Götz

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gromski

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Götz

Götz erwachte und spürte zunächst nur seinen Schädel. Der hämmerte wie die Polizei. Götz dachte sofort, ich muss das Marihuana vom Balkon werfen. Wo hab ich nur meine Strickjacke. Er drehte sich etwas, und sah Schuhe. Er hatte im Gang geschlafen. Demzufolge kam das Hämmern tatsächlich von der Tür.
Götz hatte am Vorabend im Schlappen gearbeitet, daran konnte er sich jetzt erinnern. Um vier hatten sie zugemacht und waren noch in die Schachtel hinüber gegangen. Sabine war dabei gewesen, die Götz von Pilates kannte. Pilates war gut für ihn, obwohl er ja überhaupt keine Vagina besaß, die er trainieren müsste. Jetzt spannen wir den Beckenboden an. Wir fühlen hinunter zu unserem Damm. Wir ziehen den Uterus ein. Das erzeugte in Götz so ein tiefes Bewusstsein für seinen eigenen Körper.
Ein erneutes Hämmern holte Götz in den Gang seiner Wohnung zurück.
„Aufmachen“, ertönte es jetzt auch eindeutig von der Tür. „Polizei!“
Götz quengelte etwas. Widerwillig beschloss er zu handeln. Er drückte sich hoch und hatte bald einen stabilen Zwischenzustand auf Knien und Händen erreicht. Und in dem verharrte er erst einmal, mit diesen Kopfschmerzen musste er ja nicht gleich alles überstürzen. Wie spät mochte es sein, fragte er sich. Es war doch Sonntag. Aus dem Nachbarraum kam Punkmusik. Knut war also schon wach. Oder noch. Vielleicht kamen sie wegen Knut, dachte Götz, und kurz keimte Hoffnung in ihm auf. Knut hatte schließlich vor einer Woche bei der Rektoratsbesetzung mitgewirkt. Götz hingegen war doch viel zu friedfertig für irgendwelche Verdachtsmomente. Neben Pilates machte er auch Joga. Er hatte ein Problem mit Fleisch. Eine Weile hatte er sogar moralische Überlegungen hinsichtlich aller anderen tierischen Produkte angestellt. Eine Maskenmütze trug er nur, wenn ihm kalt war. Ihm war zwar oft kalt. Auch im Sommer manchmal. Aber der Polizei kommt es doch ausschließlich auf die Motive an, dachte er. So objektiv ist sie doch.
„Aufmachen, Herr Fallhans! Wir wissen, dass Sie da sind!“
Fallhans war sein Nachname. Das zerschlug in gewisser Weise seine Hoffnungen. Das war nicht gut. Mann, dachte er. Ausgerechnet, wenn er was hatte. Er hatte es doch nur wegen Sabine besorgt. Um mit ihr „mal einen durchzuziehen“, wie sie sich ausdrückte. Die hatte noch nie gekifft. Sabine hatte bis vor kurzem noch nicht einmal geraucht. Lass uns mal einen durchziehen, sagte sie dafür die ganze Zeit. Überhaupt sagte sie manchmal auch andere merkwürdige Dinge, die gar nicht zu ihr passten. Zum Beispiel: Ich häng voll gern einfach nur ab. Oder: Die Leute sollen sich mal locker machen. Die Gesellschaft ist irgendwie total starr. Wie ein Mieder oder so etwas. Das alles hörte sich für Götz etwas einstudiert an. Aber Götz war in Sabine verliebt. Sie war sehr hübsch. Und sie hatte ein gutes Herz. Götz kannte sich mit Menschen aus.
Der Gedanke an Sabine gab ihm einen neuen Schub. Er richtete seinen Oberkörper auf und tastete an sich herum. Gott sei Dank. Die Strickjacke hatte er gar nicht erst ausgezogen. Das Tütchen mit dem Gras beulte die Brusttasche aus. Das war doch schon mal gut. Das war die halbe Miete. Jetzt nur noch irgendwie zum Fenster kommen, dachte Götz. Es hätte ja viel schlimmer kommen können. Die Strickjacke könnte ja Gott weiß wo sein. Am Haken, oder auf dem Sofa, oder sogar auf der anderen Seite der Wohnungstür. Götz konnte sich nicht mehr erinnern, wie er nachhause gekommen war.
