Halloween

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Halloween

Der Abend war für Halloween wie geschaffen. Nasskaltes Herbstwetter hatte sich eingestellt und weiße Nebelschwaden wabberten über die Wiesen auf das Dorf zu. Der Mond versteckte sich unter einer dichten Wolkendecke. Nur die vereinzelt stehenden Laternen spendeten ein fahles Licht. Als die Turmuhr der kleinen Kirche siebenmal schlug, bevölkerten plötzlich zahlreiche schaurige Gestalten die Straßen. Hexen, Gespenster, Skelette und Vampire tobten lärmend herum, es war ein gruseliger Anblick. Mit Ketten, Rasseln und Pfeifen machten sie einen Höllenkrach. Die Kinder hatten sich vorgenommen, in diesem Jahr besonders grauselig auszusehen, darum hatten sie sich mit ihren Kostümen die größte Mühe gegeben. Als die wilde Horde an den Türen klingelte, erschauerte so mancher Hausbewohner, oder taten sie nur so? Schnell rückten die Leute dann aber nach dem Spruch: „Gebt uns Süßes, sonst gibt’s Saures“, Leckereien heraus. Sogar die Haustiere erschreckten sich bei dem schaurigen Anblick der Gruselgestalten. Die Hunde bellten und Katzen suchten fauchend das Weite. Die Kinder mussten jedes Mal laut darüber lachen. Dieses Fest war in jedem Jahr ein toller Spaß für Klein und Groß, nicht ein Haus wurde ausgelassen.

Lachend und scherzend machte sich die lustige Truppe mit ihren erbettelten Schätzen wieder auf den Heimweg. Plötzlich rief der kleine Robin: „Schaut mal dort hinten in dem verfallenen alten Haus ist ja Licht!“ Die Kinder starrten wie gebannt zu der längst verlassenen Kate am Waldrand hinüber. Schon seit vielen Jahren wohnte dort niemand mehr. Irgendjemand sagte mal, dass es dort spuken soll. „Huch“, flüsterte Robins Schwester Marie, „Ich glaube, ich möchte doch lieber nach Hause.“
„So ein Quatsch“, meinte Richard, einer der großen Jungs im Bunde, „das gibt es doch nur in Geschichten.“
„Genau“, pflichtete Jonathan ihm bei, „kommt, wir schleichen mal hin, dann sehen wir ja, was da los ist. Bestimmt hat ein Obdachloser sein Quartier für die Nacht in dem alten Gemäuer bezogen.“ Milli, das Küken unter ihnen, nahm die Hand ihrer großen Freundin Swantje. Toll, das versprach spannend zu werden. Sie war zwar noch sehr klein, doch von Abenteuern konnte sie nie genug bekommen, und mutig war sie wie ein Junge.
„Von mir aus kann´s losgehen“, meinte auch Kathi und nestelte nervös an ihrem Vampir-Kostüm herum, „ich bin bereit.“ Natürlich wollte jeder von ihnen mit dabei sein und so schlichen sie gemeinsam auf den Waldrand zu.

Mittlerweile hatte sich die Wolkendecke ein wenig aufgelockert, und der Mond lugte ab und zu auf die Erde. Käuzchen riefen von der alten Turmstation. Der Nebel hatte zugenommen, die Schwaden umwabberten das heruntergekommene Haus. Kleine Irrlichter tanzten um die Hütte. Aus dem Dorf war kein Laut zu hören. In der Ferne heulte irgendwo ein Hund. Richtig unheimlich war den Kindern zu mute, eiskalte Schauer rannen ihnen über den Rücken. Langsam huschten sie weiter. Jetzt konnte man bereits Schatten hinter den blinden Fensterscheiben ausmachen. Milli quetschte die Hand ihrer Freundin vor Aufregung so stark, dass diese aufschrie.
„Pst, leise!“, wisperte Dennis, der beste Kumpel von Richard. Ein unheimlicher Singsang war jetzt aus dem Haus zu hören. Den Kindern sträubten sich die Nackenhaare und Kathi vergaß fast das Atmen. Jonathan schlug Robin wie verrückt auf den Rücken, weil der sich an seiner eigenen Spucke verschluckte. Elisabeth stolperte über ihr langes Gespensterkleid und fiel der Länge nach in eine Pfütze, mühsam rappelte sie sich wieder auf. Nun betraten sie bereits den heruntergekommenen Vorgarten durch das windschiefe Gartentor. Mit einemmal brach es über die entsetzten Kinder herein.

