Guter Wagen

Dr Time

Mitglied
I - Guter Wagen

Kai hatte sich für den Opel entschieden. Ungewaschen - Dunkelblau - unauffällig. Eigentlich eine Rostlaube. Die Karre stammte vermutlich noch aus dem letzten Jahrtausend, was aber den Vorteil hatte, dass sie leichter kurzzuschließen war. Technisch machte das Auto einen passablen Eindruck. Sportfahrwerk, breite Reifen, Schalensitze. Hauptsache was unter der Haube, dachte Kai. Wenn Richi und Piet aus dem Juweliergeschäft kämen, mussten sie ein zuverlässiges Fluchtfahrzeug haben. Eine knappe Stunde nur bis zu dem geplanten Überfall. Der Motor war lebhaft, wie ein hungriges Raubtier. Die Tankanzeige schlug kaum aus, aber es sollte wohl reichten für die wenigen Kilometer bis zu der abgelegenen Scheune direkt an der Bahnstrecke, wo ihr Lieferwagen stand. Kai ging nochmal alles durch. Um 9:00 Uhr öffnete der Juwelier. Sie würden die ersten Kunden sein. Außer dass es schnell gehen musste, gab es nur drei Regeln, die unbedingt zu beachten waren. Erstens: Keiner sagt etwas. Zweitens: Keiner schießt. Drittens: keine Geißeln. Wenig später trafen sie vor dem Laden ein. Kai ließ den Motor laufen.

II - Guter Morgen

Sein Telefon klingelte schon zum zweiten Mal an diesem Morgen. Diesmal noch schriller und noch unerbittlicher. Hauptkommissar Ben Schreiber hatte seinen freien Tag. Doch die Decke über den Ohren ließ das Klingeln nicht verstummen. Ben sah aufs Display und stellte fest, dass der Anruf von der Hauptwache kam. Er drückte den Knopf und lauschte.
„Mensch Ben - warum bist du nicht auf dem Handy zu erreichen? Wir brauchen dich - dringend.“
„Guten Morgen erstmal ... Ich hab heut‘ meinen freien ...“
„Nix guter Morgen. Hier ist die Hölle los. Es gab einen Überfall auf einen Juwelierladen.“

Ben hörte sich die Fakten an. Zwei maskierte Burschen hatten offenbar während eines Überfalls komplett die Nerven verloren, nachdem der Inhaber des Ladens sich geweigert hatte, die Kombination für den Safe zu verraten. Einer von ihnen hatte den Mann angeschossen. Dann hatten sich die beiden angeschrien. Als eine Angestellte einem der Täter bei dem darauffolgenden Handgemenge die Maske vom Kopf gerissen hatte, nahm man sie als Geißel. Die Täter flüchteten in einem Opel älteren Baujahres. Vermutlich gab es einen Fahrer, der draußen auf sie gewartet hatte.

„OK. Bin unterwegs“, sagte Ben. Er legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Die Erste von dreißig Stück an diesem Tag. Dann nahm er seine Dienstwaffe, die Polizeimarke und wo war nur sein ...? Ach ja das Diensthandy steckte noch in der Lederjacke, die im Kofferraum seines Wagens lag.
Als er zwei Minuten später unrasiert vor seinem Haus stand, wusste er, dass es möglicherweise kein guter Morgen sei. Wo war sein Auto? III - Gut kombiniert

Ben traf normalerweise als einer der Ersten am Tatort ein. Nicht so heute. Als er per Taxi ankam, herrschte längst hecktisches Treiben. Er hob das polizeiliche Absperrband, um darunter herzuschlüpfen.
„He, Sie können da nicht ...“, rief jemand in Uniform.
„Schon gut. Der ist von uns“, meldete sich eine Stimme. Bens Ermittlungspartner Marius, ein Typ mit altmodischer Hornbrille, führte ihn zu der Stelle im Laden, wo man Liebermann angeschossen hatte.
„Die Vitrinen haben sie leergeräumt, wie es aussieht. Den Besitzer hat es böse erwischt.“
„Wie geht‘s ihm?“, fragte Ben.
„Er ist wieder bei Bewusstsein. Wir konnten ihn sogar schon befragen. Die Täter haben vermutlich angenommen, er sei tot. Vielleicht haben sie deshalb die Angestellte mitgenommen. Ein Nachbar, der den Schuss gehört hat, sagte aus, er habe gesehen, wie die Männer einen menschlichen Körper in den Kofferraum bugsiert haben. Das Nummernschild war...“, Marius sah auf den Block mit seinen Notizen. „Ah hier hab ich‘s. SI Strich M H den Rest konnte er sich nicht merken.“
„413“, sagte Ben.“
„Was...?“
„Das ist mein Wagen. Er wurde mir heute gestohlen.“ Ben dachte nach und nur fünf Sekunden später erwachte ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Hast du mal ein Handy?“, fragte er seinen Kollegen.
Marius gab ihm das Mobiltelefon und Ben tippte hecktisch seine eigene Handynummer ein. Dann lauschte er, ging ungeduldig auf und ab.
„Hey was hast vor?“, wollte Marius wissen.
„Psch...“ Ben hob den Zeigefinger an den Mund. „Alle still sein!!!“, schrei er in den Verkaufsraum. Die Kollegen von der Spurensicherung verstummten und sahen Ben an, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Nach zwei Minuten, die Ben konzentriert in das Handy hineinlausche, legte er auf.
„Ich weiß, wo sie stecken.“

