Hausgötter

Catweazle

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Hausgötter​

Der Mann hob mit einer segnenden Geste seine Hände. Er hatte lange blonde Haare, die er zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte. Seine wallende, weinrote Robe fiel ihm bis auf seine teuren Stiefel. Als er zu singen begann, verstummte die Menschenmenge hinter ihm, die sich zur Einweihung versammelt hatte.
Die Fertigstellung der lang umkämpften, exklusiven Neubausiedlung am Rande der Stadt sollte exemplarisch an diesem Wohnblock mit einem mehrkonfessionellen Gottesdienst gefeiert werden. Nachdem bereits Vertreter der meisten christlichen, moslemischen und jüdischen Glaubensrichtungen ihren Segen gegeben hatten, war nun der geweihte Diener der Religion der niederen Hausgötter am Werke.
Er war eingeladen worden, weil der Hauptinvestor ein glühender Anhänger seiner Religion war. Und da dieser Neid und Unfrieden in seinen Häusern befürchtete, sollte man dem nun dort wohnenden Hausgott seine ihm zustehenden Opfer nicht verwehren.
Der Bürgermeister betrachtete die Szene am Altar. Er hatte sich extra seine goldene Amtskette angezogen, um diesem Projekt, mit dem er seine politische Zukunft verbunden hatte einen würdigen Rahmen zu geben. Plötzlich runzelte er die Stirn und beugte sich flüsternd zum Polizeipräsidenten. Er zeigte mit dem Finger auf einen jungen Mann, der nach seinem Äußeren zu urteilen offensichtlich obdachlos war und nahe des Seiteneingangs auf einer kleinen Mauer lehnte.
„Können Sie den nicht wegschaffen lassen? Er stört mit seinem Erscheinungsbild die gesamte Veranstaltung. Wir haben schließlich die ganze nationale Presse hier. Und das Fernsehen! Wie sieht das denn aus?“
Der Polizeipräsident räusperte sich kurz.
„Nun, Herr Bürgermeister, er hat nichts getan und damit ist es sein gutes Recht sich auf dieser Straße aufzuhalten. Nein, ich befürchte man kann da nichts machen.“
Und sie betrachteten beide den jungen Mann, der leise kicherte und sich mit sich selbst zu unterhalten schien.
Dieser junge Mann lauschte nun den Worten am Altar. Dann flüsterte er:
„Ah, jetzt scheint er Dich zu preisen. Und nun fragt er Dich nach Deinem Namen.“
Der in Roben gekleidete Mann drehte sich wirbelnd zur Menge um und donnerte:
„Dieser Gott heisst Azariel! Der Hausgott, in diesem Haus nennt sich Azariel! Wir preisen Dich, Azariel und bitten um Deine Gunst!“

Der junge Mann in der Jeansjacke zuckte mit den Mundwinkel.
„Azariel“, schmunzelte er.
„Was für ein blöder Name!“ erklang neben ihm eine Stimme.
„So heißt doch kein Hausgott!“
Lächelnd schaute der junge Mann den Gott an, der vor geraumer Zeit neben ihm Platz genommen hatte. Dieser erwiderte seinen Blick, wobei zwei kleine Hörner unter seinen Haaren erkennbar wurden.
„Nein? Nicht Azariel?“ begann der junge Mann. „Wie heißt Du denn dann?“
„Sag ich nicht.“ Antwortete der Gott kurz angebunden.
„Und warum nicht?“
„Ist mir peinlich.“
„Na ja, ist ja auch nicht wichtig. Azariel ist auf jeden Fall ein unpassender Name. Und ich weiss ja auch so, wo ich Dich finden kann, wenn etwas sein sollte.“
„Das stimmt. Schön, dass Du zur Einweihung kommen konntest.“
Der Hausgott zog sich umständlich die Hose zurecht.
„Klar,“ erwiderte der junge Mann. „So ein Schauspiel lass ich mir doch nicht entgehen. Jetzt muss ich aber weiter. Da gibt es noch eine Streitigkeit in der Wilhelmstraße. Der Hausgott und der Poltergeist kommen sich immer wieder in die Quere. Wird Zeit, dass ich mal ein Machtwort spreche. Aber es war schön, Dich kennen gelernt zu haben.“
Der Hausgott stand auf und hielt dem Mann die Hand hin.
„Und ich will noch in den dritten Stock. Die Blonde aus dem Anbau duscht immer um diese Uhrzeit. Und sie kreischt ganz herrlich, wenn ich ihr das warme Wasser abdrehe!“
„Na, dann viel Spaß, Hausgott.“
„Machs gut, Priester.“
 



 
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