Heiligabend

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MuusTri

Mitglied
Ein Mann erfriert, die Augen leer, gebrochen.
Sein Arm umklammert noch den letzten Schluck vom Glück.
Ganz still und heimlich ist die Nacht herbei gekrochen...
Hält ihn kalt und holt ihn sich zurück.

Und in der Obhut zimtbedachter Plätzchendünste,
da leuchten ungeniert, verwebt gespenstern
noch Wünsche – aufgespannt auf Traumgespinste –
hinter wintereiskristallgeschmückten Fenstern.

Das Knirschen gut gelaunter Schritte naht, und summend
erfasst ein ahnungsloser Blick das Leid – verstummend.
Und er versteht. Man hört ihn rufen: „Schnell!“

Der Schlachtruf einer fernen Eule gellt
durch Eiben. Und im Haus, dazugesellt,
taut ein Mann, die Augen voll und hell.
 

MuusTri

Mitglied
Heiligabend (freies Sonett)

Ein Mann erfriert, die Augen leer, gebrochen.
Sein Arm umklammert noch den letzten Schluck vom Glück.
Ganz still und heimlich ist die Nacht herbei gekrochen...
Hält ihn kalt und holt ihn sich zurück.

Und in der Obhut zimtbedachter Plätzchendünste,
da leuchten ungeniert, verwebt gespenstern
noch Wünsche – aufgespannt auf Traumgespinste –
hinter wintereiskristallgeschmückten Fenstern.

Das Knirschen gut gelaunter Schritte naht, und summend
erfasst ein ahnungsloser Blick das Leid – verstummend.
Und er versteht. Man hört ihn rufen: „Schnell!“

Der heis're Schlachtruf einer fernen Eule gellt
durch Eibenäste. Und im Haus, dazugesellt,
taut ein Mann, die Augen voll und hell.
 
H

Heidrun D.

Gast
Lieber Tristan,

dein schönes Sonett ist leider unbeachtet geblieben (auch von mir *schäm) und ich möchte es deshalb emporhieven, wenn auch Weihnachten schon länger vorbei ist. ;)
Wichtiger als der zeitliche Aspekt scheint mir ohnehin sein gesellschaftskritischer Bezug zu sein:

Ein Mann erfriert, die Augen leer, gebrochen.
Sein Arm umklammert noch den letzten Schluck vom Glück.
Ganz still und heimlich ist die Nacht [blue]herbeigekrochen ...[/blue]
Hält ihn kalt und holt ihn sich zurück.
Es geht dir hier offenbar um das Schicksal eines Obdachlosen, der, mit der finalen Flasche in der Hand, seinem Kältetod entgegensieht.
Und in der Obhut zimtbedachter Plätzchendünste,
da leuchten ungeniert, verwebt gespenstern
noch Wünsche – aufgespannt auf Traumgespinste –
hinter wintereiskristallgeschmückten Fenstern.
Noch ist er nicht ganz unempfindlich für das Glück der anderen, was ihm wohl für immer versagt bleiben wird ... - Sehr schön in diesem Zusammenhang die "Gespensterwünsche! :)
Das Knirschen gut gelaunter Schritte naht, und summend
erfasst ein ahnungsloser Blick das Leid – verstummend.
Und er versteht. Man hört ihn rufen: „Schnell!“
Im Gegensatz zur gängigen Praxis erkennt ein Passant das Elend nicht nur, sondern ist auch bereit zu helfen.
Der heis're Schlachtruf einer fernen Eule gellt
durch Eibenäste. Und im Haus, dazugesellt,
taut ein Mann, die Augen voll und hell.
Den Tod hast du in einer Eule symbolisiert, was ich gelungen finde. - Doch es gibt ein Happyend: Der Obdachlose taut auf und mit ihm eine ganze Familie. Die Weihnachtsbotschaft findet ihre Erfüllung.

Mir gefällt das Gedicht gut. Es kommt zwar etwas sentimental daher, aber das passt zu seinem Anlass. - Mit "Freien Sonetten" habe ich mich selber noch nicht beschäftigt, deshalb weiß ich nicht, ob es formal den Vorgaben entspricht.

Dir einen herzlichen Gruß und
ein gedichtestarkes Jahr
Heidrun
:)
 



 
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