IV - Guter Klingelton

Nikotingeruch durchdrang die Dunkelheit. Als sich ihre Augen an das spärliche Licht im Kofferraum des Wagens gewöhnt hatten, entdeckte Marion P. ein Rostloch im Blech. Ersticken würde sie also nicht. Stattdessen bekäme sie einige blaue Flecken. Die Handschellen, die ihre Hände auf dem Rücken fixierten, hinderten sie daran, sich in den Kurven festzuhalten. So schlug ihr Kopf mal rechts, mal links an die Radkästen.
Seltsam, wie sich das Leben innerhalb einer Stunde verändern konnte. Eben noch schien alles wie immer. Marion war dabei gewesen, ihren Arbeitsplatz einzurichten. Sie arbeitete als Goldschmiedin in einem Juwelierladen. Wie jeden Morgen um kurz vor neun war ihr Chef zur Ladentür gegangen, um aufzuschließen. Sekunden später hörte sie ungewöhnliches Gepolter. Marion ging aus dem hinteren Teil des Geschäftes in den Verkaufsraum, um zu sehen, was los war. Herr Liebermann lag dort auf dem Boden, einen Schuh im Rücken, den Lauf einer Pistole im Nacken. Ein zweiter Gangster erblickte Marion, packte sie sofort, hielt auch ihr eine Waffe an die Schläfe. Man führte sie nacheinander zum Tresor, aber beide weigerten sich, die Kombination einzugeben. Als ihr Chef sich losreißen wollte, fiel ein Schuss und der gute alte Herr Liebermann sackte zusammen. Marion riss dem Mann, der geschossen hatte, die Maske von Gesicht. Dann traf sie von hinten ein Schlag.
Erst in diesem Kofferraum war sie langsam wieder zu sich gekommen. Ihr Kopf schmerzte. Blut rann aus einer Wunde am Hinterkopf. Irgendwo ertönte plötzlich der alte Police-Hit „Message in the Bottle“. Guter Klingelton dachte sie und robbte umständlich mit den verbundenen Händen dorthin, wo sie die Melodie ertönte. Sending out an SOS .... Sie wühlte in der Dunkelheit, fand mit den Handen hinter sich eine Jacke, wühlte weiter, fand ein Handy, drückte auf irgendeinen Knopf. Die Melodie verstummte. Verdammt, sie kam mit dem Kopf nicht an den Hörer.

V - Gute Nerven
„Mach das Radio aus“, schimpfte Richi.
„Es ist gar nicht an“, antwortete Kai.
„Aber ich hör doch was.“
Piet begann mitzusingen: „Sending out an SOS - Sending ou ...“
Das Lied verstummte. Die Drei begannen einen Streit darüber, woher die Musik gekommen war. Plötzlich leuchteten vor ihnen die roten Lichter eines Bahnübergangs..
„Gib Gas“, schrie Richi. Aber Kai bremste ab.
„Warum so hecktisch. Lass uns mal lieber unauffällig bleiben. Wo sind deine guten Nerven hin?“
Richi hatte seine guten Nerven im Juwelierladen verloren. Er war es nämlich gewesen, der geschossen hatte. Kaum auszuhalten, vor diesem gottverdammten Bahnübergang zu stehen. Die Schranken senkten sich gemächlich mit einem Bimm Bimm Bimm. Kai ließ den Motor laufen, um den Wagen nicht wieder kurzschließen zu müssen, nachdem der Zug vorüber war. Schöne Scheiße, dachte Richi. Da ist man auf der Flucht, weil man einen Menschen erschossen hat, und steht vor dem einzigen beschränkten Bahnübergang weit und breit. Bim Bim Bim ... Nur einmal am Tag kam hier ein Zug. Und das ausgerechnet jetzt. Das Öffnen und Schließen der Schranken erledigte ein Computer. Man hatte bei der automatischen Steuerung zur Sicherheit ein Zeitfenster eingebaut, damit keine Unfälle passieren konnten. Schon zwei Minuten vorrüber. Immer noch kein Zug. Doch. Dahinten. Quasi am Horizont quälte sich ein Güterzug über die Gleise in Richtung Bahnübergang. Kai sah auf die Tankanzeige, dessen Zeiger nun doch bedrohlich tief stand. Die Lokomotive stieß ihr Hupen aus. Warum eigentlich? Die Schranke war zu. Den Zug konnte man wohl kaum übersehen. Endlich rollte die Lok heran und ließ die Erde beben. Der rostbraune Stahlwurm kroch von links nach rechts durchs Bild. Wagon an Wagon. Minutenlang. Dann endlich bewegten sich die letzten Räder an ihnen vorbei. Bimm Bimm Bimm. Die Schranke hob sich wieder. Kai ließ den Motor aufheulen. Doch er heulte nur kurz und verstummte dann.
„Scheiße, kein Sprit mehr.“
„Heißt das, du hast vergessen zu tanken.“
„Tanken? Mit einem gestohlenen Auto? Spinnst du?“
Kai blickte nervös in den Rückspiegel und sah, wie sich ein Auto näherte. Ein dunkelroter VW-Passat. Anstatt vorbeizufahren, blieb hinter ihnen stehen. Zwei Männer stiegen aus und näherten sich.
„Ganz ruhig“, ermahnte Kai die Anderen. „Die wollen uns bestimmt nur Hilfe anbieten.“
Inzwischen standen die Männer aus dem Passat rechts und links neben ihrem Wagen. Kai und Richie ließen die Scheiben herunter, um mir ihnen zu sprechen. Der eine hatte eine altmodische Hornbrille auf. Der andere war unrasiert und stank nach Zigaretten.
„Können wir Ihnen helfen?“ hauchte er sein Nikotin in den Wagen.
„Naja - uns ist der Sprit ausgegangen. Wenn Sie vielleicht etwas übrig hätten?“
„Sprit haben wir nicht“, sagte der Raucher, aber das hier.“

Blitzschnell zogen die Männer zwei Pistolen aus den Jackentaschen und zielten in den Innenraum des Wagens. Die Gangster hoben instinktiv die Hände. Sie wussten, dass ihre Flucht ein Ende gefunden hatte.
 

