichungen zwischen Original und Übersetzung anführen.
Ich meine deshalb, wenn ich der Anregung folge und die Bergbaubegriffe entferne, dass ich damit keine Verbesserung erzielen kann.
Meine Freude über beide Beiträge ist ungeschmälert. :) :)
Beste Grüße
Reinhard
 

Silea

Mitglied
Dies ist eine Geschichte, die ganz aus Essenz besteht. Sie zeigt, dass es fern von jeglichem Dünkel und Getue noch Leute gibt, die noch wissen, worauf es im Grunde ankommt und dies auch ohne viel Worte vorleben. Und sich trotzdem verstehen. Die Geschichte hat mich sehr gerührt.
Silea
 

Zefira

Mitglied
Kann ich nur zustimmen. Ich finde es gar nicht unbedingt notwendig, alle Fachausdrücke zu verstehen. Das Wichtige kommt rüber, und zwar mit Wucht.
Eine winzige Kleinigkeit: mich hat das Bild des so vereinzelt herausragenden Arms berührt. Um das noch zu steigern, würde ich den Satz
"Kurt, der Schießmann, auf sein Knie gestützt, beugt sich über dessen Arm..."
ändern in "diesen Arm". Das betont die Nacktheit: der Mensch ist in diesem Moment optisch nur Arm, bloß und kahl.

Liebe Grüße (und weiter so!!!)
Zefira
 
Anregung

Hallo Zefira!
So funktioniert die Leselupe vortrefflich! Für diese liebevolle Anregung bin ich äußerst dankbar. Ich werde sie gern übernehmen!
Dank und beste Grüße
Reinhard
 
Anregung

Hallo Moderatorin,

gerade wurde ich über die Begleitung von ModeratorInnen informiert. Ich begrüße diesen Fortschritt!

Als ich jetzt meinen Text entsprechend der Anregung ändern wollte, stellte ich fest, dass ich dadurch meine gewollte Aussage erheblich verändere. Ich war und bin immer noch darüber empört, dass jemand Sekunden oder Minuten nach dem Geschehen so stümperhaft den Tod feststellt und andere dazu verleiten kann, so leichtfertig mit Menschenleben umzugehen. Ganz bewusst habe ich das Possessiv-Pronomen angewandt, weil der Arm = Walter ist. Er ist Teil von Walter! Der Arm ragt nicht für sich allein hervor! Von der Würde des Menschen schien mir dieser Herr Schießmann (Sprengmeister) nie etwas gehört zu haben! (Vielleicht bin ich übersensibilisiert!)
Der Anregung möchte ich daher nicht folgen.
Beste Grüße
Reinhard
 

Zefira

Mitglied
hm, hm, hm...

... leuchtet durchaus ein. Trotzdem gefällt mir das "dessen" nicht so recht. Es ist einfach zu weit entfernt von "Walter", auf den es sich bezieht. Dann würde ich setzen "Walters Arm", oder evtl. auch den Einschub "auf sein Knie gestützt" streichen, um das "dessen" näher heranzubringen.
Ach, und streiche doch auch das "fast" vor "feierlich". Das wirkt knackiger, meine ich. Er tönt feierlich. Ganz schön blöde Figur, der Kurt...
Gruß
die Kümmelspalterin
 



 
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