Halloween

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Maribu

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Halloween

Sie saß im Wohnzimmer, kaute nachdenklich an einem Keks aus der Konfektschale, in der außerdem noch Smarties, Haribos und Kinderschokolade lagen.
Ihr Mann war wegen einer fieberhaften Erkältung nach der Tagesschau ins Bett gegangen.
Sie dachte über die Predigten nach, die sie nachmittags in der Christianskirche zum Thema 'Reformation und Bibel' gehört hatte und die versteckten Klagen, dass sich in den letzten Jahren die Priorität verschoben hat.
Als sie um 18:00 Uhr zurück gekommen war, hörte sie auch schon den Gesang und die Sprüche einer Kindergruppe. Sie hat nichts gegen diesen Brauch, der, wie so viele andere, aus Amerika herübergeschwappt war, denn auch ihre Enkelkinder gingen verkleidet von Haus zu Haus. Aber ihr gefiel nicht der Kommerz!
Selbst auf ihrem Kalender eines Hamburger Supermarktes steht hinter dem 31. Oktober: Halloween/Reformationstag.
Neben Kostümen und Masken bot er schon vor Wochen Berge von 'Hokkaidos' an. Sie nannte sie spöttisch 'Al-Qaida-Kürbisse'.

Vor vielen Jahren gab es in dieser Stadt etwas Ähnliches am Silvesterabend. Das 'Rummelpottlaufen'. Sie erinnerte sich daran, wie sie mit Freundinnen, alle verkleidet, an den Nachbarhäusern klopften und um Süßigkeiten sangen.
Wenn nicht geöffnet wurde, sie aber das Gefühl hatten, dass die Leute da waren, kam der plattdeutsche Spruch: "Disse Ollsch de gifft nich geern." Und aus Schabernack wurde der Ascheimer umgekippt. So hieß damals der metallene Mülleimer, weil meistens mit Koks oder Briketts geheizt wurde.

