Gödelparadoxon der Dichtkunst - ein gedicht über sich selbst

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Zu jedem
genügend
komplex
gebildeten
leser
gibt es
ein
gedicht,
dass er
nicht
verstehen kann,
dass ihn,
wenn er scharf nachdenkt,
zu zerstören vermag,
dessen er sich
nur wehren kann
durch rauschen,
sei es das rauschen des meeres,
das rauschen der wolken,
das rauschen der straßenbahn.
ob der dichter
das gedicht selber
aushält?
das ist eine
schwierige frage,
schwieriger noch,
als die nach der sprache,
in der es geschrieben ist,
so steht nicht fest,
ob das gedicht
in russischer
oder aramäischer sprache
ähnlich zerstörerisch wirkt.
Wie hofstadter bemerkte,
gibt es zu jedem
genügend guten
plattenspieler
eine platte,
die er nicht spielen kann,
jeder andere aber
vermag es.
Ist es besser,
gedichte zu lesen,
wenn man müde ist?
entgeht man so
der spitze der sprache
die sich umdreht
und wirkt?
oder wird man
im zustand
des halbdämmerns
eher aufnahmebereit
für das gedicht?
ist das gedicht
schon geschrieben?
zu jedem dichter,
der nur genügend scharf nachdenkt,
gibt es ein gedicht,
welches er nicht schreiben kann,
denn ehe er es beendet,
hat es sich ihm entwunden.
er kennt es,
er ahnt es,
aber er kann es nicht schreiben,
vermag es vielleicht auszusprechen.
für jeden dichter
gibt es ein gedicht,
welches er nicht sprechen kann.
auch dieses gedicht
weigert sich,
endlos weitergeschrieben
zu werden,
denn es mag mich.
mag es mich gebraten oder gekocht?
es mag mich
und weigert sich
und ich kann es nicht schreiben
und ich kann es nicht lesen
und es kann nicht gelesen werden
und es ka
 

WuZhao

Mitglied
Lieber Bernd,

so kanns gehn im Leben, immer wieder, daß eigene Grübeleien sichtbar werden, wenn ein Mitmensch sie formuliert.

Vielen Dank
Wu ;)
 

mc poetry

Mitglied
hallo bernd!

whow, ich bin ziemlich neidisch, dass ich nicht
die idee hatte. und selbst wenn, haette ich es
von der ausfuehrung nicht so hingebracht.

In jedem hinreichend großen Literaturforum
gibt es einen Dichter, der nicht in die durch
das Werk der übrigen definierten Kategorien passt.
ciao, michael
 

ibini

Mitglied
Hallo Bernd,

ich weiß nicht warum, aber irgendwie blieb mein Blick an Deinem Beitrag hängen. Mich mit ihm zu befassen, war da nur noch ein kleiner Schritt:

Das Gedicht, das eigentlich gar kein Gedicht im strengen Sinne, sondern in Scheiben servierte Prosa ist, liest sich leicht, ist flüssig geschrieben und gut verständlich. Die Handlung scheint, sich meist an der Oberfläche abspielend, auf den ersten Blick keine Fragen aufzuwerfen. Das ändert sich jedoch schnell, wenn man sich mit der Darstellung bzw. der Thematik näher befaßt. Denn dann wird klar, daß eine ganze Reihe nahezu philosophischer Gedanken damit verknüpft ist.

Dreh- und Angelpunkt der verschiedenen Sequenzen des Gedichts ist ein Gedicht. Es scheint immer dasselbe zu sein, wobei in den einzelnen Passagen menschlich-weltliche Züge durchschimmern und so wesentlich mit zum Gesamtbild beitragen. Auffallend ist vor allem, daß in dem sich aufbauenden Spannungsfeld die Gedichte im wesentlichen negativ besetzt sind, das heißt auf weltlichen Imponderabilien beruhen. Das Warum ist unverständlich und bleibt der Phantasie des Lesers überlassen. Etwas verloren und eigentlich überflüssig ist der Passus mit dem Plattenspieler. Das würde auch einer wünschenswerten Kürzung entgegenkommen.

Abzuleiten ist aus all dem, daß sich hinter den einzelnen Fragestellungen menschliche Konflikte verbergen. Ein in dem Gedicht manifestiertes Negativum scheint allen Bemühungen, ein Menschenleben und die Einstellungen dazu zu ändern, entgegenzuwirken. Dabei wiederholen sich die Bemühungen, ohne jedoch zum Ziel zu führen. Das Ende ist offen.

So meine Auslegung des Beitrags, wie ich ihn verstanden habe.

Mit Gruß
ibini
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Ibini

vielen Dank für die ausführlichen Hinweise.
Die Szene mit dem Plattenspieler ist in gewisser Hinsicht eine der Schlüsselszenen.
Die Mathematik, streng angewendet, führt zu seiner Zerstörung.
Ebenso führen Regeln, wenn sie absolut und auf die Spitze getrieben angewendet werden, zur Zerstörung.

