Halle der Seelen (Beslan Sep. 2004)

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Tezetto

Mitglied

wie viele hundert seelen
sahen heut zum letzten mal das licht
wie viele tausend seelen
werden nie verstehen

wie viele schüsse müssen fallen
wie viele wunden bluten
wie viele münder vor verzweiflung schreien
bis wir erkennen
wie sinnlos unser tun

wie viel hoffnung muss noch schwinden
wie viele morde noch geschehn

wird je das recht
gerechtigkeit
den wahn besiegen

wie viele kinderseelen
müssen denn noch im leid ersticken
wie viele elternherzen brechen
ist denn dies alles
überhaupt noch zu ertragen

gefüllt bis an den rand
ist dieser kelch
aus dem wir alle trinken


Der Begriff der Halle der Seelen dürfte den wenigsten ein Begriff sein, deshalb hab ich im Folgenden ein paar Erläuterungen dazu:

Der "Guf (Guff, Goff)- Die Halle der Seelen" ist ein Begriff aus dem babylonischen Talmud.

"The "guff" is a term the Talmud uses to refer to the repository of all unborn souls. Literally, the word "guff" means "body."
The Talmud says, "The Son of David (Mashiach) will not arrive until there's no more 'soul' in the 'body.' " This means that there are a certain number of souls in heaven waiting to be born. Until they are born, they wait in a heavenly repository called "the body." The Mashiach won't arrive until every single one of these souls has been born into the physical world.
This teaches that each person is important and has a unique role which only he, with his unique soul, can fulfill. Even a newborn baby brings the Mashiach closer simply by being born."

Quelle:
Link zum Artikel

Zum ersten Mal ist mir der Begriff in dem Film "Das Siebte Zeichen" (Regie: Carl Schulz, 1987) begegnet. Zu diesem Film und seinem Inhalt gibt es einen sehr guten Artikel von Matthias Wörner, aus dem ich im folgenden zitieren möchte:

"Seele" ist in der jüdischen wie christlichen Welt und in der abendländischen Philosophie ein ungemein vielschichtiger und schwieriger Begriff, der ohne weitausholende Erläuterungen nicht eindeutig zu verwenden ist. Der Film verknüpft Abbys Schicksal und die Bedeutung ihres Kindes mit einer Seelenvorstellung, die aus der jüdischen Kabbala stammt. Die Kabbala ist eine Strömung innerhalb des Judentums, eine "Geheimwissenschaft", die sich sehr stark mit Zahlenspekulationen beschäftigte und die Bibel als ein "verschlüsseltes" Buch gelesen hat. Der Gedanke, daß die Anzahl der "Seelen", und damit der Menschen, in der Weise begrenzt sei, wie es der Film durch die Erzählung von der Halle der Seelen darstellt, ist dem Christentum fremd. Dahinter steht die Überzeugung (die auch den Einfluß des platonischen Denkens erkennen läßt), daß alles in der Welt eine "höhere" Bedeutung hat, so etwa auch die "Zahl" der Menschen oder Seelen, und von "oben" her festgelegt und bestimmt ist. Diese Auffassung legt außerdem nahe, die "Seele" sei etwas dem materiellen Leib des Menschen zusätzlich von außen Hinzugefügtes. Im christlichen Denken wird sie dagegen als dem Menschen untrennbar zugehörig gedacht, wenn auch verschiedene Begriffe und Vorstellungen aus der Theologie wie aus der Volksfrömmigkeit ein Verständnis von Mensch und Seele als zweier getrennter Einheiten fördern. Tatsächlich behauptet die christliche Theologie jedoch, daß Gott jede Seele im Moment der Zeugung aus dem Nichts erschafft und sie von Beginn an mit dem Leib unauflöslich verbunden ist. Das heißt in der Konsequenz auch, daß die Seelen nicht (wie in der "Halle der Seelen") vorweg und für sich existieren und daß es folglich auch keine Seelenwanderung von einer Zeit in eine andere oder von einem Menschen in einen anderen geben kann."

Quelle:
Link zum Artikel
 
B

bonanza

Gast
tschuldige - zu viel moral finde ich für gedichte tödlich.
deine interpretation wollte ich mir nicht antun.
danke trotzdem.

bon.
 

Tezetto

Mitglied
Hi Bon,

sicher ist es ein wenig moralisch, aber angesichts dessen, was damals in Beslan geschehen ist, mal ganz abgesehen von dem, was im Moment auf der ganzen Welt vor sich geht, sollten es schon erlaubt sein, Fragen zu stellen.

Die angefügten Texte sollen auch eigentlich keine Interpretationshilfe sein, sondern den Begriff der "Halle der Seelen" erläutern, der den wenigsten bekannt sein dürfte.

Aber Du hast recht, der erste Satz ist da schon ein wenig missverständlich, ich werd das mal ändern.

Gruss
Torsten
 
B

bonanza

Gast
ich finde das auch schrecklich, was tagtäglich passiert.
aber diese art lyrischer verwurstung, wo wir das unglück
aus sicherer distanz über die mattscheibe in unsere
konsumvermatschten gehirne transferiert bekommen,
finde ich total daneben.

bon.
 

Tezetto

Mitglied
Was soll ich machen? Ich schreibe über das, was mich beschäftigt, manchmal ist es halt Terror, manchmal Liebe, manchmal Hass, oft einfach nur innerer Dialog.

Es ist nicht so, das ich nicht auch versuche, selber was zu tun, ich habe mich im Tsunami-Gebiet als Helfer beworben und werde vielleicht im Winter hinfliegen, ich spende auch ab und zu, aber unmittelbar entstehen halt Gedichte.

Und was ist meine Alternative?
Schweigen?
Hab ich lange genug gemacht, Seit 2002 veröffentliche ich meine Sachen, angefangen habe ich mit dem Schreiben 1981.
Keine Ahnung, ob ich die Möglichkeit habe, auch etwas zu bewirken, aber ich finde, wenn man sie liest und sich ein wenig mit ihnen beschäftigt, habe ich schon was erreicht.

Ciao
Torsten
 



 
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