Dr Time

Mitglied
I - Guter Wagen

Kai hatte sich für den Opel entschieden. Ungewaschen - Dunkelblau - unauffällig. Eigentlich eine Rostlaube. Die Karre stammte vermutlich noch aus dem letzten Jahrtausend, was aber den Vorteil hatte, dass sie leichter kurzzuschließen war. Technisch machte das Auto einen passablen Eindruck. Sportfahrwerk, breite Reifen, Schalensitze. Hauptsache was unter der Haube, dachte Kai. Wenn Richi und Piet aus dem Juweliergeschäft kämen, mussten sie ein zuverlässiges Fluchtfahrzeug haben. Eine knappe Stunde nur bis zu dem geplanten Überfall. Der Motor war lebhaft, wie ein hungriges Raubtier. Die Tankanzeige schlug kaum aus, aber es sollte wohl reichten für die wenigen Kilometer bis zu der abgelegenen Scheune direkt an der Bahnstrecke, wo ihr Lieferwagen stand. Kai ging nochmal alles durch. Um 9:00 Uhr öffnete der Juwelier. Sie würden die ersten Kunden sein. Außer dass es schnell gehen musste, gab es nur drei Regeln, die unbedingt zu beachten waren. Erstens: Keiner sagt etwas. Zweitens: Keiner schießt. Drittens: keine Geißeln. Wenig später trafen sie vor dem Laden ein. Kai ließ den Motor laufen.

II - Guter Morgen

Sein Telefon klingelte schon zum zweiten Mal an diesem Morgen. Diesmal noch schriller und noch unerbittlicher. Hauptkommissar Ben Schreiber hatte seinen freien Tag. Doch die Decke über den Ohren ließ das Klingeln nicht verstummen. Ben sah aufs Display und stellte fest, dass der Anruf von der Hauptwache kam. Er drückte den Knopf und lauschte.
„Mensch Ben - warum bist du nicht auf dem Handy zu erreichen? Wir brauchen dich - dringend.“
„Guten Morgen erstmal ... Ich hab heut‘ meinen freien ...“
„Nix guter Morgen. Hier ist die Hölle los. Es gab einen Überfall auf einen Juwelierladen.“

Ben hörte sich die Fakten an. Zwei maskierte Burschen hatten offenbar während eines Überfalls komplett die Nerven verloren, nachdem der Inhaber des Ladens sich geweigert hatte, die Kombination für den Safe zu verraten. Einer von ihnen hatte den Mann angeschossen. Dann hatten sich die beiden angeschrien. Als eine Angestellte einem der Täter bei dem darauffolgenden Handgemenge die Maske vom Kopf gerissen hatte, nahm man sie als Geißel. Die Täter flüchteten in einem Opel älteren Baujahres. Vermutlich gab es einen Fahrer, der draußen auf sie gewartet hatte.

„OK. Bin unterwegs“, sagte Ben. Er legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Die Erste von dreißig Stück an diesem Tag. Dann nahm er seine Dienstwaffe, die Polizeimarke und wo war nur sein ...? Ach ja das Diensthandy steckte noch in der Lederjacke, die im Kofferraum seines Wagens lag.
Als er zwei Minuten später unrasiert vor seinem Haus stand, wusste er, dass es möglicherweise kein guter Morgen sei. Wo war sein Auto? III - Gut kombiniert

Ben traf normalerweise als einer der Ersten am Tatort ein. Nicht so heute. Als er per Taxi ankam, herrschte längst hecktisches Treiben. Er hob das polizeiliche Absperrband, um darunter herzuschlüpfen.
„He, Sie können da nicht ...“, rief jemand in Uniform.
„Schon gut. Der ist von uns“, meldete sich eine Stimme. Bens Ermittlungspartner Marius, ein Typ mit altmodischer Hornbrille, führte ihn zu der Stelle im Laden, wo man Liebermann angeschossen hatte.
„Die Vitrinen haben sie leergeräumt, wie es aussieht. Den Besitzer hat es böse erwischt.“
„Wie geht‘s ihm?“, fragte Ben.
„Er ist wieder bei Bewusstsein. Wir konnten ihn sogar schon befragen. Die Täter haben vermutlich angenommen, er sei tot. Vielleicht haben sie deshalb die Angestellte mitgenommen. Ein Nachbar, der den Schuss gehört hat, sagte aus, er habe gesehen, wie die Männer einen menschlichen Körper in den Kofferraum bugsiert haben. Das Nummernschild war...“, Marius sah auf den Block mit seinen Notizen. „Ah hier hab ich‘s. SI Strich M H den Rest konnte er sich nicht merken.“
„413“, sagte Ben.“
„Was...?“
„Das ist mein Wagen. Er wurde mir heute gestohlen.“ Ben dachte nach und nur fünf Sekunden später erwachte ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Hast du mal ein Handy?“, fragte er seinen Kollegen.
Marius gab ihm das Mobiltelefon und Ben tippte hecktisch seine eigene Handynummer ein. Dann lauschte er, ging ungeduldig auf und ab.
„Hey was hast vor?“, wollte Marius wissen.
„Psch...“ Ben hob den Zeigefinger an den Mund. „Alle still sein!!!“, schrei er in den Verkaufsraum. Die Kollegen von der Spurensicherung verstummten und sahen Ben an, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Nach zwei Minuten, die Ben konzentriert in das Handy hineinlausche, legte er auf.
„Ich weiß, wo sie stecken.“

IV - Guter Klingelton

Nikotingeruch durchdrang die Dunkelheit. Als sich ihre Augen an das spärliche Licht im Kofferraum des Wagens gewöhnt hatten, entdeckte Marion P. ein Rostloch im Blech. Ersticken würde sie also nicht. Stattdessen bekäme sie einige blaue Flecken. Die Handschellen, die ihre Hände auf dem Rücken fixierten, hinderten sie daran, sich in den Kurven festzuhalten. So schlug ihr Kopf mal rechts, mal links an die Radkästen.
Seltsam, wie sich das Leben innerhalb einer Stunde verändern konnte. Eben noch schien alles wie immer. Marion war dabei gewesen, ihren Arbeitsplatz einzurichten. Sie arbeitete als Goldschmiedin in einem Juwelierladen. Wie jeden Morgen um kurz vor neun war ihr Chef zur Ladentür gegangen, um aufzuschließen. Sekunden später hörte sie ungewöhnliches Gepolter. Marion ging aus dem hinteren Teil des Geschäftes in den Verkaufsraum, um zu sehen, was los war. Herr Liebermann lag dort auf dem Boden, einen Schuh im Rücken, den Lauf einer Pistole im Nacken. Ein zweiter Gangster erblickte Marion, packte sie sofort, hielt auch ihr eine Waffe an die Schläfe. Man führte sie nacheinander zum Tresor, aber beide weigerten sich, die Kombination einzugeben. Als ihr Chef sich losreißen wollte, fiel ein Schuss und der gute alte Herr Liebermann sackte zusammen. Marion riss dem Mann, der geschossen hatte, die Maske von Gesicht. Dann traf sie von hinten ein Schlag.
Erst in diesem Kofferraum war sie langsam wieder zu sich gekommen. Ihr Kopf schmerzte. Blut rann aus einer Wunde am Hinterkopf. Irgendwo ertönte plötzlich der alte Police-Hit „Message in the Bottle“. Guter Klingelton dachte sie und robbte umständlich mit den verbundenen Händen dorthin, wo sie die Melodie ertönte. Sending out an SOS .... Sie wühlte in der Dunkelheit, fand mit den Handen hinter sich eine Jacke, wühlte weiter, fand ein Handy, drückte auf irgendeinen Knopf. Die Melodie verstummte. Verdammt, sie kam mit dem Kopf nicht an den Hörer.

