Habermas, Dr. Henlein und das Maß. Satire.

Willibald

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Habermas und Dr. Henleins Maß.
Satire.


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(eigenes Bild/Selfie)

(1) Der Fall

In der philosophisch-wissenschaftlichen Öffentlichkeit eine außergewöhnlich wichtige Figur ist der gerade 90 Jahre alt gewordene Philosoph Jürgen Habermas. In literarischen Foren zu finden ist dieses Preisgedicht auf den ehemaligen Forschungsassistenten bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Es stammt von Hans Hartmut Henlein.

Jürgen Habermas zum 90. Geburtstag

Noch immer steht sie in mir auf:
Die Habermas'sche Trilogie,
Führte in frühem Lebenslauf
Als Kraftquell' hin zur Philosophie.

Arbeit, Sprache und die Herrschaft
Sind Wirkkräfte in menschlichem Sein,
Mit denen man auch Freiheit schafft –
Oder man lässt das eben sein...!

Wer immer sich ausbeuten lässt,
Die Sprachcodes nie analysiert,
Weil Reflexion ihn leider stresst,
Der wird von Mächten leicht verführt.

So mancher will nur für sich Macht,
Um Mitmenschen zu tyrannisieren.
Deshalb steht auf, seid auf der Wacht,
Um Würde, Freiraum aufzuspüren!

Habermas hat das gefunden,
Das Dasein uns geöffnet weit:
Selbstreflexion bleibt so gebunden
An Nachdenken, Mitmenschlichkeit.

Er will die Welt mit uns versöhnen
Durch Besserung, hier im Dasein,
Uns von der Sklaverei entwöhnen,
Denn Freiheit bleibt ein Sonnenschein.
Der Text wurde auf- und angegriffen, weniger wegen seiner Gedankenführung, wegen der eigentlich gar nicht, sondern für seine Bildwahl und Metrik. Ein Leser meinte etwa, Habermas habe – „diese Rumpelmetrik nicht verdient“. Die Antwort von Dr. Henlein auf diesen arroganten Vorwurf ist lakonisch-kurz.

Es ging bei meinem Gedicht um die Verehrung des größten lebenden Philosophen deutscher Sprache. "Rumpelmetrik"? Aber nicht doch...!
Es scheint mir geboten hier anzudeuten oder auszuformulieren, was Henlein nicht ausführlich ansprechen wollte, dass nämlich aus guten Gründen der Vorwurf der „Rumpelmetrik“ nicht zutreffe.

Eine Streitschrift, besser eine Streitskizze, sozusagen.

(2) Von Kürzen und Längen, Hebungen und Senkungen, von Eichendorff und Eichrodt

Es gibt da in der aktuellen Forumszene, aber eigentlich schon immer, arrogante Poetologen, sehr reichlich, die ihre Gelehrsamkeit ausstellen und dabei in ein Korsett pressen wollen, was in kein Korsett gehört.

Sie erklären etwa vom hohen Kothurn, dem geschnürten, wadenhohen Schaftstiefel – dem Jagdstiefel des Dionysos (!), herunter (Wer da darauf steht, mögen sehen, dass er nicht falle), dass wir Deutschen im Unterschied zu den Griechen und ihrer Quantitätendichtung bei der Metrisierung mit Hebungen und Senkungen arbeiten, nicht mit Längen und Kürzen. Diese Hebungen und Senkungen seien den Wörtern aus der bei uns natürlichen Betonung (meist die sog. Stammsilbenbetonung) zuerteilt. Und sie warnen dabei davor, in der Lyrik dieses Prinzip zu verletzen und „Tonbeugungen“ zuzulassen oder gar zu forcieren.

Einer dieser Poetologen ist Alexander Moszkowski, heute kaum mehr bekannt, zu Recht, er sei trotzdem beim Wort genommen und zitiert.

