Hänseleien auf dem Pausenhof

Holstein

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Hänseleien auf dem Pausenhof

Tobias stand mit dem Rücken an der Wand. Eine Traube von la-chenden und schreienden Kindern stand um ihn herum. Sie lach-ten ihn aus und hänselten ihn. Tobias wusste nicht, was er tun sollte. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, die Augen hüpften verängstigt hin und her. „Lasst mich doch in Ruhe!“, rief er verzweifelt. Doch keiner der Umstehenden wollte seinem Wunsch nachkommen. Tobias hielt sich die Ohren zu. Da stand er nun in seinen alten abgetragenen Jeanshosen und dem noch viel zu gro-ßen alten Pullover seines Bruders. Die Hosenbeine und Ärmel waren umgeschlagen. Seine Mutter meinte, dass das schon gehen würde. In ein paar Monaten würde er da schon reinwachsen. Die Schuhe waren aus dem Super-Billig-Markt aus der Nachbarort-schaft und waren auch schon ganz verschlissen. Wollte ihm denn niemand helfen? Erkannte denn keiner die verfahrene Situation in der er sich befand? Tobias fing an zu weinen und zu schrei-en.

„Baby! Baby!“, riefen die Kinder im Chor und pieksten mit den Zeigefingern nach ihm. Da kam Franz aus der Menge auf ihn zu. Ein äußerst unsympathischer Junge, nichts als Schlägereien und Ärger im Kopf. Er schob sich mit seinem massigen Körper auf ihn zu, sein dick beschmiertes Leberwurstbrot aus der Metzge-rei seines Vaters in der Hand und drückte dieses Tobias in das tränenüberströmte Gesicht. „Da du armer Schlucker, damit du auch was zu fressen bekommst!“, lachte er dabei höhnisch. To-bias sank langsam zu Boden. Er zog die Beine an und vergrub sein Gesicht zwischen den Knien. Ganz klein machte er sich.

„Was ist da los?“, ertönte plötzlich die laute und strenge Stimme von Herrn Breuker, dem Klassenlehrer, hinter der Menge. Sofort trat Stille ein. Keiner der Umstehenden wagte es auch nur zu grinsen. Herr Breuker bahnte sich einen Weg durch die Schüler. Er war sehr streng und die Kinder hatten großen Re-spekt vor ihm. Als er Tobias zusammengekauert am Boden sitzen sah und Franz breitbeinig vor ihm stehend, war Herrn Breuker sofort einiges klar.

„Franz, du gehst sofort ins Büro des Schulleiters und wartest dort auf mich. Wir sprechen uns noch.“, dann wandte er sich Tobias zu: „Komm Tobias, geh zur Toilette und wasch dir das Gesicht ab. Wenn alles Okay ist, dann kommst du wieder in die Klasse.“ Tobias war sehr dankbar für die ruhigen Worte, die Herr Breuker ihm entgegenbrachte und verschwand ganz schnell auf dem Knabenklo. Dort wusch er sich erst einmal die Leber-wurst aus dem Gesicht und kühlte seine vom Weinen angeschwol-lenen Augen. Er sah in den Spiegel und fragte sich, wie es wohl weitergehen sollte mit ihm. Herr Breuker wird Franz si-cherlich ganz arg schimpfen. Vielleicht bekommt er sogar einen Verweis. Es wäre nicht der erste Verweis, den Franz bekommt, aber Franz wird ihm, Tobias, die Schuld für alles geben und dann wird es nur noch schlimmer werden.

Franz blieb fast eine halbe Stunde auf dem Klo und dachte nach, ehe er sich zurück in die Klasse traute. Bestimmt werden sie ihn jetzt noch mehr hänseln als vorher. Vorsichtig und leise öffnete er die Türe. Alle saßen mit gebeugten Köpfen und mäuschenstill über ihren Heften und schriebe etwas aus dem Buch ab. Franz saß auch da und schrieb, aber der Blick, den er Tobias zuwarf, als er hereinkam, verhieß nichts gutes. Ganz schnell setzte sich Tobias auf seinen Platz. Herr Breuker nickte ihm freundlich zu. „Alles wieder in Ordnung?“, fragte er Tobias. Tobias nickte und holte sein Buch heraus um nach der Seite zu Blättern, von der alle anderen abschrieben.

Da stand Daniela, die Klassensprecherin auf und kam zu seinem Tisch her. Sie räusperte sich kurz und sagte dann: „Tobias, ich möchte mich ihm Namen der Klasse entschuldigen. Es tut uns leid, wir wussten nicht, dass deine Mutter ganz alleine für dich und deinen Bruder sorgen muss und dass ihr nicht so viel Geld habt um neue Sachen zu kaufen.“ „Schon gut.“, meinte To-bias. Es war ihm peinlich, dass Daniela die finanzielle Lage seiner Familie erwähnte. Scheinbar hatte Herr Breuker der Klasse eine Standpauke gehalten. Alle waren ganz kleinlaut und wagten nicht zu mucksen. Endlich gongte es. Alle sprangen auf um ihre Turnbeutel zu holen und damit zum Sportunterricht in die Halle gegenüber der Schule zu laufen. Tobias tat es den anderen gleich.

Doch kaum waren sie aus dem Schulgebäude heraußen, setze Franz ihm nach. „Na warte, dich krieg ich schon.“, rief er Tobias nach und schwang kriegerisch seinen Turnbeutel über dem Kopf. Tobias blieb stehen, drehte sich um und sah gerade noch recht-zeitig den Turnbeutel von Franz auf sich zukommen. Geistesge-genwärtig duckte Tobias sich. Der Turnbeutel zischte über ihn hinweg und knallte ungebremst an Franzens Schläfe. Franz tau-melte zu Boden und blieb dort benommen liegen. Seine eigenen Turnschuhe im Beutel hatten ihn außer Gefecht gesetzt. Nun lachten alle anderen über Franz, der mit getrübten Blick nach oben zu Tobias sah. „Das kommt davon.“, meinte Tobias nur und grinste Franz breit an.

Von diesem Tag an lachte niemand mehr über Tobias, nur weil er schlechter gekleidet war als alle anderen. Im Gegenteil, er fand endlich gute Freunde. Nur Franz nicht. Ihn mieden alle seit diesem Tag, bis Tobias auf ihn zuging, ihm die Hand ent-gegenstreckte und meinte: „Lass es gut sein.“ Franz nahm die ausgestreckte Hand an und schlug ein. „Eigentlich bist du ganz in Ordnung. Möchtest du ein Stück von meinem Pausenbrot?“ Tobias nahm es dankend an und lud Franz für den Nachmittag zu sich nach Hause ein. Die beiden wurden dicke Freunde und gin-gen gemeinsam durch dick und dünn.
 



 
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