Grau

In einem Bordell, irgendwo in Sydney, liegt Jack nackt auf einem Bett und sieht einer Prostituierten namens Ebony beim Ausziehen zu.

„Bist du Afrikanerin?“
„Nein, Australierin. Meine Eltern sind aus Jamaika.“
„Du bist schön.“
„Danke. Hast du mich genommen, weil ich schwarz bin?“
„Nein, weil die anderen alle wie Junkies aussehen.“
„Yeah. Ich nehme nichts, habe zuviel Respekt vor mir selbst.“

Jetzt, vollkommen nackt, geht sie zum Bett hinüber und legt sich neben ihn.

„Zigaretten.“
„Was?“
„Auf meinem Hintern. Ich habe gesehen, wie du draufgeschaut hast. Ich mache manchmal ein bisschen SM, bringt mehr Geld. Einer meiner Kunden steht drauf, Kippen auf meinem Arsch auszudrücken.“
„Oh.“

Oh. Von den Brandnarben mal abgesehen, hat sie einen großartigen Arsch. Die weiblichen Engel im Himmel haben solche Hintern. Jack fragt sich, warum Menschen schöne Dinge immer zerstören wollen.

Nach dem Sex sind beide für eine Weile still – dann fangen sie an zu reden.

„Was machst du, wenn du das hier nicht machst?“ fragt Jack.
„Studentin, gehe zur Uni.“
„Und was studierst du?“
Wirtschaftsrecht – was machst du denn?“
„Ich bin Verkäufer bei Woolworth... sorry.“
„Bei mir brauchst du keine political correctness, Süßer. Den Scheiß höre ich an der Uni oft genug.“
„Okay.“

„Wie alt bist du?“
„Achtzehn.“ Er ist sechzehn.
„Ich bin zwanzig.“
„Was willst du machen, wenn du mit dem Studium fertig bist?“
Sie fängt an, mit der Hand seinen Schwanz zu massieren.
„Oh, ich habe Pläne, große Pläne.“

Jack blickt Ebony an, während sie weiter mit seinem Schwanz spielt und ihm von ihren Plänen erzählt. Er betrachtet ihre Haare, ihr Gesicht, ihre Brüste, ihren Körper. Verliert sich in ihr, wird von ihr verschlungen, während sie von Dingen spricht, die er nicht wirklich versteht: von Aktien und Beständen und irgendetwas, das sich anhört wie Prothesen. Sie will reich werden mit einem Plan, in dem all diese Aktien und Bestände und Prothesen vorkommen, alles finanziert durch ihre Arbeit als Nutte.

Sein Mund findet ihre linke Brust. Er beginnt, an ihr zu saugen. Sie reibt weiter an seinem Schwanz. Tränen laufen über seine Wangen.

Was ist los, Schätzchen, stimmt was nicht?“
Seinen Lippen lösen sich von ihrer Brust, er beginnt zu weinen:

„Was ist mit mir? Warum mögen mich Mädchen nicht?“
Mit der freien Hand berührt sie sein Gesicht.

„Oh, Baby, irgendwo da draußen gibt es ein Mädchen für dich. Sieh mich an, zwei Jahre lang war ich alleine, dann habe ich einen Freund gefunden. Letzte Woche ist er bei mir eingezogen, hat mir ein Hundewelpen mitgebracht. Wir sind fast wie eine Familie. Wenn ich Liebe gefunden habe, kannst du das auch.“

Sie beugt sich über ihn, lässt Jacks Sperma auf ihre Brüste spritzen.
„Ohhh, ich liebe das“, sagt sie, nimmt eine Handvoll Taschentücher vom Nachttisch und wischt es weg. Ein Wecker beginnt zu klingeln.

„Die Zeit ist um, Süßer, möchtest du noch duschen?“

Als Jack duscht, kommt Ebony zu ihm und wäscht ihm den Rücken. Einen Rücken, der beweist, dass auch er, Jack, weiß, wie sich Zigarettenspitzen auf der Haut anfühlen.

Jack verlässt das Bordell, geht nachhause. Zuhause sitzt seine Mutter am Küchentisch und raucht. Sein Bruder kocht das Abendessen. Sein Vater meckert herum.

„Ich bringe mich um, bevor ich noch einen Cent daran verschwende, dass die Fotze da zur Schule gehen kann. Seht ihn euch doch an: kocht wie ein Mädchen, wie ne Tunte. Der muss mal hart rangenommen werden. Soll sich ne Arbeit suchen, wie sein Bruder.“

Nein, denkt Jack. Ich werde die Schule für ihn bezahlen.

Jack geht zu Bett. Spricht seine Gebete. Onaniert sich in den Schlaf. Am nächsten Morgen steht er auf und geht zur Arbeit.

Als Ebony – eigentlich Lucinda – zuhause ankommt, wird sie von ihrem Freund mit einem Faustschlag ins Gesicht begrüßt. Ihr Kopf prallt gegen die Wand. Er tritt sie in den Bauch. Schlägt sie, bis sie das Bewusstsein verliert, wie tot daliegt, und geht.

Ein Nachbar ruft anonym einen Krankenwagen. Die Notärzte finden Lucinda ohnmächtig aber lebendig auf dem Küchenboden liegend, während ihr Welpen ihr das Blut vom Hinterkopf leckt.

Auf einer Trage schieben sie sie in den Krankenwagen. Fahren los. Der Fahrer des Wagens schaltet das Radio ein.

„...so sieht’s also aus: morgen wird es fast den ganzen Tag grau sein, bewölkt, regnerisch, mit vereinzelten Sonnenstrahlen“ sagt der Wettertyp im Radio.
 
G

Guest

Gast
ABSOLUT LESENSWERT!!!

Bravo! Du hast hier zwei Menschen meisterhaft beleuchtet, das ganze Geschehen in der richtig passenden Sprache umgesetzt. In Deiner Geschichte steckt Tiefe ohne deren Bedeutung dem Leser aufdrücken zu wollen, was Du vor allem mit dem Schluss gezeigt hast. Die Szene, als er weint, finde ich gut gelungen, da hier der Moment der inneren Seelenkonflikte hervorragend deutlich wird. Außerdem liest sich Dein Dialog fließend. Weiter so!

Gruß,
GUIDO
 



 
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