V - Gute Nerven
„Mach das Radio aus“, schimpfte Richi.
„Es ist gar nicht an“, antwortete Kai.
„Aber ich hör doch was.“
Piet begann mitzusingen: „Sending out an SOS - Sending ou ...“
Das Lied verstummte. Die Drei begannen einen Streit darüber, woher die Musik gekommen war. Plötzlich leuchteten vor ihnen die roten Lichter eines Bahnübergangs..
„Gib Gas“, schrie Richi. Aber Kai bremste ab.
„Warum so hecktisch? Lass uns mal lieber unauffällig bleiben. Wo sind deine guten Nerven hin?“

Richi hatte seine guten Nerven im Juwelierladen verloren. Er war es nämlich gewesen, der geschossen hatte. Kaum auszuhalten, vor diesem gottverdammten Bahnübergang zu stehen. Die Schranken senkten sich gemächlich mit einem Bimm Bimm Bimm. Kai ließ den Motor laufen, um den Wagen nicht wieder kurzschließen zu müssen, nachdem der Zug vorüber war. Schöne Scheiße, dachte Richi. Da ist man auf der Flucht, weil man einen Menschen erschossen hat, und steht vor dem einzigen beschränkten Bahnübergang weit und breit. Bim Bim Bim ... Nur einmal am Tag kam hier ein Zug. Und das ausgerechnet jetzt. Das Öffnen und Schließen der Schranken erledigte ein Computer. Man hatte bei der automatischen Steuerung zur Sicherheit ein Zeitfenster eingebaut, damit keine Unfälle passieren konnten. Schon zwei Minuten vorrüber. Immer noch kein Zug. Doch. Dahinten. Quasi am Horizont quälte sich ein Güterzug über die Gleise in Richtung Bahnübergang. Kai sah auf die Tankanzeige, dessen Zeiger nun doch bedrohlich tief stand. Die Lokomotive stieß ihr Hupen aus. Warum eigentlich? Die Schranke war zu. Den Zug konnte man wohl kaum übersehen. Endlich rollte die Lok heran und ließ die Erde beben. Der rostbraune Stahlwurm kroch von links nach rechts durchs Bild. Wagon an Wagon. Minutenlang. Dann endlich bewegten sich die letzten Räder an ihnen vorbei. Bimm Bimm Bimm. Die Schranke hob sich wieder. Kai ließ den Motor aufheulen. Doch er heulte nur kurz und verstummte dann.
„Scheiße, kein Sprit mehr.“
„Heißt das, du hast vergessen zu tanken.“
„Tanken? Mit einem gestohlenen Auto? Spinnst du?“
Kai blickte nervös in den Rückspiegel und sah, wie sich ein Auto näherte. Ein dunkelroter VW-Passat. Anstatt vorbeizufahren, blieb er hinter ihnen stehen. Zwei Männer stiegen aus und näherten sich.
„Ganz ruhig“, ermahnte Kai die Anderen. „Die wollen uns bestimmt nur Hilfe anbieten.“
Inzwischen standen die Männer aus dem Passat rechts und links neben ihrem Wagen. Kai und Richi ließen die Scheiben herunter, um mir ihnen zu sprechen. Der eine hatte eine altmodische Hornbrille auf. Der andere war unrasiert und stank nach Zigaretten.
„Können wir Ihnen helfen?“ hauchte er sein Nikotin in den Wagen.
„Naja - uns ist der Sprit ausgegangen. Wenn Sie vielleicht etwas übrig hätten?“
„Sprit haben wir nicht“, sagte der Raucher, aber das hier.“

Blitzschnell zogen die Männer zwei Pistolen aus den Jackentaschen und zielten in den Innenraum des Wagens. Die Gangster hoben instinktiv die Hände. Sie wussten, dass ihre Flucht ein Ende gefunden hatte.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Echt witzig! Aber eigentlich ist nach III (Satzfehler: Zwischenüberschrift verrutscht) Schluss. Wie genau die Ortung dann geht, wo genau sie die Kerle erwischen etc ist. Als Abrundung würde sowas reichen:

IV – Gute Nacht!

„Mach das Radio aus“, schimpfte Richi.
„Es ist gar nicht an“, antwortete Kai.
„Aber ich hör doch was. Kommt das aus dem Kofferraum?"
„Quatsch!", bestimmte Piet, horchte aber nach hinten.
Vor ihnen leuchteten die roten Lichter eines Bahnübergangs..
„Gib Gas!“, schrie Richi.
Der Motor des Wagen ging aus.
„Gasgeben, nicht anhalten Mensch!"
„Ich … eh …", druckste Kai. „Der Tank ist leer. Ich … eh … ", er sah sich hilfesuchend um. „Guck mal, die hinter uns halten. Wir könnten die nach Sprit fragen.“
Richi drehte sich nach hinten und sah zwei Männer aussteigen. Sie kamen von beiden Seiten an den Opel heran. Der auf der Fahrerseite beugte sich nach unten.
Kai drehte die Scheibe herunter. „Hey!"
Der Mann nickte grüßend und sah sich im Wageninnern um.
„Können Sie uns vielleicht helfen? Wir brauchen …“
„… einen guten Anwalt?“, fragte der Mann und hielt Kai seine Polizeimarke unter die Nase. „Na dann steigen Sie doch erstmal aus.“
 