Sabine mochte die Strickjacke, dachte er, während er versuchte, auf die Füße zu kommen. Sie hatte ihm ein Kompliment gemacht. Eine schöne Jacke hast du. Das war nach einer Theaterprobe gewesen, kurz nachdem er sie kennen gelernt hatte. Sie hatte ihn abgeholt. Er hatte sich noch abgeschminkt, dann waren sie ins Cafe Sizilien gegangen. Ich will gar kein Schauspieler werden, hatte er Sabine erklärt. Ich will nur etwas fürs Leben lernen. Schauspielerei kann einem wichtige Dinge in Erinnerung halten. Zum Beispiel, dass wir alle nur Schauspieler sind. Goffman. Gesellschaftliche Rollenbilder und so was. Verstehst du? Götz hatte vorher Soziologie studiert. Und Ethnologie. Zuvor noch Germanistik. Aber Studieren war ihm vor einem Jahr dann zu theoretisch geworden. Beachtlich am Leben vorbei. Verstehe ich, hatte Sabine gesagt. Ich bin genau der gleichen Meinung. Die ganze Gesellschaft ist viel zu starr. Wie ein Mieder oder so was. Die Leute sollten sich mal locker machen. Er fand Sabine sehr hübsch. Und er fand sie auch ziemlich klug. Er war froh, sie kennen gelernt zu haben. Natürlich hatte sie eine Beziehung, darüber war Götz sich im Klaren. Er kannte diesen Gert sogar, hatte ihn einmal gesehen. Er war Jurist im Referendariat in einer anderen Stadt. So ein ziemlich adretter Schönling. Mit eigenem Passat und dergleichen. Aber Götz glaubte, dass Sabine in ihn verliebt war. Auch wenn sie es bisher noch nicht so direkt ausgedrückt hatte. Gert solle sich mal locker machen, hatte sie aber gemeint.
An der Tür dröhnte es nun noch heftiger.
„Ich warne Sie, Herr Fallhans! Wir brechen die Tür auf. Ich zähle bis drei. Eins…“
Götz stand inzwischen im Wohnzimmer. Er stand geduckt, weil er Angst hatte, seinem Kopf die Druckverhältnisse der Höhenluft zuzumuten. Scheiße, dachte er. Er öffnete die Balkontür und war zunächst von der Frische des Morgens schockiert. Dann warf er das Tütchen über die Brüstung und es landete auf dem Dach des Nachbargebäudes, das man später bequem über eine Leiter würde erreichen können. Hoffentlich fegt der Wind es nicht davon, dachte er kurz. Wenn es blöd gelandet ist und senkrecht zwischen dem Kies steht und eine breite Angriffsfläche bietet?
„Ich komm ja schon“, rief er zur Tür, als er sich wieder durch das Zwielicht des Gangs tastete. Die Punkmusik von Knut ist so beschissen, dachte er. Das ist doch immer nur dasselbe. Götz verstand Punk nicht. Das war doch nur so eine Aggression. Wozu denn? Warum engagierte sich Knut nicht für den Klimaschutz oder gegen Tiertransporte, wie Götz? Natürlich war Knut selbst gar kein Punk. Echte Punks haben Hunde und leben im Park, dachte Götz. Oder auf der Wiese vor dem Bahnhof. Und sie kämpfen zumeist gegen die Gesellschaft. Knut hingegen machte gerade sein Abi nach und hatte schon Gärtner gelernt. Er hatte das Rektorat nur mitbesetzt, weil er für die Zukunft vorsorgte. Ich hab kein Bock auf Studiengebühren, hatte er gesagt. Und außerdem sind die unsozial. Da hatte Götz ihm wiederum Recht gegeben.
Die Polizei war inzwischen schon längst bei der Drei angelangt, und es machte Götz nun doch ein wenig misstrauisch, dass nichts passierte. Er blickte durch den Spion, sah aber nur Schwarz.
„Wer ist denn da“, fragte er.
„Der Pizza-Service.“
Er öffnete die Tür. Es war gar nicht die Polizei. Es war auch nicht der Pizza-Service. Einen Moment dachte er, es sei seine Schwester. Aber es war Sabine.
„Ich hab Brötchen geholt“, sagte sie. „Ich hatte keinen Schlüssel.“
„Ah, du bist es“, sagte Götz. „Du hast hier übernachtet?“
„Götz, du schaust beschissen aus.“ Sie lächelte. Es gefiel ihr offenbar. Sie gab ihm ein Küsschen und drängte sich an ihm vorbei.
„Wo hast du geschlafen“, fragte er, als sie den Tisch abräumten.
„In deinem Bett.“
„Warum hab ich im Gang geschlafen?“
„Wir haben krass einen durchgezogen.“
„Aha.“