Aus den verwilderten Büschen stürzten mit lautem Geheul fürchterliche Gestalten auf die erstarrten Freunde zu und schleppten sie in die Kate. Bevor sie in das Zimmer geführt wurden, verlöschten die Kerzen. Kichern aus allen Ecken empfing sie. Dicht gedrängt sahen die Jungs und Mädchen voller Bangen in dem Halbdunkel die Umrisse der grauenvollsten Hexen, die sie je in ihren Büchern gesehen hatten. Ihre Herzen schlugen fast zum Halse heraus. Die Schreckgestalten saßen allesamt um einen alten, langen Tisch. Hinter ihnen, an den Wänden, standen Besen in Reih und Glied. Bestimmt waren es die, auf denen die Hexen immer durch die Luft sausten. Die Kinder schüttelten sich vor Grauen. Mehrere schwarze Katzen liefen maunzend umher. Auf dem Tisch standen Schalen mit Knabberkram und auf dem alten Ofen dampfte ein verbeulter Kochtopf vor sich hin.

„Da seid ihr ja“, kreischte eine der grausigsten Hexen. Sie hatte einen Pickel auf der Nase, so groß wie ein Tennisball. Ihre Kleidung war zerfetzt und roch eklig nach Muff. „Wir haben uns schon gedacht, dass euch die Neugierde hier her führen wird. Wieso habt ihr euch so verkleidet? Wir mögen es nicht, wenn man uns veralbert. Aber egal, heute ist ein Festtag. Eine der unsrigen hat Geburtstag und den wollen wir feiern. Zu diesem Zweck haben wir uns dieses abgelegene Gemäuer ausgesucht. Wie ihr seht, steht die Suppe schon auf dem Herd. Sie ist die Lieblingsspeise unserer Schwester, nur die allerbesten Kröten werden für das Gericht verwendet. Da ihr schon mal da seid, laden wir euch ein, mit uns zu essen und zu feiern. Nachher überlegen wir uns dann was wir mit euch anfangen werden.“ Zustimmend schlugen alle anderen Hexen mit ihren Trinkbechern auf den Tisch.

Als erstes fand Richard seine Sprache wieder. „Seid ihr wirklich alle echt?“, fragte er kleinlaut. „Euch gibt es doch nur in den alten Märchen.“
„Bitte was?“, schrie eine der Hexen wild. „Unglaublich! Seht ihr uns, oder nicht? Uns gab es schon vor Jahrhunderten und es wird uns immer geben, damit ihr es wisst.“ Ihre langen spitzen Fingernägel trommelten unruhig auf der Tischplatte herum. Die Kinder zuckten zusammen und wichen zurück. „Und dann schaut euch doch mal unsere tollen Fortbewegungsmittel an, es sind die schnellsten Flugbesen der Welt.“, keifte eine andere mit einem fürchterlich dicken Buckel. „Mit ihnen sausen wir durch die Welt und holen uns die besonders garstigen Kinder, denn an ihnen haben wir den meisten Spaß. Sie lernen in der Hexenschule zaubern und das Bösesein.“ Die Hexen kreischten vor Vergnügen und rissen sich gegenseitig an den alten Lumpen herum. „Los jetzt, her mit dem Topf, wir haben Hunger“, brüllten sie. „Gebt den Menschenkindern auch etwas von der Krötensuppe.“

„Nein, nein, danke, lieber nicht, wir haben auch gar keinen Hunger“, beeilten sich die Freunde zu sagen. Meine Güte, wie kamen sie hier nur wieder raus? Den Kleinen klapperten schon die Zähne vor lauter Angst, unter ihrer Schminke waren sie kreidebleich.
„Ihr wagt es, unsere Einladung zum Essen zurückzuweisen?“, schrie es von allen Seiten. „Auf die Stühle mit ihnen, jetzt geht es erst so richtig los.“ Die schrecklichen Gestalten die sie hereingeschleppt hatten und in einer Ecke warteten, stürzten auf die zitternden Kinder zu, packten sie und setzten sie derb auf das wackelige Mobiliar. Dennis krachte sogar mit einem dieser alterschwachen Stühle zusammen, was für grenzenloses Gelächter in dem Raum führte. Oh man, solche Angst hatten sie noch nie, wären sie doch gleich nach Hause gegangen! Was wollten diese wilden Kreaturen nur mit ihnen anstellen?

Plötzlich knallte und donnerte es vor dem Haus. Im Inneren wurde es totenstill. Da, Schritte näherten sich eigenartig scheppernd, klack, klack, klack. Alle Köpfe fuhren herum und starrten auf den Eingang. Da stand doch wer! Schreiend sprangen die Kinder unter den Tisch. Ein großes Skelett mit einer Kerze in der Hand, kam direkt auf sie zu. „Schönen guten Abend“, darf man näher kommen? Ich habe gehört hier gibt es etwas zu feiern. Oh, es riecht nach Krötensuppe, davon möchte ich auch ein wenig, wenn´s gestattet ist, und zum Nachtisch hätte ich gern eines der leckeren Kinder die ihr gefangen haltet.“, dröhnte eine tiefe Stimme durch den Raum. Das war zuviel! Die Freunde stürzten brüllend unter dem Tisch hervor und rasten nach draußen. Dort gaben sie Fersengeld wie noch nie. Lautes Lachen, das aber merkwürdigerweise ganz anders klang wie vorhin, hallte hinter ihnen her.

