Haus fliegt

Sploink

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Damals, zu Beginn des 21. Jahrhunderts herrschte die Auffassung, dass die Macher von Comicserien und Videospielen entweder im Genuss sagenumwobener Psychopharmaka standen, oder schlicht aus einer anderen Welt kamen. Wer sonst käme auf die Idee, einen Animationsfilm über sprechende Autos zu produzieren, der Millionengelder nicht nur verschlang, sondern sie auch aus den Portmonees ihrer User zog? Wer sonst käme auf die Idee einer Tiefkühlpizza, die ausschließlich aus Schokolade bestand?
Hierbei handelte es sich um zwei Auswüchse der Realität, die in einer Tatsache mündeten; einer Tatsache, dermaßen schimmernd und offensichtlich, dass sie niemals in das Zentrum allgemeiner Aufmerksamkeit gelangte. Die Tatsache bestand darin, dass die Menschen einen an der Marmel hatten.

Dies interessierte die Bewohner des fliegendes Hauses, jenes tragende Element dieser Geschichte mitsamt ihrer Bewohner, nur am Rande und wurde — wenn überhaupt — nur in den Momenten auf der Veranda zur Ansprache gebracht, wo sie zu dritt oder zu viert oder zu fünft oder ganz alleine saßen, ihre Beine in der unteren Stratosphäre baumeln ließen, Tee tranken und sich nur gelegentlich sehen konnten, wenn ihre Sicht nicht von Wolken umhüllt wurde.

Wie es dazu kam, dass diese Fünf Bewohner in einem Mehrfamilienhaus über die Welt segelten, war nur einer der vielen Konsequenzen ebenjener gesellschaftlichen Marmeligkeit, die uns als Leser noch früh genug die volle Bandbreite ihrer Bedeutung zukommen lassen würde. Um nichts zu überstürzen beginnt diese Geschichte wie jede andere: Sie beginnt bei einem Spast.

"Ich hasse Tee!", sagte Spasti69. "Was soll ich mit Tee, wenn ich Feuer haben kann, Baby!"
Um seine Aussage zu unterstreichen, entlud er einen Feuerodem über das Geländer der Veranda hinaus. Ein majestätischer Anblick, wenn man die Aussicht einbezog, diese grüne Landschaft, die mit Dörfern besprenkelt unter dem Keller des Hauses vorbeizog. Langsam, ganz langsam.

Um etwaige Fragen zu klären: Spasti war ein Monster im Körper eines Menschen. In seinen übelsten Call Of Duty Zeiten goss er sich dermaßen viel Monster Energy in den Rachen, dass der Markenname des Getränks durch die Fügung einer Zufallskette eine Spur zu viel Realität annahm. Und so wurde Spasti69 — ursprünglich Karsten Memmemann — zu einem Monster.
Dabei betrachtete Spasti seine erweiterte Realität nicht als Fluch. Im Gegenteil, sein Dasein als humanoide Marke machte ihn schlagfertiger, robuster und konzentrierter. Ein Segen, der nur dahingehend geschmälert wurde, dass Spasti nicht mehr so gut Klavier spielen konnte, weil seine Hände ständig zitterten.

Dass Spasti Feuer spucken konnte, stand mit seiner Fähigkeit zum Feuerspucken in keinerlei Zusammenhang. Zum jetzigen Zeitpunkt gilt es lediglich festzuhalten, dass Spasti eine Abneigung gegen alles Koffeinfreie verspürte.

Als sein Feuerodem durch den Gegenwind zurück über die Reling schlug, kam die Hitze mit Gantt's Augenbrauen in Kontakt.
"Boy, du hast meine Augenbrauen abgefackelt!", blaffte Gantt.
"Leck mich an meinem Pickelarsch, du kleiner Franzose!", antwortete Spasti.

Gantt war kein Diagramm. Gantt war fasziniert. Fasziniert von der Aussicht auf die Welt unter seinen Adidas-Sneakers. Fasziniert auf die Promiskuität von Spasti69 und seiner Ausdauer und seiner Fähigkeit, immer nach vorne zu sehen, nach vorne in die Zukunft, die mit ihren Myraiden an Verheißungen und Träumen — Lakritze — lockte und dem Penner-arsch namens Gantt nicht nur an die Vergänglichkeit seiner fetten Mutter erinnerte, sondern auch daran, dass er vom Schöpfer dieser Geschichte gemobbt wurde.
Und weil er keine Augenbrauen mehr hatte, schmiss er sich auf Spasti. Er zerrte ihn auf die Holzdielen der Veranda und drosch auf ihn ein. Spasti rief: "Uuaagh! Warrrrrrrrrhghg!", während er Gantt seine Hände und Füße entgegen drückte. Sie rauften sich.