Dr Time

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I - Guter Wagen

Kai hatte sich für den Opel entschieden. Ungewaschen - Dunkelblau - unauffällig. Eigentlich eine Rostlaube. Die Karre stammte vermutlich noch aus dem letzten Jahrtausend, was aber den Vorteil hatte, dass sie leichter kurzzuschließen war. Technisch machte das Auto einen passablen Eindruck. Sportfahrwerk, breite Reifen, Schalensitze. Hauptsache was unter der Haube, dachte Kai. Wenn Richi und Piet aus dem Juweliergeschäft kämen, mussten sie ein zuverlässiges Fluchtfahrzeug haben. Eine knappe Stunde nur bis zu dem geplanten Überfall. Der Motor war lebhaft, wie ein hungriges Raubtier. Die Tankanzeige schlug kaum aus, aber es sollte wohl reichten für die wenigen Kilometer bis zu der abgelegenen Scheune direkt an der Bahnstrecke, wo ihr Lieferwagen stand. Kai ging nochmal alles durch. Um 9:00 Uhr öffnete der Juwelier. Sie würden die ersten Kunden sein. Außer dass es schnell gehen musste, gab es nur drei Regeln, die unbedingt zu beachten waren. Erstens: Keiner sagt etwas. Zweitens: Keiner schießt. Drittens: keine Geißeln. Wenig später trafen sie vor dem Laden ein. Kai ließ den Motor laufen.

II - Guter Morgen

Sein Telefon klingelte schon zum zweiten Mal an diesem Morgen. Diesmal noch schriller und noch unerbittlicher. Hauptkommissar Ben Schreiber hatte seinen freien Tag. Doch die Decke über den Ohren ließ das Klingeln nicht verstummen. Ben sah aufs Display und stellte fest, dass der Anruf von der Hauptwache kam. Er drückte den Knopf und lauschte.
„Mensch Ben - warum bist du nicht auf dem Handy zu erreichen? Wir brauchen dich - dringend.“
„Guten Morgen erstmal ... Ich hab heut‘ meinen freien ...“
„Nix guter Morgen. Hier ist die Hölle los. Es gab einen Überfall auf einen Juwelierladen.“

Ben hörte sich die Fakten an. Zwei maskierte Burschen hatten offenbar während eines Überfalls komplett die Nerven verloren, nachdem der Inhaber des Ladens sich geweigert hatte, die Kombination für den Safe zu verraten. Einer von ihnen hatte den Mann angeschossen. Dann hatten sich die beiden angeschrien. Als eine Angestellte einem der Täter bei dem darauffolgenden Handgemenge die Maske vom Kopf gerissen hatte, nahm man sie als Geißel. Die Täter flüchteten in einem Opel älteren Baujahres. Vermutlich gab es einen Fahrer, der draußen auf sie gewartet hatte.

„OK. Bin unterwegs“, sagte Ben. Er legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Die Erste von dreißig Stück an diesem Tag. Dann nahm er seine Dienstwaffe, die Polizeimarke und wo war nur sein ...? Ach ja das Diensthandy steckte noch in der Lederjacke, die im Kofferraum seines Wagens lag.
Als er zwei Minuten später unrasiert vor seinem Haus stand, wusste er, dass es möglicherweise kein guter Morgen sei. Wo war sein Auto?

III - Gut kombiniert

Ben traf normalerweise als einer der Ersten am Tatort ein. Nicht so heute. Als er per Taxi ankam, herrschte längst hecktisches Treiben. Er hob das polizeiliche Absperrband, um darunter herzuschlüpfen.
„He, Sie können da nicht ...“, rief jemand in Uniform.
„Schon gut. Der ist von uns“, meldete sich eine Stimme. Bens Ermittlungspartner Marius, ein Typ mit altmodischer Hornbrille, führte ihn zu der Stelle im Laden, wo man Liebermann angeschossen hatte.
„Die Vitrinen haben sie leergeräumt, wie es aussieht. Den Besitzer hat es böse erwischt.“
„Wie geht‘s ihm?“, fragte Ben.
„Er ist wieder bei Bewusstsein. Wir konnten ihn sogar schon befragen. Die Täter haben vermutlich angenommen, er sei tot. Vielleicht haben sie deshalb die Angestellte mitgenommen. Ein Nachbar, der den Schuss gehört hat, sagte aus, er habe gesehen, wie die Männer einen menschlichen Körper in den Kofferraum bugsiert haben. Das Nummernschild war...“, Marius sah auf den Block mit seinen Notizen. „Ah hier hab ich‘s. SI Strich M H den Rest konnte er sich nicht merken.“
„413“, sagte Ben.“
„Was...?“
„Das ist mein Wagen. Er wurde mir heute gestohlen.“ Ben dachte nach und nur fünf Sekunden später erwachte ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Hast du mal ein Handy?“, fragte er seinen Kollegen.
Marius gab ihm das Mobiltelefon und Ben tippte hecktisch seine eigene Handynummer ein. Dann lauschte er, ging ungeduldig auf und ab.
„Hey was hast vor?“, wollte Marius wissen.
„Psch...“ Ben hob den Zeigefinger an den Mund. „Alle still sein!!!“, schrei er in den Verkaufsraum. Die Kollegen von der Spurensicherung verstummten und sahen Ben an, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Nach zwei Minuten, die Ben konzentriert in das Handy hineinlausche, legte er auf.
„Ich weiß, wo sie stecken.“

