Ground Zero

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Haselblatt

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Der Pilot lehnte sich unruhig in den Pilotensessel zurück, griff in seinen Hosensack und zog ein dünnes gläsernes Röhrchen hervor.
»Sobald du die Maschine in der Hand hast - aber erst dann, hörst du? - , öffnest du das Absperrventil dieser Kapsel«. So lautete die Anweisung. Er drehte am Verschluss des gläsernen Röhrchens und spürte, wie sich dessen Gehäuse infolge des raschen Ausströmens des Gases abkühlte. Dann legte er die Kapsel in die Vertiefung der Konsole, wo die Piloten normalerweise ihr Schreibgerät und die Sonnenbrille ablegen.
Sei unbesorgt, hatten sie ihn wissen lassen, das ausströmende Gas wird die Kraft und Helligkeit deiner Sinne erhöhen und dein Gemüt mit dem Bewusstsein absoluter Gelassenheit durchströmen.

Das Wetter war wie aus dem Bilderbuch, die Sicht war perfekt, und der Höhenmesser zeigte knapp zwölftausend Fuß, die optimale Höhe zum Einleiten des Endanflugs auf Target One. Er schob die Gashebel eine Fingerbreite nach hinten. Heading zwo-null-drei, das passte genau. Keine fünfzehn Minuten würden vergehen, und dann, ja dann. Dann würde die Welt den Atem anhalten.
Vor seinen Augen zog das silbergrau glänzende Band des East Rivers eine weite Schlinge in südwestlicher Richtung. Das Höhenvariometer zeigte an, dass die Maschine mit sechzehn Fuß pro Sekunde zu sinken begonnen hatte. Das Licht der Morgensonne war von einem hellen Orange, ein Orange, wie er es noch niemals zuvor in seinem Leben als Farbe des Lichts wahrgenommen hatte. Es war dasselbe Orange, in das die Kutten der heiligen Derwische von Baalbek getränkt waren, damals, als dutzende von ihnen zum Massaker geführt wurden, um auf Pfählen angebunden, von der verzehrenden Kraft des Feuers versengt zu werden. Damals hatte niemand den Atem angehalten, denn die Welt hatte keine Ahnung vom gewaltsamen Tod der Derwische, und diese sangen nur monotone Lieder, die sich langsam zu grausamen Schreien steigerten, ehe ihre Körper von den Flammen verzehrt wurden.
Aber diesmal, ja, diesmal würde es gewiss anders sein. Alle Welt würde den Atem anhalten, und sein Vater würde zu ihm sprechen: Du bist ein Held, mein Sohn. Ich liebe dich, du bist mir der Liebste all meiner Söhne, weil du unbändige Kraft bewiesen hast, und Mut. Du hast dich nicht beirren lassen vom kalten Hauch des Todes. Nein, du blicktest ihm leibhaftig ins Angesicht, mit unverrückbarer, leidenschaftlicher Entschlossenheit, wie von Mann zu Mann, oder eigentlich von Mann zu Frau. Der Tod ist eine Frau, weißt du? Du hast diesem eisig kalten, fordernden Blick ohne zu zögern standgehalten, und deshalb bin ich sehr stolz auf dich!
Und er würde seines Vaters Lob und Anerkennung in bescheidener Demut und dankbar entgegennehmen. Er würde seinen Kopf zu Boden neigen und des Vaters Hand küssen.
Sei bedankt, mein Vater, würde er zu ihm sprechen. Und sein Vater würde mit ruhiger Stimme erwidern: Erhebe dein Haupt, mein Sohn. Es ist jetzt die Zeit der Wonne angebrochen, und du, mein Sohn, du hast deinen verdienten Anteil daran. Du selbst bist die personifizierte Wonne im Antlitz der Ehre deines Volkes. Du bist wie das Glitzern des Glücks im Herzen der Geknechteten, Geschlagenen und Vergewaltigten. Du bist das Schwert des Propheten, mit dem das Feuer von Strafe und Gerechtigkeit über den Häuptern der Satansknechte entfacht werden wird.

