Nicholas Cyphre
Mitglied
H.
Tief in den Wäldern, nur über einen völlig unwegsamen und beschwerlichen Weg erreichbar, liegt das jahrhundertealte Haus, dessen Eigentümer H. ist. Es ist ein wehendes Haus, denn die Türen und Fenster sind niemals geschlossen; es ziehen und gleiten unzählige Vorhänge im Wind nach drinnen und draußen; Bücher, die in den Räumen über die Böden wild verteilt liegen, klappen auf und verschicken ihre flatternden Seiten in die kühlen, freundlichen Luftströme, die sie mit sich reißen und erst in den Wäldern, hier und da an einem Baume hängend, verstreuen.. In diesem Haus gibt es weniges Mobiliar; alles ist alt und verströmt eine zeitlose Gleichgültigkeit gegenüber dem Betrachter. An die Wände sind viele Zeichnungen und Texte geheftet, alte und neue, große und kleine, verschiedenste Motive – Gedichte, Aktskizzen, Architektenblätter und einzelne Sinnsprüche. Es gibt Tausende und Abertausende Bücher in dem Haus – in Regalen, Schränken, Kommoden, Truhen und Kisten, auf genagelten Brettern, in Nischen und Ritzen, aufgereiht entlang einer Wand, gestapelt bis zur feuchten Decke, auf dem Boden überall verteilt. Manche sind neu und riechen frisch, andere starren vor Alter, schimmeln und verbreiten einen sachten Verwesungsgeruch – da letztere den wesentlichen Teil der Sammlung stellen, liegt über allen Räumlichkeiten ein süßlich-schwerer Geruchsteppich von Fäulnis.
Ein Mann von unbestimmtem Alter sitzt in einem Sessel vor dem Kamin. Es ist Winter, und es hat lange Tage geschneit. H. kann es sich nicht leisten, alle Räume zu beheizen, darum entfacht er nur das eine Feuer; alle anderen Räume mit den vielen Büchern betritt er während dieser Jahreszeit nicht. Neben dem Kamin stapeln sich bis zur Decke die im Herbst gehackten Holzscheite. Er sitzt unbewegt, den Blick starr auf die Fackeln gerichtet. Über seinen Schoß hat er eine Decke gelegt, weil es ihn immer noch friert. Darauf schlummert behaglich eine namenlose Katze. H.s Züge sind versteinert, die Lippen eng gepresst und blass, als habe er seit langer Zeit nicht mehr gesprochen. Aus den grünlichen Augen spricht Alter. Ein feiner Teppich aus grauen Bartstoppeln liegt auf seiner unteren Gesichtshälfte, grober, fester Staub steckt in den Haaren, eine übermütige Spinne krabbelt auf ihm herum. Dies alles und sein mageres, ausgehungertes Äußeres lassen darauf schließen, dass H. sich seit Stunden und Tagen, seit Wochen vielleicht, nicht erhoben hat.
Doch dem ist nicht – jederzeit, und sei er noch so steinern in seinen Gemächern, bewegt sich H. Der alte Mann schickt seine Seele, die einem Vogel gleicht, auf weite Reisen – durch die Wälder, in die Städte; über Flüsse, Gebirge und Schluchten hinaus durch die Welt; in die Tiefen unerforschter Meeresgründe und in die verspielt weißen Wolkengebirge über dem Horizont. Er ist ein ruheloser Wanderer, obgleich die Augen eines Betrachtenden meinen möchten, dass er starr säße und vielleicht schon gestorben sei. Die Bücher haben H. das Seelen-Reisen gelehrt, sie sind seine zahllosen Lichter ins Innere. Aber die Bücher zerfleddern, und die Zeiten schreiten uneinsichtig voran. Und derweil draußen Kriege toben, Seuchen wüten, Aufstände und Umstürze das Menschendenken verändern, ruht H. suchend vor seinem Feuer.
So sitzt H. seit Jahren. Der Wind, der kühler wird und wieder wärmer, wird alle Seiten aller Bücher forttragen, ehe er das Haus zerbläst und schließlich den alten Mann selbst, der nur noch Staub sein wird und Asche, auf einer weichen Luftzunge durch die tiefen Wälder hinausträgt in die Welt.
