Haiku: Kastanien, verhagelt

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Duisburger

Mitglied
Morgen Walter,

irgendwie kann ich mir Kastanien, die im eigene Blut stehen, auch nicht im übertragenen Sinne vorstellen.
Und wo bleibt denn hier im Haiku die einfache Naturbetrachtung ohne Methapern bzw. eigene Interpretation?

fragt
Uwe
 

Walther

Mitglied
Hi Duisburger,

was ein Glück, daß ich immer vorbereitet bin. :) Also:

Meine Haikus fußen IMMER auf Naturbetrachtungen (das müssen sie heute nicht mehr, aber ich kann einfach keine anderen schreiben, warum auch immer). Um das Naturbild zu vervollständigen bzw. abzurunden, muß ich ein wenig ausholen:

(1) Es gibt Kastanien mit gelben, rosa und karminroten Blüten. Es handelte sich hier um die rotblühenden, eine ganze Allee.
(2) Der Hagelsturm hatte z.T. alle Blütenständer regelrecht "entblütenblättert". Um die Bäume lagen geschlossene rote Teppiche, die zum Teil mit Wasser bedeckt waren. Es sah aus wie Blut.

Nun ist es schwierig, einen solchen Haikumoment in so wenige Wörter zu fassen. Jedenfalls war es schrecklich schön, dieses Bild, das ich nachzuzeichnen versuchte. Wichtig ist, mit Andeutungen, wenigen Strichen, Türen zu öffnen. Der Schlüssel liegt darin, daß der Leser die Natur kennen muß. Kennt er sie nicht, bleibt der Text für ihn verschlossen. Das Geheimnis des Haiku liegt im extremen Komprimieren und absichtsvollen Weglassen. Es ist ein Brennglas auf die Welt, das Universum und bringt das Besondere aus dem Allgemeinen heran, um zugleich den Zugang zum Allumfassenden zu öffnen. Das ist nun einmal asiatische Denkweise, darauf muß man sich einlassen.

Mehr will ich nicht dazu sagen, um den Text nicht zu belasten. Denn schließlich lebt das Haiku vom Nichtgesagten, das im Auge und Gehirn seines Rezipienten assoziativ-kontemplativ erzeugt wird, also vom (Zwischen-)Raum, den es dem Leser läßt.

Du siehst, es kann immer geholfen werden. Einfach Walther fragen. :D

Gruß W.
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Hallo Walther,

ich finde Haikus eigentlich blöd, aber das Bild, das Du zeichnen wolltest, erschloss sich mir auch ohne Erklärung.

Das wollte ich nur mal mitteilen.

Viele Grüße
Sta.tor
 
H

Heidrun D.

Gast
Mich spricht das Haiku sehr an, hatte auch sofort das "richtige" Bild vor Augen.

In einem übertragenen Sinn realisiert der Text meine Beobachtung, dass sich Aggressoren (nach der "Schlacht") recht häufig im eigenen "Blut" wiederfinden, bzw. ihren Ruf irreversibel beschädigt haben ...

Kritisches: Von JoteS weiß ich, dass ein Titel im Haiku nichts zu suchen hat. Deshalb würde ich den aus dem Text selber rausnehmen.

Liebe Grüße
Heidrun
 

Walther

Mitglied
Hallo Heidrun,

das mit das Titel mache ich. :) Und danke, daß Du verstanden hast, was ich da sagen wollen durfte.

Gruß W.

Hallo Sta.Tor,

ich weiß, daß manch einer, auch ernstzunehmende Mitdichter wie Du, mit dem Haiku nix anfangen können. Das liegt aber mehr an der üblichen Qualität dieser Minigedichte, weniger an der Form selbst.

Und danke, daß Du verstanden hast. :) Aber Du siehst ja, der W. war wohl präperiert. Manches riecht man schon, bevor man hineintritt, aber leider bei weitem nicht alles. :D

Bester Gruß W.
 
B

Beba

Gast
Hallo Walther,

mir gefällt dieses Bild sehr gut, was du gemalt hast. Gesehen habe ich dieses Bild zwar noch nie, aber dank deiner Erklärung kann ich es mir vorstellen.
Als Haiku-Freund habe ich allerdings ein kleines Problem damit, dass ja das Blut deine Interpretation ist, denn in Wahrheit ist da kein Blut?
Aber du als alter Haikujin wirst auch dafür schon die Erklärung bereit haben. ;) Vielleicht bin ich hier auch einfach zu starrsinnig. ;)

Ciao,
Bernd
 

Walther

Mitglied
Auch dazu,

lb. Beba,

habe ich natürlich eine Antwort parat. :) Also:

Ob ich mit dem Hauptwort "Blut" bereits kommentiere, ist in der Tat ein interessantes Diskussionsfeld. Eigentlich sollten Haikus beschreiben und das Auslegen des Erfaßten dem Leser überlassen. Die Frage ist, ob man etwas, das wir Blut aussieht, auch so beschreiben darf. Die weitere, daraus folgende, ob das dann ein Kommentar ist, also eine Bewertung im Sinne von Werturteil, oder eine noch zulässige Tatsachenbeschreibung.

Damit sind wir beim Ursprung Deiner Frage, die da eigentlich lautet: Ist das ein Haiku? Nun denn: Wenn man manche Haikus der alten Meister liest, dann schon. Wenn man der harten Tradition folgt, eher nein. Wenn man die aktuellen Haikus liest, dann eher wieder ja.

Das Haiku spielt mit diesen Grenzen immer schon. Auf Deine Frage kann und werde ich kein klares Urteil abgeben. eider kann ich immer nur bei einem Text sagen: Das ist (noch) keins. Ob er eines ist, kann ich nicht mit dieser Sicherheit sagen. Wär's anders, wäre ich ein Haikumeister, ich bin's aber (und werd's wohl auch) (nie) nicht .

LG W.
 
B

Beba

Gast
Hi Walther,

danke dir für die Ausführung. Ich wusste doch, dass du eine Erklärung hast. ;)
Ja, die Diskussionen um Haikus werden wohl nie enden. Und die unterschiedlichen Lager hat es gewiss schon immer gegeben, von den modernen heutigen Haikus mal ganz zu schweigen.
Der Text jedenfalls gefällt mir als der besondere Gefühlsmoment, wo dieses Bild vom Blut dir in den Sinn kam.

Ciao,
Bernd
 

llceres

Mitglied
sturmes Werk wurde vollbracht
das ist der Lauf der Natur

Lieber Walther,

die letzte Zeile sollte immer der Gedanke
des Autors zum Bild sein, das er beschreibt.
Und wenn das Blut hier das Sterben der
roten Kastanienblüten typisiert, dann ist
es okay. Haikai müssen nicht immer sanft,
oder schön sein, auch die "Härte" ist er-
laubt ;)
Wichtig ist, was der Autor dem Leser vermitteln
möchte. Hier kommt die Gewalt der Natur zur
Geltung. Und das ist Dir gelungen, die Ehrfurcht.

Liebe Grüße

Ceres
 

Walther

Mitglied
Hi Beba,

leider habe ich für so vieles eine Antwort parat und gestehe hiermit ein, daß ich häufig nicht ganz weiß, ob es die richtige ist. :) Danke für Deine lobende Betrachtung.

LG W.

Hallo Ceres,

Dein Eintrag zeigt, daß der Text noch genug Raum hat für eine Interpretation, wie Du sie hier eingetragen hast. Das legt den Verdacht nahe, daß es sich doch um einen Haiku handeln könnte.

Danke und Gruß

W.
 



 
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