Ein warnender Pfeifton holte den Piloten zurück aus der Tiefe seiner Fantasie. Der künstliche Horizont signalisierte eine Schräglage der Längsachse um knapp achtzehn Grad. Gib acht, du bist bald am Limit! Der Fluglehrer hatte es immer wieder betont: Ihr dürft die Schnauze der Maschine niemals um mehr als zweiundzwanzig Grad nach unten drücken. Niemals, habt ihr mich verstanden? Höchstens in einer extremen Notsituation zum Ausweichen oder bei einer Notlandung, aber sonst niemals!
»Warum eigentlich?«, hatte er damals den Trainer am Simulator gefragt. »Was hat das für Auswirkungen? Ist es gefährlich, oder geht es dabei nur um den Komfort der Passagiere?«
Ja, es sei riskant, hatte der Trainer erwidert. Eine Maschine dieses Typs sei für soche Extremlagen nicht konstruiert. Die Strömung der Luft am Leitwerk könnte turbulent werden, und das führe zu gefährlichen Vibrationen. »Versuch es ruhig einmal. Der Simulator wird dir sehr präzise vor Augen führen, welche Auswirkungen das haben kann«. Also wagte er den Versuch und stellte die Probe aufs Exempel. Und der Trainer hatte, wie erwartet, Recht gehabt: Die Maschine wurde dermaßen instabil, dass er sie beinahe ins Trudeln gebracht hätte. Er fiel mehr als viertausend Fuß, ehe er das System wieder unter Kontrolle hatte. Wäre er tiefer geflogen, hätte er Bruch gebaut. Ein Bruch am Simulator hätte bedeutet, dass er am Abend in der Bar für die ganze Truppe eine Runde hätte spendieren müssen. Eine Runde Scotch für diese Hohlköpfe, die neben ihrer Ausbildung nur Gedanken der Unzucht in ihren Gehirnen mit sich trugen. Football, nackte Frauenkörper und Alkohol. Und das wollten eines Tages Berufspiloten sein? Sie sollten sich schämen, hatte er bei sich gedacht. Und all die anderen müden Figuren dieser von Dekadenz und Langeweile zerfressenen Zivilisation, sie sind nicht einen Cent wertvoller oder besser, als diese verkommenen Playboys an der Bar. Sieh dir bloß ihre Schriften an: Geld, Sex, Gewalt und Drogen, das sind die Götzen ihres Glaubens, und Gottlosigkeit bestimmt das Ende ihres Daseins, obwohl sie ständig von einer bigotten Scheinmoral umgeben sind, so wie eine billige Hure vom Duft eines ebenso billigen Parfums.
Du weißt ja: Vibrationen am Leitwerk des Flugzeugs sind gefährlich und riskant! Also gut, ich kann warten, dachte der Pilot für sich, und zog die Nase des Flugzeugs wieder leicht nach oben. Wir haben noch ausreichend Zeit. Ich muss mich nicht auf das Risiko der gefährlichen Vibrationen einlassen, noch nicht. Er lachte halblaut vor sich hin. Vibrationen, Schwingungen! Wieso Schwingungen? Am Ende wird das deutlich mehr abgeben als ein paar Schwingungen. Oh nein: es wird vielmehr ein Beben sein, ein Beben, das die Köpfe der Feinde bersten lassen und ihr Gemüt bis in die Grundfesten erschüttern wird. Sie alle werden erzittern wie am Tage des Jüngsten Gerichts. Sie werden schreien vor Angst, und brüllen vor Zorn. Sie werden, - ja, was weiß ich, was die noch alles werden. Erst einmal muss ich dort sein. Heading zwo-null-drei, bis November Yankee Charly inbound, und danach fünfzig Grad nach links. Der Höhenmesser meldete neuntausendachthundert Fuß. Jetzt den Transponder des Sekundärradars abschalten. Klick. Die Anzeige am Display erlosch. Von diesem Augenblick an war der Flug AA011 nicht mehr, als ein anonymes Echo auf den Radarschirmen der Airtrafficcontrol im Luftraum über New York.