Tief in den Wäldern, nur über einen völlig unwegsamen und beschwerlichen Weg erreichbar, liegt das jahrhundertealte Haus, dessen Eigentümer H. ist. Es ist ein wehendes Haus, denn die Türen und Fenster sind niemals geschlossen; es ziehen und gleiten unzählige Vorhänge im Wind nach drinnen und draußen; Bücher, die in den Räumen über die Böden wild verteilt liegen, klappen auf und verschicken ihre flatternden Seiten in die kühlen, freundlichen Luftströme, die sie mit sich reißen und erst in den Wäldern, hier und da an einem Baume hängend, verstreuen.. In diesem Haus gibt es weniges Mobiliar; alles ist alt und verströmt eine zeitlose Gleichgültigkeit gegenüber dem Betrachter. An die Wände sind viele Zeichnungen und Texte geheftet, alte und neue, große und kleine, verschiedenste Motive – Gedichte, Aktskizzen, Architektenblätter und einzelne Sinnsprüche. Es gibt Tausende und Abertausende Bücher in dem Haus – in Regalen, Schränken, Kommoden, Truhen und Kisten, auf genagelten Brettern, in Nischen und Ritzen, aufgereiht entlang einer Wand, gestapelt bis zur feuchten Decke, auf dem Boden überall verteilt. Manche sind neu und riechen frisch, andere starren vor Alter, schimmeln und verbreiten einen sachten Verwesungsgeruch – da letztere den wesentlichen Teil der Sammlung stellen, liegt über allen Räumlichkeiten ein süßlich-schwerer Geruchsteppich von Fäulnis.
Ein Mann von unbestimmtem Alter sitzt in einem Sessel vor dem Kamin. Es ist Winter, und es hat lange Tage geschneit. H. kann es sich nicht leisten, alle Räume zu beheizen, darum entfacht er nur das eine Feuer; alle anderen Räume mit den vielen Büchern betritt er während dieser Jahreszeit nicht. Neben dem Kamin stapeln sich bis zur Decke die im Herbst gehackten Holzscheite. Er sitzt unbewegt, den Blick starr auf die Fackeln gerichtet. Über seinen Schoß hat er eine Decke gelegt, weil es ihn immer noch friert. Darauf schlummert behaglich eine namenlose Katze. H.s Züge sind versteinert, die Lippen eng gepresst und blass, als habe er seit langer Zeit nicht mehr gesprochen. Aus den grünlichen Augen spricht Alter. Ein feiner Teppich aus grauen Bartstoppeln liegt auf seiner unteren Gesichtshälfte, grober, fester Staub steckt in den Haaren, eine übermütige Spinne krabbelt auf ihm herum. Dies alles und sein mageres, ausgehungertes Äußeres lassen darauf schließen, dass H. sich seit Stunden und Tagen, seit Wochen vielleicht, nicht erhoben hat.
Doch dem ist nicht – jederzeit, und sei er noch so steinern in seinen Gemächern, bewegt sich H. Der alte Mann schickt seine Seele, die einem Vogel gleicht, auf weite Reisen – durch die Wälder, in die Städte; über Flüsse, Gebirge und Schluchten hinaus durch die Welt; in die Tiefen unerforschter Meeresgründe und in die verspielt weißen Wolkengebirge über dem Horizont. Er ist ein ruheloser Wanderer, obgleich die Augen eines Betrachtenden meinen möchten, dass er starr säße und vielleicht schon gestorben sei. Die Bücher haben H. das Seelen-Reisen gelehrt, sie sind seine zahllosen Lichter ins Innere. Aber die Bücher zerfleddern, und die Zeiten schreiten uneinsichtig voran. Und derweil draußen Kriege toben, Seuchen wüten, Aufstände und Umstürze das Menschendenken verändern, ruht H. suchend vor seinem Feuer.
So sitzt H. seit Jahren. Der Wind, der kühler wird und wieder wärmer, wird alle Seiten aller Bücher forttragen, ehe er das Haus zerbläst und schließlich den alten Mann selbst, der nur noch Staub sein wird und Asche, auf einer weichen Luftzunge durch die tiefen Wälder hinausträgt in die Welt.