Halbe Lieblingskassetten

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Ich hatte mal ein fast ganz dunkelblaues Auto. Nur der rechte Kotflügel war rot. Auch innen drin war nicht alles ganz perfekt.

Das Autoradio hatte ein Kassettenteil, welches irgendwann meine halbe Lieblingskassette verschluckt hatte und nicht mehr ausspuckte. Immerhin war das Teil so anständig, die Kassette tadellos abzuspielen. Die Kassette war deshalb meine halbe Lieblingskassette, weil auf der A-Seite „The Smiths“ von The Smiths aufgenommen war, auf der B-Seite aber noch die Englischen Suiten von Johann Sebastian Bach klimperten, die ich eigentlich noch mit The Cure überspielen wollte. Ging jetzt aber nicht mehr. Welches Autoradio hat schon eine Record-Taste? Die Kassette hatte ich von meinem Vater ungefragt entliehen. Er brauchte sie nicht mehr, da damals bereits stolzer Besitzer eines CD-Radios. CD-Radios waren früher so wie heute Motoryachten.

So hörte ich also tagein, tagaus den Smiths beim Musizieren zu. Manchmal, jedoch, wenn ich gedankenversunken durch die Gegend gondelte, passierte es, dass mich die Auto-Reverse-Funktion zu Herrn Bach führte und ich ihm höflich ein Weilchen lauschte, bis es mir dann doch zu bunt wurde und ich zu den Smiths zurück kehrte. Natürlich spielte da nicht Bach persönlich auf der Kassette, sondern irgendein hochbegabter Russe, wie ich der verwaisten Kassettenschachtel entnehmen konnte. Sie war fein säuberlich von meinem Vater beschriftet worden gewesen und diente an kalten Wintermorgen als prima Eiskratzerersatz. „Vom Eise befreit sind Scheibe durch Bach.“ dachte ich und kratzte mir die Fingerkuppen kalt.

Nun waren in meinem Auto auch des Öfteren Mitfahrer zu Gast. Die Dauergäste unter diesen wunderten sich nicht schlecht über meinen abwechslungsarmen Musikgeschmack. Ich begegnete ihnen stets, dass man erst nach zig-maligem Hören eines Werkes auf dessen eigentliches Geheimnis stößt.

Eines Tages nahm ich eine Kollegin auf eine Geschäftsreise mit. Da mir die Kollegin ausnehmend gut gefiel, freute ich mich auf die Geschäftsreise schon über Wochen hin. Unser Seminaraustragungsort war ordentlich weit entfernt, was mir sehr zusagte. Anfangs verzog sie etwas skeptisch ihr Gesicht bei Morrisseys entrücktem Gesang. Als wir jedoch das Reiseziel erreichten hatten, sagte sie, dass sie die Musik „irgendwie interessant“ fände. Vor allem die Kombination von Pop- und klassischer Musik wäre „spannend“. Da pflichtete ich ihr bei und sagte, dass ich gerne sich fern scheinende Musikwelten in Beziehung stelle, um so den inne wohnenden Zauber zu wecken.

Wieder zurück war sie von der Musik und mir so begeistert, dass sie sich prompt die Kassette leihen wollte, um die schöne Fahrt im Kopf wiederholen zu können. Ich musste sie diesbezüglich aus bekannten Gründen leider enttäuschen. Sie hat mir die Geschichte mit dem Besitz ergreifenden Kassettenteil wohl nicht abgekauft und mich für einen ollen Geizhals gehalten. Geiz ist die unerotischste Eigenschaft auf der ganzen Welt; noch vor blöd sein.

Die Kassette wurde dann irgendwann zusammen mit dem Radio und dem Auto verschrottet. Höre ich heute ein Lied von „The Smiths“ im Radio oder ein Stück aus den Englischen Suiten, denke ich an mein fast ganz dunkelblaues Auto und an meine nicht geborenen Kinder mit der hübschen Kollegin.

Mit CD-Radio wäre ich ja heute vielleicht schon geschieden. Alles hat sein Gutes.
 
blödheit, sagst du, sei unerotisch? das hab ich schon anders gehört. ;)

ich fühle mich erinnert an meine kassetten. danke dafür!
jeden tag die schmidts hören zu müssen, empfände ich allerdings als folter.

lg C.
 



 
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