Und danach, wenn alles vorbei war, würde er an der rechten Seite seines Vaters Platz nehmen dürfen, und er würde zu ihm sprechen, und sein Vater würde ihm mit ruhiger würdevoller Gelassenheit zuhören.
Ja, ich habe allen Grund zu Freude und Stolz, würde er sagen. Ich habe mein halbes Leben damit verbracht, die Wunden meines Volkes zu beweinen. Ich habe tausende Male das Blut meiner Brüder vom Boden aufgewaschen. Sie starben ohne ein Wort der Bitternis, aber ihre Herzen waren betäubt von Zorn und Hass. Ich habe oft mit angesehen, wie schreiende Kinder aus den Armen ihrer getöteten Mütter gerissen wurden. Ich spüre noch heute die Druckwelle der explodierenden Bomben und Granaten, ich spüre jetzt noch das Kratzen des Betonstaubs in ihren Lungen und in ihren Augen, und ich rieche den Gestank von verbranntem Fleisch und Blut in meiner Nase. Wer wird jene zur Verantwortung rufen, die all das in die Welt gesetzt haben? Wer wird diese dämonischen Gestalten der Finsternis ins Verhör nehmen, die das Wasser unserer Brunnen vergiftet und die Äcker unseres Landes mit Minen und Sprengfallen unbegehbar gemacht haben, auf Generationen hinaus? Wer wird die Baumeister von Betonbunkern und Stacheldrahtzäunen zur Rechenschaft ziehen, die quer durch unsere Gärten und Herzen gezogen wurden? Wer sollte all das tun, wenn nicht ich, mein Vater?
Und ich habe das jahrzehntelange Hohngelächter unserer Peiniger im Ohr, die sich am Leid meines Volkes ergötzten und mit salbungsvollen Worten ihre Schandtaten verniedlichten, während die kranken Gehirne der Dunkelmänner, die hinter ihnen standen, ständig neue Methoden von Erniedrigung, Ausbeutung und Unterdrückung ersonnen. Wer wird all diese Mächte aufhalten können, in ihrem zerstörerischen, selbstsüchtigen Größenwahn, wenn nicht einer wie ich?
Und damit nicht genug: Eine Hand voll unersättlicher, gefräßiger Riesenschlangen spannt ihren gierigen Würgegriff über alles und jedes, was Eigentum der gesamten Menschheit ist. Sie scheuen nicht einmal davor zurück, die Natur, die Grundfeste jeder physischen Existenz auf diesem Planeten, bis zur Neige des Erträglichen auszupressen und zu zerstören. Sie missachten die wehrlose Kreatur und vergehen sich konsequent an allen kosmischen und irdischen Gesetzen. Nach ihnen wird nichts mehr so sein, wie es vorher war, denn sie werden die Fundamente des Menschseins zerfleischt haben in ihrer unersättlichen Gier nach Macht und Geld. Sie sind pervertierte Bestien, die alles an sich raffen und töten, ohne Wahrheit, ohne Verantwortung, ohne Sinn. Und als Ersatz für eine verlorene Welt wollen sie uns ihre verdrehte, an wertlosem Glanz ausgerichtete Lebensweise aufzwingen, ein steriles Leben, verpackt in bunte Blechbüchsen und Kunststofftüten. Und dort, wo die friedvolle Stille der Oase oder des Dattelhains seit Generationen die Sorgen und Schmerzen meiner Brüder und Schwestern linderte, wird das Ohr durch das laute Getöse schriller Klänge, und das Auge durch die Bilder obszöner Nacktheit beleidigt. Die Jahrtausende alte Kultur unseres Volkes wird von den ätzenden Exkrementen einer seelenlosen Scheinwelt zerfressen und zersetzt. Mein Vater, sag mir: Wer außer mir hätte die Kraft, diesem schändlichen Treiben Einhalt zu gebieten? Wenn wir diese Dämonen jetzt nicht auslöschen, wer wird es dann für uns tun? Denn nicht einmal vor ihresgleichen haben sie den leisesten Respekt, nicht die geringste Ehrfurcht vor der Einzigartigkeit individuellen Seins. Sie hetzen die Hunde der Böswilligkeit auf einander los, bis einer nach dem anderen verblutet und auf der Strecke bleibt. Und dann heult schon das nächste Rudel in der nächst höheren Etage, die Beißerei geht endlos weiter, und jedesmal wird das Fleisch der Gegner zäher und die Luft dünner. Aber der Natur sei es gedankt: Irgendwann ermüden selbst die kraftvollsten Kiefer, werden selbst die schärfsten und giftigsten Zähne stumpf, und auch die Seelen werden rostig, wie ein alter eiserner Trog. Denn alles, was da an Böswilligkeit unachtsam hinein geschüttet wurde, vergärt über die Jahre ganz langsam zu einer trüben stinkenden Brühe, die an den Wänden dieses Trogs klebt und ihn von innen her wie ein Ekzem zerfrisst. Und am Ende bleiben nur frustrierter Gram und unbefriedigte Habgier. Am Ende werden sie denselben Weg gehen wie die Opfer, die sie unterwegs zurück gelassen haben, und sie verkommen alle zu einem faulig stinkenden Bündel von Fleisch und Knochen, von dem zuletzt nichts weiter übrig bleibt, als ein kleines Häufchen Staub. So gesehen, mein Vater, hatte ich eigentlich gar keine andere Wahl. Ich bin ein Getriebener, und ich wurde getrieben, ein Zeichen des kalten Zorns zu setzen.