Das Gedicht ist tatsächlich eine Art Prosa-Gedicht und behandelt die wichtigste Entdeckung in der Mathematik, die im vergangenen Jahrhundert gemacht wurde, vergleichbar mit der Relativitätstheorie in der Physik.

Das Gedicht wird - plötzlich - selbstbezüglich, es zerstört sich selbst, so hat es am Ende kein Ende.

Dieses aber verhindert, dass der Leser, ähnlich dem Plattenspieler, zerstört wird.

Dass Gedicht baut sich zyklisch auf, dabei wiederholt es sich in sich selbst, weigert sich aber, völlig Gedicht zu sein, scheint Prosa - in Scheiben geschnitten.

Doch da ist das poetische Bild, fragmenthaft zwar, unfertig, labyrinthisch.

Das Negative steht sich selbst negierend dabei und lächelt.

Hat es es geschafft?
Ist das Gedicht zerstört?
Ist das unendliche verschlungene Band gerissen?
(Hofstadter: Gödel, Escher, Bach ein Endloses Geflochtenes Band.)

Ist Unendlichkeit im Gedicht machbar? Ist das (scheinbare) Ende des Gedichtes wahr? Wirkt es weiter? Nimmt die Leere den Raum ein, den das Gedicht einst hatte?


Viele Grüße von Bernd
und vielen Dank für die Anregungen, die mich zu diesem Diskurs verleiteten.
 

ibini

Mitglied
Hallo Bernd,

ein Gedicht aus Prosascheibchen! Wenigstens in dieser Hinsicht haben wir einen gemeinsamen Nenner. Dann aber gabeln sich unsere Wege. Und das war zu erwarten. Vergleichbar etwa einem zu interpretierenden Gemälde mit scheinbar ungeordneten Zeichen auf unifarbenem Untergrund.

Du als „Produzent des Werkes“ hast bei jedem Zeichen, das Du setzt, ein bestimmtes Bild vor Augen. Das spiegelt sich in der Form und Anordnung des Zeichens wider. Auf diese Weise baust Du das Gemälde mosaikartig auf, bis es dem entspricht, was es ausdrücken soll. Das kann allerdings nur für Deine Augen, Dein Empfinden, Deine Vorstellungen, Deine Gedanken usw. gelten (sofern es sich nicht um „Allgemeingut“ handelt). Denn beim Betrachter, frei von allen Vorgaben nur mit dem fertigen Gemälde konfrontiert, löst die Darstellung sofort bestimmte eigene Assoziationen aus, die von den „Zielvorstellungen“ völlig abweichen können. Das wird in unserem Fall schon an den beiden unterschiedlichen Blickrichtungen deutlich. Wenn für Dich mathematische Fragen im weitesten Sinne im Vordergrund stehen, sind es für mich vor allem menschliche. In beiden Fällen spielt zwar das Gedicht eine Schlüsselrolle, jedoch in verschiedener Funktion: Bei Dir ist es eine Art „menschlich entfremdetes Wesen/Objekt“, in meinem mehr eine undefinierte „menschliche Konfliktsituation“. Am Ende laufen dann beide Betrachtungsweisen insofern wieder zusammen, als das Ende offen, anscheinend mehr Fragen geblieben als Antworten gegeben worden sind.

Was ist aus all dem zu schließen? Ich halte es für schier unmöglich, ohne jedes Basiswissen, ohne jegliche, über das Gedicht selbst hinausgehende Informationen zu Deiner Auslegung zu kommen (das gilt in letzter Konsequenz für meine nicht weniger und für jede andere auch). Inwieweit die neben meiner Antwort noch vorliegenden Stellungnahmen auf zusätzlichen Kenntnissen beruhen oder nur mehr oder weniger „Proforma-Aussagen“ sind, weiß ich nicht, kann ich damit nicht beurteilen, und ich möchte diese Frage deshalb hier ausgeklammert sehen (obwohl es natürlich interessant wäre zu erfahren, ob das Gedicht wirklich so verstanden wurde, wie von Dir skizziert). Schade jedoch, daß gerade dieses Beispiel „experimentell“ eigentlich nicht genutzt wurde. Es hätte sich gut dafür geeignet.

Mit Gruß
ibini
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke, Ibini, für die Bemerkungen.
Sie zeigen auch, dass Lyrik wesentlich mehr enthält als offensichtlichen Inhalt. Sie erregt im Kopf auf irgendeine (magische) Weise Resonanz. (Wenn sie es nicht tut, beschäftigt sich derjenige auch kaum damit.)
Viele Grüße von Bernd
 

ibini

Mitglied
Hallo Bernd,

da sagst Du ein wahres Wort! Deshalb kann ich auch – vor allem, wenn es um Beurteilungen geht – mit so lapidaren Bemerkungen wie „Das ist ein schönes Gedicht!“ nicht viel anfangen. Es genügt zwar, lediglich Wörter hintereinanderzureihen, um ein Gedicht zu fabrizieren. Aber es wird dann ohne Leben sein. So wie ein bloßes Hintereinander von Tönen allein noch keine Melodie ist. Keine Melodie … aber schnell „Lärm“!

Mit Gruß
ibini
 



 
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