Gott im Haus

Kyra

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Der abendliche Herbstnebel zog schon auf, als Thomas durch ein langes Läuten an der Haustür beim Mikadospiel mit seinen Kindern unterbrochen wurde – natürlich als er grade versuchte ein schwieriges Stäbchen abzuheben. Während er hinausging um zu öffnen, rief er nach seiner Frau,
„Sabine, Sabine! Es hat geklingelt, hast du das nicht gehört..? Hast du etwa jemanden eingeladen?“
Durch die geöffnete Kellertür hörte er Sabines Stimme, verstehen konnte er nichts. Murrend öffnete er die Tür. Vor ihm stand ein imposanter alter Mann barfuss und mit einem Nachthemd bekleidet. Seine weißen Haare fielen bis auf die Schultern, sein langer Bart sah gepflegt aus. Thomas warf die Haustür erschrocken wieder ins Schloss, blieb aber lauschend stehen. Er brauchte nicht lange zu warten, da ließen drei heftige Schläge das ganze Haus erzittern und eine tiefe Stimme sprach,
„Mach sofort die Tür wieder auf, Thomas. Ich bin Gott und will in dein Haus.“
Dem folgte ein Grollen, als würde Artillerie aus der Ferne anrücken.
Thomas rührte sich nicht, inzwischen war Sabine neben ihn getreten und sah ihn fragend an, als die Stimme von draußen sich wieder meldete.
„Ah, ich sehe, du bist auch da Sabine, dann öffne du deinem Gott die Tür, sonst muss ich sie leider Kraft eines zersplitterten Gedankens zerstören.“
Einen Augenblick brauchte Sabine, um zu verstehen, was damit gemeint war, jemand wollte ihre! Tür, in ihrem! Haus kaputt machen. Sabine war eine furchtlose Frau, vor allem, wenn sie sich ärgerte. Sie wischte ihre nassen Hände an der Hose ab und riss kampfbereit die Tür auf, dann stutzte sie und sah verblüfft den alten Mann an.
„Zu wem wollen sie?“
fragte sie ihn ungeduldig, mit ihrer „ich habe jetzt wirklich keine Zeit“ Stimme,
„Sicher zu Roeders, die wohnen nebenan…“
Mit diesen Worten wollte Sabine die Tür wieder schließen, aber der alte Mann war irgendwie eingetreten ohne dass sie es gesehen hat. Er stand nun in der Diele und musterte sie und Thomas mit strengem Blick, als er sprach,
„ich bin der Herr, euer Gott. Ihr betet doch immer zu mir, bittet mich um tausend Dinge, aber dann lasst ihr mich nicht mal ins Haus. Undankbare Menschheit…“
„Herrgott“
entfuhr es Thomas.
Sabine war nicht so leicht zu beeindrucken,
„Ja klar, beten dürfen wir, aber wann ist mir denn der letzte Wunsch erfüllt worden, hä? Außerdem könnte ja jeder hier hereinplatzen und behaupten er sei Gott, so einfach geht das nicht.“
Die beiden Kinder standen schüchtern in der Wohnzimmertür und starrten den Mann an. Alinas Stimme ließ sie aller herumfahren,
„Ist das Gott, Papi? Ehrlich, das ist Gott?.... Du hast doch immer gesagt nur Idioten stellen sich Gott mit Bart und Nachthemd vor..“
Thomas war überfordert und versuchte sich Richtung Wohnzimmer zurückzuziehen. Schließlich wäre er dann bei den Kindern wenn es gefährlich würde – und mit Vertretern, sollte dies einer sein, wurde Sabine sowieso besser fertig.