Die Maschine war inzwischen auf etwa achthundert Fuß gesunken. Da, sieh an! Dort vorne glänzte Target One in den orangegelben Strahlen der Morgensonne. Symbolhaft erhob sich das Ziel wie zwei lästernd gegen den Himmel ausgestreckte Finger. Mit diesem Ziel vor Augen, schaltete Mohammed Atta das Mikrofon auf die Kabinenlautsprecher und sprach:
»Werte Passagiere, ich habe den Platz des Kapitäns dieses Flugs eingenommen und bitte höflichst um Ihre Aufmerksamkeit. Ihr alle und ich, wir werden in wenigen Augenblicken gemeinsam aus dieser Welt treten. Viele, vielleicht die meisten von Euch, sind frei von Schuld, und deshalb bedauere ich aus tiefstem Herzen, dass ich Euch keine Wahl lassen kann, jetzt, wo Ihr vor der Erfahrung steht, meine letztgültigen Begleiter zu sein auf dem Weg zur Zerstörung eines der Hauptangelpunkte der Achse des Bösen. Ihr werdet dieser Erfahrung gewiss mit Angst und Entsetzen entgegenblicken, aber ich sage Euch: Fürchtet Euch nicht, denn unser Ende ist Teil eines höheren Auftrags. Mehr noch, es dient einer höheren Ordnung, die Ihr jetzt, in diesem Augenblick, noch nicht erfassen könnt. Deshalb bitte ich Euch nicht um Vergebung, sondern ich sage Euch Dank für die Bereitschaft zu diesem Opfer, auch wenn ich weiß, dass Ihr dieses Opfer nicht freiwillig darbietet. Für diese erzwungene Bereitschaft wird man Euch später irgendwann ein Denkmal setzen. Mich und meine Gesinnungsfreunde wird man hingegen verdammen, und all jene, die im Hintergrund geblieben sind, wird man bis ans Ende der Welt jagen und hängen, aber glaubt mir: Das Recht des Blutes ist das einzige universelle Recht, es ist unteilbar und gilt für jedes Lebewesen auf diesem Planeten. Es wird selbst dann noch gelten, wenn die Menschheit nicht mehr existiert, denn Blut ist ein kosmisches Elixier.
Ihr habt jetzt noch genau dreizehn Sekunden Zeit, um mit Euch und Eurer Vergangenheit ins Reine zu kommen. - Jetzt sind es nur noch acht. Nützt die Zeit, es gibt kein Zurück, denn Eure Zukunft wird sich an diesem Ort nicht mehr weisen. – Wir sind da, ich sehe meinen Vater, er erwartet mich, und Euch ebenso, und...«
Ground Zero.
 