Als die Jungs und Mädchen weit genug von dem Spukhaus weg waren, hielten sie erschöpft inne. Japsend meinte Richard: „Also, irgendetwas stimmt da nicht. Hexerei und dieser Geisterkram, ich glaube da nicht dran. Im ersten Moment war ich auch erschrocken, weil wir so überrumpelt wurden, doch dann, ich weiß nicht.“
„Du hast Recht“, meinte Dennis und schluckte, „die Stimme von der Pickelhexe erinnerte mich an Christin aus dem Nachbardorf und die Besen sahen haargenau so aus wie der meiner Mutter, mit dem sie immer die Einfahrt fegt.“
„Genau“, rief Swantje empört, „das Skelett hörte sich an wie der lange Lukas aus Krumbeck. Wisst ihr was? Die haben uns reingelegt. So eine Gemeinheit. Lasst uns zurücklaufen und sehen, was sie jetzt treiben.“
„Das gibt Rache“, murmelte Milli und sah Robin wichtig an. Dieser nickte nur, denn von dem überstandenen Schrecken war er noch ganz grün im Gesicht.
Kathi sagte erbost: „Wieder mal die lieben Nachbarn, das haben sie nicht umsonst gemacht.“
An der Hütte angekommen, hörten sie immer noch frenetisches Lachen. Die Freunde schlinzten durch ein Fenster und sahen voller Ärger, wie sich ihre Kameraden aus dem Nachbardorf vor Entzücken auf die Schenkel schlugen. „Mensch, Lukas“, brüllte jemand, „du warst klasse als Skelett, Woher hattest du denn die Böller? Das war genial.“ Ihre Verkleidung hatten sie teilweise abgelegt, sodass man die hinterlistigen Kameraden genau erkennen konnte.
„Ich habe eine Idee“, flüsterte Jonathan, „kommt mit.“

Kurze Zeit später verließ die wilde Horde das Gemäuer und machte sich bestens gelaunt auf den Heimweg durch die Wiesen. Na, den Kleinen hatten sie ja einen schönen Schrecken eingejagt. Wundervoll, wie sie kreischend davon liefen.
Ein spitzer Schrei, dem ein herzzerreißendes Wimmern folgte, tönte vom alten Moor her über die Wiesen zu ihnen hinüber. Erstarrt blieb die Gruppe stehen. Da, schon wieder dieses Weinen, meine Güte, was war das denn? Die Haare standen ihnen zu Berge. Der Mond tauchte die immer noch nebelige Umgebung in ein gespenstisches Licht. Lukas flüsterte den anderen zu: „Leute, lasst uns bloß schnell nach Hause flitzen, das ist ja echt unheimlich. Im Moor soll es nicht mit rechten Dingen zugehen, habe ich mal gehört.“ Eine große Eule flog über ihre Köpfe hinweg auf der Jagd nach Nahrung. Erschrocken stierten sie ihr hinterher. Ein fürchterliches Stöhnen näherte sich ihnen plötzlich. „Nix wie weg“, kreischte Christin. Die ganze Bande nahm ihre Beine in die Hände und lief wie noch nie in ihrem Leben.

„Na, wie war ich?“, gluckste Marie. „Einfach toll“, meinten ihre Freunde begeistert. Nun waren sie es, die sich vor lauter Lachen die Bäuche hielten. Die lustige Schar kicherte noch, als sie sich im Dorf von einander verabschiedeten. Das war ein tolles Halloween, da waren sich alle einig. Im nächsten Jahr aber wollten sie auf der Hut sein, ihren Kameraden aus dem Nachbarort sollte es nicht mehr gelingen, sie so zu veralbern.

Märchentante
 
Hallo Flammarion,

herzlichen Dank für Dein Lob, freut mich, wie immer.
Die Idee hatte ich, als der Kindergarten in unserer Nähe anfragte, ob ich zu Halloween bei ihnen lesen würde.

Liebe Grüße
Märchentante
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Märchentante,

absolut gut gelungen! Deine Geschichte hat die Feuerprobe bei uns bestanden; ich habe sie mit wachsender Begeisterung vorgelesen, und mit halbem Auge beobachtet, wie meine Kids (6 und 8) vor lauter Aufregung und Spaß ganz zappelig wurden.

Vor allem die immer noch eins drauf setzenden Wendungen der Handlung steigern den Lesegenuss und die Sprache fließt wie junges Wasser über die Zunge.

Liebe Grüße von

Elke
 
Hallo Elke, hallo Wendy,

ganz lieben Dank für Euer dickes Lob, das geht mir runter wie Öl, lach. Stelle nachher eine neue Gespenstergeschichte rein, die Euch hoffentlich genauso gut gefällt.

einen schönen Tag noch und liebe Grüße
Märchentante
 



 
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