„Ich fand die Vorstellung gut, dass du einfach liegen bleibst. Man sollte sich schließlich öfter mal locker machen, oder?“
Sie trug immer noch das Top von gestern, das pastelgrüne. Sie trug immer nur pastelgrüne Tops. Man sah richtig ihre Brüste, die eine vielversprechende Form hatten. Götz hegte die Hoffnung, man würde einen Bettsonntag verbringen können. Es musste ja nichts laufen. Er hatte ein neues Hörspiel. Hörspiele waren sein Leben. Er könnte Tee machen. Er wusste, Sabine war in ihn verliebt, man könnte einfach nur Zeit miteinander verbringen.
„Gert putzt sich immer die Zähne vor dem Schlafengehen“, sagte Sabine, während sie die Brötchen aufschnitt. Sie wirkte verärgert. „Immer genau drei Minuten lang.“
„Scheint mir vernünftig“, sagte Götz. Er wollte großzügig sein. Zeigen, dass Gert einem als der Gelackmeierte auch etwas leid tun musste.
„Klar. Er legt sich auch jeden Abend schon die Kleidung für den nächsten Morgen zurecht“, sagte Sabine.
„Ziemlich praktisch“, sagte Götz.
„Er trägt Polohemden. Und er schreibt Emails immer offline.“
„Das mache ich auch. Manchmal sogar erst in einen Notizblock. So ein Computer verbraucht 1 Watt pro Stunde, wusstest du das?“
„Ja. Das sagt Gert auch immer. Aber das ist doch echt voll kleinfamilienmäßig, oder? Der will mich heiraten, verstehst du? So ist das. Der hat schon mit allem sein Kreuz gemacht. Und mit meinem Vater erst recht. Der will mich in so einen Mieder reinzwängen oder so. Der sollte sich echt mal locker machen.“
Ob man irgendwie einen Kuss provozieren sollte, überlegte Götz. So einen mit Zunge. Irgendwie mal ein bisschen rummachen? Sie gab ihm immer nur Küsschen. Wahrscheinlich erwartete sie, dass er mal Klartext redete. Aber das war ja überhaupt nicht sein Metier. Streng genommen hatte er noch nie eine Freundin gehabt, nur einige Affären. Die Frauen hatten dann aber gleich gesagt, dass er doch nicht so an ihnen hängen solle. Er solle nicht immer alles für sie machen und sie ständig anrufen.
„Sollen wir vielleicht einen durchziehen“, fragte Sabine.
„Na ja“, sagte Götz. „Das wird schwierig.“ Aber dann dachte er, dass es die Sache vielleicht erleichtern würde.
„Streu du doch mal einen auf“, sagte sie. „Und ich koch Eier.“
Einen aufstreuen? Das hatte Götz noch nie gehört. Sabine sagte immer so komische Sachen. Aber der Vorschlag war fair. Er glaubte, dass Sabine in ihn verliebt war. Nur die Kopfschmerzen waren ein gewisser Wermutstropfen. Schließlich musste er die Leiter am Balkon hinabsteigen. Götz war kein Sportler, das wusste er. Auch wenn er leicht in den Hund runterkam und einen gut trainierten Uterus besaß. Er hatte kurze Beine und war sogar etwas rundlich. Die Sprossen der Leiter waren weit von einander entfernt, für große Schornsteinfeger gedacht. Er litt Todesängste, als ihm der Wind um den Kopf pfiff. Aber Sabine ist in mich verliebt, dachte er. Und das machte ihm den Abstieg einfach.
Zurück im Wohnzimmer, streute er einen auf.
„Das ist so geil, einen durchzuziehen“, sagte Sabine und hielt den Rauch lange in der Lunge. „Das sollte ich mal mit Gert machen. Das würde den mal ein bisschen locker machen.“ Sie spielte mit einem Finger in ihren Haaren. Sie hatte schwarze Locken. Schwarze Locken, darunter das pastelgrüne Top. Das war Sabine. Grünschwarz. Die Frisur wirkte, als hätte sie heute Morgen viel Zeit damit verbracht.
„Kennst du das Parfüm“, fragte Götz. „Hab ich als Hörspiel.“
„Kenn ich“, sagte sie. „Das ist doch so ein Kommerzscheiß.“
„Joaaaa…“, sagte Götz. „Das stimmt schon.“
Sie schwiegen eine Weile und Götz dachte nichts sondern sah sich die Tapete an, die hier und da einen weißen Sprenkler hatte.
„Sollen wir noch einen durchziehen“, fragte Sabine nach einer Weile.
„Ok“, sagte Götz.
Die Punkmusik wurde lauter. Knut kam aus seinem Zimmer.