Sabine hielt sich wacker, mit herausfordernd vorgeschobenem Kinn und ihrer tiefen Stimme (die sie sonst benützte, um die Kinder ins Bett zu treiben) begann sie ein sachliches Gespräch mit Gott,
„Also gut Herr Gott, jetzt sind sie schon mal drin, was kann ich für sie tun?“
„Nur Gott, sag einfach nur Gott, oder von mir aus auch Herr, aber nenn mich nicht Herr Gott. Hast du das verstanden Sabine?“
Sabine wurde langsam wirklich wütend,
„Ich weiß nicht wer sie sind, aber von mir aus können sie Gott sein, das ist mir jetzt langsam auch egal. Aber dies ist mein Haus und nicht Gottes Haus und ich möchte sofort wissen, was sie hier wollen!“
Gott sah plötzlich etwas verlegen aus, sah zu Boden, scharrte mit den Füßen, seine nackten Zehen wanden sich,
„ich weiß es klingt eigenartig für dich als Mensch, aber ich habe meinen heiligen Geist verloren, du weißt dieses dreieckige Ding mit dem Auge…ich kann ihn einfach nicht mehr finden…“
Merkwürdigerweise besänftigte diese Äußerung Sabines Wut sehr schnell. Sie kannte es nur zu gut, wenn man verzweifelt etwas sucht – keiner legte die Dinge an ihren Ort zurück, selbst nach der Seife hatte sie heute morgen suchen müssen, und was die Kinder wohl mit den ob.s machten, die immer weg sind? Außerdem sah der Mann, der sich Gott nannte, nicht gefährlich aus, eher wie einem Bilderbuch entsprungen, jetzt bemerkte sie auch den Schein um seinen Kopf, etwas schief, aber eindeutig ein Heiligenschein. So war ihre Stimme wieder fast normal als sie sagte,
„kommen sie doch einfach mal herein, hier in der Diele kann man ja nicht richtig reden“,
und, zu Thomas gewand
„Tom, bringst du bitte etwas zu trinken und vielleicht noch etwas zu Knabbern rüber…“
Sabine ging mit Gott ins Wohnzimmer, die Kinder folgten und Thomas blieb es überlassen darüber nachzudenken, was Gott wohl trinkt und knabbert. Als er wenig später mit einem beladenen Tablett eintrat saß Gott in seinem Lieblinssessel, der Heiligenschein hing etwas über die Lehne, Sabine hockte auf dem Sofa und die Kinder standen hinter Gottes Sessel und machten Anstalten ihn am Heiligenschein zu zupfen. Aber offenbar war der heiß, Josephs Finger zuckte bei der Berührung zurück. Thomas dachte an die Brandflecken die der Sessel jetzt wohl haben würde, als Gott sprach,
….natürlich ist es nicht ganz so im Himmel, wie es sich viele Menschen vorstellen – allerdings auch nicht völlig anders. Obwohl heute versuchen viele Gläubige sich den Himmel ja gar nicht vorzustellen, was natürlich nicht geht, schließlich könnt ihr euch kein Nichts vorstellen. Das ist so ein modischer Blödsinn, aber das wird auch vorübergehen.“
Thomas sah mit Erleichterung, dass Gott sich den Heiligenschein wieder oben auf den Kopf schob bevor er weiter sagte,
„es ist schwer zu erklären. Man sagt zwar so einfach, es ist eine andere Dimension, aber das könnt ihr euch eben gar nicht vorstellen. Belassen wir es einfach bei dem was so ist wie hier auf der Erde, ich habe auch Fernsehempfang, ich könnte auch das gleiche essen wie ihr - muss es aber glücklicherweise nicht. Ich sehe mir gerne eure Filme an, zum Beispiel diesen Film bei dem ein Atomkraftwerk durchbrennt, der hat mich dann auf die Idee gebracht es auch mal zu versuchen. Hat auch ganz gut geklappt, oder?“