wondering

Mitglied
Hallo Haselblatt,

ich habe mich lange mit deiner Geschichte beschäftigt. Auf die Ausführung gehe ich gleich ein, will vorher noch sagen, dass mich das Thema, wie du es angepackt hast, ganz schön durchgerüttelt hat. Aus der Sicht des Piloten zu schreiben hat was... und ich bin sehr unschlüssig, ob es etwas Abstoßendes oder Mutiges hat.
Deine Schreibe ist flüssig. Es sind ein paar Rechtschreib-und Zeichenfehler drin, die ich dir bei Bedarf auflisten kann. Ob die flugtechnischen Einzelheiten stimmen, wirst du recherchiert haben. Davon verstehe ich nichts. Ansonsten hat dein Text Längen. Die Szene im Flugsimulator z.B. tut in dieser Ausführlichkeit nichts zur Sache. Die Gedanken des Piloten beschreibst du so weitschweifend, dass es auf mich den Eindruck macht, als solle seine Tat gerechtfertigt werden. „Alle Welt würde den Atem anhalten und sein Vater würde zu ihm sprechen[...]“ Dieser Abschnitt hätte (mir) vollauf genügt. Statt dessen liest man wieder und wiederwas Atta denkt, einmal im Simulator, dann noch einmal im Endanflug. Wobei es mir hier doch recht unwahrscheinlich erscheint, dass der Pilot, der sich voll auf das Ziel konzentriert, in diesem Moment all diese Gedanken hat. Woher hast du den Wortlaut der Durchsage, die Atta an die anderen Passagiere richtet? Ausgedacht? Puuuhhhh... Und genau das, macht mir bei deiner Geschichte Bauchschmerzen. Du denkst dich in der Geschichte verdammt tief in den Kopf des (Todes)Piloten hinein und ich frage mich, ob die Geschichte tatsächlich eine Art Rechtfertigung der Tat sein soll, oder einfach den Flug AA011 aus der Sicht des Piloten beschreibt. Dafür allerdings wäre sie m.E. dann nach zu straffen.
Ich will jetzt um Himmels Willen keine polit.Diskussion auslösen, wollte lediglich schreiben, wie dein „Ground Zero“ auf mich wirkt.

Viele Grüße
wondering
 

Rainer

Mitglied
völlig unkonstruktiv

hallo haselblatt und wondering,

ich habe mit einem ähnlichen problem wie wondering zu kämpfen:
schreibst du wertend oder nicht wertend. ich kann mir darüber nicht schlüssig werden.
aber, ein ambivalenzen erzeugender text war noch nie schlecht...er regt zum nachdenken an.