IV - Guter Klingelton

Nikotingeruch durchdrang die Dunkelheit. Als sich ihre Augen an das spärliche Licht im Kofferraum des Wagens gewöhnt hatten, entdeckte Marion P. ein Rostloch im Blech. Ersticken würde sie also nicht. Stattdessen bekäme sie einige blaue Flecken. Die Handschellen, die ihre Hände auf dem Rücken fixierten, hinderten sie daran, sich in den Kurven festzuhalten. So schlug ihr Kopf mal rechts, mal links an die Radkästen.
Seltsam, wie sich das Leben innerhalb einer Stunde verändern konnte. Eben noch schien alles wie immer. Marion war dabei gewesen, ihren Arbeitsplatz einzurichten. Sie arbeitete als Goldschmiedin in einem Juwelierladen. Wie jeden Morgen um kurz vor neun war ihr Chef zur Ladentür gegangen, um aufzuschließen. Sekunden später hörte sie ungewöhnliches Gepolter. Marion ging aus dem hinteren Teil des Geschäftes in den Verkaufsraum, um zu sehen, was los war. Herr Liebermann lag dort auf dem Boden, einen Schuh im Rücken, den Lauf einer Pistole im Nacken. Ein zweiter Gangster erblickte Marion, packte sie sofort, hielt auch ihr eine Waffe an die Schläfe. Man führte sie nacheinander zum Tresor, aber beide weigerten sich, die Kombination einzugeben. Als ihr Chef sich losreißen wollte, fiel ein Schuss und der gute alte Herr Liebermann sackte zusammen. Marion riss dem Mann, der geschossen hatte, die Maske von Gesicht. Dann traf sie von hinten ein Schlag.
Erst in diesem Kofferraum war sie langsam wieder zu sich gekommen. Ihr Kopf schmerzte. Blut rann aus einer Wunde am Hinterkopf. Irgendwo ertönte plötzlich der alte Police-Hit „Message in the Bottle“. Guter Klingelton dachte sie und robbte umständlich mit den verbundenen Händen dorthin, wo sie die Melodie ertönte. Sending out an SOS .... Sie wühlte in der Dunkelheit, fand mit den Handen hinter sich eine Jacke, wühlte weiter, fand ein Handy, drückte auf irgendeinen Knopf. Die Melodie verstummte. Verdammt, sie kam mit dem Kopf nicht an den Hörer.

V - Gute Nerven
„Mach das Radio aus“, schimpfte Richi.
„Es ist gar nicht an“, antwortete Kai.
„Aber ich hör doch was.“
Piet begann mitzusingen: „Sending out an SOS - Sending ou ...“
Das Lied verstummte. Die Drei begannen einen Streit darüber, woher die Musik gekommen war. Plötzlich leuchteten vor ihnen die roten Lichter eines Bahnübergangs..
„Gib Gas“, schrie Richi. Aber Kai bremste ab.
„Warum so hecktisch? Lass uns mal lieber unauffällig bleiben. Wo sind deine guten Nerven hin?“

Richi hatte seine guten Nerven im Juwelierladen verloren. Er war es nämlich gewesen, der geschossen hatte. Kaum auszuhalten, vor diesem gottverdammten Bahnübergang zu stehen. Die Schranken senkten sich gemächlich mit einem Bimm Bimm Bimm. Kai ließ den Motor laufen, um den Wagen nicht wieder kurzschließen zu müssen, nachdem der Zug vorüber war. Schöne Scheiße, dachte Richi. Da ist man auf der Flucht, weil man einen Menschen erschossen hat, und steht vor dem einzigen beschränkten Bahnübergang weit und breit. Bim Bim Bim ... Nur einmal am Tag kam hier ein Zug. Und das ausgerechnet jetzt. Das Öffnen und Schließen der Schranken erledigte ein Computer. Man hatte bei der automatischen Steuerung zur Sicherheit ein Zeitfenster eingebaut, damit keine Unfälle passieren konnten. Schon zwei Minuten vorrüber. Immer noch kein Zug. Doch. Dahinten. Quasi am Horizont quälte sich ein Güterzug über die Gleise in Richtung Bahnübergang. Kai sah auf die Tankanzeige, dessen Zeiger nun doch bedrohlich tief stand. Die Lokomotive stieß ihr Hupen aus. Warum eigentlich? Die Schranke war zu. Den Zug konnte man wohl kaum übersehen. Endlich rollte die Lok heran und ließ die Erde beben. Der rostbraune Stahlwurm kroch von links nach rechts durchs Bild. Wagon an Wagon. Minutenlang. Dann endlich bewegten sich die letzten Räder an ihnen vorbei. Bimm Bimm Bimm. Die Schranke hob sich wieder. Kai ließ den Motor aufheulen. Doch er heulte nur kurz und verstummte dann.
„Scheiße, kein Sprit mehr.“
„Heißt das, du hast vergessen zu tanken.“
„Tanken? Mit einem gestohlenen Auto? Spinnst du?“
Kai blickte nervös in den Rückspiegel und sah, wie sich ein Auto näherte. Ein dunkelroter VW-Passat. Anstatt vorbeizufahren, blieb er hinter ihnen stehen. Zwei Männer stiegen aus und näherten sich.
„Ganz ruhig“, ermahnte Kai die Anderen. „Die wollen uns bestimmt nur Hilfe anbieten.“
Inzwischen standen die Männer aus dem Passat rechts und links neben ihrem Wagen. Kai und Richi ließen die Scheiben herunter, um mit ihnen zu sprechen. Der eine hatte eine altmodische Hornbrille auf. Der andere war unrasiert und stank nach Zigaretten.
„Können wir Ihnen helfen?“ hauchte er sein Nikotin in den Wagen.
„Naja - uns ist der Sprit ausgegangen. Wenn Sie vielleicht etwas übrig hätten?“
„Sprit haben wir nicht“, sagte der Raucher, aber das hier.“

Blitzschnell zogen die Männer zwei Pistolen aus den Jackentaschen und zielten in den Innenraum des Wagens. Die Gangster hoben instinktiv die Hände. Sie wussten, dass ihre Flucht ein Ende gefunden hatte.
 

Dr Time

Mitglied
Danke

Hallo Jon,

Danke für die Anregung und den Hinweis auf die Überschrift bei III.

Ja - mir selber ist das Ganze im Prinzip auch viel zu lang. Aber irgendwie muss ja Zeit vergehen, bis die Polizisten zum Bahnübergang gelangen. Und das "Bim Bim Bim" ist ja, was Ben im Handy gehört hatte. Da es der einzige Schrankenübergang weit und breit ist, mussten sie also dort sein.
Trotzdem werde ich mal über eine Verkürzung nachdenken. Ich nehme dem Leser zu viele eigene Gedanken ab. War übrigens mein erster Krimi. Ist ne Hausaufgabe gewesen für meine Schreibgruppe.

