Hart am Wind

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Fuchsia

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Hart am Wind

Ich hasse segeln.
Den Wind, die Nässe, die Kälte … alles.
Als wir losfuhren, war es noch sonnig gewesen, doch dann hatten sich Wolken zusammengeballt und ein böiger, scharfer Wind hatte die Segel gefüllt, so dass das Boot schneller und schneller wurde. Wir zogen die Segel noch straffer, gingen hart an den Wind, und schossen aus dem flacheren Gewässer in Ufernähe bis über die Fahrwasserbegrenzung hinaus. Dabei legte sich das kleine Boot in eine so starke Neigung, dass wir uns weiter und weiter über den Rand hinauslehnen mussten, mit dem Hintern über dem Wasser. Unser Körpergewicht war das Einzige, das das Boot nun noch am Kentern hinderte…
Dann war plötzlich alles ganz schnell gegangen, ein falscher Schlenker von mir mit dem Ruder, und wir lagen im Wasser.
Der Schreck saß mir noch in den Gliedern.
Das kalte Ostseewasser schwappte mir ins Gesicht und ich hielt mich krampfhaft am Schwert fest, der haifischflossenartigen Verlängerung unterhalb des Bootes, das jetzt auf der Seite lag.
„Kletter rauf!“
Das war mein Segelpartner, „Franzmann“. So nannten ihn alle in der Segelschule, weil er nun mal Franzose war und nur gebrochen Deutsch konnte. Das war vielleicht nicht nett, aber weil ihn alle so nannten, nannte ich ihn auch so. Seinen richtigen Namen habe ich vergessen.
„Kletter rauf!“ Franzmann schwamm auf der anderen Seite des kleinen Segelbootes.
Das hatte ich gelernt, diese Woche erst, im Kentertraining in der Segelschule. Man muss auf das Schwert steigen, um das Boot mit dem eigenen Gewicht wieder zum Aufrichten zu bringen, während der Partner auf der anderen Seite reinklettert. Das ist gar nicht leicht, der Partner lässt sich beim Aufrichten in das Boot rollen, während derjenige am Schwert aufpassen muss, nicht unter das Boot zu geraten.
Unter das Boot geraten.
Mein Alptraum.
Ich hasse es, wenn mein Kopf unter Wasser gerät, dann verliere ich die Orientierung, weiß nicht mehr wo oben und wo unten ist und gerate in Panik. Ja, ja, ich weiß. Hat Angst vorm Tauchen, kann nicht richtig schwimmen und geht in eine Segelschule.
Wieso tue ich mir das an?
Weil Dad sich eine Yacht gekauft hat nach der Scheidung. Weil er seine Wochenenden auf dem Wasser verbringt.
Weil er das Haus verkauft hat und Segeln der einzige Weg ist, mit ihm zusammen zu sein. Wenn ich meinen Schein gemacht habe, will er mich mitnehmen, auf große Tour, nach Dänemark, bis nach Kopenhagen. Die ganzen Sommerferien werde ich also auf einem Boot verbringen.
Es ist immer noch kalt, das Wasser schwappt mir ins Gesicht und ich versuche mich auf das Schwert zu ziehen, wie ein Surfer aufs Surfbrett. Es ist rutschig, schmal und glatt. Die Schwimmweste hält mich oben, zum Glück, während meine vollgesogene Kleidung mich nach unten zieht. Is` nicht leicht, mit voller Kleidung zu schwimmen, glaubt mir. Probiert es mal. Fühlt sich komisch an.
Schwimmen mit Turnschuhen.
Ich ziehe mich auf das Schwert, mein Herz klopft. Aber das Boot richtet sich nicht wieder auf, ich bin zu leicht.
Wo ist Franzmann? Ich kann ihn nicht sehen.
„Franzmann?“
„Oui, mach… mach schnell. Fähre kommt!“
Fähre?
Ich seh mich um.
Wir sind im Fahrwasser gekentert, ausgerechnet.