Beim Dichten kommt es dann und wann
Auf ’s Längenmaß der Silben an,
Denn nimmt man kurz, was langgezogen,
Dann ist der Vers nicht mehr homógen.
Was meint er hier mit "Längenmaß"??

Aber lassen wir diesen terminologischen Fehler beiseite. Ihm und seiner Zunft ist entgegen zu halten, dass gerade unsre besten Dichter sich frei fühlten, die Prosabetonung, die Stammsilbenbetonung, zu unterlaufen. Hören und sehen wir zunächst Eichendorff:

mandelkerngedicht

Zwischen Akten, dunkeln Wänden
Bannt mich, Freiheitbegehrenden,
Nun des Lebens strenge Pflicht,
Und aus Schränken, Aktenschichten
Lachen mir die beleidigten
Musen in das Amtsgesicht.

Als an Lenz und Morgenröte
Noch das Herz sich erlabete,
O du stilles, heitres Glück!
Wie ich nun auch heiß mich sehne,
Ach, aus dieser Sandebene
Führt kein Weg dahin zurück.

Als der letzte Balkentreter
Steh ich armer Enterbeter
In des Staates Symphonie,
Ach, in diesem Schwall von Tönen
Wo fänd ich da des eigenen
Herzens süße Melodie?

Ein Gedicht soll ich euch spenden:
Nun, so geht mit dem Leidenden
Nicht zu strenge ins Gericht!
Nehmt den Willen für Gewährung,
Kühnen Reim für Begeisterung,
Diesen Unsinn [sic!] als Gedicht!
Oder man höre den Dichter Ludwig Eichrodt, er hält sich nicht an die Hebungen und Senkungen, welche die Prosa der Lyrik töricht und vermessen vorschreiben will. Er ver-rückt einfach die Akzente:

Verrückte Akzente

Wenn ich zart die Worte stellte,
wenn ich süß dich anlächelte,
schenktest du kein Lächeln mir.
Soll ich all den Schmerz dir nennnen,
wenn ich mit dem verlorenen
Herzen stand, o Weib, vor dir?

Doch, ob wund von tausend Stichen,
öffn' ich noch dem verderblichen
Zagen nicht die Männerbrust.
Schau, welch neue Kunst der Rede
sich dein Sänger aneignete,
ob du ihr nicht weichen mußt!

Magst du meine Lieb' erkennnen
in der pomphaft erhabenen
Reime desperatem Gang[ja! ww].
Krampfhaft wild durch Nacht zum Lichte,
wie der Waldbach im Dickichte,
breche Bahn sich mein Gesang.

Ja, dein Herz, das starke, feste,
ist's, du angebeteteste
härter nicht als Felsgestein?
O, so gib's in meine Hände
und es schlägt der Wildrasende
sich mit ihm den Schädel ein!
In dieser nobilitierten, nobilitierenden Tradition steht Doktor Henlein. Er kritisiert ausserhalb seiner Lyrik in seinen philosophisch-soziologischen Werken beherzt sexualisierte, spassgesellschaftliche und funktionsgeleitete Handlungsführungen und Lebensmodelle der Neuzeit. Sie gefährdeten, sagt er, die humanisierenden Grundwerte der Kultur, als da sind Lesen, Schreiben, Rechnen, Malen, Komponieren, Dichten, Erfinden etc. Man vergleiche etwa seine Werke (Auswahl) wie:

- Die planetarische Schulerneuerung . Prinzipien einer regionalen, kontinentalen und universalen Weltintegration Broschiert – 1997
- Der europäische Bauernhof . Eine Trauerstudie Broschiert – 1997
- Nationalökonomie und Elitenbildung . Eine grundlegende Wirtschaftstheorie an die Adresse der nachkommunistischen Menschheit Broschiert – 1996
(3) Henleins Preisgedicht, recht gelesen

Henlein weiß, dass Adorno und andere Frankfurter, gerade auch Habermas, diese Spaßgesellschaftskultur rings um uns verabscheut haben. Und so verweist Henlein enkomiastisch auf Habermas, dessen Geburt sich zum neunzigsten Male gerade gejährt hat. Wie Henlein da die Akzente ver-rückt und auch sonst so einiges zu bieten hat!