Bis acht Uhr hatte es dreimal geklingelt, und sie hatte jedes Mal, mit der Schale in der Hand, geöffnet. Die meisten Kinder waren bescheiden gewesen und hatten nur zaghaft zugegriffen. Bis auf die dritte Gruppe, aus fünf Horror-Gestalten.
Aus dem aufgerissenen Schlund einer hohläugigen Totenmaske ertönte die verstellte, tiefe Stimme eines 'Zombies': "Hau ab mit deinen Süßigkeiten! Davon haben wir schon genug! Hast du kein Geld?"
Diese Dreistigkeit verschlug ihr nicht nur den Atem, sondern ließ sie auch die Tür zuschlagen.
Sie wollte sich um neun Uhr eine Dokumentation über Martin Luther ansehen und hoffte, dass niemand mehr kam. Wenn aber, wollte sie trotzdem noch öffnen, denn letztes Jahr hatten sie eine unangenehme Erfahrung gemacht. Da sie spät abends nicht mehr auf Klingeln reagiert hatten, reagierten die sich gemäß
des Spruches 'Süßes oder Saures' ab. Was sie aber darunter verstanden, war kein Streich, sondern Sachbeschädigung!
Am nächsten Morgen waren sie bestürzt, dass ihre neue mahagonifarbene Kunststofftür weiß besprayt war. Unter dem oberen runden Fenster stand:_Geiz ist ungeil!
Um kurz vor neun Uhr klingelte es aber doch noch mal. Sie nahm die Schale vom Tisch und ging an die Tür.
Sie hörte Kinder singen: "Ich bin der Clown mit dem schrecklichen Gesicht. Hier wie ein Blitz ..." Sie öffnete die Tür. ..."und verschwinde ohne Spur mit Witz."
Der Gesang brach abrupt ab. Sie traute ihren Augen nicht.
Ein großer Junge mit einer Clown-Maske stand vor ihr. Er hatte einen Stoffbeutel in der Hand und mit der anderen das
Gerät darin ausgeschaltet.
"Was soll der Zirkus?!" herrschte sie ihn an.
"Du solltest mich jetzt ganz schnell reinlassen, Oma!", drohte ein mittelgroßer Mann. "Sonst geht es dir schlecht! Ich habe noch mehr Werkzeuge hier!" Seine Hand steckte noch immer im Beutel, der sich seitwärts ausbeulte, als wäre es der Lauf einer Waffe.
Ängstlich ließ sie ihn herein und blieb mit ihm auf dem Flur stehen. "Was wollen Sie von mir?" fragte sie forsch, obwohl ihre Hand mit der Schale zitterte.
Er lachte höhnisch. "Bestimmt nicht deinen Kinderkram! Los, Oma, hol Bargeld und Schmuck! - Du bist doch hoffentlich allein?!"
"Ja, ich bin allein!", antwortete sie. Diesmal lauter, es war fast ein Schreien.
"Ich bin nicht schwerhörig!"
"Das sind doch die meisten Clowns!"
"Phantasier nicht rum und beweg dich, Alte!"
Den Gefallen tat sie ihm aber nicht und sagte: "Sie können doch noch mit ins Wohnzimmer kommen! Sie sind bestimmt durchgefroren. Ich könnte Ihnen eine Tasse Kaffee oder einen Grog aufgießen."
"Ha, ha, ha Oma, um dann heimlich zu telefonieren! Ich bleib hier stehen, bis du die Kohle gebracht hast. Und mach keine
Sperenzchen, sonst knallt es!"
Sie ließ sich nicht einschüchtern. "Ja, gleich! Aber vorher möchte ich wissen, wer sie haben will! Haben Sie keine Arbeit oder sind Sie obdachlos? Und wie sind Sie überhaupt auf diese Wahnsinnsidee gekommen?!"
Er lachte. "Wenn es dir denn leichter fällt, dich vom Geld zu trennen! Ja, ich bin ein arbeitsloser Clown. Der Wanderzirkus ist pleite gegangen, weil fanatische Tierschützer unsere Tiere frei gelassen oder vergiftet haben. - Das kannst du glauben oder nicht! Das ist mir egal! Und nun los!" Er gab ihr einen kleinen Schubs. "Lüfte dein Kopfkissen oder wende deine Bettwäsche! Das sind doch die Safes der alten Leute. Ich warte aber ..." Im selben Augenblick traf ihn ein wuchtiger Schlag in die Kniekehlen. Sie knickten ein, und er ging jammernd zu Boden. Sein Kopf schlug auf dem Parkett auf.
Ihr Mann hatte sich barfuß, mit einem ausrangierten Baseball-
Schläger ihres Sohnes bewaffnet, aus dem Schlafzimmer angeschlichen.
Sie ging kurz ins Wohnzimmer, und er beugte sich über den Verletzten. Es war ein grotesker Anblick. Die Latex-Maske mit der großen roten Kugelnase, dem aufgerissenen Mund und den fletschenden Zähnen und der Mann stöhnend und sich wieder aufrichten wollend.
"Sie bleiben liegen!" kommandierte er und hob drohend den Schläger.
"Lassen Sie mich aufstehen, ich nehm auch die Maske ab!" bettelte er.
"Die hätte ich Ihnen schon abreißen können! Aber ich will Sie nicht sehen, will Sie gar nicht erkennen!" Und an seine Frau gewandt, die auf den Flur zurück gekommen war, "Alles erledigt? Hast du dem arbeitslosen Clown unser Vermögen eingepackt und mit einer roten Schleife versehen?"
Sie nickte schwach lächelnd über seinen Galgenhumor und sagte:
"Sie wissen doch, was die Zahlen 110 bedeuten?!"
"Bitte, lassen Sie mich gehen! Ich habe Frau und Kind!"
"Umso schlimmer!" antwortete sie. "Sie sollten sich schämen!"
Von fern hörten sie die Sirene eines Polizeiwagens.
"Kommen Sie hoch!" forderte sie ihn auf.
Er griff nach seinem Stoffbeutel, den er fallen gelassen hatte und kam unsicher auf die Füße. Ihr Mann stellte sich hinter ihn, den Schläger noch immer in der Hand.
Sie brachte ihn zur Tür, öffnete sie und sagte: "Wir geben Ihnen eine Chance! Hauen Sie so schnell wie möglich ab!"
Er antwortete nicht und versuchte zu laufen. Es war mehr ein schnelleres Humpeln. Sie rief ihm noch hinterher: "Weil heute Reformationstag ist, noch ein Tipp: Werfen Sie die Maske weg!"
 
K

Karn Hardt

Gast
Hallo Maribu,

mir gefällt dein warmherziges Textlein, ein paar Tipps folgen in Kürze.

LG, Karn
 



 
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