Hier sollten wir eigentlich gar nicht sein, wir sollten da drüben bleiben, wo es flacher ist, wo der Steg ist und die Segelschule. Hier haben wir nichts zu suchen, hier ist der Berufsverkehr, hier ist es viele Meter tief, damit die großen Tanker durch können. Die Tanker und die Fähren nach Dänemark.
Das Fahrwasser ist breit, markiert durch grüne und rote Tonnen. Franzmann hat Recht. Die Fähre kommt. So groß wie eine Häuserwand schiebt sie sich auf uns zu.
Wie weit ist sie noch weg?
Entfernungen sind auf dem Wasser so schwer zu schätzen…
„Mach… die Fähre!“
Ja, ja, oh, scheiße. Mein Herz klopft schneller. Wie schnell wird die Fähre hier sein? Was, wenn sie uns nicht sieht? Wieso kippt das Ding nicht?
Ich liege auf dem Schwert, ich bin zu leicht, ich krieg` das Boot nicht zum aufrichten. Die Segel sind voller Wasser, mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich rutsche nach hinten, weiter weg vom Rumpf des Bootes, richte mich auf, versuche, das Schwert unter Wasser zu drücken, spüre, wie es gelingt, wie der Bootsrumpf langsam auf mich zu kippt…
Das ist er, der schwierige Moment, wo es passieren kann, dass man unter Wasser gedrückt wird. Dass das Boot einen unter sich begräbt, dass man hinunter gedrückt wird, in die Tiefe. Dann muss man tauchen. Nein, bitte nicht. Dann muss man durchblicken, wo oben und wo unten ist. Alles sieht so verkehrt herum aus, das Boot liegt auf der Seite, der Rumpf ragt über mir auf, kommt auf mich zu, das Salzwasser brennt in den Augen…
„Achtung!“ Franzmann krallt sich an die Seite des Bootes. Ich muss mit meinem Gewicht sein Gewicht zusätzlich ausgleichen. Sein Gewicht und das der Segel, die im Wasser liegen. Aber das Schwert ist wie ein Hebel, deswegen funktioniert das trotzdem. Hebelgesetze. Hatte ich doch gerade in Physik. Habe aber kaum zugehört, hat mich nicht interessiert.
Ich bin fünfzehn.
Das Boot kippt, ich rutsche vom Schwert und paddele panisch vom Rumpf weg, als es sich klatschend wieder aufrichtet.
Jetzt kann ich Franzmann sehen, der sich wie ein nasser Sack über den Rand ins Boot wälzt.
Geschafft!
Aber der schwierige Teil kommt für mich noch.
Hastig strample ich mich zurück an das Boot heran, kralle mich an den Rand. Es ist so hoch! Wie soll ich da bloß rein kommen?
Die Fähre hupt, ein langer warnender Ton. Er bedeutet: aus dem Weg.
Sie kann nicht bremsen.
Wir müssen weg.
Panisch versucht Franzmann die Segel wieder flottzukriegen, die heftig im Wind schlagen.
„Mach! Grouille-toi !“, keucht Franzmann, als das tiefe dunkle Warnhorn der Fähre ertönt. Aus dem Weg.
Ich versuche mich hochzuziehen, aber ich habe nicht genug Kraft. Franzmann will mir helfen, mich am Gürtel packen und hineinziehen, aber dabei bringt er das Boot fast wieder zum kentern. Hastig weicht er auf die Backbordseite zurück.
Er sieht mich an.
Was, wenn ich es nicht schaffe hineinzuklettern?, denken wir beide.
Meine Arme zittern, die Finger tun schon weh.
Franzmann hält die Taue fest, die wild in den Böen um sich schlagen. Die Segel knattern laut im Wind.
„Du schaffen das. Komm!“
Franzmann sieht mich an. Es soll aufmunternd wirken, aber ich sehe die Angst in seinen Augen.
Die Fähre klingt jetzt ganz nah.
Irgendwo das Geräusch eines Motorbootes. Der Segellehrer, er hat bemerkt, daß wir in Schwierigkeiten stecken, aber so wie ich hier hänge, kann ich nicht sehen, wie weit er entfernt ist, oder die Fähre, kann nicht einschätzen, was ich jetzt tun soll. Hier warten und gar nichts tun? Warten, bis einer mich abholt? Schwimmen? Bin ich schneller, wenn ich schwimme?