Schöne Restwoche - Stephan
 

jon

Mitglied
Teammitglied
… das mit der Zeit stimmt natürlich. Ich dachte, die Geisel hätte das Handy ja auch in Mundnähe schieben können und beschreiben, was sie durch das Rostloch sieht. Wie wäre es alternativ, wenn die Jungs wegen des fehlenden Sprits noch gar nicht weit gekommen sind und deshalb nicht viel Zeit nötig ist? Sie könnten sich auch anschreien und dabei den (nahen) Standort verraten. Andererseits: der Kommissar mus ja auch erst noch geweckt werden …
 

Dr Time

Mitglied
I - Guter Wagen

Kai hatte sich für den Opel entschieden. Ungewaschen - Dunkelblau - unauffällig. Eigentlich eine Rostlaube. Die Karre stammte vermutlich noch aus dem letzten Jahrtausend, was aber den Vorteil hatte, dass sie leichter kurzzuschließen war. Technisch machte das Auto einen passablen Eindruck. Sportfahrwerk, breite Reifen, Schalensitze. Hauptsache was unter der Haube, dachte Kai. Wenn Richi und Piet aus dem Juweliergeschäft kämen, mussten sie ein zuverlässiges Fluchtfahrzeug haben. Eine knappe Stunde nur bis zu dem geplanten Überfall. Der Motor war lebhaft, wie ein hungriges Raubtier. Die Tankanzeige schlug kaum aus, aber es sollte wohl reichten für die wenigen Kilometer bis zu der abgelegenen Scheune direkt an der Bahnstrecke, wo ihr Lieferwagen stand. Kai ging nochmal alles durch. Um 9:00 Uhr öffnete der Juwelier. Sie würden die ersten Kunden sein. Außer dass es schnell gehen musste, gab es nur drei Regeln, die unbedingt zu beachten waren. Erstens: Keiner sagt etwas. Zweitens: Keiner schießt. Drittens: keine Geißeln. Wenig später trafen sie vor dem Laden ein. Kai ließ den Motor laufen.

II - Guter Morgen

Sein Telefon klingelte schon zum zweiten Mal an diesem Morgen. Diesmal noch schriller und noch unerbittlicher. Hauptkommissar Ben Schreiber hatte seinen freien Tag. Doch die Decke über den Ohren ließ das Klingeln nicht verstummen. Ben sah aufs Display und stellte fest, dass der Anruf von der Hauptwache kam. Er drückte den Knopf und lauschte.
„Mensch Ben - warum bist du nicht auf dem Handy zu erreichen? Wir brauchen dich - dringend.“
„Guten Morgen erstmal ... Ich hab heut‘ meinen freien ...“
„Nix guter Morgen. Hier ist die Hölle los. Es gab einen Überfall auf einen Juwelierladen.“

Ben hörte sich die Fakten an. Zwei maskierte Burschen hatten offenbar während eines Überfalls komplett die Nerven verloren, nachdem der Inhaber des Ladens sich geweigert hatte, die Kombination für den Safe zu verraten. Einer von ihnen hatte den Mann angeschossen. Dann hatten sich die beiden angeschrien. Als eine Angestellte einem der Täter bei dem darauffolgenden Handgemenge die Maske vom Kopf gerissen hatte, nahm man sie als Geißel. Die Täter flüchteten in einem Opel älteren Baujahres. Vermutlich gab es einen Fahrer, der draußen auf sie gewartet hatte.

„OK. Bin unterwegs“, sagte Ben. Er legte auf und zündete sich eine Zigarette an. Die Erste von dreißig Stück an diesem Tag. Dann nahm er seine Dienstwaffe, die Polizeimarke und wo war nur sein ...? Ach ja das Diensthandy steckte noch in der Lederjacke, die im Kofferraum seines Wagens lag.
Als er zwei Minuten später unrasiert vor seinem Haus stand, wusste er, dass es möglicherweise kein guter Morgen sei. Wo war sein Auto?

III - Gut kombiniert

Ben traf normalerweise als einer der Ersten am Tatort ein. Nicht so heute. Als er per Taxi ankam, herrschte längst hecktisches Treiben. Er hob das polizeiliche Absperrband, um darunter herzuschlüpfen.
„He, Sie können da nicht ...“, rief jemand in Uniform.
„Schon gut. Der ist von uns“, meldete sich eine Stimme. Bens Ermittlungspartner Marius, ein Typ mit altmodischer Hornbrille, führte ihn zu der Stelle im Laden, wo man Liebermann angeschossen hatte.
„Die Vitrinen haben sie leergeräumt, wie es aussieht. Den Besitzer hat es böse erwischt.“
„Wie geht‘s ihm?“, fragte Ben.
„Er ist wieder bei Bewusstsein. Wir konnten ihn sogar schon befragen. Die Täter haben vermutlich angenommen, er sei tot. Vielleicht haben sie deshalb die Angestellte mitgenommen. Ein Nachbar, der den Schuss gehört hat, sagte aus, er habe gesehen, wie die Männer einen menschlichen Körper in den Kofferraum bugsiert haben. Das Nummernschild war...“, Marius sah auf den Block mit seinen Notizen. „Ah hier hab ich‘s. SI Strich M H den Rest konnte er sich nicht merken.“
„413“, sagte Ben.“
„Was...?“
„Das ist mein Wagen. Er wurde mir heute gestohlen.“ Ben dachte nach und nur fünf Sekunden später erwachte ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Hast du mal ein Handy?“, fragte er seinen Kollegen.
Marius gab ihm das Mobiltelefon und Ben tippte hecktisch seine eigene Handynummer ein. Dann lauschte er, ging ungeduldig auf und ab.
„Hey was hast du vor?“, wollte Marius wissen.
„Psch...“ Ben hob den Zeigefinger an den Mund. „Alle still sein!!!“, schrei er in den Verkaufsraum. Die Kollegen von der Spurensicherung verstummten und sahen Ben an, als habe er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Nach zwei Minuten, die Ben konzentriert in das Handy hineinlausche, legte er auf.
„Ich weiß, wo sie stecken.“