Der Lärm war hinauf bis in den Schornstein zu hören, wo Kokolores saß und in die Ferne starrte. Kokolores beugte sich über die Brüstung und beobachte Gantt und Spasti bei ihrer Rauferei. In erster Linie behielt sie Spasti im Auge. Sie legte ihr Kinn in die Hand und verlor sich in wilden Fantasien.

Sie liebte Spasti. Sie hasste Spasti. Warum musste dieser Monsterboy nur so vom Schuss abgekommen sein? Und warum musste er so fucking cute sein? Handelte es sich in seiner Auffassung und in seinen Motiven, in seinen Kriegen, die ihn jeden Tag zum Aufstehen zwangen, die seinen Fortgang in ihre eigene Determinierung klammerten, um Liebe von Wahrheit zu trennen, so wie der Joghurtdeckel den Joghurt vom User trennt, ja, handelte es sich bei der Philosophie seines gesamtheitlichen Seins nur um einen abgrundtiefen Hass gegenüber Tee?

Kokolores seufzte. Eines Tages wird sie Spasti's Feuer in ihre Seele channeln lassen. Eines Tages wird sie Monsterfrau. Doch zuerst musste sie den süßen Prinzen aus dem Satelliten von Queen Culmingham Queen befreien.
"Boys!", rief sie von oben herab. "Reißt euch zusammen. Ihr bringt das Haus zum schaukeln."
Ihre Worte blieben unbeachtet. Viele ihrer Worte blieben unbeachtet, was möglicherweise an ihren zierlichen Zügen lag, möglicherweise aber auch an der Dickköpfigkeit ihrer zwei Jungs, allem voran diesem Gantt, diesem Hurensohn, ich hasse ihn.

Kokolores straffte ihre Latzhose von Zara, reduziert von 79.99€ auf 19.99€ und hielt den Zeigefinger in die Luft. Der Wind wehte von Westen und Fotograf saß zwei Meter östlich von ihr auf dem Dach.
"Hey, das ist gut!", sprach Fotograf. "Bleib mal so."
Kokolores erstarrte in Mimik und Gestik. Fotograf bannte den Moment, bannte Kokolores' verschmitztes Lächeln und ihren seefahrermäßig erhobenen Finger und im Hintergrund erstreckte sich die vollendete Beauty der erdlichen Unendlichkeit. Kokolores hatte Labello und war einfach gorgeous.

Sie rutschte an einem Seil herab zur Veranda, so wie das Captain Jack Sparrow immer auf Schiffen tat, der immer sehr souverän dabei wirkte, und auch Kokolores war megamäßig souverän unterwegs. Ihre Tommy-Hilfiger Badeschlappen schlugen auf das Verandaholz und sie trat auf Gantt und Spasti herum, bis die beiden zur Besinnung kamen.

Sie konnten es nicht leugnen. Sie hatten Missionen zu meistern, süße Astronauten zu befreien, sie hatten eine Odysee zu bestreiten, von der letzten Treppenstufe ihrer Veranda bis zum Sonnenuntergang und darüber hinweg, sie hatte eine Reise vor sich, hinab in das tiefste Dickicht von friendship and love.
Es war serious.

"Zuerst suchen wir meinen Prinzen.", sagte Kokolores Richtung Horizont. Ihr Sidecut wehte im Wind.
"Nee, Alte!", argumentierte Gantt. "Zuerst fliegen wir zur Tanke. Daddy braucht ein Paar neue Feuerzeuge."
"Für sowas haben wir Spasti."
"Yeah, right."

Kokolores sah hinauf in die Schwärze des Alls, sie sah den Mond an einem Ende des Horizonts und die Sonne am anderen Ende. Eine kühle Brise zurrte an den Nasenspitzen unserer wackeren Freunde und sie wussten, dass ihre Odyssee erst weitergehen konnte, wenn sie, die gorgeous Kokolores und der süße Astronaut Hand in Hand, Mund auf Mund am Wohnzimmertisch sitzen würden.

Dazu mussten sie zum oberen Ende der Stratosphäre aufsteigen. Sie waren noch nicht high genug.
 



 
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