Ganz bestimmt nicht.
Und Franzmann kann ohne mich nicht segeln, man braucht zwei Leute. Außerdem bin ich ein miserabler Schwimmer. Überhaupt bin ich unsportlich, kann nicht klettern, habe keine Kraft in den Armen, komme nicht in das Boot hinein.
Die Muskeln in meinen Armen zittern inzwischen, ich strample mit den Beinen, wühle das Wasser um mich auf. Mir ist kalt und wieder und wieder versuche ich, mich in das verdammte Boot zu ziehen.
Scheiß Segelkurs, Scheiß Boot, Scheiß Fähre, Scheißkaltes Ostseewasser!
Ich hüpfe auf und ab, um Schwung zu kriegen, ignoriere das ängstliche Gefühl im Magen, das mir sagt, dass da kein Boden unter meinen vollgesogenen Turnschuhen ist, sondern nur endlose kalte Tiefe, ignoriere das salzige Ostseewasser, dass mir ins Gesicht schwappt, ignoriere, dass meine Arme keine Kraft mehr haben, meine Nackenhaare sich vor Furcht aufstellen, weil ich spüre wie hinter mir sich eine Häuserwand aus Stahl näher schiebt mit einer Bugwelle, die das ganze Boot überspülen könnte. Ignoriere Franzmanns ängstliches Atmen und katapultiere mich mit aller Kraft, mit ganz viel Schwung so weit und so hoch, dass ich es schaffe den Oberkörper über die Kante zu ziehen, mich halb in das Boot zu schmeißen.
Franzmann reagiert zum Glück schnell und gleicht geschickt den Schwung aus.
Ich bringe einen Schwall Wasser mit, aber ich liege, liege im Boot!
Einen Moment brauche ich, um zu Atem zu kommen, doch auch wenn ich am ganzen Körper zittere, so helfe ich doch Franzmann sofort, die Segel wieder flott zu kriegen.
Ohne uns absprechen zu müssen, schnappt er sich die Vorschot und ich übernehme das Ruder. Ich stemme meine Füße gegen die Reling und ziehe die Segel an. Wir müssen uns nicht absprechen, so war die Aufteilung auch vorher. Trotz der Panne überlässt Franzmann mir weiterhin das Ruder.
Das Steuer wieder in der Hand zu haben, ist ein gutes Gefühl.
Ich gebe ein Kommando, weil ich jetzt aus dem Wind drehe, er nickt stumm, und mit einem Schlag knallt der Baum mit dem Hauptsegel zur Seite, wir ducken uns synchron unterdurch, und das Boot nimmt rasch an Geschwindigkeit auf.
Das kleine Boot zischt davon und ich gehe wieder hart an den Wind.
Ein Blick über die Schulter. Bloß weg hier.
Die Fähre lässt noch einmal das Horn ertönen. Ein Gruß? Eine Warnung? Wir wissen es nicht, wir grinsen.
In meinem Bauch ist ein köstliches Kribbeln, als wir aus der Fahrrinne schießen, das Motorboot des Segellehrers neben uns aufholt und der Lehrer hinüberruft, wütend, was wir im Fahrwasser zu suchen gehabt hätten. Das sei gefährlich, wir dürfen dort nicht hin. Doch Franzmann und ich antworten nichts, grinsen nur blöde. Nass und zitternd krallen wir uns mit klammen Fingern ans Ruder und an die Taue.

Eigentlich macht segeln doch Spaß.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo fuchsia,
eine kurzweilige geschichte, mit einem gelungenen spannungsbogen.

eine geschichte über das kentern und sich wieder aufrichten.

auch das wechselspiel zwischen beschreibung der immer gefährlicher werdenden situation und dem wechselbad der gefühle der prot. weis zu gefallen

gerne gelesen

ralf
 



 
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