grüße

rainer
 

Andrea

Mitglied
Ich schließe mich wondering v.a. in einem Punkt an: straffen, straffen und nochmals straffen. Ich schätze, du könntest gut zehn bis zwanzig Prozent kürzen, so daß die Geschichte an Dichte gewinnt. Inhaltlich habe ich am meisten Probleme mit der Abschiedsrede, da ich an die Grenzen meiner Kenntnisse des Islams stoße – gibt es dort auch dieses sehr starke Buße-Motiv wie im Christentum? In diesem Fall wäre der Aufruf zur Aussöhnung durchaus einem Fanatiker zuzutrauen; wenn es das Buße-Motiv aber nicht gibt, empfinde ich die Rede als zu menschelnd und zu mitfühlend; und ich möchte bezweifeln, daß für einen Fanatiker tatsächlich die meisten Fluggäste „frei von Schuld“ sind und er sie als Begleiter auf seiner letzten Reise betrachtet; viel eher fände ich die Bezeichnung „Werkzeug“ als realistischer.
Abgesehen von diesem Punkt (und der fälligen Straffung) gefällt mir der Text aber gut.
 

Haselblatt

Mitglied
politische Momentaufnahme

Werte Kolleginnen und Kollegen,

erst mal danke für eure Kommentare.
Wenn das Thema den einen oder anderen "durchgerüttelt" hat, dann war das durchaus beabsichtigt. Immerhin hat das zugrunde liegende Ereignis die ganze Welt durchgerüttelt, und das nicht wenig.
Der vorliegende Text ist ob seiner Bauart ideal als Kurzgeschichte geeignet: Eine einzelne Person in einer einzigen, zeitlich exakt abgegrenzten Handlung.
Nur - es handelt sich eigentlich nicht um eine "Geschichte", sondern um das Schlusskapitel eines 260 Seiten langen Romans, der gg. Jahresende unter dem Titel "Die Kälte des Zorns" erscheinen wird. So gesehen ist dieser Text nur eine Momentaufnahme, ein Auszug aus einem größerem Zusammenhang, in dem er eigentlich zu sehen und zu lesen ist, aber dieser Umstand muss auf diesem Forum zwangsläufig unerkannt bleiben.
Die "Weitschweifigkeit" des Textes reduziert sich aus diesem Aspekt auf das notwendige Minimum zur Ausfüllung der davor nur angedeuteten Gedanken. Würdet ihr das gesamte Werk kennen, wäre das leichter zu verstehen.
Der Roman hat NICHT 11/09 zum Thema, sondern ist ein hoch angriffiger politische Text, wobei die ggst. Szene als Metapher auf einen Punkt zu verstehen ist, auf den sich eine verdrehte politische Unkultur hinentwickelt. Und die politische Entwicklung der zurückliegenden zwei Jahre zeigt ja sehr deutlich, in welche Richtung der Zug abgeht: Afghanistan, Irak, Kelly, Berlusconi, Schröders Rotweinkeller, usw...
In einem der vorigen Kapitel könnt ihr z.B. folgendes lesen:

"...Und was mich am allermeisten schmerzt ist der Umstand, dass ausgerechnet jenes Land, dem wir einen wesentlichen Teil unserer staatlichen Existenz verdanken, mehr und mehr in die Hände verbrecherischer Syndikate gerät und von Leuten beherrscht wird, die jedes Augenmaß für die Verträglichkeit politischer Fehlleistungen verloren haben. Eine kleine Schar ausgewählter Dunkelmänner gibt die Leitlinien vor und zieht in ihrem Schlepptau ganze Kolonnen von Epigonen und Dilettanten mit sich, seien sie Präsidenten, Senatoren, Premierminister oder Wirtschaftskapitäne. Sie titulieren sich als Manager und demokratisch legitimierte Mandatare, und sie bilden sich womöglich ein, zur Elite der Nation zu gehören. Lüge, Betrug und Eitelkeit sind die Hauptinhaltsstoffe ihres täglichen Credos, und dabei vergiften sie mit ihrer kurzsichtigen Dummheit und Inkompetenz das internationale Klima der Staatengemeinschaft..."

Ich mache kein Hehl aus meiner 68-er Vergangenheit, und dazu gehört unter anderem auch ein Zitat von Che Guevara:
"Muerte al capitalismo imperialista Yankee..."
Quot erat demonstrandum.
 



 
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