Thomas stand mit seinem Tablett mitten im Zimmer und hörte fassungslos zu,
„Ich sehe euch Menschen zwar immer, das war übrigens der größte Fehler an diesem „Projekt Erde“, aber ich habe mich inzwischen so daran gewöhnt, dass ich es nicht mehr merke. Die Welt ist inzwischen für mich eher so wie eine Tapete, da fallen einem die hässliche Muster auch nach einiger Zeit nicht mehr auf.“
Thomas kam zum Tisch und stellte das Tablett vorsichtig ab. Er hatte Cola, Bier, Wasser, eine angebrochene Flasche Wein und eine Packung Milch mitgebracht, dazu Gläser, Äpfel, Nüsse, Haferflocken (er hatte dabei an Manna gedacht) und ein Stück Schwarzbrot mit Butter und Erdnussflips. Gott sah erfreut auf,
„das ist aber sehr freundlich, ich würde so gerne mal das Bier versuchen – und einen Apfel… das sind doch Äpfel?“
Fragte er mit einem Blick zu Sabine. Sie sah ihn erstaunt an,
„Lieber Gott dass müssten sie doch nun wirklich wissen….erinnern sie sich nicht mehr, die Sache mit dem Paradies, Adam und Eva, Vertreibung..?“
Gott sah sie einen Augenblick erstaunt an, dann begann er zu lachen,
„Ach ja, diese Überlieferung…, also es war eigentlich nicht ganz so. Ich hatte den ersten Menschen gesagt, sie sollten keinen Stechapfel essen, ebenso keinen Schierling und Goldregen weil diese Pflanzen giftig sind. Dies alles habe ich dem Menschen immer wieder gesagt. Natürlich haben sie es dann aus Dummheit doch getan. Die Menschen waren dann tagelang im Rausch, schlimme Halluzinationen, einige sind sogar gestorben, aber da gab es schon genug. Der Bestand war nicht gefährdet. Später haben sie dann diese Wahnvorstellungen zu Papier gebracht, es war schon köstlich…“
Ja, Sabine wusste wovon Gott sprach, man sagt wieder und wieder etwas, warnt, aber natürlich hört keiner auf einen – und dann passiert genau das, was man immer gesagt hat, wovor man zig mal gewarnt hat - und alles heult.
Mitfühlend begann sie,
„also Gott….nein, das klingt doch irgendwie idiotisch - also Gott…. Also Herr Gott klingt für mich viel normaler, einfach netter, aber ok. Was ich sagen wollte: ich kenne das, sie hören einfach nicht hin wenn man etwas sagt!…“
Gott sah sie etwas verblüfft an als er fort fuhr,
„ich bin hier bei euch, weil die Spur des Heiligen Geistes direkt zu eurem Haus führt. Der Heilige Geist, also eigentlich nur das Auge, ist immer etwas entzündet und sondert eine bräunliche Flüssigkeit ab, ihr nennt es Cola. Als er nämlich das letzte Mal von hundert Jahren hier auf der Erde war, ist jemand auf die Idee gekommen diese Flüssigkeit mit Wasser zu verdünnen und zu verkaufen. Ihr trinkt das seitdem mit Begeisterung. Jedenfalls, um es kurz zu machen, es ist ein Tropfen dieser Essenz vor Eurer Haustür. Ihr müsst also den heiligen Geist haben – und da er ja mir gehört, und bei Euch auch gar nicht glücklich wäre, möchte ich ihn wiederhaben. Also wo ist er?“
Während Gott so sprach, versuchte Alinas Bruder Joseph sich aus dem Zimmer zu schleichen. Sabine merkte es natürlich sofort und rief ihn zu sich.
