Haben Sie schon gehört?

2,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Petra Pauls

Mitglied
"Haben Sie schon gehört, dass wir ab Januar 2005 eine neue Währung bekommen?“
Ungläubig wandert mein müder Blick zu der rundlichen kleinen Dame, die sich hinter einer bekannten deutschen Boulevardzeitung versteckt hatte und voller Entsetzen nach meiner Reaktion Ausschau hält.
Ich lächele sie noch müder an und versuche ihre hastigen Wortfetzen zu überhören, doch es klappt nicht ganz. Mein Ohr scheint sich auch für dieses Thema zu interessieren.
„Meine Dame, Sie vertun sich, die neue Währung gilt schon seit dem 1.1.2002 und zwar in ganz Europa.“
Der ältere Herr mit der grauen Schirmmütze blinzelt mir zu und deutet abwertend auf dieses Zeitungsblatt, von dem nun ein Teil zu Boden sinkt.
„Hören Sie, ich habe es doch gerade gelesen, sehen Sie selber, 2005! Nicht 2002! Nur noch ein paar Monate, dann herrschen wieder normale Verhältnisse. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich das heute beim Frühstück gelesen habe. Die letzten Monate waren doch der reinste Alptraum.“
Unsicherheit macht sich jetzt auch bei dem jungen Paar bemerkbar, das sich eben noch einen Kopfhörer lautstarker Musik teilte.
„Ja, und dann können wir unsere Geldscheine ruhig wieder mit Persil und 1200 Umdrehungen waschen, die laufen dann nicht mehr ein.“
Ich muss nicken, denn auch mir ist das letzte Woche passiert, als ich vom Einkaufen kam und nicht mehr an den Geldschein in meiner Jeanshose dachte. Erst als er auf der Leine hing, fiel er mir wieder ein. Zu spät, wie ich feststellte. Er hatte nicht nur an Farbe, sondern auch das berühmte Wasserzeichen verloren. Alles Suchen war zwecklos, keines von beiden war auffindbar und mir blieb nichts anderes übrig, als ihn mit mulmigen Gefühlen zur Bank zu bringen. Eine Währungsreform – dachte ich, das wäre die Rettung für viele verwaschene Geldscheine, die wir dann end-lich in Großabfertigung entsorgen könnten. Ich würde mich sogar freiwillig melden. Meine Wut richtig daran auslassen, diese Dinger zerreißen, zerbeißen, erschlagen. Nicht mal das sollen sie aushalten - habe ich irgendwo gelesen.
„Tatsächlich“, tönt es plötzlich einstimmig aus der Sitzreihe vor mir und der ältere Herr verteilt seine Stirnfalten sorgfältig in vier waagerechte Reihen. Zögernd entschließt er sich, das Zeitungsblatt aufzuheben.
„Tatsächlich“, nickt auch er, aber eher fast erschrocken. Sein überraschter Blick überrascht auch mich. Da steht es – schwarz auf weiß! Er reicht mir das schwarzbedruckte Titelblatt herüber und ich traue meinen Augen nicht. Muss mich vergewissern, dass es sich um eine aktuelle Zeitung handelt.
Eine neue Währung – 2005, ab Januar. Wirklich, ungelogen! Ich kann es nicht richtig fassen, doch da steht es!
Wäre heute der 1. April würde ich glatt an einen Scherz glauben. Doch es ist schon September, kurz vor Weihnachten. Überall duftet es schon nach Klarsichtstollen und Lebkuchen in Dosen. Die ersten Schokokugeln kugeln über den Tresen und mir scheint, dass sich eine vorweihnachtliche Hektik ausbreitet. Meine Augen wandern über den gigantischen Zeitungsabschnitt – erleichtert klammern sie sich an die zwei großen Buchstaben, die mir so vertraut vorkommen. Damit bin ich aufgewachsen, habe meine ersten Rechenversuche gemacht. Endlich hat der ganze Spuk ein Ende. Ich strahle, ich atme auf, ein Stein fällt mir vom Herzen – oder war es der Euro?
„Es wurde auch langsam Zeit, dass die da oben diesen Mist rückgängig machen, war doch sowieso nur eine Verdummbeutelung der Bürger, finden Sie nicht auch?“
Der alte Mann wirkt ebenso erleichtert wie ich. Vorsichtig greift er nach der Münze, die er aus seinem Geldbeutel herausangelt.
Fast schon andächtig reibt er das silbrige Geldstück an seiner Jackentasche.
„Ich finde, alte Werte sollte man nicht in den Dreck werfen“, nickt er weiter und steckt sich die Münze wieder ins Portemonnaie.
„Sie haben vollkommen Recht, und die haben gedacht, wir merken den Betrug nicht.“
Das junge Paar hinter mir nickt ebenfalls.
„Und das gleiche haben die ja auch mit dieser neuen Rechtschreibreform gemacht, bloß da hält sich keiner dran.“

Mir wird übel, wenn ich an diese Reform denke. „...es ist fortan dem/der Schreibenden überlassen, ob er/sie bei formelhaften (verkürzten Nebensätzen ein Komma setzt.“
Ich habe noch mehr solche Sätze entdeckt, wo
allein der Schreibende entscheiden soll, wie nun die Regel lautet. Entweder waren sich die Damen und Herren vom Institut der deut-schen Sprache nicht einig oder vom langen Denken dermaßen ermüdet, so dass wir jetzt die Verantwortung für das geschriebene Wort tragen müssen. Stellen Sie sich das einmal vor!
Bevor ich vor Freude die restlichen allergiefördernden Centmünzen – vollgestopft mit Nickel - aus dem Zugfenster werfen kann, schmeißt mich der morgendliche Wecker aus meinen Träumen – wäre auch zu schön um wahr zu sein diese Währungsreform, finden Sie nicht auch?
 



 
Oben Unten