IV - Guter Klingelton

Nikotingeruch durchdrang die Dunkelheit. Als sich ihre Augen an das spärliche Licht im Kofferraum des Wagens gewöhnt hatten, entdeckte Marion P. ein Rostloch im Blech. Ersticken würde sie also nicht. Stattdessen bekäme sie einige blaue Flecken. Die Handschellen, die ihre Hände auf dem Rücken fixierten, hinderten sie daran, sich in den Kurven festzuhalten. So schlug ihr Kopf mal rechts, mal links an die Radkästen.
Seltsam, wie sich das Leben innerhalb einer Stunde verändern konnte. Eben noch schien alles wie immer. Marion war dabei gewesen, ihren Arbeitsplatz einzurichten. Sie arbeitete als Goldschmiedin in einem Juwelierladen. Wie jeden Morgen um kurz vor neun war ihr Chef zur Ladentür gegangen, um aufzuschließen. Sekunden später hörte sie ungewöhnliches Gepolter. Marion ging aus dem hinteren Teil des Geschäftes in den Verkaufsraum, um zu sehen, was los war. Herr Liebermann lag dort auf dem Boden, einen Schuh im Rücken, den Lauf einer Pistole im Nacken. Ein zweiter Gangster erblickte Marion, packte sie sofort, hielt auch ihr eine Waffe an die Schläfe. Man führte sie nacheinander zum Tresor, aber beide weigerten sich, die Kombination einzugeben. Als ihr Chef sich losreißen wollte, fiel ein Schuss und der gute alte Herr Liebermann sackte zusammen. Marion riss dem Mann, der geschossen hatte, die Maske vom Gesicht. Dann traf sie von hinten ein Schlag.
Erst in diesem Kofferraum war sie langsam wieder zu sich gekommen. Ihr Kopf schmerzte. Blut rann aus einer Wunde am Hinterkopf. Irgendwo ertönte plötzlich der alte Police-Hit „Message in the Bottle“. Guter Klingelton dachte sie und robbte umständlich mit den verbundenen Händen dorthin, wo sie die Melodie ertönte. Sending out an SOS .... Sie wühlte in der Dunkelheit, fand mit den Händen hinter sich eine Jacke, wühlte weiter, fand ein Handy, drückte auf irgendeinen Knopf. Die Melodie verstummte. Verdammt, sie kam mit dem Kopf nicht an den Hörer.

V - Gute Nerven
„Mach das Radio aus“, schimpfte Richi.
„Es ist gar nicht an“, antwortete Kai.
„Aber ich hör doch was.“
Piet begann mitzusingen: „Sending out an SOS - Sending ou ...“
Das Lied verstummte. Die Drei begannen einen Streit darüber, woher die Musik gekommen war. Plötzlich leuchteten vor ihnen die roten Lichter eines Bahnübergangs..
„Gib Gas“, schrie Richi. Aber Kai bremste ab.
„Warum so hecktisch? Lass uns mal lieber unauffällig bleiben. Wo sind deine guten Nerven hin?“

Richi hatte seine guten Nerven im Juwelierladen verloren. Er war es nämlich gewesen, der geschossen hatte. Kaum auszuhalten, vor diesem gottverdammten Bahnübergang zu stehen. Die Schranken senkten sich gemächlich mit einem Bimm Bimm Bimm. Kai ließ den Motor laufen, um den Wagen nicht wieder kurzschließen zu müssen, nachdem der Zug vorüber war. Schöne Scheiße, dachte Richi. Da ist man auf der Flucht, weil man einen Menschen erschossen hat, und steht vor dem einzigen beschränkten Bahnübergang weit und breit. Bim Bim Bim ... Nur einmal am Tag kam hier ein Zug. Und das ausgerechnet jetzt. Das Öffnen und Schließen der Schranken erledigte ein Computer. Man hatte bei der automatischen Steuerung zur Sicherheit ein Zeitfenster eingebaut, damit keine Unfälle passieren konnten. Schon zwei Minuten vorrüber. Immer noch kein Zug. Doch. Dahinten. Quasi am Horizont quälte sich ein Güterzug über die Gleise in Richtung Bahnübergang. Kai sah auf die Tankanzeige, dessen Zeiger nun doch bedrohlich tief stand. Die Lokomotive stieß ihr Hupen aus. Warum eigentlich? Die Schranke war zu. Den Zug konnte man wohl kaum übersehen. Endlich rollte die Lok heran und ließ die Erde beben. Der rostbraune Stahlwurm kroch von links nach rechts durchs Bild. Wagon an Wagon. Minutenlang. Dann endlich bewegten sich die letzten Räder an ihnen vorbei. Bimm Bimm Bimm. Die Schranke hob sich wieder. Kai ließ den Motor aufheulen. Doch er heulte nur kurz und verstummte dann.
„Scheiße, kein Sprit mehr.“
„Heißt das, du hast vergessen zu tanken?“
„Tanken? Mit einem gestohlenen Auto? Spinnst du?“
Kai blickte nervös in den Rückspiegel und sah, wie sich ein Auto näherte. Ein dunkelroter VW-Passat. Anstatt vorbeizufahren, blieb er hinter ihnen stehen. Zwei Männer stiegen aus und näherten sich.
„Ganz ruhig“, ermahnte Kai die Anderen. „Die wollen uns bestimmt nur Hilfe anbieten.“
Inzwischen standen die Männer aus dem Passat rechts und links neben ihrem Wagen. Kai und Richi ließen die Scheiben herunter, um mit ihnen zu sprechen. Der eine hatte eine altmodische Hornbrille auf. Der andere war unrasiert und stank nach Zigaretten.
„Können wir Ihnen helfen?“ hauchte er sein Nikotin in den Wagen.
„Naja - uns ist der Sprit ausgegangen. Wenn Sie vielleicht etwas übrig hätten?“
„Sprit haben wir nicht“, sagte der Raucher, aber das hier.“

Blitzschnell zogen die Männer zwei Pistolen aus den Jackentaschen und zielten in den Innenraum des Wagens. Die Gangster hoben instinktiv die Hände. Sie wussten, dass ihre Flucht ein Ende gefunden hatte.
 



 
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