Langsam kam Joseph näher und sah verschreckt in Gottes Antlitz, während er versuchte etwas hinter seinem Rücken zu verstecken. Ein fast teuflisches Lächeln breitete sich auf SEinem Gesicht aus und während ER dem Jungen auf den Fuß trat um ihn abzulenken, fasste ER schell hinter Josephs Rücken und hielt den heiligen Geist in den Händen. Joseph stürzte aus dem Zimmer, Sabine wurde rot, Thomas machte sein „Du kümmerst dich ja um die Erziehung der Kinder“ Gesicht. Aber Gott interessierte das alles nicht mehr, entzückt sah er in die kitschige Glaspyramide, aus der so etwas wie ein tränendes Kuhauge herausstarrte. Zu Thomas gewand meinte er strahlend,
„Gut man kann sagen, er sei nicht sehr unterhaltsam, aber ich liebe seinen Geruch…er riecht ganz zart nach zwanzig Minuten“
Er hielt Thomas den heiligen Geist vor die Nase, aber der schüttelte wortlos den Kopf. Gott runzelte einen Augenblick die Stirn, aber dann erhellten sich seine Züge wieder,
„Ich vergesse es doch immer wieder, ihr könnt ja nicht einmal Zeit riechen…tja, wie soll ich es Euch erklären, ihr würdet es vielleicht mit Aprikose vergleichen, mit einem Hauch Tang und Omelette und, wie heißen sie noch mal, diese grauen wolligen Dinger die immer hinter Sofas sitzen, ach ja ich weiß schon wieder, Staubmäuse.…“
Alina war während dessen an Gott herangeschlichen, zupfte ihn am Ärmel und fragte leise,
„Du bist doch Gott und du bist hierher gekommen, oder?“
Gott antwortete gut gelaunt, während er sich den heiligen Geist unter die Nase hielt und daran schnüffelte,
„Also um genau zu sein, als Gott kommt man nicht. Ich bin euch erschienen, aber das macht ja nichts, was willst du wissen Alina?“
„Wenn du Gott bist, dann kannst du doch auch zaubern…?
Mit einem etwas ärgerlichen Blick zu Sabine erwiderte Gott,
„Bei Gott heißt es nicht zaubern, ich kann Wunder vollbringen…Ja so wird es genannt, Gott vollbringt Wunder, mein Kind“
Alina nahm innerlich Anlauf, schließlich würde nie wieder so eine Gelegenheit kommen,
„Lieber Gott machst Du mir bitte das Wunder – „ein Pony im Wohnzimmer“?“
Gott sah sie verblüfft an,
„Alina, solche Sachen habe ich noch nie gemacht, ich kann den Blitz in Eure Garage einschlagen lassen, oder den großen Baum da vorne in Flammen setzten, ein Erdbeben, Fluten… Na, eben solche Dinge. Als Gott kann man nicht „Ponys ins Wohnzimmer“ machen, das wäre kein Wunder…“
Alina hatte Tränen in den Augen und stampfte mit dem Fuß au,
„Wäre es doch, wäre es doch! Es wäre ein Wunder, aber du kannst es nicht, du kannst nicht mal ein Pony in unser Wohnzimmer machen, du bist ein blöder Gott….“
Dann rannte auch sie aus dem Zimmer. Gott zuckte leicht zusammen als er die fragenden Blicke von Thomas und Sabine sah,
„Ich kann so etwas nicht tun, das wäre nicht richtig, ein Gott macht eben andere Wunder. Sonst kommt Thomas noch und will ein Auto, Sabine einen…, ….aber, aber Sabine, das hätte ich wirklich nicht von dir gedacht!“
Sabine senkte errötend den Kopf, Thomas hatte noch einen kleinen Hoffnungsschimmer im Blick, als Gott sich zum Aufbruch anschickte.
An der Tür folge noch ein herzlicher Abschied. Gott wollte schon gehen, als Thomas ihn am Ärmel zurückhielt,
„Gott, was ich dich schon immer fragen wollte, war Christus wirklich dein Sohn?“
Gott blieb stehen, drehte sich lächelnd um und rief, dass man es weit ins Land vernehmen konnte,
„Ist Joseph wirklich dein Sohn, Thomas?...“
Dann stieg er etwas umständlich in einen saharagelben Polo, legte krachend den ersten Gang ein und fuhr weg.
Während Sabine Thomas ins Haus folgte, murmelte sie,
„Gott kann also auch nicht gut Auto fahren, aber Männer ziehen immer nur über die Frauen her.“
 
Hallo Kyra,

weiß nicht recht, was ich darauf antworten soll.
Lustig geschrieben ist der Text auf jeden Fall.
Hast schon verrückte Ideen, Kyra. Find ich gut.
Lieb grüßt
Willi
 



 
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