Jürgen Habermas zum 90. Geburtstag

Noch immer steht sie in mir auf:
Die Habermas'sche Trilogie,
Führte in frühem Lebenslauf
Als Kraftquell' hin zur Philosophie.
Ein jambische Beginn bei "noch immer". In der Reimzeile mit „Lebenslauf“ bei dem Anfangswort „führte“ auch ein Jambus? Oder ein Changieren zum Trochäus? Nun, eine Duolesung ist möglich. Es lässt sich eben auch die jambische Betonung bei „-te“ sinnvoll setzen und lesen. Sie markiert das Präteritum und die in der Gegenwart bedrohte Geltung der Habermasischen Axiome. Und die frühe, vergangene Begegnung des verdeckten, aber autornahen lyrischen Ichs mit dem Frankfurter. Verklärte Vergangenheit, bedroht in der Gegenwart. Stupend.

Arbeit, Sprache und die Herrschaft
Sind Wirkkräfte in menschlichem Sein,
Mit denen man auch Freiheit schafft –
Oder man lässt das eben sein...!
Hier nun ein trochäischer Beginn (ARbeit), in der zweiten Zeile ein Jambus (Sind WIRKkräfte) und relativ viele freie Füllungen zwischen den Hebungen. Reimtechnisch angeschlossen, aber nicht metrisch penibel-petrefakt angeschlossen der Alternativsatz „Oder man lässt das eben sein...!“ Betont man prosasprachlich das „o“ in „oder“, so bewegt man sich aus dem metrischen Fluss des zweiten Satzes und des dritten. Klärende Entdeckung nach einiger Reflexion: Die Freiheitsoption und ihre Metrik wird von denen verlassen, welche Arbeit, Sprache und Herrschaft als Freiheitsbiotope beschädigt, verletzt, vernichtet haben oder zulassen, dass. Ein poetologisches Klein-Od. Oder?

Schwere Kost - solche Analyse?

Nun ja. Genug davon. Angelehnt an die Gedanken in Schillers „ästhetischer Erziehung“ sei der geneigte Leser ermuntert, die weiteren Feinheiten des Habermas-Preisens aufzunehmen und zu genießen. Selbstreflexion, Nachdenken und Mitmenschlichkeit vermögen sich so auch in der Lyrikbegegnung zu behaupten. Wer so tut - gadamermäßig sich anzuschmelzen (Habermas ist und war mit vielen Großen bekannt und vertraut, Gadamer, Ratzinger, Luhmann, Dutschke, Horkheimer, Adorno schon erwähnt, Apel, Rothacker....) - tut, was den Menschen ausmacht. Er ist das Wesen, das einen Auftrag hat, den Auftrag, die Bestimmung, das Habermaß von Ordnung in der Welt zu entdecken und zu leben. Zu leben ohne Falsch, im richtigen Rhythmus der Freiheit.

Wer immer sich ausbeuten lässt,
Die Sprachcodes nie analysiert,
Weil Reflexion ihn leider stresst,
Der wird von Mächten leicht verführt.

So mancher will nur für sich Macht,
Um Mitmenschen zu tyrannisieren.
Deshalb steht auf, seid auf der Wacht,
Um Würde, Freiraum aufzuspüren!

Habermas hat das gefunden,
Das Dasein uns geöffnet weit:
Selbstreflexion bleibt so gebunden
An Nachdenken, Mitmenschlichkeit.

Er will die Welt mit uns versöhnen
Durch Besserung, hier im Dasein,
Uns von der Sklaverei entwöhnen,
Denn Freiheit bleibt ein Sonnenschein.

p.s.
Wahre Kritik sei weder Hochamt noch Schlachthof. Sie sei einfach wahr!

greetse
ww
 



 
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