„Kifft ihr, oder was?“
„Klar“, sagte Sabine. „Willst du auch mit einen durchziehen?“
Knut legte seinen Rucksack auf einen Stuhl.
„Klar.“
„Wo gehst du hin“, fragte Götz. Er war ein bisschen verärgert, dass Knut ihm da jetzt dazwischen kam.
„uASTA-Treffen.“
„Knut, du studierst doch gar nicht. Außerdem ist heute Sonntag.“
„Finde ich super“, sagte Sabine. „Viel zu wenige Leute engagieren sich. Die Gesellschaft ist echt voll starr. Wie ein Mieder oder so was.“
Knut hatte seine Lederjacke mit den Nieten an. Er stank nach Bier. Haare hatte er nur an einer Seite des Kopfes. Die andere war kahl rasiert. Er warf Götz einen fragenden Blick zu. Was ist denn das für eine?
„Und was macht ihr noch so“, fragte er.
„Einen durchziehen“, sagte Götz. „Dann vielleicht Hörspiel hören.“
„Wo ist das Treffen denn“, fragte Sabine. Das ärgerte Götz wieder.
„Knut“, sagte er. „Es ist schon elf. Hat es nicht schon längst angefangen?“
„Mach dich mal locker, Götz“, sagte Knut.
„Ja, Götz“, sagte Sabine. „Mach dich mal locker.“
Sie zogen einen durch. Dann sagte Knut, er müsse jetzt los. Sie sollen sich mal reinhauen. Er ließ aber die Punkmusik laufen, die Götz scheiße fand, also trottete Götz in Knuts Zimmer und schaltete sie aus.
„Kennst du Baudolino?“, fragte er Sabine, als er wieder am Tisch saß. „Hab ich auch als Hörspiel.“
„Ich hasse Hörspiele“, sagte Sabine. „Meine Mutter hört den ganzen lieben langen Tag Hörspiele. Sie kocht für meinen Vater, putzt die Wohnung oder hockt einfach nur herum und hört diese blöden Hörspiele. Wenn sie nicht gerade in einem Wellness-Studio ist. Und zu Weihnachten bekomme ich jedes Mal ein Hörspiel von ihr geschenkt. Letzte Weihnachten habe ich sogar von Gert eines geschenkt bekommen. Weil er meine Mutter um Rat gefragt hatte und sie ja genau weiß, dass ich Hörspiele liebe.“
„Ach so“, sagte Götz.
„Warst du im uASTA, als du studiert hast“, fragte Sabine.
Götz ärgerte es, dass sie da jetzt so auf diesem uASTA herumritt.
„Nein“, brach es aus ihm heraus, wobei er sich gleich wieder dafür schämte. „Ich find das ein bisschen albern“, sagte er etwas freundlicher. „Da sind total viele Leute, die Bock haben, irgendwas zu besetzen. Um Politik kümmert sich da niemand. Überhaupt ist diese Stadt so ein Modemekka für Linksradikale. Das finde ich irgendwie scheiße.“
„Sollen wir noch einen durchziehen?“ fragte Sabine.
Götz schummerte es schon beachtlich.
„Ich weiß nicht“, sagte er.
„Na ja“, sagte Sabine. „Ich muss sowieso heim. Heute ist Sonntag. Da essen wir immer alle zusammen. Gert bringt heute seinen Bruder mit.“
Sie schwiegen eine Weile.
„Vielleicht sollten wir uns noch kurz hinlegen“, schlug Götz vor. „Ein Hörspiel hören.“ Aber er sagte es zu leise. Sabine hörte es nicht. Sie war gerade aufgestanden und suchte ihre Jacke.
„Ich ruf dich dann mal an“, sagte er an der Tür.
Jaja“, rief sie über die Schulter. Sie schwankte durch den Gang, war wohl sehr bekifft. Sie hob nur die Hand und war hinter der Ecke verschwunden. Ihm fiel ein, dass er ihre Nummer gar nicht hatte. „Sabine“, rief er. Aber sie war schon weg.
Dann klingelte das Telefon. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Und in der Tat. Es war seine Mutter. Die gleichzeitig seine Vermieterin war. Und Anwältin.
„Götz“, sagte sie. „Wenn du nicht innerhalb von fünf Tagen deine Miete zahlst, erstatte ich Anzeige gegen dich.“
 

Wipfel

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Ist zwar überhaupt nicht "mein" Leben - aber der Text wirkt sehr authentisch und ist zudem gut geschrieben. Kann mir vorstellen, dass die DrönMichZu-Texte irgendwann aus der Mode kommen...

Grüße vom Wipfel
 



 
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